Monika Strauß über die Rolle der Frau in der sozialistischen Gesellschaft, Arbeitertraditionen und internationale Solidarität im Bergbau und die ökonomischen Entwicklungen in der DDR
Ich bin Jahrgang 1948, lebte und arbeitete bis 1991 in der DDR. Als Kind der DDR habe ich alle Höhen und Tiefen erlebt. Ich arbeitete im Mansfeld Kombinat „Wilhelm Pieck“ in der Lutherstadt Eisleben im Bezirk Halle und später in der Magdeburger Börde, in einer Kreisstadt in der Nähe von Magdeburg. Ich studierte einige Jahre in Berlin Gesellschafts- und Politikwissenschaften.
Seit 1991 lebe und arbeite ich in Bad Soden in Hessen. Mit meiner Ankunft im Westen habe ich meine linke Gesinnung nicht abgegeben. Im Gegenteil: In vielfältigen linken Vereinen und Organisationen war und bin ich seit 30 Jahren ehrenamtlich tätig. Aber auch in anderen Vereinigungen, wo kritische Positionen nötig waren, habe ich mich eingebracht. Zu nennen wäre hier der Schulelternbeirat am Gymnasium meiner Tochter oder die Berufsbildungskommission bei der Rechtsanwaltskammer in Frankfurt am Main.
Zum Thema „Frau in der sozialistischen Gesellschaft“ kann ich ein paar bescheidene Erfahrungen und Erlebnisse, etwa aus meiner Zeit im Mansfeld Kombinat beisteuern. Einige Aspekte aus der dominierenden feministischen Geschichtsschreibung stören mich schon seit Jahrzehnten. Insbesondere während meiner Zeit in der Magdeburger Börde, wo ich eine Parteifunktion auf Kreisebene ausübte, bin ich mit verschiedenen Delegationen der SPD und der DKP aus Westdeutschland zusammengetroffen: Stets betonte man, wie wichtig bspw. der Zusatz „-in“ zu Berufsbezeichnungen sei, um die Gleichwertigkeit der Frauen im Beruf zu untermauern. Diese Diskussionen erschienen mir sehr lebensfern, zumal sie nichts an der tatsächlichen Realität änderten, dass Frauen nicht gleichberechtigt waren.
Nun zu meiner Tätigkeit im Mansfeld Kombinat: Nach meiner Ausbildung zum FernmeldemechanikER – denn eine weibliche Bezeichnung gab es nicht, das war auch nicht wichtig für uns weibliche Techniker – wurde ich im Mai 1967 von der Betriebsleitung des Elektrobetriebes (ein Betriebsteil im Kombinat) angesprochen, ob ich Interesse an einer neuen Tätigkeit hätte. Es ging um den Aufbau eines neuen Zweiges, die Gesprächszählerproduktion. Ich könnte dort die Brigadeleitung übernehmen. Heute sagt man dazu „Team“, das Wort „Brigade“ kennt man im Berufsleben nicht.
Das Kombinat ist als große Produktionseinheit mit mehreren Verarbeitungsstufen und nachfolgenden Gewerken zu sehen. Ausgehend von der Förderung des Grundstoffes – bei uns im Mansfelder Land war das der Kupferschiefer nebst Spurenelementen, etwa Blei, Silber, Selen etc. – und dessen Verhüttung und Verarbeitung, gehörten Dienstleistungsbetriebe bis hin zu Betriebspolikliniken und Betriebsberufsschulen dazu. An der Spitze des Kombinates stand der Generaldirektor. Heute wäre dies ein Aufsichtsratsvorsitzender eines großen Konzerns. Die Betriebe wurden von Direktoren und Betriebsleitern geleitet.
Ich war bei Abschluss meiner Ausbildung zum Fernmeldemechaniker 19 Jahre alt, hatte einen guten Facharbeiterabschluss, war pfiffig und neugierig – und auch einfach Idealistin und für die Gestaltung einer neuen Gesellschaft offen. Und junge Leute wurden in der DDR gefördert. Insbesondere jungen Arbeiterinnen und Arbeitern standen alle Bildungsmöglichkeiten offen. Im September 1967 wurde ich Brigadeleiterin für 32 Frauen, die weitaus meisten waren viel älter als ich selbst. Die in der Brigade beschäftigten Frauen kamen aus dem Tagesbetrieb des Otto-Brosowski-Schachtes, der 1968 wegen der zunehmend geringeren Erzausbeute stillgelegt worden war. Sie waren zuvor Hausfrauen gewesen oder hatten andere Tätigkeiten ausgeübt. Das Kombinat wollte neue Produktionsstrukturen aufbauen und sich wandeln, auch mussten die Arbeitsplätze für die Bergleute und das Nicht-Bergbaupersonal gesichert werden.
Damals gab es noch nicht viele Frauen in leitenden Positionen. Die Ausbildung und Qualifizierung früherer Jahrgänge bis hin zu meinem eigenen hatte erst begonnen. Die Gleichberechtigung der Frau im Arbeitsleben war notwendig, die junge DDR, die an der Systemgrenze über Jahre qualifizierte Menschen Richtung Westen verlor, hätte es sich gar nicht leisten können, Mädchen und Frauen nicht zu bilden und zu qualifizieren. Nun standen jungen Frauen alle Bildungsmöglichkeiten offen. Trotzdem stand Gleichberechtigung auch in der DDR noch lange eher auf dem Papier und musste gegen ‚alte Zöpfe‘ durchgesetzt werden.
Nun höre ich heute noch im Bekanntenkreis: „Naja, bei euch mussten die Frauen ja arbeiten, weil die Männer so wenig verdienten“. Wie zählebig ist doch dieses Klischee. Nein, die Frauen haben gerne gearbeitet! Sie bekamen eigenes Geld, hatten ein eigenes Konto, waren ein Kollektiv. Die eine oder andere war dann ehrenamtlich tätig oder qualifizierte sich weiter. Es trug zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Frauen brauchten keine Einwilligung von Männern, um zu arbeiten.
Sicher hatte die Generation meiner Mutter nach 1945 mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Frauen mussten schwere körperliche Arbeit leisten. Es fehlte bekanntlich an Männern, viele hatte der mörderische Zweite Weltkrieg vernichtet. Meine Mutter, die ihre Heimat Danzig hatte verlassen müssen mit einem kleinen Kind, meiner älteren Schwester, und ihrer alten Schwiegermutter, der Ehemann kehrte nie aus dem Krieg zurück – sie musste natürlich arbeiten für ihren Lebensunterhalt. Aber sie war Zeit ihres Lebens auch stolz auf ihren wichtigen und nicht zuletzt gut bezahlten Arbeitsplatz im Hüttenwesen. Diese Arbeiterinnen und Arbeiter waren hochangesehen und hatten viele Vergünstigungen: Meine Mutter fuhr alle zwei Jahre auf teure Kuren und konnte mit 55 Jahren in Rente gehen – und später als noch rüstige Rentnerin trotz des schweren Berufs zuvor, viel Zeit mit dem Enkelkind verbringen.
Zurück zur Brigade: Es gibt da einen Ausschnitt aus der Betriebszeitung des Mansfeld Kombinates von Anfang 1971. Meine Kolleginnen und ich wurden von der Redaktion besucht und befragt. Es wurde nichts geschönt, es wurde so berichtet, wie es war im Betrieb. Die Frauen waren stolz auf ihre Arbeitsleistungen, die sie im sozialistischen Wettbewerb und in der Neuererbewegung vollbrachten. Zu dieser Zeit, das änderte sich später leider, war noch Teilhabe der Arbeiter im sozialistischen Produktionsprozess gefragt.
Das Mansfelder Land mit seiner jahrhundertelangen Prägung durch den Erzbergbau ist reich an revolutionären Traditionen. Denn Bergleute sind ein selbstbewusstes Völkchen, das sich immer seiner Bedeutung für die Reichen und Mächtigen bewusst war. Schließlich gäbe es ohne die Erze, die sie mühevoll und unter großen Gefahren der Erde entreißen, keine Industrie, kein Militär usw.
Eine dieser Traditionen betraf ein Denkmal Lenins, das von der faschistischen Wehrmacht aus der Sowjetunion geraubt worden und auf der Krughütte der damaligen Mansfeld AG eingeschmolzen werden sollte. Antifaschisten und sowjetische Zwangsarbeiter versteckten unter Einsatz ihres Lebens dieses Denkmal. 1945, nach der Befreiung vom Faschismus, wurde dieses Lenindenkmal in Eisleben aufgestellt. Die Geschichte über die Rettung des Lenindenkmals und der „Fahne von Kriwoj-Rog“ waren spannend, für uns junge Menschen anziehend. Die Fahne von Kriwoj-Rog war ein Geschenk aus der Zeit vor der Machtergreifung der deutschen Faschisten von Bergleuten aus dem Donbass an die Bergleute des „Paulschachtes“ in Gerbstedt (später der Otto-Brosowski-Schacht). Sie wurde den Bergleuten als Symbol der Arbeiterbewegung und ihrer Verbundenheit mit der fernen Sowjetunion lieb und teuer und von ihnen während der Zeit des deutschen Faschismus versteckt und so gerettet.
Diesen Traditionen in ihrer freundschaftlichen Vertiefung folgend, organisierten wir 1976 ein „Kleines Festival der Freundschaft“ mit Komsomolzen aus dem Donbass. Ich begleitete den Komsomolsekretär und zwei seiner Freunde auf einer Fahrt durch den Bezirk Halle. Zum ungarischen Jugendverband des Werkes in Csepel hatten wir ebenfalls freundschaftliche Beziehungen. Hier gab es einen regen Austausch im Rahmen der „Messe der Meister von Morgen“. Völkerfreundschaft und internationale Solidarität waren nicht nur Worte für die Jugendlichen im Mansfeld Kombinat, und beide Seiten pflegten die Freundschaft mit Einladungen zu Besuchen, zu denen auch hochrangige Gäste geladen wurden. So hatten Jugendbrigaden des Bergbaus Kontakte zu sowjetischen Fliegerkosmonauten. Mir selbst unvergesslich ist eine Begegnung mit Meliton Kantaria während des „Festivals der Freundschaft“ zwischen der Jugend der UdSSR und der DDR 1975 in Halle und in Eisleben. Meliton Kantaria war der junge Sergeant, der 1945 das sowjetische Banner auf dem Reichstagsgebäude in Berlin gehisst hat. Der bei meiner Begegnung mit 55 Jahren noch junge Mann erzählte spannend aus seinem Leben und von seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg bis zur berühmten, im Foto festgehaltenen Szene auf dem Dach des Reichstagsgebäudes.
Man könnte meinen, in diesen Jahren war die DDR-Welt noch in Ordnung. Ja, das war sie und aus meiner Sicht gewannen die wirtschaftlichen Probleme in der DDR Ende der 1970er Jahre an Fahrt und verschärften sich in den 1980er Jahren. Die Unzufriedenheit der Menschen nahm zu, insbesondere, was die Versorgung und die Reisefreiheit betraf.
Aus familiären Gründen zog ich 1977 in die kleine Kreisstadt Wanzleben in die Magdeburger Börde, etwa 15 Kilometer von Magdeburg entfernt. Ich hatte zunächst ein neues Betätigungsfeld in der Bildungsarbeit der SED. Danach folgte das Studium an der Karl-Marx-Hochschule in Berlin. Nach erfolgreichem Abschluss der Hochschule ging es wieder zurück in den Kreis Wanzleben und es folgte die Übernahme einer Funktion im Kreissekretariat. 1979 wurde meine Tochter geboren. Tochter, Studium, Ehemann und Funktionärin – das war schon eine große Herausforderung für mich. 1989: Sprachlosigkeit der Parteiführung, Zusammenbruch der DDR und meine Abwicklung.
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