Ronnie Kasrils, geboren 1938 in Johannesburg, trat im Alter von 23 Jahren in die Kommunistische Partei Südafrikas ein und war Gründungsmitglied der uMkhonto we Sizwe (MK), des paramilitärischen Flügels des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Nach einer militärischen und geheimdienstlichen Ausbildung in der Sowjetunion und der DDR trug Kasrils ab Mitte der 1960er Jahre zum Aufbau eines komplexen Untergrundnetzes von Anti-Apartheid-Kämpfern bei. Nach dem Sieg über die Apartheid war Kasrils Minister für Wasser- und Forstwirtschaft (1999–2004) und Minister für Nachrichtendienste (2004–2008) in den ANC-Regierungen.
Im Februar 2023 traf die IF DDR Kasrils für ein Gespräch in Johannesburg. Er erzählte von seinem Weg zum Kommunismus, seiner Zeit in der DDR sowie von der Bedeutung des sozialistischen Lagers – und dessen späterem Untergang – für ihn und die um Unabhängigkeit ringenden Länder Afrikas. Das Transkript des Interviews ist unten auf Deutsch zu finden und wurde zur besseren Lesbarkeit redaktionell leicht bearbeitet.
Wie wurdest du politisiert und wann hast du dich der Befreiungsbewegung in Südafrika angeschlossen?
Ich bin während des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen und stamme von jüdischen Einwanderern aus dem Russischen Reich ab. Mein Vater wurde in Litauen geboren, meine Großeltern stammten aus dieser Gegend. Wir lebten in unserer eigenen kleinen jüdischen Nachbarschaft — wie es in Südafrika mit verschiedenen Gemeinden der Fall ist. Meine Eltern waren vielleicht ein wenig zionistisch, aber sie waren eher säkular und nicht besonders religiös. Ich war als Kind ein ziemlicher Rebell, und das lag an der Situation in Südafrika. Ich verabscheute einfach den Rassismus und die Art und Weise, wie die Menschen Schwarze behandelten. Es gab hier auch ein Element des Antisemitismus, und zwar nicht nur bei den Buren mit niederländischem oder deutschem Hintergrund. Diejenigen, die noch antisemitischer sein konnten, waren die mit einem britischen Hintergrund. Auf diese Weise wird man ein bisschen sensibilisiert.
Meine Mutter hatte zwei Cousinen, die in der Kommunistischen Partei waren. Ich fing an, kleine Dinge von diesen reizenden, recht kultivierten Frauen aufzuschnappen. Eine von ihnen heiratete einen berühmten Kommunisten, der später mein Mentor wurde. Doch schon als Teenager begann ich, Bücher über den Spanischen Bürgerkrieg und den Zweiten Weltkrieg zu lesen, die mich zu der Erkenntnis brachten, dass die Sowjetunion wirklich für die Niederlage Hitlers verantwortlich war. Das stand im Gegensatz zu dem, was wir in unseren englischsprachigen Schulen hier lernten, wo es nur um Montgomery und die Briten und Amerikaner ging. Ich war also auch in dieser Hinsicht sensibilisiert.
Die Lektüre hat mir sehr geholfen, zunächst war es aber anarchistisches Zeug, Arthur Koestler und diese Art von Material. Es war in der Zeit vor Sharpeville1Das Massaker an Anti-Apartheid-Demonstranten 1960, und ich war damals erst 21, dass ich durch Musik und Poesie mehr mit Schwarzen interagierte und mich mit Bertolt Brecht und Literatur dieser Art beschäftigte. Ziemlich früh entdeckte ich eine echte Leidenschaft für Brecht, die mich in die deutsche Gegenkultur gegen den Nationalsozialismus führte. Ich schrieb Gedichte und bekam einen Job als Drehbuchautor für eine Filmgesellschaft, was in Südafrika eine ziemliche Avantgarde-Sache war. Aber die Leute, mit denen ich zu tun hatte, waren eher Bohemiens, selbst unter den Schwarzen.
Dann kam es im März 1960 zum Massaker von Sharpeville. Es traf mich so heftig, dass mir plötzlich klar wurde, man kann nicht einfach weiter diskutieren und debattieren und lesen. Man musste etwas tun. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich auf die Suche nach Menschen machte, die jetzt untertauchen und aus dem Land fliehen mussten. Ich habe meine kommunistische Cousine in Durban besucht, sie war 15 Jahre älter als ich, und ihr Mann war auf der Flucht vor der Polizei und organisierte sich nun im Untergrund. Ich kannte alle Mitglieder der ehemaligen Kommunistischen Partei, hatte all die Listen und die Sicherheitspolizei kannte mich überhaupt nicht – es war großartig für diese Leute, jemanden zu haben, dem sie vertrauen konnten, der als Bote fungieren konnte, und genau das ist passiert.
Um es kurz zu machen: Mein Verständnis entwickelte sich besonders als ich mit dieser Cousine und ihrem Mann zusammensaß, die mir einen unglaublichen Einblick in den Marxismus, in die Sowjetunion, in den Zweiten Weltkrieg usw. gaben. Damals verfolgten wir gerade die Ereignisse in Kuba, und so wurde ich vom Fieber angesteckt und engagierte mich schon bald im Untergrund, im ANC, in der Kommunistischen Partei und im bewaffneten Kampf. Da ich jung, körperlich fit und aktiv war, griffen sie auf mich zurück, um militärische Operationen durchzuführen.
Durch meinen jüdischen Hintergrund war ich sehr daran interessiert, den Aufstieg Hitlers zu verstehen und wie es dazu kam, dass der Faschismus in einem Land, in dem die Arbeiterklasse und die Kommunistische Partei so stark und organisiert waren, an die Macht kam. Diese Beschäftigung vermittelte mir ein realistisches Verständnis des Kapitals, der Klassenkräfte und der Entstehung und Entwicklung des Faschismus. Ich interessierte mich auch sehr für all die Klassiker und Debatten, die innerhalb der Befreiungsbewegung eine Rolle spielten.
Wie bist du zum ersten Mal mit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in Kontakt gekommen?
Als ich ab 1963 für einige Jahre im Exil in Tansania arbeitete, hatte ich zum ersten Mal einen sehr guten Kontakt mit der DDR-Botschaft. [Dr. Gottfried Lessing] war ein wunderbarer Botschafter, der später mit seiner Frau in Uganda von Idi Amin ermordet wurde. Ich erinnere mich sehr lebhaft an ihn. Sie waren eine kleine DDR-Delegation, nur er, seine Frau und ein paar andere. Sie hatten einen ziemlichen Einfluss auf die Befreiungsgruppen, die sich jetzt in Daressalam befanden und gute Beziehungen zur tansanischen Regierung unterhielten. Ich kann mich daran erinnern, wie er sagte, dass sie sich bemühten, ihre Arbeit zu erledigen, und dass sie mehr oder weniger auf sich selbst angewiesen waren. Sie besaßen offensichtlich den Willen, aber nicht viele Mittel. Dennoch wurden sie zu einem Anziehungspunkt für Menschen aus der Befreiungsbewegung, die dorthin gingen. Das hatte eine große Wirkung. Sie hielten Vorträge, um die Entstehung der DDR zu erklären und womit sie zu kämpfen hatte. Wir konnten sofort erkennen, dass Westdeutschland und der Westen dieses junge sozialistische Land absolut vernichtet sehen wollten. Man begann zu begreifen, wie wichtig die Solidarität war, die wir von ihnen erhielten, da sie nur wenige Ressourcen hatten. Wir begannen zu begreifen, dass es unsere Pflicht als Befreiungsbewegung war, das ganze Wesen Deutschlands und der DDR, ihre Existenz und Entwicklung zu verstehen.
Nach nur wenigen Jahren wurde ich nach London entsandt und hatte das Privileg, mit Leuten wie Yusuf Dadoo zu arbeiten. Seine frühere Frau war übrigens mit Dr. Lessing, dem DDR-Botschafter in Daressalam, verheiratet gewesen. Sie war eine deutsche Frau, die vor oder kurz nach dem Krieg in Südafrika lebte und eine Antifaschistin war. Dr. Lessing, ein großer bebrillter Mann, immer optimistisch und mit einem großen Sinn für Humor, wusste immer, dass wir uns mit den Problemen und den Widersprüchen auseinandersetzen müssen. Er war ein großartiger Botschafter — im allgemeinen Sinne, nicht nur in einem formellen — für ein neues sozialistisches Deutschland. Er hat junge Leute wie mich sehr beeindruckt und hatte sehr gute Verbindungen zu den Älteren wie Oliver Tambo und Moses Kotane und Führern anderer Befreiungsgruppen.
Als ich in Großbritannien eingesetzt wurde, begannen wir, geheime Verbindungen zu Südafrika aufzubauen und Kuriere zu rekrutieren. Mein Buch, International Brigades against Apartheid (2021), handelt von der Rekrutierung junger weißer Menschen, vor allem aus den westlichen Ländern, die leicht nach Südafrika ein- und ausreisen konnten. Ich hatte, wie gesagt, Bücher über den Krieg gelesen, auch über die “Rote Kapelle“2Rote Kapelle – deutsche antifaschistische Widerstandsgruppe. und überhaupt Bücher darüber, wie der Untergrund arbeitete. Es war ziemlich erstaunlich zu entdecken, dass es im faschistischen Deutschland selbst nach dem Angriff auf die Kommunisten und Sozialisten noch Gruppen gab, die mutig genug waren, um zu operieren. Es gab eine, die aus dem bürgerlichen Milieu stammte, die “Weiße Rose”, und über die habe ich gelesen. Das war die Art von Büchern, für die man sich sehr interessierte, und so hatte ich Sympathien für deutsche Progressive und natürlich Kommunisten, die gegen Hitler waren. Es gab einige jüngere jüdische Genossen, die ich rekrutierte, einige von ihnen aus Großbritannien, die sogar bis zu der Zeit, als wir mit der DDR und ihren Delegationen in Maputo und anderen Orten arbeiteten, Schwierigkeiten damit hatten. Sie konnten den Unterschied zwischen Deutschen und Deutschen nicht erkennen und sagten: “Ronnie, er ist aus Deutschland, ich weiß nicht, ob ich ihn treffen kann”, und ich sagte: “Um Himmels willen, verstehst du denn nicht den Unterschied? Es ist wie in Südafrika: Die Leute sind für oder gegen die Apartheid.“
Meine erste Erfahrung in der DDR machte ich um 1967, als ich mit Joe Slovo dorthin reiste, um Unterstützung für militärische Trainings zu erbitten. Leute, die aus Tansania und Sambia kamen, sollten in klandestinen Aktivitäten in der DDR ausgebildet werden und auch von ihren Erfahrungen profitieren, was den Schmuggel von Literatur und die Arbeit im Untergrund betraf. Das war der erste Besuch, und man bekam dabei ein absolutes Verständnis für das Ausmaß der Solidarität, die die DDR leistete.
Welche Art von Ausbildung und Unterstützung hat das sozialistische Lager für die Befreiungsbewegungen geleistet?
Ich war 1964 ein ganzes Jahr lang mit einer Gruppe von 150 anderen Kameraden unseres bewaffneten Flügels ausgebildet worden, die wie ich aus Südafrika entkommen und in Tansania gewesen waren. Anschließend wurden wir ein Jahr lang in der Sowjetunion ausgebildet, und wir erkannten das ganze Ausmaß der Macht der Sowjetunion und ihrer Mittel. Sie ermöglichte durch praktische Unterstützung die Aufnahme von Menschen für die Ausbildung von militärischen und nicht-militärischen Kräften zu Hunderten und Aberhunderten, die Bereitstellung von Waffen und Ressourcen. Einige unserer Kameraden wurden damals in Algerien und Ägypten ausgebildet, und in einem Jahr feuerten sie ihre Waffen dreimal ab. In der Sowjetunion haben wir unsere Waffen jeden Tag während der Übungen abgefeuert. Sie verfügten über diese Art von Ressourcen.
Plötzlich kamen wir nun in dieses kleine sozialistische Land, die DDR, mit dem riesigen, in jeder Hinsicht aggressiven Nachbarn im Kalten Krieg. Wir konnten sehen, dass bereits 1967/68 eine größere Entwicklung stattfand als in der Sowjetunion. Das hat man natürlich erst später verstanden, aber es hat mich sehr erstaunt, welche Bereitschaft die DDR zeigte, uns zu unterstützen. Man merkte, dass sie auch anderen nationalen Befreiungsgruppen diese Art von Unterstützung gewährte. Während wir dort waren, trafen wir auf einige Genossen aus Namibia von der SWAPO. Es gab eine begründete Verbindung, denn Namibia war eine deutsche Kolonie mit Konzentrationslagern gewesen — den ersten Konzentrationslagern zu Beginn des 20. Jahrhunderts -, die vom Deutschen Reich errichtet worden waren, das dort einen Völkermord beging.3Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama zwischen 1904 und 1908; schätzungsweise 100.000 Menschen wurden durch deutsche Truppen ermordet, verdursteten in der Omaheke-Wüste oder starben in Konzentrationslagern.
Wir sprachen über die Möglichkeit, einige Leute auszubilden, die wir von London aus schicken würden. Ich hatte bereits erkannt, dass Mac Maharaj eine sehr starke Verbindung zur DDR hatte. Er ist ein sehr bekannter Südafrikaner, der in der DDR in Druckverfahren und in der Anwendung von Untergrundmethoden ab Anfang 1960 ausgebildet worden war. Er kam 1962 zurück nach Südafrika, um im Untergrund zu arbeiten. Nach dem Rivonia-Prozess wurde er verhaftet und saß 12 Jahre im Gefängnis.
Schon ab 1960, also sehr früh, wurden einige unserer Leute über London geholt, um sie in Bereichen wie nicht-militärischen Aktivitäten, aber auch in klandestinen Aktivitäten und der Veröffentlichung von Untergrundmaterialen zu schulen. Durch meine Zeit in Teterow hatte ich das Privileg zu sehen, wie die Ressourcen, die zur Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes bereitgestellt wurden, von den 1960er Jahren bis in die späten 1980er Jahre zunahmen.
Ab 1976 wurde Teterow zu einem Zentrum, in dem die kleine DDR zwei Mal im Jahr sechsmonatige Kurse für 40 sehr fortgeschrittene Kader, die vom ANC in Afrika kamen, anbot. Die Kurse bezogen sehr fortgeschrittene Guerillakriegsführung und klandestine Methoden im Untergrund, einschließlich der Vorbereitung auf Sicherheit und Nachrichtendienst ein. Diese Gruppen erhielten ihre Ausbildung in verschiedenen sicheren Zentren in Ost-Berlin und Umgebung. Ungefähr vier oder fünf Personen ein paar Mal im Jahr, manchmal nur ein oder zwei, die eine gezielte Ausbildung erhielten und wieder nach Südafrika zurückkehrten.
Da ich an einer Teterower Ausbildungsgruppe beteiligt war und über 10 Jahre hinweg vielleicht zweimal im Jahr dorthin fuhr, weiß ich, wie sich die Ausbildung hier entwickelte, so dass wir über 12 Jahre hin mehr oder weniger 80 Leute dort hatten – das sind knapp 1.000, was unglaublich ist, zumal es sich um eine sehr fortgeschrittene und hochentwickelte Ausbildung handelte. Man könnte noch ein paar hundert andere Kader aus unseren Nachrichtendiensten und Sicherheitsabteilungen hinzufügen, die über einen Zeitraum von etwa einem Dutzend Jahren ebenfalls ausgebildet wurden. Ich würde sagen, etwa 200 plus vielleicht weitere 50 Personen, die speziell innerhalb Südafrikas ausgewählt wurden und die in der aufkommenden Gewerkschafts- und demokratischen Massenbewegung der 1980er Jahre ein sehr ausgeprägtes und fortgeschrittenes politisches Bewusstsein und Engagement hatten. Wir wählten sie aus und brachten sie an Orte in den Niederlanden, Großbritannien oder Frankreich und schickten sie von dort in die DDR. Sie erhielten ein sehr konzentriertes und gezieltes Vorbereitungstraining über zwei bis drei Monate in Bezug auf die Organisation im Untergrund, die Verbindung zu den öffentlichen Organisationsebenen, das Erlernen von Aspekten der Selbstverteidigung, Sicherheit, Sabotagetechniken und so weiter.
“Da die DDR so nahe am Westen war und mit dem Westen interagieren und konkurrieren musste, hatte sie ein viel differenzierteres Verständnis für die Macht des Kapitals in diesen imperialistischen Ländern. Sie konnte uns darauf aufmerksam machen, das Ausmaß dieser Macht zu verstehen.”
Das andere Element der Ausbildung in der DDR, die mit Mac Maharaj begann, bestand darin, eine Untergrundpresse zu betreiben. Dazu zählte auch, unsere Zeitschriften und Materialien sowie kleine Broschüren für uns bereitzustellen, die mit falschen Umschlägen mit Aufschriften wie “marxistische Traktate” oder “Programme der kommunistischen Parteien” usw. getarnt waren. Sie druckten für uns unsere Zeitschriften wie den African Communist und für den ANC dessen wichtigste Zeitschrift Sechaba. Das alles wurde von London aus organisiert, über die beiden Herausgeber von Sechaba, “MP” Naicker und später Ben Turok, und Brian Bunting vom African Communist sowie Sonia Bunting. Sie fuhr mit den Texten für den Druck und den Vorbereitungen für den Versand der Tausenden von Exemplaren dieser Zeitschriften von London hin und her nach Berlin.
Ihr könnt euch das Ausmaß der dafür bereitgestellten Kapitalmittel vorstellen, die vollständig den Befreiungsbewegungen in der ganzen Welt gewidmet waren, wobei Afrika eine große Rolle spielte. Es waren nicht nur die Beispiele, die ich für die südafrikanische Bewegung anführe, sondern auch für die anderen. Im Jahr 1990, als Namibia unabhängig wurde und die DDR eigentlich kaputt war, wurde der Präsident der SWAPO, Sam Nujoma, in die Bundesrepublik Deutschland eingeladen. Er reiste nach Berlin, wo man ein Programm für ihn ausgearbeitet hatte. Er sah sich das Programm an, und der liebe Mann, der seinen Edelmut und sein Verständnis zeigte, sagte zur Bundesrepublik Deutschland: “Bevor ich mit Ihrem Programm beginne, muss ich als Erstes den Ostteil Berlins besuchen, um die Menschen zu sehen, die uns all die Jahre geholfen haben, und um ihnen unseren Respekt zu erweisen.“ Ihr könnt euch vorstellen, wie verblüfft sie waren! Aber es ist ein Beispiel dafür, wie die DDR in praktischer Hinsicht Hilfe leistete, materielle Hilfe, zu der wir noch Kleidung für das Militär hinzufügen sollten. Natürlich erhielten wir Uniformen aus der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, Kuba und der DDR. Und es gab viele unserer Leute, die in der DDR-Militäruniform an Orten wie Angola und Tansania waren. Wir erhielten auch Lebensmittel und zivile Kleidung, und zwar von Mitte der 1960er Jahre bis leider zum Ende und Zusammenbruch der DDR.
Man könnte noch mehr Beispiele anführen, aber ich gebe das nur wieder, damit die Leute das Ausmaß dieser Unterstützung verstehen, die neben der eigentlichen materiellen Unterstützung auch diplomatisch war und auch ideologische Aspekte umfasste. In Teterow hatten wir zum Beispiel einen Professor, der aus einer nahe gelegenen Universitätsstadt kam. Ich erinnere mich an Gespräche mit ihm über die Widersprüche, mit denen die DDR konfrontiert war. Das hohe Niveau der theoretischen Darstellung, der Ideologie und der Philosophie war wirklich sehr beeindruckend. Da die DDR so nahe am Westen war und mit dem Westen interagieren und konkurrieren musste, hatte sie ein viel differenzierteres Verständnis für die Macht des Kapitals in diesen imperialistischen Ländern. Sie konnte uns darauf aufmerksam machen, das Ausmaß dieser Macht zu verstehen. Es war also eine sehr tiefe Beziehung.
Was war dein Eindruck von der sozialistischen Gesellschaft in Ostdeutschland?
Zunächst einmal — egal ob es sich um die DDR, Kuba oder die Sowjetunion handelte — hatten wir grundsätzlich mit den Behörden zu tun, die in all diesen Ländern wunderbar waren. Diese Vorstellung von ’stalinistisch’ und ‘Bürokratie’ und ‘kalten Menschen’ — es war das genaue Gegenteil! Wenn man zum ersten Mal dorthin fährt, interessiert man sich für diese Menschen und stellt fest, dass sie nicht nur menschlich, sondern auch witzig, warmherzig und fürsorglich sind. Das ist die Art und Weise, wie man als Mensch die Propaganda und die Vergiftung des eigenen Geistes durchschaut.
Wir sahen tatsächlich das Ausmaß der Entwicklung, die stattfand, und dass diese Entwicklung absolut auf die Verbesserung der Lage und die Überwindung wirtschaftlicher Probleme ausgerichtet war, selbst an einem Ort wie der Nachkriegs-DDR. Ich kann mich erinnern, dass ich zum Alexanderplatz geführt wurde und eine junge Frau erzählte mir, wie sie mit anderen Leuten nach dem Krieg mobilisiert worden war und freiwillig in das Gebiet kam, in dem die Trümmer aufgeräumt wurden, was direkt am Alexanderplatz war. Natürlich konnten wir diese Informationen im Unterricht und bei den Beamten, mit denen wir zu tun hatten, erhalten, aber mit einer Person zu sprechen, die etwa 30 Jahre nach dem Krieg mehr oder weniger in meinem Alter und 1945 16 Jahre alt war, war sehr interessant.
Man konnte sehen, dass die DDR im Vergleich zu Kuba und sogar der Sowjetunion in Bezug auf die Entwicklung der Industrie und der Leichtindustrie weiter fortgeschritten war. Man hat uns immer etwas Taschengeld gegeben. Als Schriftsteller und jemand, den man im Radio interviewen wollte, habe ich immer ein paar D‑Mark oder Rubel zusätzlich bekommen. Ich hatte also ein bisschen Geld zum Ausgeben, und wenn ich zu meiner Familie nach London fuhr, stellte ich immer fest, dass die Geschäfte in der DDR zweifellos bessere Waren hatten als die in Moskau. Ohne die Zustände in der Sowjetunion schmälern zu wollen, aber man konnte den Eindruck gewinnen, dass der Sozialismus in der DDR weiter fortgeschritten war.
Ich hatte das Glück, während meines Aufenthalts in der DDR mit einigen südafrikanischen Studenten in Kontakt zu kommen. Ich habe Teterow besucht, aber dann auch einige Zeit im “Gasthaus an der Spree” verbracht, einem Parteihotel. Die Freiheit, in die Stadt zu gehen und in die U‑Bahn zu steigen, ohne etwas zu bezahlen — eine wunderbare U‑Bahn — und überall hinzugehen, war wirklich absolut erstaunlich. Ich hatte dann Zugang zu ganz normalen Bürgern, jüngeren und älteren Menschen. Beides war sehr interessant, denn die Südafrikaner hatten diese Freunde, mit denen sie zur Universität gingen. Ich spreche von den Südafrikanern, die für ein Studium dorthin geschickt worden waren, und von einigen, die mit deutschen Ehefrauen oder Ehemännern verheiratet waren.
Wenn man diese Interaktion im Alltag mitbekommt, stößt man sowohl auf Vor- als auch auf Nachteile, was es interessant machte. Denn es ist unmöglich — und wir waren nicht naiv -, dass ein Land sich weiterentwickeln kann, wenn es in einem solchen Ausmaß von einem internationalen Markt abgeschnitten ist, quasi sanktioniert wird. Wir waren uns dieser enormen Probleme bewusst und sahen, wie sie Auge in Auge an der Grenze zu einem sehr aggressiven, rachsüchtigen, mächtigen Westdeutschland standen, das ehemalige Nazis in seine politische Elite, seine Führungsschicht und seine Justiz aufgenommen hatte. Von den DDR-Behörden wurden wir mit viel Humor und nicht in panischer Weise darauf hingewiesen, dass wir ein Auge auf den großen Mann von nebenan haben müssen. Wir hatten also ein Verständnis für dieses Problem.
Manchmal, wenn wir mit jüngeren Menschen in der DDR zu tun hatten, merkten wir, dass sie das nicht so sahen wie ihre Eltern. Sie waren sehr interessiert an den Freiheiten im Westen. Sie sagten, hier kann es ein bisschen langweilig sein, und bei der Arbeit sind wir so strukturiert, und die Leute sind recht vorsichtig, wenn es um Kritik geht. Manchmal war es auch echter Klatsch und Tratsch, über den ich lachen und mit ihnen streiten konnte. Sie hörten, dass Honecker und die Regierenden jeden Tag frische Milch aus Dänemark bekämen, und da ich in Teterow war, das auf dem Land liegt, und wir manchmal bestimmte Bauernhöfe besuchten, sahen wir so prächtige Nutztiere, darunter Kühe, die gemolken wurden. Ich musste lachen und sagte: Was ist los mit euch? Seid sehr vorsichtig mit westlicher Propaganda! Sie ist darauf ausgerichtet, euren Glauben an das System zu untergraben. Ihr wisst nicht, was diese Leute vorhaben, und das habe ich den Leuten in der Sowjetunion auch immer gesagt.
Wir hatten einen wunderbaren südafrikanischen Kameraden, Arnold Selby, der für den DDR-Rundfunk arbeitete. Er hatte große Auseinandersetzungen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter, weil sie das West-Berliner Fernsehen einschalteten und er in seinem ganzen Leben in der DDR nie auch nur einen Blick auf den Bildschirm warf, es sei denn, es war ein Sender der DDR. Er hatte immer sehr heftige Diskussionen und Reibereien, weil sie sich davon angezogen fühlten und er war eben sehr prinzipientreu und durchschaute diese falsche Propaganda. Da wir in der Nähe von Westdeutschland lebten, war es unmöglich, Aspekte dieser Art von Propaganda zu ignorieren, und wenn man eine neue Gesellschaft aufbaut, hat man zwangsläufig besondere Probleme, und die Menschen können sehr subjektiv werden und die Dinge falsch interpretieren. Ich will damit nicht sagen, dass es im Laufe der Zeit, als wir uns dem Ende näherten, von dem so viele Menschen betroffen waren, keine tiefgreifenden Widersprüche gab. Aber wenn man ein Gesamtbild und ein Verständnis für die internationale Situation und für das, was da gegenüber der Sowjetunion geschah, und für die Schwachstellen hatte, konnte man dies erkennen.
Ich habe 1983 in der Sowjetunion eine Ausbildung beim militärischen Nachrichtendienst absolviert und war ziemlich schockiert über den Unterschied in der Darstellung, die man von unseren Ausbildern erhielt. Auf politischer Ebene gab es manchmal recht alberne Vorträge über die internationale Lage. Ich kann mich erinnern, dass ein Kommissar über das Wachstum des Sozialismus sprach und fragte, wie viele sozialistische Länder es gebe. Ich hatte einen ziemlichen Streit, denn er zählte zwar Vietnam dazu, aber auch Laos und Kambodscha, wiederum nicht Mosambik und Angola. Ich sagte, Sie zählen Laos und Kambodscha dazu, die nicht die produktive Basis und die kommunistische Führung Vietnams haben, aber Mosambik und Angola lassen Sie außen vor. Daraufhin sagte der Mann: “Und was ist mit San Remo in Italien?“ Ich sagte: “Wovon reden Sie?“ Er zählte andere kleine Orte auf, an denen sich die Kommunisten Frankreichs oder Italiens auf kommunaler Ebene zusammenschlossen und in jenem Jahr die Mehrheit im Rat errangen. Ich war dort mit einer Gruppe von Leuten, die nicht verstanden, was ich meinte. Ich sagte ihnen, um Himmels willen, dieser Mann vermittelt einen falschen Eindruck.
Zurück zur DDR: Auf der Ebene des Geheimdienstes gab es einen Mann namens Markus Wolf, ein großer Held der DDR und der Befreiungsbewegungen, der eine so wichtige Rolle dabei gespielt hat, dass auch unsere Leute diese Art von Ausbildung erhielten. Das war ein sehr durchdachtes Programm, wenn man es mit der sowjetischen Präsentation vergleicht. Durch Markus Wolf erhielten wir sehr gute Ideen und sehr ausgefeilte Vorstellungen darüber, wie man Informationen sammeln kann. Ein paar Jahre vor seinem Tod kam er nach Südafrika, um unter anderem Mac Maharaj zu treffen. Es wurde eine kleine Party für ihn gegeben. Die Menschen in den nationalen Befreiungskämpfen waren sich des Wertes, des Ausmaßes, der Kameradschaft und der Herzlichkeit der Unterstützung, die wir von der DDR erhielten, sehr bewusst.
Was war die Grundlage für diese Solidarität? Warum unterstützten die sozialistischen Staaten die nationalen Befreiungsbewegungen und die Staaten, die sich nach Erlangung der Unabhängigkeit bildeten?
Die Grundlage der kommunistischen ideologischen Untermauerung, die wir in Südafrika erhielten und die diesen Internationalismus und diese Einheit hervorbrachte, entstand nach der bolschewistischen Revolution mit der Gründung der Komintern. Von Anfang an gab es große Diskussionen über die gesamte marxistische Theorie des Bündnisses und der Solidarität zwischen den sozialistischen Ländern und dem antikolonialen Kampf — was wir die drei Stränge des Kampfes nennen, d.h. das sozialistische Lager, die Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder und die nationalen Befreiungsbewegungen. Die Kommunistische Partei Südafrikas war seit den frühen zwanziger Jahren intensiv an diesen Debatten beteiligt, und die Konsequenz dieser Debatten war die Formulierung des antiimperialistischen Kampfes, des antikapitalistischen Kampfes, des Bündnisses zwischen dem Sozialismus und den gegen den Kolonialismus kämpfenden Völkern und die Frage, wie man diese Einheit am besten entwickelt. Daraus ist die feste Einheit dieser Kräfte entstanden.
Der theoretische Faktor ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, was die Menschen aus der so genannten Dritten Welt, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, erhalten haben. Dazu gehören das theoretische Verständnis und die Analyse sowie die materielle und praktische Unterstützung im Kampf gegen den Kolonialismus und der Zusammenbruch des Kolonialsystems. Diese Unterstützung wurde für die aufstrebenden unabhängigen Länder wie Tansania, Ghana, Ägypten usw. oder in Notzeiten wie zur Zeit der Suezkrise 1956 geleistet, als Großbritannien, Frankreich und Israel die Kontrolle über den Suezkanal übernahmen. Diese Aspekte, einschließlich der wirtschaftlichen Entwicklung und der Möglichkeiten dieser Länder, sich gegen den Neokolonialismus zu wehren, sind sehr wichtige Faktoren, und dies untermauert unser Verständnis davon, was proletarischer Internationalismus ist und die Einheit, die zwischen den drei Strängen des Kampfes erforderlich ist. Wir durchliefen die Phase des chinesisch-sowjetischen Streits, der gewisse Verwirrungen, aber auch größere Klarheit schaffte.
“Genossen, Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. Es geht nicht nur darum, dass wir aus Südafrika hierherkommen und Solidarität von der DDR oder der Sowjetunion erhalten. Es geht darum, was wir ihnen bieten können, und sie brauchen diese unerschütterliche Unterstützung, dieses Bündnis — etwa durch die “blockfreie Bewegung”, die fortschrittlich und antiimperialistisch ist, die die sozialistischen Länder unterstützen und nicht einfach als neutral zwischen zwei Lagern sehen.”
Derselbe Genosse, der bei Radio Berlin International arbeitete, Arnold Selby, pflegte mit den Südafrikanern zu sprechen und über seine tatsächlichen Erfahrungen in der DDR zu berichten. Er war ein Ideologe, ein Theoretiker. Er war ein sehr praktischer Typ aus der weißen Arbeiterklasse und den südafrikanischen Gewerkschaften. Er pflegte zu sagen: Genossen, Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. Es geht nicht nur darum, dass wir aus Südafrika hierherkommen und Solidarität von der DDR oder der Sowjetunion erhalten. Es geht darum, was wir ihnen bieten können, und sie brauchen diese unerschütterliche Unterstützung, dieses Bündnis — etwa durch die “blockfreie Bewegung”, die fortschrittlich und antiimperialistisch ist, die die sozialistischen Länder unterstützen und nicht einfach als neutral zwischen zwei Lagern sehen. Aber wir müssen verstehen, wie wir sie in den Weltgremien wie z.B. den Vereinten Nationen unterstützen müssen, um aus der Isolation und den Sanktionen auszubrechen, die der Westen ständig durchzusetzen versucht. Und wie wir in Afrika mit diesen Genossen zusammenarbeiten und sie unterstützen müssen. Sie sind nicht einfach da, um uns zu helfen, sondern sie brauchen die Unterstützung von uns, um aus der Isolation herauszukommen, denn wir haben unsere DDR-Genossen in diesen Ländern und Städten, die sehr isoliert dastehen, und wir müssen dafür sorgen, dass die Befreiungskräfte ihre Veranstaltungen besuchen, die sie für uns durchführen.
Als Tansania 1964 unabhängig wurde gab es nicht viele DDR-Botschaften in der Welt. In den 1970er Jahren wurden es mehr und sie waren selbstbewusster, sie hatten mehr Ressourcen. In Sambia wurden wir von den Genossen der Botschaft sehr unterstützt. Wir konnten sie besuchen und waren dort willkommen. Wir konnten ihre Telefone benutzen, um mit unseren Leuten in London, Frankreich und in Südafrika zu sprechen. Auch Oliver Tambo und Thabo Mbeki kamen dorthin, und die Botschaft nahm uns mit nach Hause, nicht in ihr Hauptquartier, wo wir oft ihre Telefone benutzten, um mit Winnie Mandela zu sprechen. Wir hatten lange Gespräche, in denen wir versuchten, sie bei ihren Aktivitäten zu unterstützen. Dieser Aspekt war sehr berührend. Das klingt nach kleinen Dingen. Glaubt ihr, wir hätten so etwas von den britischen, amerikanischen oder französischen Botschaften in diesen Ländern erwarten können? Die hätten nicht einmal im Traum daran gedacht, uns eine solche Unterstützung zu gewähren. Niemals wären wir dort wirklich willkommen gewesen! Als die Zeit verging und wir im Kampf an die Spitze kamen, lud man uns natürlich in die Botschaften ein. Wir schickten dann nur Leute dorthin, die aus unseren Geheimdienststrukturen stammten und wussten, wie sie sich bedeckt halten und herausfinden konnten, was an solchen Orten vor sich ging.
Da ist die Frage nach dem Unterschied zwischen dem, was wir von allen sozialistischen Ländern erhielten — und ich habe immer darauf hingewiesen, dass die DDR, die wirklich zu den kleinsten Ländern gehörte, mit der Sowjetunion und mit Kuba auf einer Stufe stand. Unglücklicherweise hatte der chinesisch-sowjetische Streit während der sehr langen Zeit unseres Exils bis zur Unabhängigkeit Südafrikas, bis zur Freiheit, diese Beziehung beeinträchtigt. Aber die DDR war in all den Jahrzehnten der 1960er bis Ende der 80er Jahre absolut verlässlich. Die westlichen Länder haben gegen uns gearbeitet. Sie haben die Apartheid unterstützt. Sie haben uns als Terroristen bezeichnet. Sie ermöglichten, dass Apartheid ungestraft blieb. Es ging nicht ganz so weit wie bei den USA und Israel, weil die Apartheid den westlichen Ländern peinlich war und sie deshalb eine heuchlerische Maske aufsetzten, was das betraf. Wir wissen von Harold McMillan, der 1960 vor dem rassistischen südafrikanischen Parlament sprach: “Der Wind des Wandels kommt nach Afrika”. Damit wollte er das Apartheidregime ermutigen und nicht wirklich reformieren. Es bedeutete, dass sich die Dinge änderten und dass man es verurteilen würde, wenn die Dinge aus dem Ruder liefen, wie es in Sharpeville der Fall war. Aber das war nie von der Art, die einen wirklichen Druck bewirkte, selbst im praktischen Sinne einer Isolierung Südafrikas. Ganz im Gegenteil, denn Südafrika suchte im Kalten Krieg ein Bündnis mit all diesen westlichen Ländern gegen das Schreckgespenst des Kommunismus. Hier sprach das Regime dann antikommunistische Themen an, um zu zeigen, dass es ein zuverlässiger Verbündeter des westlichen Kapitals war.
Wie hast du das Ende der DDR und des gesamten sozialistischen Lagers erlebt?
Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers, beginnend in Polen mit Solidarność in den 1980er Jahren, oder sogar zurückgehend auf den Prager Frühling von 1968, hat mich tatsächlich betroffen gemacht. Ich war sehr gefestigt, was unser Verständnis der Sowjetunion usw. anging. Ich war als junger Mensch in London mit Leuten wie Dr. Yusuf Dadoo, Joe Slovo und der obersten Führung aufgewachsen. Ich war ziemlich beunruhigt, weil wir plötzlich große Widersprüche sahen. Es war nicht so sehr eine externe Intervention wie durch eine Farbrevolution, wie wir sie heute erleben. Sie kam eindeutig von der Straße, und die Studenten waren sehr stark daran beteiligt. Ich konnte also einige Elemente von dem sehen, was ich vorhin für die DDR kurz erwähnt habe. Aber es war schon beunruhigend, solche Mengen zu sehen, die ja gerade in der DDR erst Ende der 1980er Jahre rund um Leipzig entstanden sind. Man suchte jedoch immer nach westlicher Einmischung, die es immer gab.
Vielleicht war uns damals in den 1960er Jahren nicht so klar, in welchem Ausmaß die USA und der Westen versucht hatten, das sozialistische Lager zu untergraben. Da ich aus dem Umfeld von Markus Wolf stammte, war ich sehr an den Schriften von Leuten wie Kim Philby und anderen interessiert. Man las sie und tat so, als sei es nicht so wichtig, dass Großbritannien und Amerika vor allem Leute in Albanien und den Balkanländern sowie in der Westukraine abgesetzt hatten. Man dachte einfach, na ja, das sei kein großes Problem. Es war, als würde ich einen Absatz in einem Buch lesen und dessen Tiefe nicht erkennen.
Wenn ich das über die Tschechoslowakei und den Prager Frühling sage, kann ich mich daran erinnern, dass in den großen Debatten, die wir damals in London im südafrikanischen politischen Milieu führten, die älteren Genossen wie Yusuf Dadoo sagten: Nein, ihr müsst das Ausmaß sehen, in dem die Imperialisten die Tschechoslowakei übernehmen wollen. Palme Dutt, der einer der herausragenden Theoretiker der britischen Kommunistischen Partei war, schrieb einen Artikel, der mein Denken veränderte. Er sagte, die Tschechoslowakei sei ein Dolch im Herzen Moskaus, und er brachte dann zur Geltung, was nicht so offensichtlich gewesen war, nämlich das Ausmaß dessen, was mit der DDR geschah, die Intervention der Imperialisten und die Gründung von Gruppierungen und Kollaborateuren, natürlich immer ausgehend von Spionen und Spionage. Man war sich also sehr bewusst, dass das sozialistische Lager nicht nachlassen konnte und eine hohe Wachsamkeit, und damit Sicherheitskontrollen wie durch die Stasi, aufrechterhalten musste. Wir wissen, dass westliche Darstellungen diesen Aspekt übertrieben darstellen auch in Bezug etwa auf Stalins Herrschaft, wo wir die Gleichsetzung von Stalin und Hitler mit Putin und Hitler sehen, was sehr wirkungsvoll ist, wenn man dieser Information nichts entgegenzusetzen hat, wenn man der westlichen Desinformation durch Fernsehen, Medien und Wissenschaft ausgesetzt ist.
Wie kommt es dann aus deiner Sicht zum Zusammenbruch der mit der Sowjetunion verbündeten sozialistischen Staaten? Und wie verstehst du vor diesem Hintergrund die aktuellen Entwicklungen in der Welt?
Da ist zum einen der Faktor, inwieweit es nicht gelungen ist, wirklich eine Demokratie im Volk zu entwickeln, wie Joe Slovo in “Has Socialism Failed?” (1991) sagt. Dabei spricht er nicht über das bürgerliche Konzept von Demokratie. Wir sprechen jetzt über ein marxistisch-leninistisches Konzept, das man nur haben kann, wenn man es auf eine wirklich tiefe Bildung und Theorie, und ein Verständnis im Volk stützen kann. Das fängt in den Schichten der eigenen Autorität und Partei an und geht weiter bis in die Schichten des Volkes. Wir haben gesehen, wie die sozialistischen Länder enorme Anstrengungen in Bezug auf die Entwicklung einer neuen Pädagogik und neuer Formen der Bildung auf Schulebene unternommen haben. Ich kann mich daran erinnern, dass ich 1964 in der Sowjetunion Schulen besuchte und sehr beeindruckt war von der Art und Weise, wie die 15- und 16-Jährigen die Romane und die Geschichte der westlichen Länder lasen, von Shakespeare bis hin zu vielen anderen fortschrittlichen Schriftstellern.
Bei den Gesprächen, die ich manchmal mit den Funktionären hatte, merkte ich, dass sie auf der Autoritätsebene ziemlich verbohrt waren – nicht so sehr in der DDR, aber in den anderen sozialistischen Ländern war es oft so. Allerdings muss man bedenken, dass so viele Kommunisten im Zweiten Weltkrieg umgekommen waren. Jedenfalls wurde mir da etwas klar, was Joe Slovo mir vorher gesagt hatte, weil er in all diesen Ländern gewesen war: „Einige dieser Menschen sind keine Kommunisten, Ronnie, nicht so wie du und ich es sind.“ Das hat mich zunächst irritiert, und ich musste es mit ihm weiter diskutieren. Es ging um die Tatsache, dass nach 1945, wenn man sich ein Land wie Ungarn anschaut, nur sehr wenige der Vorkriegskommunisten überlebt hatten. Ihre Parteien waren ziemlich klein, und es gab eine Menge Opportunisten und Karrieristen, die vielleicht einige positive Aspekte hatten, die kamen, um Jobs zu übernehmen. Sie waren aber nicht die Art von wirklich gebildeten Kommunisten mit einem wirklichen Verständnis, wie wir es in Bezug auf Südafrika sahen, also die Art von Menschen, die sich nicht nur in unserem Land, sondern auch in anderen Ländern der Dritten Welt den nationalen Befreiungsbewegungen angeschlossen haben. Ich spreche hier von Mosambik, Angola und Südafrika, wo Menschen nicht aus denselben Gründen in die Parteien und Bewegungen eintraten und Positionen einnahmen, aus denen sich diese Kommunisten in den von uns besprochenen Ländern beteiligten. Das ist ein sehr großer Unterschied.
“Die Notwendigkeit der Demokratie in solchen Gesellschaften und die Aufrechterhaltung ihres demokratischen Geistes innerhalb der Partei wird also zu einer großen Herausforderung für den Wiederaufbau des sozialistischen Projekts.”
Das ist eine Frage, die sich für das sozialistische Projekt stellt: Wie können wir die Errungenschaften einer Revolution aufbauen und schützen, die von außen so bedroht ist, dass man sogenannte, ich sage sogenannte, „stalinistische Maßnahmen“ ergreifen muss, um mit der äußeren und sogar mit der inneren Subversion fertig zu werden. Man hat nicht oft die Art von Markus Wolf, die so ausgeklügelt ist, und ich kann euch sagen, dass er im Vergleich zu den Leuten, mit denen ich in der Sowjetunion zu tun hatte, ganz und gar einzigartig war. Wir haben gesehen, was mit der Sowjetunion nach 1990–91 durch Gorbatschow und Jelzin und dann durch den Neoliberalismus usw. geschah.
Slovos Pamphlet über die Notwendigkeit der Demokratie in solchen Gesellschaften und die Aufrechterhaltung ihres demokratischen Geistes innerhalb der Partei wird also zu einer großen Herausforderung für den Wiederaufbau des sozialistischen Projekts. Hat es Potenzial? Ja, denn der Imperialismus, das internationale Kapital, ist mit inhärenten inneren und unlösbaren Widersprüchen konfrontiert und versucht, mit diesen auf sehr extreme Weise umzugehen, auch im Hinblick darauf, wie insbesondere die USA, die EU und die NATO mit China und Russland umgehen. Beide versuchen, ihre Wirtschaft und ihre Handelsfähigkeiten auf der Weltbühne zu entwickeln, was die USA – angesichts der Natur des Kapitals, des Unternehmenskapitals, des Finanzkapitals und der inneren Widersprüche – natürlich nicht wollen. Wenn man sich anschaut, wie sie mit ihrem eigenen Volk umgehen – ihren Arbeitern, den ethnischen Gruppen, der schwarzen Bevölkerung usw. – sehen wir, wie niederträchtig diese Herrschaft ist und wie bösartig sie an dem Imperium festhalten und ihre Hegemonie durchsetzen und aufrechterhalten, weil sie so bedroht ist.
Unter dieser Bedrohung beginnen wir, ein Phänomen und neue Entwicklungen zu sehen: Die westlichen Länder waren schockiert, dass die Welt nicht auf sie zustürmte, als sie sich für Sanktionen und eine Verurteilung Russlands stark machten. Obwohl sie behaupten, dass die Mehrheit, nämlich 140 Länder, in der UNO für sie stimmten, vergessen sie zu rechnen und zusammenzuzählen, was Indien und China tatsächlich zählen, was Brasilien und Südafrika und Indonesien und sogar Länder wie Saudi-Arabien und so viele in Afrika zählen, die sich weigern, der westlichen Linie zu folgen. Natürlich ist es sehr schwierig, das Ergebnis vorherzusagen. Es ist ein sehr erbitterter Kampf. Russland muss sich aus offensichtlichen Gründen in existenzieller Weise verteidigen, angesichts der Geschichte, die es durchlebt hat, und der Provokationen der USA sowie der Expansion der NATO.
Man würde es ungern sehen, wenn der Welt die Weisung Washingtons auferlegt würde. Denn wenn wir uns das anschauen, sehen wir, dass ein echter Zyklus stattfindet. Ist es nur ein Zufall, dass zu diesem Zeitpunkt vom Baltikum bis zum Balkan entlang der russischen Grenze alle Länder — mit Ausnahme Polens — Teil einer Achse unter Nazi-Deutschland waren und jetzt unter der NATO sind? Ich sage zwar, abgesehen von Polen, aber wenn wir uns die Geschichte Polens ansehen: Es war zwischen Deutschland und der Sowjetunion eingeklemmt, und dann gab es den speziellen Pakt, der wiederum kein Pakt war, der den Nazismus mit dem Stalinismus gleichsetzt, sondern aufgrund der Geopolitik und der Art und Weise, wie die Sowjetunion wahrnahm, dass Polen der gegen Moskau gerichtete „Dolch“ war. Wir wussten sehr wohl, wie reaktionär der polnische Nationalismus durch die Jahrhunderte hindurch war und wie ultra-reaktionär der Nationalismus heute als Teil Litauens, Estlands, Lettlands, insbesondere dieser baltischen Staaten, Polens und dann der Ukraine ist.
Ich meine nur, was hat es mit dieser Achse und dieser Ausrichtung auf sich und der Tatsache, dass — ich sage nicht, dass es genau richtig ist, aber es ist ziemlich interessant — dass die Achse unter der NATO nicht nur die sogenannten liberalen bürgerlichen Demokratien Europas an Bord hat, sondern auch die ultrarechten, neofaschistischen Länder vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Dafür gibt es die gleiche Grundlage. Wenn wir uns Europa, die USA und das Schlachtfeld, das Europa über Jahrhunderte hinweg war, einschließlich der beiden Weltkriege, ansehen, dann ist es auf den Osten ausgerichtet, insbesondere durch zentrale Staaten wie Deutschland und denen Osteuropas, die auf die riesigen Ländereien und die Ressourcen Russlands blicken, auf die seit der Zeit der Schweden und des litauischen und polnischen Reiches geblickt wird. Natürlich verstehen wir, dass Russland jetzt ein kapitalistisches Land ist, aber was könnte bei dieser Art von Zusammenstoß herauskommen, denn Russland zeigt seine Stärke und es gibt die Allianz mit China und den Entwicklungsländern des globalen Südens, die nicht bedeutungslos sind. Eine sehr wichtige Rolle spielen sie in Bezug auf die BRICS, und jetzt, da wir Lula in Brasilien an der Macht haben, verleiht das dem Ganzen noch mehr progressiven Charakter. Es gibt also eine gewaltige Konfrontation, und was wir im Hinblick auf die Position Südafrikas und so vieler afrikanischer Länder sowie der Länder Lateinamerikas und Asiens bedenken müssen, ist, dass die Blockfreiheit für uns ein Schlüsselfaktor ist, damit wir nicht in die Achse von Washington und Brüssel hineingezogen werden. Entscheidend ist jetzt eine diplomatische Verhandlungslösung, die der Westen und die NATO nicht wollen. Sie haben Selenskyj daran gehindert, sie bringen die ganze Welt im Zeitalter einer möglichen nuklearen Konfrontation in Gefahr. Es ist also eine sehr gefährliche Zeit und sie erfordert die internationale Solidarität der fortschrittlichen Kräfte in der Welt.