„Eine medizinische Fachausbildung für die Leute zu organisieren, die es am nötigsten hatten.“

Ulrich Kolbe, ein ehemaliger Lehrer, über die Bedeutung der Medizinischen Fachschule Quedlinburg für die internationalen Studenten

Ulrich Kolbe (*1963), dessen Eltern in mehre­ren Auslands­ein­sät­zen für die DDR tätig waren, wuchs in einem inter­na­tio­na­lis­ti­schen Haus­halt auf. Von 1987 bis 1991 unter­rich­tete er Deutsch an der Medi­zi­ni­schen Fach­schule “Doro­thea Chris­tiane Erxle­ben” in Qued­lin­burg (Medifa), die sich auf die Ausbil­dung inter­na­tio­na­ler Studen­ten, vor allem aus den natio­na­len Befrei­ungs­be­we­gun­gen oder den neuen unab­hän­gi­gen Staa­ten, spezia­li­siert hatte. Heute arbei­tet er als frei­be­ruf­li­cher Über­set­zer, Redak­teur, Autor, Foto­graf und Lehrer in Kalifornien.

Im Rahmen unse­rer Recher­chen über die Medizi­ni­sche Fach­schule haben wir im Juli 2021 ein Inter­view mit Kolbe geführt. Im ersten Teil beschreibt er die anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Stra­te­gie der DDR im Allge­mei­nen und erör­tert die Entwick­lung des poli­ti­schen Bewusst­seins der DDR-Bürger. In diesem zwei­ten Teil spre­chen wir über die Bedeu­tung der Fach­schule selbst, sowohl für die Studie­ren­den als auch für die Einwoh­ner Quedlinburgs.

Kannst du uns zunächst grundsätzlich berichten, was die Medifa war?

Die Medi­zi­ni­sche Fach­schule exis­tierte schon seit den 50er Jahren, war zur dama­li­gen Zeit eine Schwes­tern­schule und diente zur Ausbil­dung örtli­cher Kran­ken­schwes­tern. Mit einer Gruppe junger Studen­ten aus Mali wurde dann Anfang der 60er Jahre begon­nen, die Schule für auslän­di­sche Studie­rende zu öffnen. Im Laufe der Jahre, die dann folg­ten, hat man die Ausbil­dung der deut­schen Kran­ken­schwes­tern völlig herun­ter­ge­fah­ren und ausschließ­lich Studie­rende aus Asien, Afrika und Latein­ame­rika aufge­nom­men. Die waren zum großen Teil durch das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee der DDR finan­ziert und einge­la­den, das heißt durch entspre­chende Bezie­hun­gen, die das Soli-Komi­tee mit poli­ti­schen Parteien, mit Verbän­den, mit Gewerk­schaf­ten in den jewei­li­gen Ländern aufge­baut hatte. Oder sie kamen durch den FDGB, den Freien Deut­schen Gewerk­schafts­bund und mögli­cher­weise auch auf direk­tem Wege durch manche poli­ti­sche Partei. Es gab also fast ausschließ­lich Studen­ten aus den natio­nal befrei­ten Staaten.

1960 war ja auch das Jahr Afri­kas, in welchem mehrere Länder Afri­kas ihre Unab­hän­gig­keit vom Kolo­nia­lis­mus errun­gen hatten. In diesen histo­ri­schen Kontext war das Studium an der Medifa also einge­bet­tet. Bis 1960 gab es noch einen ziem­lich star­ken Kolo­nia­lis­mus auf der Welt. Und in dem Moment, wo sich die Bewe­gun­gen davon befreit hatten, konn­ten wir hier in der DDR medi­zi­ni­sches Perso­nal ausbil­den, was in diesen natio­nal befrei­ten Staa­ten nun massiv gebraucht wurde. Denn die Kolo­ni­al­her­ren haben, als sie ihre Macht verlo­ren, auch ihr Fach­per­so­nal, also Ärzte, Schwes­tern etc. abge­zo­gen. Sonst müsste man sich ja fragen: Wie konnte es sein, dass die ersten ausge­bil­de­ten Hebam­men in Guinea-Bissau in der DDR gelernt hatten? Da muss es doch vorher schon welche gege­ben haben. Sicher, das waren aber dann Portu­gie­sen, die einfach das Land verlas­sen haben. Und das betraf etli­che Natio­nal­staa­ten. Dane­ben gab es eben auch Staa­ten, wo noch um die Befrei­ung gekämpft wurde: Nami­bia, Südafrika, Spanisch-West­sa­hara und Palästina.

In west­li­chen Staa­ten bestand kein Inter­esse daran. Sicher hätten manche gerne in der DDR eine Ausbil­dung gemacht, warum nicht? Das Gesund­heits­we­sen war damals auf einem sehr guten Stand und hier hätte es garan­tiert für Studen­ten aus dem Westen weni­ger gekos­tet als in der Bundes­re­pu­blik oder in Frank­reich. Aber daran hatte die Regie­rung der DDR zum dama­li­gen Zeit­punkt auch über­haupt kein Inter­esse. Sondern es ging hier um eine echte Hilfe im Sinne des prole­ta­ri­schen Inter­na­tio­na­lis­mus: den jungen Natio­nal­staa­ten und den Bewe­gun­gen unter die Arme zu grei­fen. Das zeigt sich auch daran, dass eben nicht nur medi­zi­ni­sches Fach­per­so­nal ausge­bil­det wurde, sondern in erster Linie auch soge­nannte Multi­pli­ka­to­ren, das heißt medi­zi­ni­sche Lehr­aus­bil­der, Medi­zin­päd­ago­gen, die dann in ihre Länder zurück­gin­gen und dort selbst die Ausbil­dung über­neh­men konn­ten. Was dann in den letz­ten Jahren im Westen groß propa­giert wurde „Hilfe zur Selbst­hilfe“, das gab es alles. Das ist nichts Neues.

Und zu dir: Deine Eltern haben dich, bevor sie beide an der Medifa arbeiteten auch auf einen Auslandseinsatz mitgenommen. Wie war es für dich, in dem internationalistischen Umfeld deiner Eltern aufzuwachsen?

Ich denke, das war schon was ganz Beson­de­res. Auf der großen Demo am 4. Novem­ber 1989 hat jemand diesen Satz geprägt „Welt­an­schau­ung hat ja auch was damit zu tun, sich die Welt anschauen zu können.“ Was nicht alle konn­ten zu der dama­li­gen Zeit. Und ich konnte das. Ich hatte das Glück oder auch das Privi­leg, Krieg im Nahen Osten erlebt zu haben, was natür­lich ein Kind prägt. Aber auch schöne Dinge zu erfah­ren und welt­of­fen aufzu­wach­sen, mit Inter­esse an ande­ren Spra­chen, an ande­ren Kultu­ren. Das setzte sich dann hier in Qued­lin­burg in der DDR fort. Aufgrund der Tätig­keit meiner Eltern die den stän­di­gen Kontakt zu Studie­ren­den, zu fort­schritt­li­chen Menschen in der ganzen Welt beinhal­tete. Das war eine beson­dere, eine schöne Zeit.

Die Medizinische Fachschule wurde ab Herbst 1970 von deinem Vater geleitet. Wie kam es dazu?

Meine Eltern waren beide durch den Zwei­ten Welt­krieg gegan­gen. Mein Vater sollte als ganz junger Mann noch als Soldat verheizt werden und hat dann in Gefan­gen­schaft Englisch gelernt. Seit­dem war er, ich würde meinen, in erster Linie ein ganz vehe­men­ter Kriegs­geg­ner und als solcher natür­lich auch den wahren und einfa­chen Idea­len des Sozia­lis­mus zuge­neigt. Mit dieser Grund­ein­stel­lung ging er daran, zunächst Kinder­gärt­ne­rin­nen hier im Kreis Qued­lin­burg auszu­bil­den und später dann die deut­sche Spra­che zu vermit­teln im Ausland.

Zur dama­li­gen Zeit war die DDR nur von sehr weni­gen Staa­ten diplo­ma­tisch aner­kannt. Das lag an der Hall­stein-Doktrin und ande­ren wirt­schaft­li­chen Vorga­ben im Westen, sodass die DDR bemüht war, in jungen Natio­nal­staa­ten in Entwick­lungs­län­dern Fuß zu fassen. Aus diesem Grund wurden dann in Syrien, in Ägyp­ten, im Irak beispiels­weise Kultur­zen­tren einge­rich­tet, die die Vermitt­lung der deut­schen Spra­che und natür­lich auch der Kultur und des Lebens in der DDR zur Aufgabe hatten, damit die Inter­es­sen­ten aus den jewei­li­gen Ländern vorbe­rei­tet waren auf ihren Studi­en­auf­ent­halt in der DDR. Das war seine Lebens­auf­gabe. Als die vier Jahre in Syrien been­det waren, ist er dann hier an die Fach­schule in Qued­lin­burg gegan­gen und hat in dem Sinne dort weiter­ge­ar­bei­tet, im Sinne der Völker­freund­schaft. Beide Eltern­teile waren zu den Drit­ten Welt­fest­spie­len in Berlin im Jahr 1951 und die Ideen, die damals vom WBDJ vorge­bracht wurden, also nach dem Krieg eine echte, eine wahre neue Gesell­schaft aufzu­bauen, Frie­den und Verstän­di­gung zwischen den Völkern zu schaf­fen, das war für viele dieser Gene­ra­tion damals maßgeb­lich. Es war eine echte Lebens­er­fah­rung für Sie.

Fritz Kolbe an seinem Schreib­tisch in der Medifa. Ein Wimpel und ein Kalen­der des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees der DDR hinter ihm. Foto: Ulrich Kolbe.

Er ist also durch die eigene Erfahrung Internationalist geworden.

Ja, sicher war er das durch sein eige­nes Aufwach­sen in prole­ta­ri­schen Verhält­nis­sen schon ohne­hin. Und Kriegs­geg­ner auch schon bevor er zur Wehr­macht musste. Aber weil er mit dem Leben davon­ge­kom­men war, war er dann nur noch beseelt von der Aufgabe, einen noch­ma­li­gen Krieg und Völker­hass zu verhindern.

Später hast du selbst auch als Lehrer an der Medifa gearbeitet. Wie war das für dich und wie hast du dich darauf vorbereitet?

Ich habe 1987 an der Schule als Lehrer in Deutsch für Auslän­der ange­fan­gen. Landes­kunde gehörte mit dazu, das wurde ja auch auf Deutsch unter­rich­tet. Ich war inso­fern nur darauf vorbe­rei­tet, weil ich vorher Spra­chen studiert hatte, also Englisch, Fran­zö­sisch, Russisch, Arabisch. Wobei der Deutsch­un­ter­richt gänz­lich in Deutsch ablau­fen sollte. Das haben wir auch nach Kräf­ten so einge­rich­tet. Zu dem Zeit­punkt waren bereits Studen­ten aus mehr als 60 Staa­ten und natio­na­len Befrei­ungs­be­we­gun­gen an der Qued­lin­bur­ger Fach­schule gewesen.

Es waren nicht immer neu gegrün­dete Staa­ten, sondern es gab Dele­gie­run­gen von der FRELIMO, von der SWAPO, vom ANC, bevor deren Länder befreit wurden. Aber eben auch aus West­sa­hara und von der PLO. Die Studen­ten, die ich zuerst unter­rich­tet, waren eine ganz gemischte Gruppe. Man hat mir natür­lich vorran­gig paläs­ti­nen­si­sche, liba­ne­si­sche, syri­sche Studen­ten gege­ben und aus Kurdi­stan. Aber ich hatte genauso Studen­ten aus Viet­nam, aus Laos und aus Afrika. Die meis­ten Studen­ten zu jener Zeit kamen als Stipen­dia­ten des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees der DDR. Es gab auch einige vom Gewerk­schafts­bund, vom FDGB und später, ich möchte meinen ab 1988, ging das los, dass eine klei­nere Gruppe soge­nann­ter Selbst­zah­ler auch als Devi­sen­brin­ger ins Land geholt und unter­rich­tet wurde.

Wie wurde denn die Auswahl der Studierenden genau getroffen? Kann man sagen, dass es Leute aus einfachen Verhältnissen waren, die unter anderen Umständen eine solche Art von Ausbildung in ihrem Land nicht hätten machen können?

Das ist rich­tig. Ich denke auch, dass bei der Auswahl der in die DDR kommen­den jungen Leute sehr darauf geach­tet wurde, dass es zunächst mal einfa­che Leute waren. Wenn das gestan­dene Ärzte aus geho­be­nen Verhält­nis­sen gewe­sen wären, die hätten hier viel­leicht an den Lebens­be­din­gun­gen, an der Unter­brin­gung in der DDR, an der Versor­gungs­lage viel zu viel auszu­set­zen gehabt und hätten damit den ande­ren Studen­ten an der Schule das Leben nicht gerade erleich­tert. Das wollte man nicht. Es ging in erster Linie darum, den einfa­chen Menschen zu helfen. Das war das Credo. Eine medi­zi­ni­sche Fach­aus­bil­dung für die Leute zu orga­ni­sie­ren, die es am nötigs­ten hatten.

Konntest du dich mit den Studierenden dann außerhalb des Unterrichts auf Arabisch unterhalten? Habt ihr auch über politische Themen gesprochen?

Ja, und auch weil der Alters­un­ter­schied zwischen den Studen­ten und mir bei weitem nicht so groß war wie bei den älte­ren Lehrern. Das war locke­rer, es war herz­li­cher, es war auch unkom­pli­zier­ter, mit ihnen über poli­ti­sche Dinge zu spre­chen, wo sie bei den älte­ren Deutsch­leh­rern sicher mehr Respekt hatten und ein biss­chen Vorbehalt.

Unsere Diskus­sio­nen gingen zum Beispiel um die Unter­schiede inner­halb der paläs­ti­nen­si­schen Befrei­ungs­be­we­gung PLO, um die PFLP, DFLP, die paläs­ti­nen­si­sche KP und ihr Verhält­nis zur Fatah, aber ganz allge­mein, also die Rolle, die diese Bewe­gung im Leben der jungen Leute vorher gespielt hatten. Das brach­ten sie schon vor und woll­ten meine Meinung dazu wissen, die ich dann natür­lich ein biss­chen diplo­ma­tisch verpa­cken musste. Und ich habe ja nicht die DDR in dem Sinne vertre­ten, da jetzt als poli­ti­scher Bera­ter aufzutreten.

Kannst du uns mehr über die Unterrichtsinhalte erzählen? Was hat die Studenten interessiert und über welche Themen wollten sie in Bezug auf die DDR mit dir sprechen?

Also Landes­kunde lief als beglei­ten­des Unter­richts­fach zum Fach Deutsch für Auslän­der. Es war in erster Linie verste­hen­des Hören, verste­hen­des Lesen, Konver­sa­tion und in der Rich­tung dann eben Frage und Antwort. Dass sie also Fragen stel­len konn­ten zum Alltag in der DDR oder man ihnen zunächst auch mal erklärt hat, wie es über­haupt funk­tio­niert. Während meiner Tätig­keit an der Schule, das war dann im Mai 1989, fanden die ersten Wahlen in der DDR statt, wo Auslän­der zuge­las­sen wurden. Die haben aufgrund ihrer Erfah­run­gen, die sie schon hier gemacht haben, auch rege davon Gebrauch gemacht. Manche waren dann natür­lich auch über­rascht. Sie hätten gern manche Kandi­da­ten durch­ge­stri­chen oder manche der Block­par­teien eben nicht auf den Wahl­zet­teln gese­hen und waren über­rascht, dass das nach der DDR-Wahl­ord­nung nicht so einfach ging. Statt­des­sen hatten sie nur den Zettel zu falten und in die Wahl­urne zu stecken. Da gab es dann hinter­her auch inter­es­sante Diskus­sio­nen darüber dahin­ge­hend, ob das dann über­haupt eine Wahl ist und was eine Wahl ausmacht. Und das war ja für alle Seiten immer ganz interessant.

Die Landes­kunde basierte auch auf Exkur­sio­nen, auf Unter­richts­fahr­ten. Fast alle Grup­pen, die die Medi­zi­ni­sche Fach­schule durch­lie­fen, sind irgend­wann mal in die Natio­nale Mahn- und Gedenk­stätte am KZ Buchen­wald gefah­ren oder in Gedenk­stät­ten hier in der nähe­ren Umge­bung gewe­sen, etwa Langen­stein-Zwie­berge. Das war eine Außen­stelle des KZ Buchen­wald in der Nähe von Halber­stadt. So sollte auch dieser Hinter­grund bei allen Studie­ren­den hier sehr fest verwur­zelt werden und sie beka­men, denke ich, ein Gefühl dafür, warum und mit welchem Anspruch dieser Staat gegrün­det worden war.

Studen­tin­nen der Medifa in der Gedenk­stätte Buchen­wald in den 1970er-Jahren. Foto: Ulrich Kolbe.

Welche Eindrücke haben die Studierenden von diesen Ausflügen bekommen? Was habt ihr dort besprochen?

Es war für mich oder für die DDR-Lehr­kräfte schlecht­hin inter­es­sant, weil nicht alle, aber viele der Studen­ten hatten ja in ihren Heimat­län­dern auch Schreck­li­ches durch­lebt hatten. Die Bela­ge­rung der paläs­ti­nen­si­schen Flücht­lings­la­ger im Südli­ba­non und so. Sie haben dann das, was sie in den Gedenk­stät­ten hier sahen, mit ihren eige­nen Erfah­run­gen vergli­chen. Etwas, womit wir nicht sofort gerech­net hatten. Damit wurde ja prak­tisch der Effekt, den diese Gedenk­stät­ten auf uns in der DDR hatten, ein biss­chen mini­miert. Dadurch, dass sie sagen konn­ten „Bei uns in der Fami­lie wurden auch alle ermor­det, von den Falang­is­ten oder von den Israe­lis und wir haben keine solche Gedenk­stät­ten, aber wir verste­hen euch.“ Es wurde nicht abge­wer­tet oder nicht in irgend­ei­ner Form negiert, aber das war inter­es­sant, dass man jetzt die aktu­el­len poli­ti­schen Ereig­nisse in den 70er und 80er Jahren plötz­lich anhand der deut­schen Geschichte noch mal neu bemes­sen konnte.

Und haben die Studierenden solche Erfahrungen aus ihren Heimatländern miteinander diskutiert? 

Ja, für einige bot ihre Zeit in der DDR zum ersten Mal die Möglich­keit, sich frei äußern zu dürfen. Eine Wand­zei­tung zu gestal­ten, zum Beispiel, oder eine Rede zu halten über die Probleme Kurdi­stans. Das war irgendwo anders zur dama­li­gen Zeit über­haupt nicht möglich gewe­sen und wird heute in der Bundes­re­pu­blik ja auch nicht gern gese­hen, wenn man über Kurdi­stan spricht. Das alleine hat den auslän­di­schen Studen­ten schon ein Gefühl gege­ben, hoch­ge­schätzt und aner­kannt zu sein.

Bestand dein Kontakt zu den Studenten auch nach der Schließung der Medifa weiter?

Es gab sehr, sehr schöne Briefe, in denen die Studie­ren­den von ihrem Einsatz berich­tet haben. Da gab es eine Mutter und ihre Toch­ter, ich glaube von den Kapver­di­schen Inseln, die beide in Qued­lin­burg gewe­sen waren und dann dort die ersten ausge­bil­de­ten Hebam­men wurden. Die Briefe kamen auch noch nach Jahr­zehn­ten. Einige ehema­lige Studen­ten kamen auch selbst nach der Schlie­ßung der Schule hier­her und woll­ten sehen, was aus den Lehrern gewor­den ist. Denn die Ereig­nisse im Rahmen dieser soge­nann­ten deut­schen Verei­ni­gung haben sie ja auch andern­orts verfol­gen können.

Eine Karte von einem ehema­li­gen Studen­ten zum 1. Mai 1986. Foto: IF DDR.

War das Ende der DDR ein Thema bei vielen der ehemaligen Studierenden?

Die Diskus­sio­nen, also zumin­dest in den Unter­richts­grup­pen, die ich zu der Zeit noch hatte, waren ziem­lich heiß und auch von großer Bestür­zung getra­gen. Denn wie gesagt, sie kamen aus paläs­ti­nen­si­schen Flücht­lings­la­gern im Liba­non oder in Jorda­nien oder aus Kurdi­stan und hatten die DDR irgendwo als ihre Heimat akzep­tiert, ob nun poli­tisch oder ganz im Alltäg­li­chen. Und dass das nun wegbre­chen sollte für.… wofür eigent­lich? Sie konn­ten das nicht nach­voll­zie­hen, dass die Bürger dieses Landes die sozia­len Errun­gen­schaf­ten — und vor allen Dingen den Frie­den, den es 40 Jahre lang gab — aufs Spiel setz­ten, um ein paar West-Arti­kel in den Geschäf­ten zu haben. Darauf haben die Liba­ne­sen gesagt: wir haben zwar diese Konsum­op­tio­nen, aber schaut euch mal den Rest des Landes an!

Manche Studie­rende wuss­ten ganz genau, was dann kommt. Über einen meiner letz­ten Studen­ten, einen Paläs­ti­nen­ser, wurde mir berich­tet, dass er in einem Gespräch mit hoch­ran­gi­gen Vertre­tern des Minis­te­ri­ums für Entwick­lungs­hilfe diesen wört­lich an den Kopf geknallt habe: „Wenn ich gewusst hätte, dass ich mein Studium nicht in der sozia­lis­ti­schen DDR beende, sondern in der impe­ria­lis­ti­schen BRD, wäre ich doch nie hier­her­ge­kom­men.“ Und da habe ich mich gefreut!

Denkst du, die DDR ist ihrer Aufgabe gerecht geworden?

Ich denke schon. Es gab die erwähn­ten Briefe, die Rück­mel­dun­gen, die Besu­che nach vielen Jahren, die netten Kontakte. Und aus denen konn­ten wir erse­hen, dass die große Mehr­heit der Studen­ten in Qued­lin­burg und dann im Anschluss viel­leicht auch in ande­ren Landes­tei­len der DDR bei der Ausbil­dung das Werk­zeug erwor­ben hatte, was sie brauch­ten, um in ihren Ländern erfolg­reich mithel­fen zu können. Denn Gesund­heits­für­sorge, Gesund­heits­schutz ist nun mal eines der elemen­tars­ten Menschen­rechte. Und da hat die DDR ange­setzt und das hat sich auch als gut und erfolg­reich erwiesen.

Wie unterscheidet sich denn die Solidaritätsarbeit der DDR von der Entwicklungshilfe heute?

Zum einen lern­ten die Menschen, die herka­men, ein völlig ande­res, ein neues Gesell­schafts­sys­tem kennen, in dem, wie wir damals sagten, der Mensch im Mittel­punkt des Ganzen stand und nicht mehr der Profit. Klar kann man heute, wenn man aus Afrika kommt, in der Bundes­re­pu­blik Medi­zin studie­ren, wenn man das nötige Geld und die Bezie­hun­gen hat und die Spra­che irgendwo am Goethe-Insti­tut gelernt hat. Das ist aber etwas ganz ande­res. Und sehr wahr­schein­lich wird man dann hinter­her auch gar nicht mehr so den Drang verspü­ren, unbe­dingt in das Land zurück­zu­keh­ren, wenn man einmal das „feine Leben im Westen“ kennen­ge­lernt hat.

Da waren eben die, wie es damals hieß, Kader, die zu uns kamen. Das waren Menschen, bei denen man wissen konnte: Jawohl, die lassen sich nicht verfüh­ren und verlei­ten, und die gehen wieder zurück, auch wenn sie mal vier Jahre ohne Grana­ten­be­schuss und ohne Hunger leben konn­ten. Sie wissen, dass sie das ihrem Volk schul­dig sind. Damit war das von der Einstel­lung, von der Auswahl der Leute etwas ganz ande­res als bürger­li­che Entwick­lungs­hilfe das heute über­haupt bewerk­stel­li­gen könnte. In der west­li­chen Gesell­schaft geht es um Profit und nicht um Menschenleben.

In den sozia­lis­ti­schen Ländern war es anders. Unser Handeln war nicht profit­ori­en­tiert. Aus heuti­ger kapi­ta­lis­ti­scher Mana­ger­sicht war die Fach­schule natür­lich ein riesi­ges Verlust­un­ter­neh­men. Aber so darf man da nicht range­hen. Hier wurde Menschen gehol­fen, die wiederum ande­ren Menschen in den ärms­ten Ländern der Welt helfen können. Noch heute! Und das müsste für Bewe­gun­gen heute an vorders­ter Front stehen und nicht die Frage: Wie viel Geld machen wir da, wenn wir dieses oder jenes Projekt umsetzen?

Das Inter­view wurde am 07.07.2021 in Qued­lin­burg geführt. Es wurde zur besse­ren Lesbar­keit leicht bearbeitet.

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