Wir wollen keinen geteilten Planeten; wir wollen eine Welt ohne Mauern.
Der fünfzehnte Newsletter (2022).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro des Tricontinental: Institute for Social Research.
Als die Vereinigten Staaten 2003 ihren illegalen Krieg gegen den Irak begannen, sprach Kubas Präsident Fidel Castro in Buenos Aires, Argentinien. «Unser Land wirft keine Bomben auf andere Völker», sagte er, «und schickt auch nicht Tausende von Flugzeugen, um Städte zu bombardieren … Die Zehntausenden von Wissenschaftlern und Ärzten in unserem Land wurden in der Idee ausgebildet, Leben zu retten». Kuba habe zwar eine Armee, aber keine Armee für den Krieg; Castro nannte sie «eine Armee von Weißkitteln». In jüngster Zeit hat die kubanische Henry-Reeve-Brigade von Mediziner*innen selbstlos in der ganzen Welt gearbeitet, um die Flut der COVID-19-Pandemie einzudämmen.
Castro erinnert uns daran, dass es zwei Möglichkeiten gibt, in dieser Welt zu leben. Wir können in einer Welt leben, in der Krieg herrscht, die mit Waffen überschwemmt und durch Einschüchterung in Schach gehalten wird, in einer Welt, die sich ständig auf einen Kampf vorbereitet. Oder wir können in einer Welt von Lehrer*innen und Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen und Sozialarbeiter*innen, Geschichtenerzähler*innen und Sänger*innen leben. Wir können unser Vertrauen in Menschen setzen, die uns helfen, eine bessere Welt zu schaffen als die, in der wir heute leben, diese erbärmliche Welt des Krieges und des Profits, in der uns das Hässliche zu überwältigen droht.
Die Angst sitzt in unseren Poren, dass ein neuer eiserner Vorhang fällt, dass man China und Russland einkesseln und die Welt in Lager aufteilen will. Aber das ist unmöglich, denn – wie schon im Newsletter der letzten Woche erwähnt – wir leben in einem Wirrwarr von Widersprüchen und nicht in einer sauber sortierten Welt der Gewissheiten. Selbst enge Verbündete der USA, wie Australien, Deutschland, Japan und Indien, können ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Russland und China nicht abbrechen. Es würde sie in eine Rezession stürzen und ein wirtschaftliches Chaos verursachen, wie es durch Krieg und Sanktionen bereits in Honduras, Pakistan, Peru und Sri Lanka geschehen ist. In diesen Ländern, die bereits vom Internationalen Währungsfonds, von der Gier der Eliten und von ausländische Botschaften gebeutelt sind, haben die steigenden Kraftstoffpreise eine Wirtschaftskrise in eine politische Krise verwandelt.
Kriege enden entweder mit der Zerstörung der politischen Institutionen und der sozialen Kapazitäten eines Landes oder sie enden mit Waffenstillständen und Verhandlungen. Der Krieg der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) gegen Libyen im Jahr 2011 endete damit, dass das Land mit dem Geruch von Kordit in der Luft und einer zerbrochenen sozialen Ordnung vor sich hin taumelte. Das Schicksal Libyens sollte sich nirgendwo wiederholen, schon gar nicht in der Ukraine. Doch es ist ein Schicksal, das den Menschen in Afghanistan, Somalia und Jemen vorbestimmt ist, die in Kriegen erstickt sind, die vom Westen angeheizt wurden – Kriege, die vom Westen bewaffnet wurden und für den Westen profitabel waren.
Als das heutige Russland aus dem Zusammenbruch der UdSSR hervorging, putschte Boris Jelzin mit brennenden Panzern gegen das russische Parlament. Die derzeitigen Machthaber in Russland handeln im Lichte dieser gewaltsamen Anfänge und der Erfahrungen anderer kriegsgeplagter Nationen. Sie werden nicht zulassen, dass ihnen das Schicksal Libyens, Jemens oder Afghanistans widerfährt. In der weißrussischen Region Homelskaja Woblasz (oder Gomel) laufen Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, doch muss das Vertrauen gestärkt werden, bevor ein Waffenstillstand eine reale Möglichkeit wird. Jeder Waffenstillstand sollte sich nicht nur auf den Krieg innerhalb der Ukraine beziehen – was unbedingt notwendig ist –, sondern auch die Beendigung der breiteren Druckkampagne der USA auf ganz Eurasien beinhalten.
Was ist das für eine Druckkampagne und warum sollte man jetzt darüber reden? Sollten wir nicht nur sagen: Russland raus aus der Ukraine? Ein solcher Slogan ist zwar richtig, geht aber nicht auf die tieferen Probleme ein, die diesen Krieg überhaupt erst provoziert haben.
Als die UdSSR zusammenbrach, übten die westlichen Länder ihre Ressourcen und ihre Macht über Boris Jelzin (1991–1999) und dann über Wladimir Putin (ab 1999) aus. Zunächst stürzte der Westen das russische Volk in Armut, indem er das soziale Netz des Landes zerstörte und der russischen Elite erlaubte, den gesellschaftlichen Reichtum des Landes zu verschlingen. Dann verleitete er die neuen russischen Milliardär*innen dazu, in die vom Westen betriebene Globalisierung zu investieren (einschließlich englischer Fußballmannschaften). Der Westen unterstützte Jelzins blutigen Krieg in Tschetschenien (1994–1996) und dann Putins Krieg in Tschetschenien (1999–2000). Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair (1997–2007) unterzeichnete Genehmigungen für den Kauf britischer Waffen durch Russland, bis ihm die Hand wehtat, und begrüßte Putin im Jahr 2000 in London mit den Worten: «Ich möchte, dass Russland und der Westen zusammenarbeiten, um Stabilität und Frieden zu fördern». Im Jahr 2001 sagte der ehemalige US-Präsident George W. Bush, dass er in Putins Augen blicken und seine Seele sehen könne, und nannte ihn «aufrichtig und vertrauenswürdig». Im selben Jahr ermutigte Thomas Friedman von der New York Times seine Leser, Putin weiterhin «anzufeuern». Es war der Westen, der der russischen Milliardärsklasse half, den Staat zu erobern und die russische Gesellschaft zu beherrschen.
Sobald die russische Regierung entschied, dass eine Integration mit Europa und den USA nicht möglich war, begann der Westen, Putin zu verteufeln. Dieser Film wird immer wieder abgespielt: Der irakische Saddam Hussein war ein großer Held der USA und dann ihr Bösewicht, dasselbe gilt für den ehemaligen Militärführer Manuel Antonio Noriega in Panama. Jetzt sind die Einsätze unverzeihlich höher, die Gefahren größer.
Unter der Oberfläche des gegenwärtigen Moments liegt eine Dynamik, die wir in unserem zehnten Newsletter dieses Jahres in den Vordergrund gestellt haben. Die USA haben die internationale Rüstungskontrollarchitektur einseitig beschädigt, indem sie aus dem Vertrag über den Schutz vor ballistischen Raketen (2001) und dem Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen (INF) (2018) ausgestiegen sind und damit die Politik der Abschreckung ausgehöhlt haben. Im Dezember 2018 drängten die USA ihre Verbündeten dazu, die Verabschiedung einer Resolution zur Verteidigung des INF-Vertrags durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit knapper Mehrheit zu verhindern. Putin begann von der Notwendigkeit von Sicherheitsgarantien zu sprechen, nicht von der Ukraine oder gar von der NATO, die ein aufgeblasenes trojanisches Pferd für Washingtons Ambitionen ist: Russland brauchte Sicherheitsgarantien direkt von den USA.
Und warum? Weil die US-Regierung 2018 einen Wechsel in der Außenpolitik angekündigt hat, der signalisiert, dass sie ihren Wettbewerb mit China und Russland verstärken wird. Auch die NATO-geführten Marineübungen in der Nähe beider Länder gaben Russland Anlass zur Sorge um seine Sicherheit. Die Kriegslust der USA ist in der Nationalen Verteidigungsstrategie 2022 verankert, in der es heißt, dass die Vereinigten Staaten «bereit sind, sich in Konflikten durchzusetzen, wenn dies erforderlich ist, wobei sie der Herausforderung [Chinas] im indopazifischen Raum Vorrang vor der russischen Herausforderung in Europa einräumen». Der Schlüsselsatz ist, dass die USA bereit sind, sich in einem Konflikt durchzusetzen. Die gesamte Haltung der Vorherrschaft und der Unterwerfung ist eine Macho-Haltung gegen die Menschlichkeit. Die Druckkampagne der USA rund um Eurasien muss beendet werden.
Wir wollen keine geteilte Welt. Wir wollen eine reelle Welt: eine Welt der Menschlichkeit, die angemessen mit der Klimakatastrophe umgeht. Eine Welt, die den Hunger und das Analphabetentum beendet. Eine Welt, die uns aus der Verzweiflung in die Hoffnung führt. Eine Welt mit mehr Armeen von Weißkitteln und statt Armeen mit Gewehren.
Bei Tricontinental: Institute for Social Research stärken wir das Leben und die Stimmen der Menschen, die eine Welt der Hoffnung gegen die Angst aufbauen, eine Welt der Liebe gegen den Hass. Eine dieser Personen ist Nela Martínez Espinosa (1912–2004), die im Mittelpunkt der dritten Studie in unserer Reihe Women of Struggle, Women in Struggle steht. Nela, wie wir sie nennen, war eine führende Persönlichkeit in der Kommunistischen Partei Ecuadors und eine Erbauerin von Institutionen, die den Massen Vertrauen einflößten. Zu diesen Organisationen gehörten antifaschistische Fronten und Frauenverbände, die sich für die Rechte der ecuadorianischen Ureinwohner*innen einsetzten, sowie Plattformen zur Verteidigung der kubanischen Revolution. 1944, während der glorreichen Mairevolution, war Nela kurzzeitig Regierungschefin. Ihr ganzes Leben lang arbeitete sie unermüdlich daran, die Grundlagen für eine bessere Welt zu schaffen.
Im Jahr 2000 kämpfte Nela als Präsidentin der Kontinentalen Frauenfront für Frieden und gegen Intervention gegen die Einrichtung einer US-Militärbasis in der Stadt Manta. «Die Kolonisierung kehrt zurück», sagte Nela. «Wie werden wir dieser Kolonisierung entkommen? Wie könnten wir uns rechtfertigen, wenn wir feige wären?»
Diese letzte Frage schwebt über uns. Wir wollen nicht in einer geteilten Welt leben. Wir müssen handeln, um zu verhindern, dass sich der eiserne Vorhang senkt. Wir müssen gegen unsere Angst ankämpfen. Wir müssen für eine Welt ohne Mauern kämpfen.
Herzlichst,
Vijay