Tag 2 – Vietnam: David triumphiert über Goliath
Tag 3 – Guinea-Bissau: “Gewalt ist das wesentliche Mittel imperialistischer Dominanz”
Tag 4 – Mosambik: Der bewaffnete Kampf der FRELIMO gegen Portugals brutales Regime
Tag 5 – Kuba: Die Sprache der Freundschaft
Tag 6 – Chile: “Venceremos!”
Tag 7 – USA: “Das andere Amerika”
Tag 8 – West Deutschland: Eine Delegation der Entspannung
Eröffnung
„Um alle Spuren des Faschismus von der Erde zu tilgen. Um eine tiefe und aufrichtige internationale Freundschaft zwischen den Völkern der Welt aufzubauen. Um einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erhalten.“
So steht es in der Gründungserklärung des Weltbundes der Demokratischen Jugend (WBDJ), verabschiedet von 437 Delegierten aus 63 Ländern, die über 30 Millionen Jugendliche weltweit vertraten, auf der ersten Weltjugendkonferenz im November 1945 in London. Nur drei Monate zuvor endete der zweite Weltkrieg mit den verheerenden Atombombenabwürfen der USA auf Japan. Die Welt lag in Trümmern. Eine Jugend, die mit Verwüstung, Entwurzelung und Tod aufwuchs, schloss sich in bisher nie dagewesenem Ausmaß über alle Grenzen hinweg zusammen, um der Jugend von Morgen dieses Leid ein für alle Mal zu ersparen.
Ein zentrales Instrument, um die Einheit der Jugend im Geist des Friedens und Antifaschismus zu entwickeln, waren die Weltfestspiele, die 1947 zum ersten Mal in Prag stattfanden. Bis heute werden sie vom WBDJ organisiert. Auf den Tag genau, vor 50 Jahren, begannen in Berlin, Hauptstadt der DDR, zum zehnten Mal die Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 nahmen 8 Millionen Besucher, darunter 25.600 Gäste aus 140 Staaten, unter der Losung „Für antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft“ an einem breiten Programm aus über 200 politischen und mehr als 1.000 kulturellen Veranstaltungen teil.
Die Weltfestspiele fanden zu einer Zeit allgemeiner Aufbruchsstimmung anti-imperialistischer und sozialistischer Kräfte statt: Das vietnamesische Volk hatte der mächtigsten Militärmacht der Welt, den USA, entscheidende Niederlagen zugefügt. Die Kämpfe gegen die portugiesische Kolonialherrschaft in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau wurden entschlossen und gegen massive Gewalt Portugals vorangebracht, im August 1973 erkläre Guinea-Bissau seine Unabhängigkeit. 1970 hatte die Unidad Popular unter der Führung Allendes in Chile gesiegt. Eine weltweite Solidaritätskampagne konnte immensen Druck für den Freispruch von Angela Davis erzeugen. Der Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR beendete die offen aggressive Politik Westdeutschlands. Die internationale Anerkennung der DDR eröffnete Entwicklungsspielräume und schuf wirtschaftliche Entlastung. Die Weltfestspiele 1973 wurden zum selbstbewussten Fanal der Kräfte des Fortschritts. Die Kämpfe in Vietnam und Chile nahmen einen herausragenden Platz im Programm des Festivals ein. Die Unterstützung des palästinensischen Kampfes wurde durch die Anwesenheit des Vorsitzenden der PLO, Jassir Arafat, bekräftigt. Angela Davis und die sowjetische Kosmonautin Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltraum, waren Ehrengäste der Festspiele. Inti Illimani, Miriam Makeba, Dean Read und viele weitere engagierte Künstlerinnen und Künstler waren auf den 95 Festivalbühnen zu sehen und zu hören. Das Festival hinterließ eine optimistische Stimmung und stärkte die Kräfte der nationalen Befreiung und des Sozialismus in ihrem Kampf. Nur wenige Wochen später jedoch sorgte der faschistische Putsch durch Pinochet in Chile für einen herben und brutalen Rückschlag.
Mit kurzen Beiträgen zu den Festival-Delegationen aus Vietnam, Guinea-Bissau, Mosambik, Chile, USA, Westdeutschland und Kuba, die wir in den nächsten Tagen veröffentlichen, wollen wir ein Bild der X. Weltfestspiele und des politischen Kontextes und der Kräfteverhältnisse der Zeit zeichnen. Dafür haben wir verschiedene Medien dieser Zeit, insbesondere DDR-Zeitungen, gesichtet. Bis heute sind den vielen tausenden Teilnehmern der Weltfestspiele die Tage in Berlin in nachhaltig beeindruckender Erinnerung geblieben. Die starke und weltumspannende Einheit der Jugend im Kampf für Frieden, gegen Faschismus und imperialistische Unterdrückung hat mit dem Ende des sozialistischen Lagers an Kraft eingebüßt. Ihr Programm, dass bereits im1945 im Friedensschwur zur Gründung des WBDJ gefasst wurde, bleibt aktuell:
“Wir versprechen, dass wir uns an diese Einheit erinnern werden, die in diesem Monat, November 1945, geschmiedet wurde. Nicht nur heute, nicht nur diese Woche, dieses Jahr, sondern immer. Bis wir die Welt aufgebaut haben, von der wir geträumt und für die wir gekämpft haben. Wir verpflichten uns, die Einheit der Jugend der Welt aufzubauen. VORWÄRTS FÜR UNSERE ZUKUNFT!“
Vietnam: David triumphs over Goliath
1973 stand Vietnam an vorderster Front des antiimperialistischen Kampfes. Obwohl das Land Ziel der größten Luftbombardierung der Geschichte wurde, hatten die Vietnamesische Volksarmee und die Befreiungsarmee Südvietnams das US-Militär in die Knie gezwungen. Im Januar 1973 unterzeichneten die USA das Pariser Friedensabkommen und stellten damit die Kampfhandlungen in Vietnam ein. Bis März wurden alle US-Truppen abgezogen. Die Kämpfe setzten sich nun zwischen den kommunistischen Kräften Vietnams und der Stellvertreterregierung Washingtons in Südvietnam fort, die in Bezug auf die Zahl der Truppen, Panzer und gepanzerten Fahrzeuge immer noch eine beträchtliche Überlegenheit besaß.
Als die vietnamesische Delegation im Juli 1973 zu den X. Weltfestspielen in Berlin eintraf, waren mehr als eine Million Soldaten der Vietnamesischen Volksarmee und der Befreiungsarmee Südvietnams sowie zwei Millionen Zivilisten getötet worden. Die Aufgabe bestand nun darin, das Land wieder aufzubauen und das verbleibende Territorium vom US-Marionettenstaat zu befreien. Der erste Tag der Weltfestspiele war daher der “Solidarität mit den Völkern, der Jugend und den Studenten von Vietnam, Laos und Kambodscha gewidmet — heute mehr denn je!” Es gab Massenversammlungen, Filmvorführungen, Ausstellungen südostasiatischer Künstler, Gesang und Tanz der Völker Indochinas und auch einen Geländelauf durch die Stadt „gewidmet der Solidarität mit dem Volk Vietnams“.
Im “Solidaritätszentrum” im Berliner Fernsehturm traf Erich Honecker mit der vietnamesischen Delegation zusammen. Vo Thi Lien, ein junges Mädchen, das 1968 das Massaker von Mỹ Lai überlebt hatte, überreichte Honecker einen Ring aus dem Metall eines abgeschossenen US-Bombers. Er sagte zu ihr: “Wir werden das Werk derer vollenden, die ermordet wurden. … Wir werden immer an der Seite Vietnams stehen, zusammen mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern und allen antiimperialistischen Kräften.” Bei der Begrüßung der übrigen Delegation teilte Honecker mit, dass die DDR beschlossen habe, alle der Demokratischen Republik Vietnam gewährten Darlehen abzuschreiben und sie als unentgeltliche Hilfe zu betrachten.
Weniger als zwei Jahre nach dem Festival befreite die Demokratische Republik Vietnam Saigon und die Sozialistische Republik Vietnam wurde im Juli 1976 gegründet. Die Regierungen in Hanoi und Berlin unterhielten fortan enge Beziehungen.
Guinea-Bissau: „Gewalt ist das wesentliche Mittel imperialistischer Dominanz”
Guinea-Bissau und die vor dessen Küste liegende Inselgruppe der Kapverden war für die portugiesische Kolonialmacht bis ins frühe 19. Jahrhundert ein administrativer und logistischer Knotenpunkt für den Sklavenhandel in Westafrika. Das Salazar-Regime in Portugal, bestrebt seine kolonialen Ansprüche auch im Angesicht der erstarkenden Unabhängigkeitsbewegungen durchzusetzen, fürchtete um den Verlust der Kolonie. Die Kettenreaktion, die ein unabhängiges Guinea-Bissau auslösen könnte, würde auch die verbliebenen Kolonien – Angola und Mosambik – erreichen. Umso beharrlicher und blutiger der Krieg, der gegen die Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und Kap Verde (PAIGC) und die Bevölkerung Guinea-Bissaus geführt wurde: Die Verbrechen der portugiesischen Geheimpolizei PIDE (Polícia Internacional e de Defesa do Estado) reichten von ihrem berüchtigten Konzentrationslager in Tarrafal auf den Kapverden bis hin zu den über dem kleinen Land abgeworfenen Napalm-Bomben.
„Gewalt ist das wesentliche Mittel imperialistischer Dominanz”, sagte der kapverdische Revolutionsführer und Mitbegründer der PAIGC Amílcar Cabral. Er schlussfolgerte, dass es „keine nationale Befreiung geben kann ohne die Anwendung von befreiender Gewalt seitens der nationalen Kräfte als Antwort auf die verbrecherische Gewalt derjenigen, die den Imperialismus fördern.” Seine Guerrilla-Strategie zeigte Wirkung und auch die Weitsicht des Panafrikaners: Die PAIGC unter der Führung von Cabral erkämpfte Stück für Stück die Hoheit über zunächst einzelne Gebiete und schließlich das gesamte Land. In den durch die militärische Hilfe der sozialistischen Länder schrittweise zurückeroberten Gebieten wurden politische Strukturen aufgebaut und der Übergang in ein selbständiges Land vorbereitet. Dies zu erreichen hing wesentlich von der allgemeinen und politischen Bildung der Bevölkerung ab, die die PAIGC in selbst errichteten Schulen in den befreiten Gebieten organisierte.
Dieser Prozess war in vollem Gange, als im Januar 1973 Cabral ermordet wurde. Die damals in der DDR studierenden Mitglieder der PAIGC wollten umgehend nach Guinea-Bissau zurückkehren, doch die Partei verlangte, dass sie blieben und ihre Ausbildung beendeten. So erlebte auch der hier zu hörende ehemalige Student aus Guinea-Bissau die lang ersehnte Unabhängigkeit seines Landes, die am 24. September 1973 erklärt wurde, aus der Ferne, während er sein Studium in der DDR erfolgreich abschloss. Die Aufbruchstimmung während der Weltfestspiele, die Solidaritätsbekundungen mit Guinea-Bissau und den fortschrittlichen Kräften Portugals waren verheißungsvoller Ausdruck eines Wandels der Kräfteverhältnisse. Nach der Unabhängigkeit Guinea-Bissaus endeten mit der Nelkenrevolution in Portugal 1974 schließlich auch die portugiesischen Kolonialkriege in Mosambik und Angola.
Mosambik: Der bewaffnete Kampf der FRELIMO gegen Portugals brutales Regime
Die Gebiete des heutigen Mosambiks waren über 400 Jahre lang unter portugiesischer Kolonialherrschaft. Was im 16. Jahrhundert mit Küstensiedlungen, Handelsposten und Festungen begann, hatte sich bis Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer umfassenden und hochgradig ausbeuterischen Siedlerwirtschaft ausgeweitet, in der das Land von den portugiesischen Kolonisatoren kontrolliert und die Einheimischen der Zwangsarbeit unterworfen wurden. Angesichts der rassistischen Kolonialpolitik, der Zwangsbewirtschaftung in der Landwirtschaft und der Zuweisung von Arbeitsplätzen in den Minen formierten sich in den Nachbarstaaten Guerillagruppen unter den Exil-Mosambikanern. Die Mosambikanische Befreiungsfront (FRELIMO), die 1962 in Daressalam, Tansania, von verschiedenen Exilgruppen gegründet worden war, griff 1964 zu den Waffen gegen die portugiesischen Kolonialherrn. Dabei erhielt die FRELIMO umfangreiche militärische und politische Unterstützung aus den sozialistischen Staaten. So begann die DDR 1967, die FRELIMO mit militärischer und medizinischer Hilfe zu versorgen und startete Ausbildungsprogramme für mosambikanische Kämpfer und Zivilisten an ostdeutschen Schulen.
Obwohl die FRELIMO-Kämpfer zahlenmäßig unterlegen waren und über weniger Waffen verfügten, gelang es ihnen, die portugiesischen Truppen im Laufe des nächsten Jahrzehnts mit Guerillataktiken zurückzuschlagen. Bis 1969 hatte die FRELIMO ein Drittel des Landes befreit. Dies vor allem in den ländlichen Gebieten im Norden, wo die FRELIMO durch Kampagnen zur Verbesserung des Zugangs der Bauern zu Bildung und Gesundheitsfürsorge und durch den Aufbau landwirtschaftlicher Genossenschaften, die sich der portugiesischen Kontrolle entzogen, eine starke Unterstützungsbasis geschaffen hatte. Ursprünglich als pluralistische Nationale Front gegründet, wandte sich die FRELIMO gegen Ende der 1960er Jahre zunehmend dem Marxismus-Leninismus zu und wurde zu einer der führenden revolutionären Kräfte in Afrika.
Im neunten Jahr des Kriegs des Salazar-Regimes gegen die FRELIMO und einige Monate vor den X. Weltfestspielen in Berlin machten portugiesische Kommandos das mosambikanische Dorf Wiriyamu dem Erdboden gleich und töteten alle 400 zivilen Einwohner. Die Geheimpolizei PIDE plante und leitete die “Operation Marosca” gegen die Familien des Dorfes, die angeblich Guerillakämpfer beherbergten. Das Massaker in Wiriyamu zeigte den wahren Charakter von Portugals selbsternannter “zivilisatorischer Mission” in Afrika. Die Nordatlantikvertragsorganisation (NATO), deren Gründungsmitglied Portugal ist, unterstützte das Salazar-Regime de facto durch Waffenlieferungen und politische Entlastung auf der Weltbühne.
Die DDR-Presse berichtete in den Monaten vor den X. Weltfestspielen ausführlich über den Kampf der FRELIMO und insbesondere über das Massaker von Wiriyamu. Die FRELIMO-Delegation wurde daher mit großem Respekt und Solidarität empfangen und nahm an kulturellen Veranstaltungen, politischen Diskussionen und Debatten über militärische Strategien mit anderen Aktivisten teil. Sérgio Vieira, Leiter der FRELIMO-Abteilung für Kultur und Bildung, führte die Delegation an und erklärte: “Unsere Delegation hat keine Mühen gescheut, um zu den X. Weltfestspielen zu kommen. Einige von uns sind mehr als einen Monat lang zu Fuß unterwegs gewesen. Dieses Festival ist eine wichtige Demonstration des antiimperialistischen Kampfes der fortschrittlichen Jugend der Welt, ein Wahrzeichen ihres Kampfes für Frieden und Freundschaft.” Innerhalb eines Jahres führte die Nelkenrevolution zum Sturz des Estado Novo-Regimes in Portugal und nach Guinea-Bissau auch Mosambik und Angola zur Befreiung.
Kuba: Die Sprache der Freundschaft
1959 stürzten die Revolutionäre um Fidel Castro und Che Guevara das Batista-Regime in Kuba. Den USA ging nicht zuletzt mit der folgenden Verstaatlichung der Industrie ein günstiger Rohstofflieferant verloren. Die in der Folge verhängte und bis heute andauernde Blockade wirkte sich massiv auf die Wirtschaft des kleinen Inselstaats aus, der in unmittelbarer Nähe zu den USA immer wieder zum Brennpunkt des Kalten Krieges wurde, wie etwa 1961 während der Invasion in der Schweinebucht oder 1963 zur Kuba-Krise.
Die sozialistischen Länder unterstützten wirtschaftlich nach ihren Möglichkeiten. Die DDR importierte Südfrüchte und Zucker, baute dafür Industriewerke auf, schickte Experten und bildete Kubaner in der DDR aus. 1972 wurde Kuba Vollmitglied des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Im selben Jahr besuchte Fidel Castro die DDR. Er traf u.a. die Arbeiter der Leuna-Chemiewerke in Halle, deren Spezialteam auf Kuba eine von den USA geplante und nach Batistas Vertreibung zu verwaisen drohende Ammoniakfabrik aufbauten.
Während seines Besuchs übergab Fidel der Staatsführung der DDR eine Landkarte von Kuba. Darin verzeichnet war eine Insel, die den Namen des ermordeten Führers der Kommunistischen Partei Deutschlands, Ernst Thälmann, trug. Die Umbenennung der Insel war ein symbolischer Akt, mit dem die kubanische Regierung das „aufrichtige Interesse“ an einer Weiterentwicklung der „Beziehungen der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Verstehens“ bekundete. Fidel begründete die Namenswahl mit der historischen Rolle, die Thälmann für die Arbeiterbewegung und die an der Schweinebucht gelegene Insel 1961 für die Zurückschlagung der „Aggression der Imperialisten“ gespielt hatte.
Um dies zu unterstreichen, begleitete einer jener Kämpfer, die 1961 die amerikanischen Invasoren in der Playa Girón erfolgreich zurückschlugen, die kubanische Delegation zu den Weltfestspielen 1973: Der Nationalheld Fausto Díaz hatte in der Schlacht beide Beine verloren. Er sprach bei einer Kundgebung in Berlin zu den anwesenden jungen Menschen aus aller Welt vom Rollstuhl aus: „Auch diese Begegnung beweist, dass der Feind auf die Dauer niemals imstande sein wird, den Vormarsch unserer Reihen aufzuhalten.“
Neben dem Sekretär des Kommunistischen Jugendverbandes Kubas, Manuel Torres, begleitete auch Juan Mok, chinesisch-kubanischer Revolutionär und Präsident des Pionierverbandes, die kubanische Delegation. Während eines Chile-Solidaritätsmeetings richtete er sich optimistisch an die chilenische Delegation: „Als die sozialistische Revolution mit unserem Sieg in Lateinamerika Einzug hielt, beschlossen die (…) Imperialisten, dass es kein zweites Kuba in der westlichen Hemisphäre geben soll. Sie haben sich verrechnet!”
Die Granma, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, resümierte über die Weltfestspiele in Berlin: „Die Straßen dieser Stadt sind von Jugendlichen bevölkert, die trotz der Verschiedenheit ihrer Sprache eine gemeinsame Grundlage gefunden haben, die der Freundschaft.“
Chile: “Venceremos!”
1970 gewann die Unidad Popular, ein Bündnis linker Parteien und Gruppierungen, die Wahlen in Chile und Salvador Allende wurde Präsident. Die Euphorie über den Sieg der Unidad Popular hallte im sozialistischen Lager wider, auch wenn die Lage vor Ort angespannt blieb. Dass das ressourcenreiche Land einen eigenständigen Weg einschlagen und dabei souverän über die seit Jahrzehnten von US-amerikanischen und europäischen Unternehmen dominierte Rohstoffindustrie verfügen wollte, wurde nicht einfach hingenommen. Die Maßnahmen Allendes – wie etwa die Verstaatlichung des Bergbausektors – riefen diejenigen auf den Plan, die am meisten zu verlieren hatten: die alten chilenischen Eliten, Großgrundbesitzer, ausländische Unternehmen und ihre Regierungen. Wie ein dunkler Schatten verfolgte die reaktionäre Bedrohung das fortschrittliche Bündnis. Angriffe auf Vertreter der breiten Volksfront waren an der Tagesordnung, sogar zu Ermordungen kam es.
In Anbetracht der fragilen Lage im Heimatland betonte Gladys Marín, Generalsekretärin des Kommunistischen Jugendverbandes Chiles (JJCC), in einem Interview: „Das Solidaritätsmeeting für Chile hier in Berlin hatte ein bedeutendes internationales Gewicht, denn es fand zu einem für meine Heimat sehr kritischen Zeitpunkt statt.“ Die junge Kommunistin führte die 60-köpfige chilenische Delegation, die einen Querschnitt der im Regierungsbündnis vertretenen Organisationen repräsentierte, zu den Weltfestspielen in der DDR an. Chile war eines der bestimmenden Themen der Festspiele, immer wieder erschallte das solidarische Bekenntnis zur Unidad Popular, erklang „Venceremos“ wie beim Konzert von Inti-Illimani.
Doch die Siegesgewissheit erfuhr einen herben Rückschlag. Nach ihrer Rückkehr von einer ausgedehnten Reise, die sie als Repräsentantin des neuen Chile bis nach Asien führte, musste Gladys Marín nach dem am 11. September 1973 erfolgten Putsch untertauchen und schließlich Chile verlassen. In Westdeutschland wurde dem Putsch mit Freude begegnet. Der Handel mit der Pinochet-Diktatur boomte. 1974 stiegen die Ausfuhren aus der Bundesrepublik über 40 Prozent, die Einfuhren um 65 Prozent. Franz Josef Strauß, langjähriges Mitglied der Bundesregierung und Vorsitzender der CSU, kommentierte den Putsch damals zynisch: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“
Gladys Marín wiederholte infolgedessen ihre Reisen in solidarische Länder – diesmal als Exilantin. Dieser Weg führte sie u.a. erneut durch die DDR, wo viele Exil-Chilenen und Chileninnen Schutz fanden, darunter auch die spätere Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet. Die Vorgänge in Chile lösten eine breite Solidaritätsbewegung in der DDR aus: Unmittelbar nach dem Putsch versammelten sich in spontanen Zusammenkünften Menschen auf den Straßen Berlins und bekundeten ihre Solidarität mit der Unidad Popular; das Solidaritätskomitee der DDR richtete ein Chile-Zentrum ein, welches Spendensammlungen und Hilfsleistungen für die fast 2.000 chilenischen Emigranten sowie internationale Solidaritätskampagnen koordinierte, etwa für die Freilassung Luis Corvaláns. Der Besuch der chilenischen Delegation zu den Weltfestspielen festigte die Solidaritätsbewegung, ganz im Sinne der Worte von Gladys Marín, die sie bei ihrer Ankunft in der DDR an die sie begeistert empfangende Jugend richtete: „Wir sind mit großen Erwartungen nach Berlin gekommen. (…) Das Festival wird unseren gemeinsamen weltweiten Kampf gegen den Imperialismus weiter stärken.“
USA: “Das andere Amerika”
Die US-Delegation zu den X. Weltfestspielen bestand aus fast 300 Jugendlichen. Sie wurde von Angela Davis angeführt, die international und auch für die Jugend in der DDR ein bekanntes Gesicht war. Erst ein Jahr zuvor war sie nach einem hochgradig politisierten, von Antikommunismus und Rassismus geprägten Prozess aus dem Gefängnis entlassen worden. Die sozialistischen Staaten hatten eine Schlüsselrolle in der Kampagne zur Freilassung von Davis gespielt, einschließlich der Kampagne der DDR, in der ostdeutsche Schulkinder eine Million Rosen in Form von Postkarten an die inhaftierte Davis schickten.
Die von Davis geleitete Delegation repräsentierte “das andere Amerika”, wie es in der DDR genannt wurde: die Arbeiterklasse, die Schwarzen und indigenen Freiheitsbewegungen, die Antikriegsgruppen und andere antiimperialistische politische Kräfte. Darunter befanden sich auch elf Mitglieder des American Indian Movement (AIM), deren Besetzung am Wounded Knee vom Militär brutal niedergeschlagen worden war, und das anhaltende Unrecht gegen die indigene Bevölkerung in den Fokus rückte. Auch Inuit, Amerikanerinnen und Amerikaner asiatischer und spanischer Herkunft sowie Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner, die erst vor kurzem die Aufhebung der Rassentrennung in den US-Schulen erreicht hatten, waren vertreten, obwohl viele ihrer Anführer von FBI, CIA und rassistischen Bürgerwehren schikaniert und sogar ermordet worden waren.
Kurz vor den X. Weltfestspielen war es Vietnam gelungen, die US-Truppen aus dem Land zu vertreiben. Mehrere Mitglieder der US-amerikanischen Delegation waren ehemalige Soldaten, die angesichts des barbarischen Vorgehens des US-Militärs zu Antikriegsaktivisten wurden. In Berlin kamen sie mit den Kämpferinnen und Kämpfern der vietnamesischen Delegation zu einem bewegenden Treffen zusammen, das mit der Verpflichtung endete, sich für die Freilassung der 200.000 vietnamesischen Gefangenen einzusetzen, die noch immer von der US-Stellvertreterregierung in Südvietnam inhaftiert waren. Davis sagte: „Ich möchte meinen Brüdern und Schwestern Vietnams versichern, dass wir in den USA jetzt den Kampf um die Freilassung der 200.000 als wichtigste Aufgabe ansehen. Mehr als 200 revolutionäre und fortschrittliche Organisationen sind an diesem Kampf beteiligt. Ich selbst fühle eine besondere Verantwortung in dieser Sache, da ich meine Freiheit ebenfalls einem internationalen Massenprotest verdanke.“
Davis unterstrich die Bedeutung von Reisen ins sozialistische Ausland für Jugendliche aus den kapitalistischen Ländern: „Ich glaube, dass die USA-Delegation den besten Teil der Jugend der Vereinigten Staaten vertritt. … [Viele waren zuvor] einer falschen Propaganda über die DDR gefolgt und hatten auch wenig Kontakt zu den sozialistischen Ländern. Sie waren überrascht, als sie hierher kamen, denn die Realitäten, die sie hier sahen, hatten nichts zu tun mit der Propaganda, der sie so lange ausgesetzt gewesen waren.”
West Deutschland: Eine Delegation der Entspannung
Aus der westdeutschen Bundesrepublik nahmen mehr als 800 Jugendliche und junge Erwachsene aus über 40 Jugend- und Studentenorganisationen teil. Darunter auch Vertreter der evangelischen und katholischen Jugend, wie Mitglieder der Jungen Union, dem Jugendverband der CDU. Die breite Zusammensetzung der westdeutschen Delegation bringt die veränderten Beziehungen und den Strategiewechsel der BRD gegenüber der DDR scharf zum Ausdruck.
1951, als die 3. Weltfestspiele in Berlin stattfanden, setzte die Bundesrepublik noch massiv auf Repression, um westdeutsche Jugendliche an der Teilnahme zu hindern. 450 Hamburger Jugendliche wurden von der Polizei mit Gewalt auf ihrer Reise aufgehalten. Werner Tiegel, Leiter der Falkengruppe „Geschwister Scholl“ wurde von der Polizei in die Elbe getrieben und ertrank vor ihren Augen. Die Hallstein-Doktrin bestimmte das außenpolitische Handeln der BRD. Sie erkannte die DDR nicht an, beanspruchte ein Alleinvertretungsanspruch sanktionierte Drittstaaten, sofern sie diplomatische Beziehungen mit der DDR aufnahmen. Ziel der Bundesrepublik war die internationale Isolierung der DDR.
Die Strategie im Westen änderte sich zugunsten einer Politik des „Wandels durch Annäherung“. Mit dem im Juli 1973, kurz vor den Weltfestspielen ratifizierten Grundlagenvertrag hatte die Bundesrepublik die DDR staatsrechtlich (nicht jedoch völkerrechtlich) anerkannt. Damit eröffneten sich für die DDR international neue Spielräume, um Verträge mit anderen Ländern zu schließen. Im September 1973 trat sie der UNO bei. Die DDR hatte keine Illusionen gegenüber dem Imperialismus, wie Honecker 1976 deutlich machte: „Friedliche Koexistenz bedeutet… niemals Klassenfrieden zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. Friedliche Koexistenz bedeutet weder Aufrechterhaltung des sozialökonomischen Status quo noch eine ideologische Koexistenz.“ Eine gewisse Normalisierung der Beziehung war eine wichtige Entwicklungsbedingung des sozialistischen Lagers, insbesondere für die DDR. Der „Frieden“ jedoch blieb trügerisch. Weder Westdeutschland noch die restliche NATO hat ihre aggressive Haltung gegenüber dem Sozialismus aufgegeben. Mit Methoden subtilerer Beeinflussung und der Entwicklung von wirtschaftlicher Abhängigkeit sollte der Sozialismus geschlagen werden. In diesem Kontext ist die Teilnahme solch antikommunistischer Kräfte wie der Jungen Union im Sommer 1973 einzuordnen. Mit im Gepäck hatten sie Megafone und 20.000 Druckschriften, in denen sie forderten „Menschenrechte, Reisefreiheit und eine freie Entwicklung der Kultur zu verteidigen“. Ihr Inhalt konnte die Teilnehmer der Weltfestspiele nicht beeindrucken, argumentativ blieben sie in diesen Tagen unterlegen.
Als hörbarer Kompromiss begleitete die politisch durchmischte Delegation das Volkslied „Horch, was kommt von draußen rein“ beim Einlaufen in das Stadion der Weltjugend. Der sozialistische Teil der Delegation, aus Organisationen wie der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) oder dem Marxistischen Studentenbund (MSB-Spartakus), beteiligte sich indes umfassend am Festivalprogramm, nahm an Seminaren teil, wo sie über Arbeitslosigkeit und politische Unterdrückung der westdeutschen Arbeiterjugend berichtete sowie über Gefahren falscher Kompromisse in der Entspannungspolitik diskutierte, und führte ein Theaterstück zu den großen Streiks am Duisburger Mannesmann Stahlwerk auf (das Stück wurde 1976 als szenische Kantate veröffentlicht).
Mit der Studentenbewegung von 1968 hatte die Idee des Sozialismus in der westdeutschen Jugend starken Aufwind erfahren. Nicht nur deshalb polemisierte die westdeutsche Presse im Vorhinein aggressiv gegen die Weltfestspiele und die breite Zusammensetzung der Delegation und fabulierte den Untergang der Selbstständigkeit der Jugendorganisationen herbei. Aus Westberlin, vom Dach des antikommunistischen Springer-Verlagshauses, sollten die Teilnehmenden der Weltfestspiele gar durch ein Konzert einer Beat-Band mit den Vorzügen westlicher Freiheit beschallt werden. Die sozialistischen Kräfte der Delegation beschlossen ihren Besuch in Berlin hingegen so:
„Wir verlassen die DDR am 28. Jahrestag des Abwurfes der Atombombe auf Hiroshima. Das Erlebnis des Festivals wie auch dieses Datum sind uns Verpflichtung, im Streben nach gesichertem Frieden, weltweiter Abrüstung und europäischer Sicherheit nicht nachzulassen.“
Abschluss: Damals wie heute
Während die US-Regierung 13 Millionen US-Dollar in den Sturz Allendes investierte und unter Federführung der CIA und hochrangiger Militärs den Putsch in Chile gemeinsam mit der chilenischen Oligarchie und reaktionären Militärs vorbereiteten, erfuhren die Repräsentanten des neuen und legitimen Chile bei den Weltfestspielen Solidarität mit dem Kampf der Unidad Popular. Während Westdeutschland seinen NATO-Partner Portugal mit Waffen ausstattete, die es in seinem blutigen Krieg gegen die erstarkenden Befreiungsbewegungen einsetzte, kamen in Ostdeutschland jene zusammen, gegen die diese Waffen sich richteten – Kämpferinnen und Kämpfer aus Guinea-Bissau, Angola und Mosambik. Während die USA in einem verheerenden Krieg, unter Einsatz von nahezu 400.000 Tonnen Napalm und einer hochgerüsteten Marionettenregierung in Südvietnam drei Millionen Vietnamesen töteten, versöhnten und verbanden sich die fortschrittlichen Kräfte des anderen Amerikas mit den Vertreterinnen Nord- und Südvietnams zum gemeinsamen Kampf gegen Krieg und Imperialismus.
Fünf Jahre später, als Kuba zu den XI. Weltfestspielen einlud, hatten im Zuge der Nelkenrevolution in Portugal Mosambik und Angola die Unabhängigkeit errungen. Das siegreiche Volk von Vietnam baute sein Land wieder auf. In Chile jedoch herrschte im fünften Jahr die Pinochet-Diktatur. Siege wie Niederlagen bringen neue Herausforderungen, Kämpfe und Bündnisse hervor. Immer wieder kommt die fortschrittliche Jugend der Welt bei den Weltfestspielen zusammen, um anstehende Aufgaben zu formulieren, sich gemeinsam zu organisieren und die internationale Solidarität für Frieden und Fortschritt zu bekunden – damals wie heute.