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Was ihr Liebe nennt, ist unbezahlte Arbeit.
Der zwölfte Newsletter (2021).
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Liebe Freund*innen!
Grüße vom Schreibtisch des Tricontinental: Institute for Social Research.
Frauen auf der ganzen Welt verbringen durchschnittlich vier Stunden und fünfundzwanzig Minuten pro Tag mit unbezahlter Care-Arbeit, während Männer im Durchschnitt eine Stunde und dreiundzwanzig Minuten pro Tag für die gleiche Art von Arbeit aufwenden. Das ergab eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aus dem Jahr 2018. Was ist Care-Arbeit? Die ILO-Studie definiert Care-Arbeit als «Aktivitäten und Beziehungen, die dazu dienen, die physischen, psychischen und emotionalen Bedürfnisse von Erwachsenen und Kindern, alten und jungen, gebrechlichen und nicht gebrechlichen Menschen zu erfüllen».
Es gibt zwei Hauptarten der Pflegearbeit, wie sie von der ILO beschrieben werden. Die erste ist durch direkte Pflegetätigkeiten gekennzeichnet (manchmal als «fürsorgliche» oder «relationale» Pflege bezeichnet), wie «ein Baby füttern, einen kranken Partner pflegen, einer älteren Person beim Baden helfen, Gesundheitsuntersuchungen durchführen oder kleine Kinder unterrichten». Die zweite ist durch indirekte Pflegetätigkeiten gekennzeichnet, «die keine persönliche Pflege von Angesicht zu Angesicht beinhalten, wie z. B. Putzen, Kochen, Wäschewaschen und andere Aufgaben zur Instandhaltung des Haushalts (manchmal als «nicht-relationale Pflege» oder «Haushaltsarbeit» bezeichnet), die die Voraussetzungen für die persönliche Pflege schaffen». Direkte und indirekte Pflegearbeit arbeiten im Tandem von körperlicher und emotionaler Arbeit, die das Gefüge der Gesellschaft zusammenhält.
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Frauen und Mädchen, so zeigt die ILO-Studie, leisten drei Viertel der unbezahlten Betreuungsarbeit, die zum Erhalt von Familie und Gesellschaft erforderlich ist. Würden diejenigen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten, in ihren jeweiligen Ländern den Mindestlohn erhalten, beliefe sich die Lohnsumme auf 11 Billionen US-Dollar (oder bis zu etwa 15% des globalen Bruttoinlandsprodukts, der Größe der gesamten digitalen Wirtschaft). Die Notwendigkeit dieser unbezahlten Pflegearbeit – einschließlich der Betreuung von Kindern und älteren Menschen – hat Frauen und einige Männer davon abgehalten, in die bezahlte Arbeitswelt einzutreten. Im Jahr 2018 gaben laut ILO 606 Millionen Frauen an, dass sie sich wegen der unbezahlten Betreuungsarbeit keine bezahlte Beschäftigung außerhalb des Hauses suchen können; 41 Millionen Männer sagten das Gleiche.
Während der Pandemie verloren 64 Millionen Frauen ihre bezahlte Arbeit, während die meisten Frauen mehr Zeit für unbezahlte Betreuungsarbeit aufwenden mussten als vor dem großen Lockdown von 2020–21. In unserer Studie CoronaShock and Patriarchy (November 2020) stellen wir fest, dass während der Pandemie «die Betreuungsarbeit exponentiell zugenommen hat und die zusätzliche Last weiterhin auf Frauen fällt». Es sind größtenteils Frauen, die die Erziehung der Kinder beaufsichtigen, Haushalte versorgen, mit vermindertem Einkommen zu kämpfen haben und sich um ältere Menschen kümmern, in Zeiten, in denen sie am anfälligsten für die Gefahren von COVID-19 sind. UNICEF berichtet, dass 168 Millionen Kinder fast ein ganzes Jahr lang nicht in der Schule waren.
Gleichzeitig sind viele der an vorderster Front tätigen Pflegekräfte in unserer Gesellschaft – von Krankenpfleger*innen bis zu Reinigungskräften – Frauen. Es sind diese Frauen, die als «unverzichtbare Arbeitskräfte» gelobt werden, während sich ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern und ihre Löhne stagnieren, was sie dem Risiko aussetzt, sich mit dem Virus zu infizieren. Im vergangenen Juni haben wir in unserem Dossier Health is a Political Choice («Gesundheit ist eine politische Entscheidung») dokumentiert, wie Gesundheitsarbeiterinnen in Argentinien, Brasilien, Indien und Südafrika darum kämpfen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und genug zu verdienen, um ihre Familien versorgen zu können. Unser 16-Punkte-Forderungskatalog, mit dem das Dossier endet, fußt auf den Kämpfen der Gewerkschaften in diesen Ländern. Seine Forderungen sind heute noch genauso aktuell wie im vergangenen Juni. Diese Pandemie hat unser Gespür dafür aufgedeckt und geschärft, wie das Patriarchat den sozialen Fortschritt blockiert.
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Unser Team in Argentinien hat zusammen mit dem Kollektiv Mapeos Feministas («Feministisches Mapping») einen Podcast entwickelt, der die ungleichen Auswirkungen der Pandemie aus feministischer Perspektive untersucht. Diese Arbeit zur Dokumentation der Krise und der Kämpfe der Menschen in Argentinien führte zur Veröffentlichung unseres jüngsten Dossiers, Uncovering the Crisis: Care Work in the Time of Coronavirus («Die Krise aufdecken: Care-Arbeit in Zeiten des Coronavirus», Dossier Nr. 38, März 2021).
Die Pandemie übt einen immensen Druck auf die Familien aus, wobei die Frauen im Mittelpunkt der erhöhten Arbeitsbelastung stehen. Dieser Druck ist die Folge einer langen Periode von Sparmaßnahmen, die staatliche Institutionen trafen, was zur Verschlechterung der Soziallöhne geführt hat (einschließlich der vorschulischen Betreuung von Kindern und nahrhaftem Essen in der Schule). Dieses langfristige Problem wird mit dem Begriff «Betreuungskrise» (crisis del cuidado) erfasst, der von der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) im Jahr 2009 geprägt wurde. Aufgrund des Sparregimes hat sich der Begriff der Familie erweitert, da die Pflegenden Ressourcen von anderen in ihrer Gemeinschaft beziehen. Diese breiteren Familiennetzwerke gehen über die Verwandtschaft hinaus und erweisen sich als wesentliche Grundlage für das Überleben während der Pandemie.
Luz Bejerano von der Transgender-Bewegung Argentiniens berichtet, dass eine Transgender-Genossin eine Außenküche eröffnet hat, um Menschen zu verpflegen und auch Snacks für Kinder bereitstellt. Silvia Campo von Encuentro de Organizaciones erklärt, wie ihre Organisation daran arbeitet, Fälle von COVID-19 aufzuspüren und Informationen über Gesundheitskliniken und ‑dienste an die Öffentlichkeit weiterzugeben. María Benitez von der Föderation der Basisorganisationen organisierte ihre Nachbar*innen, um zu den Vermieter*innen zu gehen und sie – mit Erfolg – dazu aufzufordern, Familien während der Pandemie nicht zu vertreiben. Allen Widrigkeiten zum Trotz haben Luz, Silvia, María und ihre Organisationen das soziale Gefüge zusammengehalten. Ihre Geschichten sind inspirierend und lehrreich.
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Elizabeth Gómez Alcorta ist die erste Ministerin für Frauen, Gender und Diversität in der argentinischen Regierung. Im Dezember 2019 richtete ihr Ministerium die Nationale Direktion für Pflege (Dirección Nacional de Cuidados) ein, die entlang von vier Hauptachsen arbeitet. Erstens, um eine föderale Karte der Pflege- und Ausbildungseinrichtungen für die Pflegearbeit zu erstellen. Zweitens richtete die Direktion im Februar 2020 einen interministeriellen Runden Tisch zur Pflegepolitik (Mesa Interministerial de Políticas de Cuidado) ein, um vierzehn Ministerien zusammenzubringen, deren Agenda sich mit der Pflegearbeit überschneidet. Drittens startete die Direktion im August 2020 die Kampagne Caring with Equality: Necessity, Rights, and Work («Betreuung mit Gleichstellung: Notwendigkeit, Rechte und Arbeit»), die «Pflege-Parlamente» abhält, um den Pflegekräften und Betreuer*innen zuzuhören und ihre Perspektive zu den wichtigsten Themen zu erfahren. Und schließlich bildete Gómez Alcortas Team im Oktober 2020 eine aus neun Experten bestehende Kommission, die einen Gesetzentwurf für ein umfassendes Pflegesystem für das Land verfassen wird.
«Der Slogan der Kampagne – Betreuung mit Gleichstellung (Cuidar en igualdad) – ist ein Kern unseres Konzepts von Pflege», sagte mir Gómez Alcorta kürzlich. «Pflege ist eine Notwendigkeit, wir alle müssen irgendwann in unserem Leben gepflegt werden, und wenn es eine Notwendigkeit ist, dann muss es auch Rechte für die Pflegenden geben. Wir stehen vor der großen Herausforderung, die Grundlagen für ein umfassendes Pflegesystem mit einer Gender-Perspektive zu schaffen», sagte sie mir, und dieses System müsse die «komplexe und heterogene Realität» Argentiniens berücksichtigen. Deshalb, so sagte sie, «ist der Dialog, den die Entwurfskommission führt, so wichtig. … Wir wissen, dass die derzeitige Zusammensetzung der Familien vielfältig ist, also arbeiten wir einerseits in Bezug auf die Vielfalt der Familien und Identitäten und versuchen, alle Situationen zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite hat unser Land eine große soziale Verschuldung, wir haben hohe Armutsquoten, und wir wissen, dass Frauen am stärksten von Wirtschaftskrisen betroffen sind. Deshalb sagen wir, dass eine bessere Umverteilung der Betreuungsaufgaben nicht nur zu mehr Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt.»
Patriarchale Systeme und Gewohnheiten gilt es zu «zerbrechen», sagte Gómez Alcorta, aber «es ist noch ein langer Weg zu gehen». Geteilte Verantwortung für die Pflegearbeit sei selten Realität, weshalb «Männer mehr einbezogen werden müssen, aber wir wissen auch, dass der Abbau von Gewohnheiten und Stereotypen Zeit braucht». Nichtsdestotrotz sagte mir Gómez Alcorta: «Wir sind der festen Überzeugung, dass wir uns auf ein Szenario zubewegen, in dem Pflegearbeit besser verteilt und gesellschaftlich als das anerkannt und wertgeschätzt wird, was sie ist: Arbeit, die die Welt zum Funktionieren bringt».
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Im Newsletter der letzten Woche habe ich über den Bundesstaatwahlkampf in Kerala gesprochen. Jetzt, da das Manifest der Linken Demokratischen Front veröffentlicht wurde, gibt es einen Punkt, der besondere Erwähnung verdient: die Linke, wenn sie an die Macht zurückkehrt, wird eine Rente für Hausfrauen einführen. «Der Wert der häuslichen Arbeit wird anerkannt, und es wird eine Rente für Hausfrauen eingeführt», heißt es im Manifest. Die Auswirkungen dieses Rentenplans sind enorm; er erkennt an, dass Hausarbeit einen Wert hat, und rüttelt an den Grundfesten des Patriarchats, das auf der finanziellen Abhängigkeit von Frauen aufbaut.
Diese Kämpfe in Argentinien und Kerala spiegeln sich in den Worten von Alaíde Foppa (1914–1980) wider, einer Dichterin und Aktivistin, die 1980 in Guatemala ermordet wurde:
Durch blühende Wiesen
lief mein leichter Fuß,
hinterließ seine Spur
im feuchten Sand,
suchte nach verlorenen Pfaden,
zertrampelte die harten Bürgersteige
der Städte
und stieg Treppen hinauf
von denen er nicht wusste, wohin sie führten.
Herzlich,
Vijay
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Ich bin Tricontinental:
Tings Chak — Designerin und Forscherin im interregionalen Büro
An guten Tagen, wenn ich nicht in Meetings sitze, findet man mich normalerweise bei vielerlei Arbeiten – ich zeichne, lese, schreibe und helfe, kollektive politische Projekte aufzubauen. Meine Arbeit konzentriert sich auf die Geschichte, Praktiken und Theorien von Kunst und Kultur, die aus den Kämpfen der Menschen hervorgehen. Ich bin dabei, ein Buch über die Kunst in nationalen Befreiungskämpfen zu schreiben, in das die Arbeit an unseren Dossiers Nr. 15 über Kuba und Nr. 35 über Indonesien einfließen wird. Ich koordiniere die Kunstabteilung von Tricontinental: Institute for Social Research und habe das Glück, jeden Tag mit einem Team von talentierten Künstler*innen zu arbeiten, um gemeinsam ein internationalistisches Netzwerk aufzubauen.
Aus dem Englischen von Claire Louise Blaser.