Interview über die Arbeit des Solidaritätskomitees der DDR mit Achim Reichardt, einem seiner ehemaligen Leiter
Achim Reichardt, geboren 1929, war als Diplomat für die DDR im Sudan, Libanon und Libyen tätig. Von 1982 bis 1990 war er Generalsekretär des Solidaritätskomitees der DDR. Damit stand er der Organisation vor, die seit den 1960er Jahren die von den Massenorganisationen der DDR gesammelten Geld- und Sachspenden für die Befreiungsbewegungen und die neuen unabhängigen Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika verwaltete. Das Solidaritätskomitee wurde zum zentralen Koordinator für diese Solidaritätsleistungen. Nach 1990 bemühte sich Reichardt darum, dass die verbliebenen finanziellen Mittel des Solidaritätskomitees – Spenden von DDR-Bürgerinnen und Bürgern – weiterhin für eine sinnvolle Unterstützung im Globalen Süden eingesetzt werden.
Wie ist der Internationalismus in dein Leben gekommen bzw. wie bist du zu ihm gekommen?
Wenn man ins politische Leben tritt, weiß man manchmal noch nicht genau, wo der Weg hinführt, welche Richtung man einschlagen soll. Wird man aber erstmal aktiv, so wie ich dies direkt nach dem Krieg als Jugendlicher zuerst in der Kommunalpolitik tat, wo mein Vater Bürgermeister war, dann merkt man, was gegenseitige Unterstützung bedeutet. Denke ich an meine ersten internationalen Kontakte, so waren das die mit den damaligen sowjetischen Offizieren, die in den Dörfern die Bürgermeister und Kommunen unterstützt haben. Auf mich hat es einen besonderen Eindruck gemacht, dass die Sowjets uns, den jungen Leuten in der DDR, halfen, obwohl sie vielleicht zu Hause ganz anderes durch die Deutschen erlebt hatten. Dieser Eindruck hat sich im Laufe der Jahre fortgesetzt und verstärkt: Man spürte, man wird unterstützt und versuchte, etwas zurück zu geben. Ich persönlich habe bei jedem meiner Einsätze versucht, Kontakte mit den Sowjets aufzunehmen. Die bleibendsten Erinnerungen haben sich bei mir aus der Zeit in Libyen eingebrannt, wo ich faktisch keine Basis hatte und alles erst aufbauen musste. Das wäre ohne die Hilfe der sowjetischen, tschechischen und polnischen Freunde, die dort sehr aktiv waren, gar nicht möglich gewesen. Auch später noch hat man irgendwie immer gespürt, dass Menschen, die links waren, danach strebten sich gegenseitig zu unterstützten und das war für mich das Entscheidende.
Wie entstand und entwickelte sich das Solidaritätskomitee?
Das Solidaritätskomitee gab es nicht von Anfang an in der DDR. Nach 1945 waren es zuerst die neuen Massenorganisationen, die Gewerkschaften, auch die Frauenorganisationen, die Solidaritätsleistungen an andere Organisationen, mit denen sie Kontakt hatten, schickten. Diese eigenständige Entwicklung setzte sich fort und erst zum Ende der 1950er und Beginn der 60er Jahre, als die Befreiungsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent stärker und einige Staaten unabhängig wurden, bildete sich das Afrikakomitee1Solidaritätskomitee für Afrika – gegründet am 22. Juli 1960. heraus.
Die Solidaritätsbewegung hat sich de facto mit den internationalen Auseinandersetzungen entwickelt: Nach Afrika kam Vietnam, später Chile und immer wurde nach Solidarität gefragt und man stellte plötzlich fest, dass die einzelnen Gruppen und Organisationen allein die Sache nicht in den Griff bekamen. Deshalb wurde nach anderen Wegen gesucht und allmählich das Komitee gebildet in dem es den Vietnam-Ausschuss und den Solidaritätsausschuss für Chile gab. Lange bevor ich zum Solidaritätskomitee kam wurde es als ein nichtstaatliches Gremium gegründet.
Es zeichnete sich früh ab, dass es meist internationale Aktivitäten waren, die das Komitee verfolgte, denn im Innern der DDR hatte sich die Volkssolidarität2Volkssolidarität – Hilfs- und Massenorganisation zur Betreuung älterer Menschen in der DDR. herausgebildet. Hilfe innerhalb der DDR stand für das Solidaritätskomitee also nicht auf dem Programm. Es ging im Wesentlichen darum, wie man die Bevölkerung informieren kann. Da hat es sehr viele Aktivitäten gegeben, der Parteien, Massenorganisationen, Gewerkschaften, Frauen, FDJ, Junge Pioniere. Vor allem Schulen, also Lehrer und Lehrerinnen, haben sich mit der Solidaritätsarbeit auseinandergesetzt und die Kinder informiert. Als ich im Solidaritätskomitee meine Tätigkeit aufnahm habe ich versucht, persönlich Kontakt mit jeder Organisation, besonders mit den Gewerkschaften aufzunehmen. Großbetriebe wandten sich an das Solidaritätskomitee und fragten, wann jemand von uns vorbeikommt und in den Gewerkschaftsgruppen über die Solidarität redet. Journalisten haben in den Betriebs- und Regionalzeitungen regelmäßig über die Solidaritätsarbeit berichtet.
Warum war das Komitee nicht staatlich? Was bedeutete dieser Status?
Das hängt damit zusammen, dass die ganze Bewegung durch Spenden entstanden ist. Ich erinnere mich z.B., dass die Gewerkschaften eine Spende organisiert für eine Partnerorganisation in einem ostafrikanischen Land hatten. Oder als ich als Diplomat im Sudan tätig war, erfuhr ich, dass unsere Bauernorganisation dort Kontakte hatte usw. Solche Kontakte haben dazu geführt, dass das alles nichtstaatlich war. Gleichzeitig spielte der Staat eine wichtige Rolle bei der Erleichterung unserer Arbeit. So durfte das Komitee zum Beispiel die Transportkosten in DDR-Mark bezahlen und nicht, wie sonst üblich, in ausländischer Währung. Das Finanzministerium hat das dann mit der Interflug3Interflug – staatliche Fluggesellschaft der DDR. für uns geregelt, weil wir keine eigenen Devisen hatten. Genauso war es bei Solidaritätsleistungen, die verschifft wurden.
Durch Gespräche mit meinen Vorgängern erfuhr ich, dass es mehrfach von staatlicher Seite Unterstützung gegeben hat, Personalkosten zu bezahlen. Aber zu meiner Zeit war der Spendenfluss so hoch, dass wir uns fragten, warum wir noch zusätzliche staatliche Unterstützung neben der Verrechnung der Transporte in Mark der DDR in Anspruch nehmen sollten. Wir haben nachweisen können, dass unsere Verwaltungskosten – im Vergleich zum Gesamtvolumen der Solidarität – nie 2% überschritten haben, meist nur 1%. Das hat auch einen weiten Spielraum für das Solidaritätskomitee gelassen.
Für die Aktivitäten innerhalb der DDR waren Mittel aus dem Solidaritätsfond so gut wie nicht notwendig. Und wenn es ums Ausland ging, gab es eine enge Abstimmung zwischen dem Solidaritätskomitee und den Botschaften sowie konkret auch mit den DDR-Handelsvertretungen. Die Botschaften wie z.B. in Mosambik oder in Äthiopien haben durch ihre Kontakte erfahren, was gebraucht wird. Das war die eine Richtung. Und die zweite Richtung war, dass das Solidaritätskomitee enge Beziehungen zu den jeweiligen Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern unterhielt, die ihre Bitten an die Botschaft herantrugen und die wir dann recht schnell weitergeleitet bekamen.
Wie hat das Solidaritätskomitee die DDR-Bevölkerung über seine Arbeit informiert und was bedeutete Internationalismus für sie?
Ich betone es noch einmal, die Entscheidungen, wie das Solidaritätskomitee wirksam werden sollte erfolgten in Abstimmung mit den jeweiligen Massenorganisationen. Die Vertreter der Gewerkschaft, der Frauenorganisation usw. stimmten mehrfach die Pläne für die Arbeit des Solidaritätskomitees ab in Form von nationalen politischen Aktivitäten, und auch über die Schwerpunkte der materiellen Solidarität. Es gab mit Unterstützung der breiten Massenorganisationen und Parteien sehr viele Veranstaltungen – unabhängig vom Solidaritätskomitee – zu den Vorgängen in Vietnam, zum Koreakrieg, später zu Afrika. An Vieles kann ich mich nicht mehr erinnern, aber man müsste nur nochmal in die Zeitungen von damals schauen, was da alles so gewesen ist. Es gab auch zentrale Solidaritätsveranstaltungen bei denen das Komitee und ich als Generalsekretär mitgewirkt haben. Da ging es auch um Vietnam und Korea, dann um die PLO, Namibia, Südafrika, Mosambik… um all die Länder, wo der Kampf für Unabhängigkeit und gegen Unterdrückung stattfand.
Als ich meine Tätigkeit beim Solidaritätskomitee aufnahm stand ich vor der Frage wie bisher gearbeitet wurde und was man eventuell verbessern kann. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, dass es sogenannte Dauerspender an das Komitee gab, dass aber auch viele Spenden von Gruppen, aus den Schulen, von Wohngemeinschaften der Nationalen Front4Nationale Front – Bündnis aller Parteien und Massenorganisationen in der DDR., und auch von Parteien eingingen. Das beinhaltet noch nicht die Solidarität der Gewerkschaften, sondern nur das, was direkt ans Solidaritätskomitee ging. Wir haben damals im Kreis der Verantwortlichen darüber gesprochen, wie wir besser wirksam werden können und haben mit Hilfe der Gewerkschaften angefangen, auch in die Betriebe zu gehen. Das kam gut an, denn in vielen Betrieben gab es junge Menschen aus anderen Ländern und es für uns nicht immer nur ums Reden und Informationen ausgeben ging. Wir haben dieses Interesse und die Austauschmöglichkeit genutzt, um mit den Gewerkschaftsgruppen oder mit anderen Gruppen in Kontakt zu kommen und über die Solidarität zu informieren. Weil es auch viele aktive Schülergruppen gab sind wir dann noch an die Schulen weitergegangen.
Alle meine Kollegen waren aktiv in irgendwelchen Gruppen außerhalb des Solidaritätskomitees. Dort hat man gespürt, dass die DDR-Bevölkerung mitwirkt, dass ihre Einstellung ist, eine schwere Zeit geht für uns langsam vorbei, aber in anderen Ländern ist es noch viel schwerer. Solche Erlebnisse gab es viele. Das hat mich als Generalsekretär des Solidaritätskomitees auch dazu bewogen, nicht nur andere Kollegen auszuschicken, sondern selbst solche Kontakte zu pflegen. An den jährlichen Berichterstattungen des Komitees während seiner Präsidiumstagung nahmen dann auch stets mehrere hundert Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung teil. Die Träger des Solidaritätskomitees, also die Gewerkschaften, die Frauen- und Bauernorganisationen, haben viel dazu beigetragen, dass in ihren Kreisen die Arbeit und die Tätigkeit des Solidaritätskomitees wiedergespiegelt wurde.
Welche Solidaritätsprojekte und Erlebnisse sind dir besonders in Erinnerung geblieben?
Das ist schwer. Eines der größten Solidaritätsprojekte war ja die Solidarität mit Vietnam. Da ging es im Wesentlichen darum, dass die Vietnamesen nach der Unabhängigkeit, nach Beendigung der Kriege, ihr Land wieder aufbauen können. Sie sollten ihre Wünsche äußern, die nicht immer voll erfüllt werden konnten, aber im Wesentlichen war die Richtung klar. Es ging vor allen Dingen auch darum, junge Menschen in der DDR auszubilden. Ich kann mich noch sehr gut an die Dresdner Moritzburg5Moritzburg – ein Ort in der Nähe von Dresden, in dem in den 1950er Jahren eine Schule für 350 vietnamesische Kinder eingerichtet wurde, um dem Kriegsgeschehen in Vietnam zu entkommen. erinnern, weil ich später welche von dort traf: Die jungen Koreaner und Vietnamesen, die dort ihre Ausbildung erhielten, haben dann später in Vietnam und auch in Korea im politischen und im gesellschaftlichen Leben eine Rolle gespielt. Was Korea anbelangt, hat das Solidaritätskomitee gemeinsam mit der Staatlichen Plankommission der DDR die Wirtschaftshilfen für das Land koordiniert und das aus dem Solidaritätsfond finanziert. Zu Beginn der 80er Jahre hat mein Vorgänger eine Vereinbarung mit Vietnam mit unterzeichnet. Das waren kombinierte Aktionen zwischen Staat und Solidaritätskomitee.
Für das Solidaritätskomitee war es eine gewisse Ehre, dass Vertreter aus diesen Organisationen und Ländern, wenn sie in der DDR weilten, uns einen Besuch abgestattet haben. Das war so mit Sam Nujoma, das war so mit den Südafrikanern, etwa dem ANC-Generalsekretär Alfred Nzo u.a. Auch Arafat, den ich schon kennengelernt hatte, kam immer für ein Treffen zum Solidaritätskomitee, wenn er in Berlin war. Als ich 1990 zur Unabhängigkeitserklärung nach Namibia eingeladen wurde, hatte ich die große Gelegenheit mit Mandela zu sprechen. Ich sagte ihm, wo ich herkomme. Und allein aufgrund dieser Tatsache, dass ich aus der DDR komme, sagte er: „Die Jugend der DDR werde ich nie vergessen. Die haben mir so viele Briefe, Karten usw. geschrieben.“ Ich muss sagen, das war eindrucksvoll wie ein Mensch, der 24 Jahre hinter Gittern saß diese Bewegung der Jugend der DDR aufgenommen hatte.
Eine große Aktion an die ich mich noch gern erinnere, ist das Krankenhaus in Nikaragua gewesen. Das hat sehr viel Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen gekostet, die das mitgestaltet haben. Die Hauptarbeit hat damals die Volksarmee geleistet, weil die dort ein Feldlazarett aufgebaut haben. Das Solidaritätskomitee musste sich dann aktiv in die Versorgung von Materialien für das Krankenhaus und für das Personal einbinden. Ich bin überzeugt, dass das eine ganz wichtige Aktion war. Nach der Wende hatte ich Gespräche mit der bundesdeutschen Seite, die mir gesagt haben, ein solches Projekt sei für sie zu hoch. Soweit ich weiß wurde es dann in Teilen privatisiert. Damals gab es auch in der DDR ausgebildete Ärzte, die für kurze Zeit im Krankenhaus gearbeitet haben und schließlich von westlicher Seite abgeworben wurden. Es gab immer diesen harten Kampf.
Welche Schnittstelle bildete das Komitee beim Aufbau des Krankenhauses?
Es gab in dieser Hinsicht eine ganz enge Zusammenarbeit mit der FDJ und ihren Freundschaftsbrigaden, auch mit dem Gesundheitsministerium und den entsprechenden Stellen, die notwendig waren, um das Krankenhaus zu entwickeln. Denn es blieb ja kein Projekt der Armee, die sich nach dem Aufbau zurückzog. Es wurde stattdessen ein großes Solidaritätsobjekt, das auch heute noch in irgendeiner Form Wirkung hat. Und ähnliche, kleine Projekte gab es auch in anderen Ländern z.B. in Äthiopien. Dort wurde weit weg von der Hauptstadt eine Krankenstation aufgebaut. Als ich damals in Äthiopien war hat man mich eingeladen die Station zu besuchen. Sie war schwer erreichbar und konnte nur mit dem Flugzeug versorgt werden – wir flogen über endlose grüne Wälder und Berge. Es war wichtig, nicht nur in den Zentren Strukturen aufzubauen.
Wie wurden generell Projekte an das Komitee herangetragen bzw. wie wurden sie initiiert?
Das Komitee selbst hatte Kontakte mit Nichtregierungsorganisationen und fortschrittlichen Kräften in den jeweiligen Ländern. Ich hatte aber bereits auf die enge Zusammenarbeit zwischen den Botschaften und dem Komitee hingewiesen: Das Außenministerium der DDR hatte dem Solidaritätskomitee erlaubt, direkt mit den Botschaften zu korrespondieren, das war ein großer Vorteil. Botschaft meint dabei nicht allein die diplomatische Vertretung, sondern auch die Handelsvertretung, die ebenfalls Kontakte hatte. Dort sammelte sich das, was an Anträgen reinkam. Es gab auch internationale Konferenzen, wo meist die offiziellen Vertreter jener Organisationen anwesend waren und sich ebenfalls wichtige Korrespondenzen ergaben. Das ist im Einzelnen schwer nachzuvollziehen, aber ich kann nur immer wieder daran erinnern wie oft Sam Nujoma, wenn er in der DDR war, auch im Solidaritätskomitee vorsprach. Das hatte auch politische Wirkung.
Die DDR hatte eine UNO-Vertretung und war auch in den wichtigen internationalen Organisationen vertreten. Von dort kamen ebenfalls wichtige Informationen und Bitten an das Solidaritätskomitee, die jeweiligen Länder zu unterstützen. Das betraf z.B. die WHO oder die Bildungsarbeit. Anhand dieser Bitten haben wir uns orientiert, sind auf sie eingegangen und haben geprüft: ist es möglich oder nicht?
Wir hatten auch eine sehr enge Zusammenarbeit mit den solidarity comittees aus Finnland, Dänemark und Norwegen. In Kooperation mit diesen Organisationen haben wir aktiv zusammengearbeitet, um z.B. Kindergärten aufzubauen und Kindergärtnerinnen oder Lehrerinnen zu schicken. Das geschah innerhalb der DDR natürlich in Abstimmung mit den Fachministerien, ohne die kann man das nicht machen. Das hat sich im Großen und Ganzen positiv erwiesen… Die Finnländer haben auch viele Lieferungen gestemmt, wo wir als Solidaritätskomitee aus finanziellen, devisen-mäßigen Gründen nicht rankamen. Sie haben Materialien in Helsinki auf DDR-Schiffe geladen, die wurden in Rostock oder Warnemünde umgeladen und gingen dann nach Afrika runter. Auch diese Art der Zusammenarbeit hat sich gut ausgewirkt.
Wie haben die Empfangenden Solidarität aufgenommen, wie kam sie konkret an?
Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass bei Solidaritätsleistungen die Empfänger aktiv mitgewirkt haben und es nicht dazu kommt, dass dann bestimmte materielle Lieferungen verschleudert werden oder mit Geld umgesetzt werden. Ich kann mich noch an Berichte erinnern damals aus Mosambik und auch aus Nikaragua, dass die Leistungen wirklich an die Empfänger und an die breite Masse gekommen sind. In meinem Buch habe ich über das Beispiel unseres Jupp Jeschke geschrieben, der sehr gute Beziehungen nach Nikaragua hatte. Man lud ihn dort ein, mit Journalisten in ein entlegenes Gebiet zu fahren, wo zu dieser Zeit noch Auseinandersetzungen mit gegnerischen Kräften stattfanden. Er wurde den Leuten im Dorf vorgestellt als plötzlich eine Frau schrie „Warte, warte!“ und wegrannte. Sie kam mit ihren Kindern wieder und sagte: „Guckt euch den Mann an, der hat euch die Schulbücher geschickt!“ Und das war für uns ein Zeichen – und es ist nicht das einzige gewesen – dass die Schulbücher auch wirklich weit in das Terrain des Landes verteilt wurden und nicht irgendwo bloß in der Hauptstadt liegen geblieben sind.
Es gab auch Wünsche von vielen Partnern, wo wir von vornherein sagen mussten: Das können wir als Solidaritätskomitee nicht machen. Es gab z.B. den Wunsch, direkt ein Krankenhaus zu bauen. Doch ein Krankenhaus zu bauen bedeutet ja nicht nur Steine aufeinanderzusetzen, sondern auch den Inhalt zur Verfügung zu stellen, also Ärzte, Krankenschwestern usw. In dieser Hinsicht hat die DDR eine gute Rolle gespielt bei der Ausbildung von jungen Menschen in der medizinischen Fachschule in Quedlinburg.
Wie habt ihr entschieden, ob ein Anliegen gefördert wird?
Wenn wir eine Solidaritätssache realisieren wollten, haben wir immer im Blick gehabt, wo es Wünsche gab und gefragt: dient diese Solidaritätsmaßnahme der Gesamtentwicklung in diesem Lande? Das hatte ich am Beispiel des Krankenhauses in Nikaragua aufgezeigt und gilt z.B. auch für Vietnam: Wir haben dort das Krankenhaus in Hanoi intensiv gefördert und haben dazu beigetragen, dass ein Institut aufgebaut wurde, welches die vielen Menschen in Vietnam versorgte, die durch den Krieg und durch die Minen, Beine oder andere Gliedmaßen verloren haben. Als ich damals 1985/86 in Vietnam war, habe ich diese Institution besucht und sie waren sehr dankbar, dass viele Vietnamesen wieder laufen konnten. Solche Maßnahmen haben wir auch in anderen Ländern durchgeführt.
Für uns kamen die Befreiungsbewegungen und Länder in den Hauptblickpunkt, die eine progressive Entwicklung begonnen haben und voranschreiten wollten. Es gab aber auch Maßnahmen des Solidaritätskomitees, die darauf gerichtet waren humanitäre Hilfe zu leisten bei schweren klimatischen Veränderungen und Katastrophen, aber das große Problem war für uns: Wir wussten in diesen Fällen teilweise nicht, ob das überhaupt beim Empfänger ankommt, weil es sonst keinerlei Beziehungen gab. Ich habe in meinem Buch daher besonders das Beispiel Nikaragua erwähnt, wo es darum ging, nicht nur Leute hinzuschicken, sondern direkt eine Ausbildungsschule zu entwickeln, damit vor Ort Klempner, Installateure usw. ausgebildet werden. Und in diese Richtung ging immer unser Blick.
Wie hat sich die Solidaritätsarbeit nach dem Ende der DDR geändert?
Es war schwer möglich, die Arbeit bei SODI6SODI, Solidaritätsdienst International e.V. – Nachfolgeorganisation des Solidaritätskomitees. so fortzusetzen wie man das beim Solidaritätskomitee getan hatte… Ich erlebe das Problem auch hier in meinem Heimatort: Da gab es zwei Vereine für Gambia, die mit der Regierung gar nichts zu tun haben. Das ist ein privater Kontakt, der entwickelt wurde und was sie machen ist positiv. Aber es ist eben eine kleine Geschichte. Wenn ich SODI heute betrachte – auch wenn sie weiterhin in den Ländern aktiv sind, die wir hauptsächlich unterstützt haben, Vietnam usw. – aber da taucht plötzlich eine kleine Geschichte auf im Kongo. Da taucht ein kleines Projekt auf in Indien. Entstanden durch private Kontakte. Und das ist das, was wir eigentlich nicht gemacht haben. Wenn da ein Verein und ein Dorf ist, und einer da ist, der das Dorf weiterentwickeln will, das ist positiv. Aber wenn ich da 1.000 €, 2.000 € oder 5000 € investiere, passiert nicht viel. Deshalb ist die Vereinsarbeit heute nur ein Tropfen, der dort und dort verteilt wird. Wir haben auch immer gesagt, dass das, was wir machen können, nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, aber es sollte dazu dienen, dass etwas weiterentwickelt wird. Nicht nur der kleine Bauer oder das kleine Dorf oder der Kindergarten – alles richtig! – aber man sollte das insgesamt ins Auge nehmen. Ich schüttele manchmal mit dem Kopf, was ich da und dort so an Kleinprojekten sehe und wenn ich das so betrachte, hängt danach immer gleich das Kommerzielle dran. Was ich in den Jahren nach 1990 in der BRD realisiert habe: es hat keinen Zweck bei bestimmten Aktionen allein zu gehen. Wenn man die Fernsehaufrufe bei großen Hilfsprojekten sieht, wo drei, vier große Organisationen das gesammelte Geld in einen Topf schmeißen, dann geht es trotzdem immer nur um einzelne kleine Projekte.
Als Solidaritätskomitee haben wir natürlich auch die jeweiligen Länder besucht, entweder im Zusammenhang mit den Projekten oder manchmal zur Zwischenlandung, um Kontakt mit den Partnerorganisationen aufzunehmen. Das interessante dabei ist: Wir als Solidaritätskomitee, das betraf nicht nur meine Personalie, wurden dort behandelt wie ein Staatsgast. Vertreter des Solidaritätskomitees wurden von Ministern empfangen. Mir persönlich ist das passiert als ich damals im Südjemen war, da war ich total platt. Ich wurde eingeladen zum Präsidenten und der hat sich bedankt für die gesamte Solidarität, die die DDR auf allen Ebenen geleistet hat, wo bestimmte Maßnahmen auch staatlich waren. Die Anerkennung der Leistung als der des Solidaritätskomitees, also der DDR-Bürger, die war bewundernswert.
Die IF DDR führte beide Interviews am 23.02.2021 und 06.04.2021. Sie wurden zur besseren Lesbarkeit redaktionell leicht bearbeitet.