Wie sich die DDR für die militärische Unterstützung des mosambikanischen antikolonialen Befreiungskampfes entschied
Mascha Neumann
25. April 2024

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) wird heute von zahlreichen fortschrittlichen Kräften in der ganzen Welt als Vorreiter bei der Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts in Erinnerung behalten. Die antiimperialistische Solidarität der DDR reichte von Ausbildungsprogrammen, medizinischer Versorgung, industrieller und landwirtschaftlicher Entwicklung, zivilen Hilfsgütern, finanzieller Unterstützung, Druck von Agitationsmaterial bis hin zu militärischer Ausbildung und Ausstattung. Rückblickend wirkt diese militärische Unterstützung wie die konsequente Fortsetzung der internationalen Solidarität. Doch Anfang der 1960er Jahre war es in der DDR durchaus umstritten, ob die Lieferung von ostdeutschen Waffen und Munition an Organisationen wie die Frente de Libertação de Moçambique (FRELIMO) zweckmäßig war.
Grundsätzlich wurde im sozialistischen Lager der Einsatz militärischer Mittel im Kampf gegen die Kolonialherrschaft als legitim erachtet. Der ehemalige Diplomat Helmut Matthes1Matthes war Botschafter der DDR in Tansania (1973–76) und in Mosambik (1983–88). Außerdem war er mehrere Jahre als Hochschullehrer am Institut für Internationale Beziehungen der Akademie für Staat und Recht in Potsdam tätig. beschreibt das Verhältnis der DDR zum bewaffneten Kampf jedoch als ambivalent. Man habe „politische und diplomatische Mittel von Anfang an als entscheidend“2Matthias Voß, Die Beziehungen der DDR – VR Mosambik zwischen Erwartungen und Wirklichkeit. Helmut Matthes über Stellung und Praxis der Beziehungen zu Mosambik im Rahmen der Afrikapolitik der DDR, in: Matthias Voß (Hg.), Wir haben Spuren hinterlassen! Die DDR in Mosambik. Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse aus drei Jahrzehnten, Münster 2005, S. 12–33, hier S. 13. bewertet. Im Nuklearzeitalter, insbesondere nach der so genannten Kubakrise von 1962, waren die mit der Sowjetunion verbündeten Staaten besorgt, dass die Konfrontation mit den imperialistischen Staaten zu einer gegenseitigen Vernichtung eskalieren könnte. Vor diesem Hintergrund wurde das Konzept der friedlichen Koexistenz („Das friedliche Nebeneinanderbestehen und Zusammenarbeit zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus“) zu einem Leitprinzip der sowjetischen Außenpolitik, während andere sozialistische Staaten wie die Volksrepublik China und Kuba deutlich offensiver mit der Frage des bewaffneten antiimperialistischen Kampfes umgingen.3In der DDR-Literatur aus den 1980er Jahren wird die Politik der friedlichen Koexistenz für die Kolonien auch klar abgelehnt: „Eine Übertragung der Politik der f. K. auf den Klassenkampf innerhalb der kapitalistischen Staaten, auf den antikolonialen Kampf und auf den ideologischen Klassenkampf ist nicht zulässig, weil es sich hierbei um völlig andere gesellschaftliche Beziehungen handelt. F. K. bedeutet deshalb nicht, den sozialen Status quo festzuschreiben.” Wörterbuch des wissenschaftlichen Kommunismus, Berlin 1982, S. 109.
Eine genauere Betrachtung der Entwicklung der DDR-Position gegenüber dem bewaffneten Kampf im südlichen Afrika zeigt eine anfängliche Zurückhaltung, die auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist: Könnte sich nach Kuba eine weitere Nuklearkrise über Afrika entfalten? Waren die legalen und diplomatischen Bemühungen wirklich ausgeschöpft? Sollten ostdeutsche Waffen für Konflikte im Ausland exportiert werden, auch wenn sie auf westdeutsche Waffen treffen könnten? Konnte sichergestellt werden, dass die Waffen in die richtigen Hände gelangten? Konnte die DDR-Industrie mit dem Bedarf der Befreiungskämpfe in Ostasien und Afrika mithalten? Angesichts intensivierender Kampfhandlungen im südlichen Afrika Mitte der 1960er Jahre und der Eskalation der chinesisch-sowjetischen Spaltung, beschloss die politische Führung in Berlin Anfang 1967, sich zur militärischen Unterstützung der Befreiungsbewegungen in Afrika zu verpflichten. So begann die DDR, Millionen von Mark für unentgeltliche Militärhilfe und Ausbildungsprogramme für Kämpfer aus nationalen Befreiungsbewegungen und ehemaligen Kolonien bereitzustellen.4Genaue Zahlen für den gesamten Zeitraum sind schwer zu ermitteln, aber allein für den 10-Jahres-Zeitraum von 1973 bis 1983 gab das Verteidigungsministerium rund 700 Millionen Mark für die unentgeltliche militärische Unterstützung der ehemaligen Kolonien und Befreiungsbewegungen aus. Vgl. Hans-Georg Schleicher/Ilona Schleicher, Waffen für den Süden Afrikas. Die DDR und der bewaffnete Befreiungskampf, in: Ulrich van der Heyden/Ilona Schleicher/Hans-Georg Schleicher, Engagiert für Afrika. Die DDR und Afrika II, Münster/Hamburg 1994, S. 7–30. Im Gegensatz zur Darstellung in der westdeutschen Presse („Honeckers Afrika-Korps“) wurde die Entscheidung für die Lieferung „nichtziviler Güter“ erst nach sorgfältigem Abwägen getroffen.
Das sozialistische Lager und der Kampf gegen das portugiesische Kolonialregime
Die anfängliche Zurückhaltung in der DDR hinsichtlich der Pläne der mosambikanischen Befreiungsfront FRELIMO, die es den Befreiungsbewegungen in Angola (1961) und Guinea-Bissau (1963, damals noch „Portugiesisch-Guinea“) gleichtun und den bewaffneten Kampf gegen die Kolonialmacht Portugal aufnehmen wollte, verdeutlicht die von Matthes angesprochene Ambivalenz. Nach einem Besuch von zwei Vertretern der FRELIMO in der DDR im Jahr 1963 wurde im Besuchsbericht des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) festgehalten, dass die Befreiungsfront gegenwärtig keine andere Möglichkeit sah, die Unabhängigkeit Mosambiks zu erreichen. Dies stieß zwar auf ein gewisses Verständnis, gleichzeitig wurde jedoch kritisiert,
„dass die FRELIMO den Fragen der gleichzeitigen Ausnutzung legaler Möglichkeiten des Kampfes zur Schaffung einer noch breiteren nationalen Front gegen den portugiesischen Kolonialismus (Versuche zur Schaffung einer legalen Opposition, Kontakte mit anderen Parteien und mit den sogenannten Assimilados5Die „Assimilados“ waren eine juristisch definierte Personengruppe im portugiesischen Kolonialsystem. Dabei handelte es sich um EinwohnerInnen der Kolonien aus der lokalen Bevölkerung, die aufgrund der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (Portugiesischkenntnisse, westliche Lebensweise, Angestelltenstatus oder LandbesitzerIn), die sie in den Augen der Kolonialverwaltung als ausreichend „zivilisiert“ erscheinen ließen, Bürgerrechte zugesprochen bekamen. Der überwiegende Teil der lokalen Bevölkerung (in den 1950er Jahren über 99%) wurde jedoch nicht als StaatsbürgerInnen anerkannt und hatte dementsprechend weniger Rechte und erhielt z.B. schlechteren Lohn, auch bei gleicher Arbeit. Vgl. Marvin Harris, The Assimilado System in Portuguese Mozambique, in: Africa Special Report, 3 (1958), S. 7–10, URL: https://www.proquest.com/scholarly-journals/assimilado-system-portuguese-mozambique/docview/1304046356/se‑2. in der Verwaltung, Beteiligung als Einzelkandidaten an Wahlen usw.) zu wenig Beachtung schenkt.“6Jeschewski (4. AEA), Information/Aufenthaltsbericht, 27.01.1964, in: PA AA M 1‑A/17423, S. 48–52.
Hinter dieser „einseitige[n] Orientierung auf den bewaffneten Kampf“ wurde – nicht zuletzt aufgrund des kurz zuvor erfolgten Besuchs einer der FRELIMO-Vertreter (Marcelino dos Santos, später wurde er Vizepräsident der Befreiungsfront) in der Volksrepublik China, bei dem dieser von Mao persönlich empfangen worden sein soll – ein „chinesischer Einfluss“7Beide Zitate ebd. vermutet. Das Zitat deutet auch darauf hin, dass die Entscheidung für den Eintritt in den bewaffneten Kampf als verfrüht empfunden und es als erfolgsversprechender eingeschätzt wurde, sich zunächst einer breiteren Unterstützung weiterer mosambikanischer Akteure zu versichern.

Dass sich die Sowjetunion trotz der eigenen Bedenken im Jahr 1964 schließlich dafür entschied, die FRELIMO militärisch zu unterstützen (zunächst durch das Angebot, 40 Kämpfer in der UdSSR auszubilden), soll ihr Vorsitzender, Eduardo Mondlane, als Abschreckungsversuch gegenüber China, sich nicht zu stark in Mosambik einzumischen, gewertet haben.8Vgl. Natalia Telepneva, Mediators of Liberation: Eastern-Bloc Officials, Mozambican Diplomacy and the Origins of Soviet Support for Frelimo, 1958–1965, in: Journal of Southern African Studies 43 (2017) 1, S. 67–81, hier S. 79 f. Die sowjetische Entscheidung wird auch für ihre Verbündeten nicht unbedeutend gewesen sein. Als die FRELIMO nach Aufnahme der Kampfhandlungen im September 1964 die Anstrengungen erhöhte, von den sozialistischen Staaten militärische Unterstützung zu erhalten, war sie dabei durchaus erfolgreich: u.a. Bulgarien und die ČSSR sagten im Frühjahr bzw. Sommer 1965 Waffenlieferungen zu.9Vgl. ebd. Auch bei der DDR waren spätestens seit 1965 Waffen angefragt worden und die FRELIMO war damit nicht allein: u.a. die Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA) aus Angola und die ZAPU aus dem an Mosambik grenzenden Rhodesien10Die ehemalige britische Kolonie wurde 1965–1980 von einer weißen Minderheitsregierung regiert. Seit 1980 heißt das Land Simbabwe. ZAPU steht für Zimbabwe African People’s Union. hatten ebenfalls wiederholt entsprechende Anfragen gestellt.11Vgl. Klaus Storkmann, Geheime Solidarität. Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die „Dritte Welt“, Berlin 2012, S. 108. Zu Waffenlieferungen konnte man sich in der DDR zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht durchringen.
Die militärische und politische Unterstützung Westdeutschlands für das faschistische Portugal
Allerdings war die Frage nach Waffenlieferungen insbesondere bei den portugiesischen Kolonien im Fall der DDR auch um einiges heikler als für ihre sozialistischen Bruderländer: immerhin hätten sich dort Waffen aus beiden deutschen Staaten direkt gegenübergestanden. Die portugiesische Führung hatte sich Anfang der sechziger Jahre an ihre NATO-Bündnispartner gewandt und sie um Hilfe gebeten. Die Regierung unter Diktator Salazar behauptete, in ihren sogenannten „Überseeprovinzen“121951 hatte Portugal seine Kolonien per Verfassungsänderung als „Überseeprovinzen“ umdefiniert und betrachtete sie fortan offiziell als integralen Bestandteil des Landes. Dies ging so weit, dass die portugiesische Regierung nach ihrem UN-Beitritt (1955) behauptete, keine abhängigen Gebiete zu verwalten. Vgl. United Nations, A Principle in Torment. 2, The United Nations and Portuguese administered territories / Office of Public Information, New York 1970. von einem durch die Sowjetunion unterstützten kommunistischen Aufstand bedroht zu werden. Daraufhin leisteten einige Staaten dem faschistischen Portugal u.a. mit Krediten, Kampfflugzeugen, Kriegsschiffen, Munition und chemischen Entlaubungsmitteln Unterstützung.13Vgl. Elizabeth Schmidt, Africa, in: Richard H. Immerman/Petra Goedde (Hg.), The Oxford Handbook of the Cold War, Oxford 2013, S. 265–285, hier S. 276. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die USA der größte finanzielle und militärische Unterstützer Portugals gewesen, u.a. um sich ihre strategisch wichtigen Militärbasen auf den Azoren und Kap Verde zu sichern.
Die gewährten Kredite waren zwar für die Verwendung in Portugal bestimmt, allerdings wurden dadurch an anderer Stelle Gelder freigesetzt, die für die Verwaltung der Kolonien und letztendlich auch für die Kolonialkriege verwendet werden konnten.14Vgl. Thomas H. Henriksen, Revolution and Counterrevolution. Mozambique’s War of Independence, 1964–1974, Westport/London 1983, S. 173 f. Nach Verabschiedung der „Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker“ durch die UN-Generalversammlung im Dezember 196015 Die Resolution wurde mit 89 Stimmen ohne Gegenstimmen angenommen. Enthalten hatten sich lediglich 9 Staaten, darunter Portugal, Südafrika, Großbritannien, Frankreich und die USA. Vgl. Wilfried Skupnik, Portugals Kolonialismus und die Bundesrepublik Deutschland (Schluss), in: Vereinte Nationen, German Review on the United Nations, 22 (1974) 4, S. 113–118, hier S. 114. auf Initiative der Sowjetunion16Vgl. Franz Ansprenger et al. (Hg.), Wiriyamu. Eine Dokumentation zum Krieg in Mozambique, München 1974, S. 4. sowie in Anbetracht der sich verschärfenden Lage in den portugiesischen Kolonien, schränkten die USA unter ihrem neuen Präsidenten John F. Kennedy die Waffenlieferungen an Portugal deutlich ein. Die BRD, die sich als Nicht-Mitglied nicht vor der UNO rechtfertigen musste, ersetzte in der Folge die USA als Hauptlieferant von militärischem Gerät.17Vgl. Luís Nuno Rodrigues, The International Dimensions of Portuguese Colonial Crisis, in: Miguel Bandeira Jerónimo/António Costa Pinto, The Ends of European Colonial Empires: Cases and Comparisons, London 2015, S. 243–267, hier S. 257 ff. Die BRD wiederum wurde in dieser Hinsicht in der ersten Hälfte der 1970er Jahre durch Frankreich überholt, was zu dieser Zeit kein NATO-Mitglied war und keinerlei Beschränkungen bezüglich der Einsatzorte der gelieferten Waffen etc. festlegte. Vgl. Henriksen, Revolution and Counterrevolution, S. 175.

Die Bundesrepublik leistete sowohl auf militärischer als auch auf wirtschaftlicher und politischer Ebene einen bedeutenden Beitrag zu den portugiesischen Kolonialkriegen.18Neben den Publikationen von Schroers, Henriksen, Lopes und Rodrigues zu diesem Thema ist als neueste deutschsprachige Publikation zu nennen: Nils Schliehe, Deutsche Hilfe für Portugals Kolonialkrieg in Afrika. Die Bundesrepublik Deutschland und der angolanische Befreiungskrieg 1961–1974, München 2016. In den 1960er Jahren gingen große Mengen an überschüssigem Bundeswehrmaterial nach Portugal, darunter hauptsächlich Waffen und Militärflugzeuge. Zusätzlich wurde das portugiesische Militär durch die westdeutsche Industrie bis in die 1970er Jahre mit Neuprodukten beliefert, darunter u.a. Kriegsschiffe und Geländefahrzeuge, die auch in den Kolonien zum Einsatz kamen.19Vgl. Thomas Schroers, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Die Entwicklung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Portugiesischen Republik (1949–1976), Dissertation (Universität der Bundeswehr Hamburg), Hamburg 1998, S. 60 ff; Rui Lopes, West Germany and the Portuguese Dictatorship, 1968–1974. Between Cold War and Colonialism, Basingstoke/New York 2014, S. 145 ff. Zwar war im Jahr 1965 eine sogenannte „Endverbleibsklausel“ ausgehandelt worden, um den Transfer und damit die Verwendung in den Kolonialkriegen auszuschließen. Dass dort trotzdem immer wieder Waffen und anderes aus der Bundesrepublik geliefertes militärisches Material und Gerät zum Einsatz kam, war jedoch bekannt.20Vgl. Schroers, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 72 ff. Für einen bekannten Fall, bei dem das Auslassen der Endverbleibsklausel sogar beiderseitig vereinbart wurde, siehe Lopes, West Germany and the Portuguese Dictatorship, S. 147. Es handelte sich dabei um drei Militärschiffe, deren Zweck offensichtlich eine Verwendung in den Kolonien war. Zwar zögerte Bonn die Lieferung immer wieder hinaus, letztendlich wurden alle drei aber an die portugiesische Armee übergeben und in den Kolonialkriegen eingesetzt (vgl. ebd.). Siehe auch Berichterstattung der FRELIMO: FRELIMO, West Germany involved in the Portuguese Colonial War, in: Mozambican Revolution No. 1, Dezember 1963, S. 3–5, URL: https://jstor.org/stable/al.sff.document.numr196312 Die Unterdrückung der Befreiungsbewegung in Mosambik durch Portugal wurde immer brutaler und gipfelte 1973 in dem Massaker von Wiriyamu, bei dem 400 DorfbewohnerInnen von der portugiesischen Armee und dem Sicherheitsdienst niedergeschossen wurden.21Siehe z.B. Ansprenger et al. (Hg.), Wiriyamu.
Der Wendepunkt für die DDR und die „Lieferung nichtziviler Güter“
Dafür, dass die Befürchtung vor einer Eskalation groß war, spricht auch der Umgang mit einem Entwurf des DDR-Außenministers Otto Winzer aus dem Frühjahr 1965, welcher einen grundsätzlichen Beschluss über die Unterstützung von Befreiungskämpfen mit militärischem Material vorsah. Als Anlass wurden explizit die wiederholten entsprechenden Anfragen verschiedener Befreiungsbewegungen genannt, die das Solidaritätskomitee der DDR z.T. bereits mit zivilen bis hin zu paramilitärischen Gütern unterstützte – darunter u.a. die angolanische MPLA und die mosambikanische FRELIMO. Dieses Dokument wurde als derart vertraulich eingestuft, dass es zunächst mit keiner anderen staatlichen Dienststelle abgesprochen wurde. Da es schließlich nicht dem Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zur Abstimmung vorgelegt wurde, liegt die Vermutung nahe, dass mindestens einer der drei Minister (darunter waren der Minister für nationale Verteidigung, Heinz Hoffmann, der Leiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Erich Mielke sowie der Minister des Innern, Friedrich Dickel), denen der Entwurf vorab vorgelegt wurde, auf die Bremse trat.22Vgl. Storkmann, Geheime Waffen, S. 108.
Das Thema war jedoch nicht vom Tisch. Nachdem sich Erich Honecker im November 1966 (in seiner damaligen Funktion als ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen) noch gegen die Bewaffnung entsprechender Gruppierungen ausgesprochen hatte23Vgl. ebd., S. 109., fällte das Politbüro am 10. Januar 1967 schließlich eine Grundsatzentscheidung über Waffenlieferungen und beschloss die Möglichkeit der „Lieferung nichtziviler Güter an nationale Befreiungsbewegungen in Afrika“24Politbüro (ZK der SED), Arbeitsprotokoll Nr. 1, TOP 14, 10.01.1967, in: BArch DY 30/45305.. Matthes‘ Einschätzung nach waren die Grundlagen für das Umschwenken in dieser Frage die sich im Laufe der sechziger Jahre intensivierenden politischen Kontakte bei internationalen Veranstaltungen sowie die Besuche hochrangiger Vertreter der Befreiungsbewegungen in der DDR.25Vgl. Voß, Die Beziehungen der DDR – VR Mosambik, S. 12 f. Es liegt nahe, dass häufigere Begegnungen ein besseres Kennenlernen sowie wiederholte Unterstützungsanfragen ermöglichten, wodurch der Druck zunahm, der sicher zu dem Beschluss beitrug. So hatte z.B. der FRELIMO-Präsident Mondlane lediglich sechs Wochen vor der Entscheidung zum zweiten Mal persönlich Ostberlin besucht. Ob auch die Sowjetunion darauf gedrängt hatte, die bisherige Zurückhaltung zu überdenken und ihrem Beispiel zu folgen, ist bislang nicht geklärt, da aussagekräftige Quellen hierzu fehlen.26Zu diesem Schluss kommt auch Storkmann. Siehe Storkmann, Geheime Solidarität, S. 109 f.
Was sicherlich auch zu dieser Entscheidung beigetragen hat, war die Intensivierung der Kampfhandlungen vieler Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika Mitte der 1960er Jahre. Militärische Aktivitäten waren (spätestens) 1966 zum prägenden Faktor des Befreiungskampfes geworden. Auch interessant ist, dass Ende 1966 eine kubanische Militärdelegation in der DDR weilte, deren Einfluss auf die Entscheidung zugunsten von Waffenlieferungen nicht auszuschließen, jedoch auch nicht eindeutig belegbar ist. Da es in den Gesprächen jedoch um Themen rund um den bewaffneten Befreiungskampf und u.a. konkret um die Frage ging, ob die DDR Waffen und militärische Ausbildung bereitstellen könne, liegt auch hier ein weiterer wahrscheinlicher Einfluss zugunsten des Beschlusses vor.27Vgl. Schleicher/Schleicher, Waffen für den Süden Afrikas, S. 12 f.

Mit der Grundsatzentscheidung wurden sogleich die ersten konkreten Lieferungen beschlossen. Die FRELIMO wurde dabei priorisiert und erhielt die größte Anzahl an Waffen und Munition. In der Begründung der Beschlussvorlage des MfAA hieß es, dass die bedachten Befreiungsbewegungen jeweils die bedeutendsten, erfolgreichsten und fortschrittlichsten Kräfte in den jeweiligen Kolonien bildeten und die Militärhilfen im Einklang mit dem außenpolitischen Prinzip der Unterstützung der Befreiungsbewegungen stünden.28Vgl. Storkmann, Geheime Solidarität, S. 246 f. Damit hatte sich die DDR in ihrer Haltung zum bewaffneten Kampf nicht nur ihren sozialistischen Bruderstaaten (und China) angeschlossen, sondern folgte auch anderen Ländern des afrikanischen Kontinents, die auf einen erfolgreichen Befreiungskampf zurückblicken konnten. So war es das seit 1962 unabhängige Algerien gewesen, das in seinem Befreiungskrieg gegen Frankreich umfangreiche Kampferfahrung gesammelt und auf Anfrage der FRELIMO-Führung für die militärische Ausbildung und Ausstattung ihrer ersten 250 Kämpfer gesorgt hatte.29Vgl. Helen Kitchen, Conversation with Eduardo Mondlane, in: Africa Report, 01.11.1967, S. 31–51, hier S. 52.
Aktive Diplomatie der Befreiungsbewegungen – Das Beispiel der FRELIMO
Seit 1967 fanden fast jährlich Waffenlieferungen aus der DDR an die FRELIMO statt.30Vgl. Storkmann, Fighting the Cold War in southern Africa?, S. 156. Ihr Umfang nahm, wie die gesamte Unterstützung, Anfang der 1970er Jahre deutlich zu. Dies lässt sich z.T. durch die zuvor herrschende Unsicherheit erklären, welche die Ermordung Mondlanes im Jahr 196931Mondlane wurde am 3. Februar 1969 durch ein Briefbombenattentat der sowohl in Portugal als auch international agierenden portugiesischen Geheimpolizei PIDE ermordet. und die darauffolgenden Machtkämpfe innerhalb der Befreiungsfront in der DDR ausgelöst hatten. Die Unterstützung auf anderen Gebieten wurde zwar auch in dieser schwierigen Phase aufrechterhalten und in einigen Bereichen sogar verstärkt.32Dies galt insbesondere für die Unterstützung im Bildungsbereich, u.a. durch Entsendung von Lehrkräften. In großem Stil Waffen an einen Partner zu liefern, ohne zu wissen, in welche Richtung sich dieser ideologisch entwickeln würde, hätte jedoch ein Risiko dargestellt. Denn während Mondlane sich im Laufe seiner Amtszeit als erster Präsident der Befreiungsfront immer stärker den sozialistischen Staaten zugewandt und dem Westen schließlich ganz den Rücken gekehrt hatte33Vgl. Victoria Brittain, They had to die: assassination against liberation, in: Race & Class, 48 (2006) 1, S. 60–74, hier S. 64., schien nach dem Attentat vorübergehend offen, wer seine Nachfolge in der ideologisch recht heterogenen Organisation antreten und ob die Politik der Annäherung fortgesetzt werden würde. Im Mai 1970 ernannte das ZK der FRELIMO schließlich ihren Armeechef Samora Machel zum neuen Präsidenten. Damit hatte sich der schon länger als sozialistisch geltende Flügel um Marcelino dos Santos, der Vizepräsident wurde, endgültig durchgesetzt.34Vgl. George Roberts, The assassination of Eduardo Mondlane: FRELIMO, Tanzania and the politics of exile in Dar es Salaam, in: Cold War History, 17 (2017) 1, S. 1–19, hier S. 17.
Im Vorfeld des ersten offiziellen Empfangs einer FRELIMO-Delegation durch die Regierung der DDR (nicht wie zuvor durch das Solidaritätskomitee), der im April 1972 stattfand, plante das Zentralkomitee der SED bereits ohne konkret vorliegende Wünsche der FRELIMO die Abgabe einer größeren Lieferung von Infanteriewaffen und entsprechender Munition, um bei möglichen Anfragen während des Besuchs sofort darauf eingehen zu können.35Vgl. Storkmann, Geheime Solidarität, S. 248 f. Dieses eher ungewöhnliche Vorgehen ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass akut eine Annäherung der Befreiungsfront an China befürchtet wurde. Eine von Machel in seiner neuen Funktion als FRELIMO-Präsident geleitete Delegation hatte im Herbst 1971 China, Nordkorea und Vietnam besucht, was scheinbar als derart besorgniserregend wahrgenommen wurde, dass das Generalkonsulat (GK) der DDR in Tansania ihn anschließend zu einer „Unterredung“ einlud. Dort zeigte sich Machel sehr zufrieden über seine Reise, auf der China die Bereitschaft zu umfangreicher materieller Unterstützung sowie weiteren Waffenlieferungen betont habe. Er lobte die Art und Weise, wie die Delegation in allen drei asiatischen Ländern empfangen worden war. Dies habe für ihn ganz klar ein Kriterium für die Haltung gegenüber der Befreiungsbewegung dargestellt und er zog Vergleiche zu anderen sozialistischen Staaten, die dabei schlecht wegkamen. So habe er angemerkt, dass die „SU als erstes und stärkstes sozialistisches Land […] augenscheinlich wenig Interesse an den FRELIMO-Problemen“36Zenker (GK Daressalam), Aktennotiz/Gesprächsvermerk, 12.10.1971, in: PA AA M 1‑C/6071, S. 1 f. zeigen würde.

Auch die Unterstützung durch die DDR bezeichnete er laut GK-Bericht als verbesserungswürdig. Der FRELIMO-Präsident zeigte zwar Verständnis für ökonomische Schwierigkeiten der sozialistischen Länder, übte aber dennoch offen Kritik. Man habe gegenüber der DDR zahlreiche Wünsche formuliert, allerdings hapere es bei der Realisierung der gemachten Versprechen: mündliche Beteuerungen würden nichts nützen. Vielmehr käme es darauf an, eine Verbesserung der materiellen Hilfen durch alle sozialistischen Länder zu erreichen. Diese deutlichen Worte Machels zeigen, dass die FRELIMO sich auch weiterhin nicht in den chinesisch-sowjetischen Konflikt hineinziehen lassen wollte: Hilfe wurde explizit von allen sozialistischen Staaten angenommen und auch erwartet. Gleichzeitig hatte der Streit im sozialistischen Lager das Potential, insgesamt mehr Unterstützung zu erhalten, denn die hier angeführten Quellen, aus denen der zeitliche Zusammenhang zwischen Machels China-Besuch und der Zusammenstellung der erwähnten umfangreichen Waffenlieferung hervorgeht, legen nahe, dass es durchaus ein Anreiz war, bei hohen Unterstützungszusagen der chinesischen Seite ebenfalls „nachzulegen“.
In der DDR nahm man sich die Kritik zu Herzen. Bei Machels Besuch im April 1972 wurde ihm erläutert, dass die Möglichkeiten der DDR aufgrund der Verpflichtungen gegenüber Vietnam stark eingeschränkt seien. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die notwendigen Abstimmungen im Rahmen des Warschauer Vertrages verwiesen sowie auf das Potsdamer Abkommen, welches die Produktion von Waffen in der DDR nur in beschränktem Maße zulasse. Dennoch zeigte man sich bereit, die FRELIMO weiterhin zu unterstützen und auf ihre Wünsche einzugehen, wenn diese frühzeitig kommuniziert würden. Es wurden ab da regelmäßig Listen mit möglichen Lieferungen erstellt, womit teils auf konkrete Forderung reagiert, teils vorausschauend weitere Wünsche antizipiert wurden.37Vgl. Storkmann, Geheime Solidarität, S. 249 f.

Die Unterstützung im „nichtzivilen“ Sektor endete selbst dann nicht, als die Unabhängigkeit Mosambiks aufgrund von Verhandlungen mit Portugal in Folge der Nelkenrevolution (1974) absehbar wurde. Vielmehr zeigte man sich in der DDR überzeugt, dass die politischen Veränderungen in Portugal und die dadurch neu entstandene Situation in den portugiesischen Kolonien sogar einer „verstärkte[n] Unterstützung des antiimperialistischen Kampfes dieser Völker“38Sekretariat (ZK der SED), Arbeitsprotokoll Nr. 109, 14.10.1974, in: BArch DY 30–62668, S. 73 f.bedurften, was sich nicht zuletzt in einer Zusatzsendung an „nichtzivilem“ Material erheblichen Umfangs zeigte, die im Oktober 1974 vom Politbüro beschlossen wurde. Auch während des zweiten offiziellen FRELIMO-Delegationsbesuches in der DDR (Dezember 1974) und darüber hinaus wurden weitere umfangreiche (teils paramilitärische) Lieferungen durch Machel erbeten und in Berlin genehmigt.39Vgl. Storkmann, Geheime Solidarität, S. 250 ff. Es liegt nahe, dass die Position der FRELIMO innerhalb Mosambiks vor der offiziellen „Entlassung“ in die Unabhängigkeit militärisch gestärkt werden sollte, um ihre Macht langfristig sichern zu können.
Fazit
Im Zuge der Nelkenrevolution wurde 1974 in Portugal der Faschismus gestürzt. Im darauffolgenden Jahr erlangten die letzten portugiesischen Kolonien in Afrika die Unabhängigkeit. Die Befreiungsbewegungen in Mosambik, Angola und den anderen Kolonialgebieten spielten eine zentrale Rolle beim Umsturz der faschistischen Diktatur. Durch ihre Kampfhandlungen überforderten sie das portugiesische Militär und den Staatshaushalt massiv und schufen so eine revolutionäre Situation in der Metropole, die fortschrittliche Offiziere und politische Organisationen dann erfolgreich lenken konnten.
Das NATO-Gründungsmitglied Portugal wurde von seinen Bündnispartnern vor und während der Kolonialkriege mit Rüstungsgütern (u.a. Gewehren und Kriegsschiffen aus der BRD) beliefert und war den Befreiungsbewegungen in den Kolonien militärisch zunächst weit überlegen. Auf friedlichem Wege war das Salazar-Regime jedoch nicht bereit, seine sogenannten „Überseegebiete“ abzutreten. Daher blieb der Partido Africano para a Independência da Guiné e Cabo Verde (PAIGC), der MPLA und schließlich auch der FRELIMO kein anderer Ausweg aus der Unterdrückung, als dem Kolonisator, der ungleichen Kräfteverhältnisse zum Trotz, den bewaffneten Kampf anzusagen. Die sozialistischen Staaten erkannten diese Tatsache an und begannen Mitte der 1960er Jahre den antikolonialen Befreiungskampf mit Waffen und militärischer Ausbildung zu unterstützen. Dies war kein geradliniger Prozess; insbesondere in der DDR gab es eine Reihe von Überlegungen, die bis zum Grundsatzbeschluss 1967 (und teilweise darüber hinaus) zu Vorsicht und Zurückhaltung in der militärischen Unterstützung führten. Doch im Laufe der Zeit wuchs das politische Vertrauen und dank der enger werdenden Beziehungen zu den Befreiungsbewegungen verstetigten sich auch die Hilfslieferungen.
Die Auswirkungen der chinesisch-sowjetischen Spaltung waren auch in den portugiesischen Kolonien deutlich zu spüren. Während etwa die mosambikanische Befreiungsfront FRELIMO die Rivalität ausnutzen konnte, um Druck auf die sozialistischen Staaten auszuüben und mehr Unterstützung von allen Seiten zu fordern, untergrub die Spaltung zweifellos die Einheit des antiimperialistischen Kampfes und förderte innerhalb einiger Länder sogar blutige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Befreiungsbewegungen sowie über den Unabhängigkeitskampf hinaus, wie es besonders eindrücklich in Angola der Fall war.
Für die Nelkenrevolution bleibt festzuhalten, dass ostdeutsche Waffen und andere Unterstützungsmaßnahmen für die Befreiungskämpfe in Mosambik, Angola und Guinea-Bissau nicht nur dort ihre Wirkung zeigten, sondern auch auf die Entwicklungen in Europa einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hatten. Somit leistete die sozialistische Solidarität einen wichtigen Beitrag zur Schwächung des portugiesischen Kolonialismus und zum Sturz des portugiesischen Faschismus.