Ein palästinensischer Arzt über seine Weiterbildung in der DDR
Als bereits studierter Arzt kam ein junger Palästinenser 1980 in die DDR, um sich dort im Fachgebiet Urologie am Klinikum in Berlin-Buch zu spezialisieren. Für 6 Monate nahm er zunächst an einem Deutschkurs an der Medizinischen Fachschule „Dorothea Christiane Erxleben“ teil. Er stellte seine Antworten auf unsere Fragen schriftlich zur Verfügung. Auf seinen Wunsch veröffentlichen wir diese anonym.
Könntest du uns etwas über deinen familiären Hintergrund und dein Aufwachsen erzählen? Wo hast du deine medizinische Ausbildung erhalten?
Ich wurde 1945 in Haifa, Palästina, geboren. Im Jahr 1948 wurde unsere Familie neben über 700.000 anderen palästinensischen Flüchtlingen aus unserer Heimat in den Libanon vertrieben. Ich war etwa drei Jahre alt, als ich in meinen Dokumenten den Stempel “Flüchtling” vermerkt bekam. Im Libanon wuchs ich unter äußerst schwierigen Bedingungen auf. Ich war der jüngste von 4 Brüdern, der älteste war 12 Jahre alt. Wir erhielten Unterstützung und Hilfe vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA), einer UN-Agentur, die zur Unterstützung der palästinensischen Flüchtlinge eingerichtet wurde. Ich erhielt meine Schulbildung in UNRWA-Schulen. Meine Eltern waren Landwirte mit einem eigenen Hof. Mein Vater war Landrat (Mukhtar)1Mukhtar (مختار): Ein Dorfvorsteher. Der Begriff stammt aus dem Osmanischen Reich. unter dem britischen Mandat in Palästina.
Ich bin in Beirut aufgewachsen, wo die politische Situation von politischen Turbulenzen und der Diskriminierung palästinensischer Flüchtlinge geprägt war. Wir lebten unter unmenschlichen und harten Bedingungen in den Flüchtlingslagern, bis 1965 die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) gegründet wurde.
Bevor ich im September 1980 in die DDR kam, hatte ich in Moskau Medizin studiert und 1974 meinen Abschluss gemacht. Nach meiner Rückkehr arbeitete ich bei der Gesellschaft des Palästinensischen Roten Halbmonds (PRCS), einer Alternative zur Rotkreuzgesellschaft, die auch als Gesundheitsabteilung der PLO fungierte. Ich bekleidete eine führende Position als Mitglied des Exekutivrats des PRCS und als Sekretär der Allgemeinen Vereinigung der palästinensischen Ärzte und Apotheker (Zweigstelle Libanon).
Wie bist du dann zum Studium in der DDR gekommen?
Die politische Abteilung der PLO, die enge Beziehungen zur DDR unterhielt, organisierte für mich ein Stipendium für die Ausbildung zum Facharzt für Urologie in der DDR. Zuerst besuchte ich einen Deutschkurs an der Medizinischen Fachschule in Quedlinburg. Während meines Studiums in Moskau hatte ich nur wenig über die DDR gehört, aber letztendlich unterschied sich meine Erfahrung nicht sehr von dem, was ich erwartet hatte. Was mir auffiel, war, dass die Praxis des Sozialismus in der DDR weiter fortgeschritten war als in der Sowjetunion.
An was aus deiner Zeit in Quedlinburg erinnerst du dich zurück? Wie war das Verhältnis zu den Lehrkräften und den anderen Studierenden?
Wir wurden von der Schulleitung herzlich empfangen, so dass die Übergangszeit kurz und reibungslos verlief. Wir erhielten die notwendige Orientierung über die Gewohnheiten und das soziale Leben in Quedlinburg. Die Gruppen und Klassen waren nach Fachbereichen gegliedert, eine gemeinsame Organisation gab es nicht.
Ich verbrachte etwa 6 Monate in Quedlinburg und war meistens entweder in den Sprachkurs oder in soziale Aktivitäten eingebunden. Es war eine faszinierende Methode des Deutschunterrichts mit einem sehr erfahrenen Team. Wir lernten auch etwas über das gesellschaftliche Leben in der DDR. Meine Gruppe bestand aus Ärzten aus Palästina und dem Libanon. Aber die Schule hatte auch andere Klassen für Krankenpflegeschüler und Hebammen, z.B. aus der Demokratischen Volksrepublik Jemen (Südjemen) und Nicaragua. Es gab einen fruchtbaren Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen. Wir feierten unsere verschiedenen Nationalfeiertage und machten uns mit den jeweiligen Traditionen und politischen Ansichten sowie mit den politischen und sozialen Problemen vertraut. Wir tauschten unsere Erfahrungen im Kampf für Freiheit und ein besseres Leben aus.
An der Schule gab es außer den Lehrkräften und Angestellten keine deutschen Staatsbürger, aber wir hatten Kontakte zur örtlichen Gemeinschaft und hatten zu vielen Einwohnern gute Beziehungen aufgebaut. Wir haben keinerlei Diskriminierung erlebt.
Wie ging es nach deiner Zeit an der Medifa weiter?
Nach den 6 Monaten in Quedlinburg wechselte ich in die Klinik Berlin-Buch, wo ich dann meine Ausbildung zum Urologen begann. Die anderen Kollegen aus meiner Gruppe waren auf verschiedene Städte verteilt, aber wir hielten Kontakt und trafen uns z.B. über den Allgemeinen Verband der palästinensischen Ärzte (DDR-Zweig). Wir haben diese Treffen auch nach dem Verlassen der DDR nach unserer fünfeinhalbjährigen Ausbildung fortgesetzt. Alle diese Studenten kehrten nach Beendigung der Ausbildungsprogramme in ihre Heimatländer zurück.
Ich verließ die DDR im März 1986, nachdem ich mein Studium beendet und ein Medizinstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin abgeschlossen hatte. Ich konnte jedoch nicht in den Libanon zurückkehren, da die PLO nach der israelischen Invasion 1982 vertrieben worden war. Auf Anraten der PLO-Führung zog ich in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo meine Familie wartete. Aber auch dort hatte ich viele Schwierigkeiten. Nach dieser Zeit zog ich nach Norwegen und lebe seither dort.
Wie bewertest du rückblickend deine Ausbildung in der DDR? Welche Bedeutung hatten diese Programme für die Länder des Globalen Südens?
Meiner Meinung nach und von dem, was ich von meinen Kollegen gehört habe, war meine Ausbildung in der DDR auf einem sehr hohen Niveau. Aber meine Zeit in der DDR hatte zwei Seiten: Zum einen war die Ausbildung an sich wichtig, doch wo ich studierte und mich spezialisierte hatte auch eine besondere politische Bedeutung.
Sowohl die Sowjetunion als auch die DDR haben mir sehr viel bedeutet. Ohne ihre Hilfe hätten ich und Tausende andere aus Ländern in der ganzen Welt keinen Zugang zu akademischer Bildung gehabt. Und das veränderte das Bild der Gesundheitsdienste in der Dritten Welt.
Ich bin der Sowjetunion und der DDR immer noch sehr dankbar für die Gelegenheit, die sie mir gaben, um meinen Traum zu verwirklichen. In einer Zeit, in der die Kluft zwischen den reichen Ländern im Norden und den ärmeren Ländern im Süden immer größer wird, ist es dringend notwendig, die Solidaritätsarbeit zu verstärken, und ich hoffe, dass sie vielversprechende Ergebnisse bringen wird.
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