„Wir haben uns immer gefragt: Dient diese Solidaritätsmaßnahme der Gesamtentwicklung in diesem Lande?“

Interview über die Arbeit des Solidaritätskomitees der DDR mit Achim Reichardt, einem seiner ehemaligen Leiter

Achim Reichardt, gebo­ren 1929, war als Diplo­mat für die DDR im Sudan, Liba­non und Libyen tätig. Von 1982 bis 1990 war er Gene­ral­se­kre­tär des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees der DDR. Damit stand er der Orga­ni­sa­tion vor, die seit den 1960er Jahren die von den Massen­or­ga­ni­sa­tio­nen der DDR gesam­mel­ten Geld- und Sach­spen­den für die Befrei­ungs­be­we­gun­gen und die neuen unab­hän­gi­gen Staa­ten in Asien, Afrika und Latein­ame­rika verwal­tete. Das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee wurde zum zentra­len Koor­di­na­tor für diese Soli­da­ri­täts­leis­tun­gen. Nach 1990 bemühte sich Reichardt darum, dass die verblie­be­nen finan­zi­el­len Mittel des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees – Spen­den von DDR-Bürge­rin­nen und Bürgern – weiter­hin für eine sinn­volle Unter­stüt­zung im Globa­len Süden einge­setzt werden.

Wie ist der Internationalismus in dein Leben gekommen bzw. wie bist du zu ihm gekommen?

Wenn man ins poli­ti­sche Leben tritt, weiß man manch­mal noch nicht genau, wo der Weg hinführt, welche Rich­tung man einschla­gen soll. Wird man aber erst­mal aktiv, so wie ich dies direkt nach dem Krieg als Jugend­li­cher zuerst in der Kommu­nal­po­li­tik tat, wo mein Vater Bürger­meis­ter war, dann merkt man, was gegen­sei­tige Unter­stüt­zung bedeu­tet. Denke ich an meine ersten inter­na­tio­na­len Kontakte, so waren das die mit den dama­li­gen sowje­ti­schen Offi­zie­ren, die in den Dörfern die Bürger­meis­ter und Kommu­nen unter­stützt haben. Auf mich hat es einen beson­de­ren Eindruck gemacht, dass die Sowjets uns, den jungen Leuten in der DDR, halfen, obwohl sie viel­leicht zu Hause ganz ande­res durch die Deut­schen erlebt hatten. Dieser Eindruck hat sich im Laufe der Jahre fort­ge­setzt und verstärkt: Man spürte, man wird unter­stützt und versuchte, etwas zurück zu geben. Ich persön­lich habe bei jedem meiner Einsätze versucht, Kontakte mit den Sowjets aufzu­neh­men. Die blei­bends­ten Erin­ne­run­gen haben sich bei mir aus der Zeit in Libyen einge­brannt, wo ich faktisch keine Basis hatte und alles erst aufbauen musste. Das wäre ohne die Hilfe der sowje­ti­schen, tsche­chi­schen und polni­schen Freunde, die dort sehr aktiv waren, gar nicht möglich gewe­sen. Auch später noch hat man irgend­wie immer gespürt, dass Menschen, die links waren, danach streb­ten sich gegen­sei­tig zu unter­stütz­ten und das war für mich das Entscheidende.

Wie entstand und entwickelte sich das Solidaritätskomitee?

Das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee gab es nicht von Anfang an in der DDR. Nach 1945 waren es zuerst die neuen Massen­or­ga­ni­sa­tio­nen, die Gewerk­schaf­ten, auch die Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen, die Soli­da­ri­täts­leis­tun­gen an andere Orga­ni­sa­tio­nen, mit denen sie Kontakt hatten, schick­ten. Diese eigen­stän­dige Entwick­lung setzte sich fort und erst zum Ende der 1950er und Beginn der 60er Jahre, als die Befrei­ungs­be­we­gun­gen auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent stär­ker und einige Staa­ten unab­hän­gig wurden, bildete sich das Afri­ka­ko­mi­tee1 heraus.

 

Die Soli­da­ri­täts­be­we­gung hat sich de facto mit den inter­na­tio­na­len Ausein­an­der­set­zun­gen entwi­ckelt: Nach Afrika kam Viet­nam, später Chile und immer wurde nach Soli­da­ri­tät gefragt und man stellte plötz­lich fest, dass die einzel­nen Grup­pen und Orga­ni­sa­tio­nen allein die Sache nicht in den Griff beka­men. Deshalb wurde nach ande­ren Wegen gesucht und allmäh­lich das Komi­tee gebil­det in dem es den Viet­nam-Ausschuss und den Soli­da­ri­täts­aus­schuss für Chile gab. Lange bevor ich zum Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee kam wurde es als ein nicht­staat­li­ches Gremium gegründet.

 

Es zeich­nete sich früh ab, dass es meist inter­na­tio­nale Akti­vi­tä­ten waren, die das Komi­tee verfolgte, denn im Innern der DDR hatte sich die Volks­so­li­da­ri­tät2 heraus­ge­bil­det. Hilfe inner­halb der DDR stand für das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee also nicht auf dem Programm. Es ging im Wesent­li­chen darum, wie man die Bevöl­ke­rung infor­mie­ren kann. Da hat es sehr viele Akti­vi­tä­ten gege­ben, der Parteien, Massen­or­ga­ni­sa­tio­nen, Gewerk­schaf­ten, Frauen, FDJ, Junge Pioniere. Vor allem Schu­len, also Lehrer und Lehre­rin­nen, haben sich mit der Soli­da­ri­täts­ar­beit ausein­an­der­ge­setzt und die Kinder infor­miert. Als ich im Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee meine Tätig­keit aufnahm habe ich versucht, persön­lich Kontakt mit jeder Orga­ni­sa­tion, beson­ders mit den Gewerk­schaf­ten aufzu­neh­men. Groß­be­triebe wand­ten sich an das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee und frag­ten, wann jemand von uns vorbei­kommt und in den Gewerk­schafts­grup­pen über die Soli­da­ri­tät redet. Jour­na­lis­ten haben in den Betriebs- und Regio­nal­zei­tun­gen regel­mä­ßig über die Soli­da­ri­täts­ar­beit berichtet.

Warum war das Komitee nicht staatlich? Was bedeutete dieser Status?

Das hängt damit zusam­men, dass die ganze Bewe­gung durch Spen­den entstan­den ist. Ich erin­nere mich z.B., dass die Gewerk­schaf­ten eine Spende orga­ni­siert für eine Part­ner­or­ga­ni­sa­tion in einem ostafri­ka­ni­schen Land hatten. Oder als ich als Diplo­mat im Sudan tätig war, erfuhr ich, dass unsere Bauern­or­ga­ni­sa­tion dort Kontakte hatte usw. Solche Kontakte haben dazu geführt, dass das alles nicht­staat­lich war. Gleich­zei­tig spielte der Staat eine wich­tige Rolle bei der Erleich­te­rung unse­rer Arbeit. So durfte das Komi­tee zum Beispiel die Trans­port­kos­ten in DDR-Mark bezah­len und nicht, wie sonst üblich, in auslän­di­scher Währung. Das Finanz­mi­nis­te­rium hat das dann mit der Inter­flug3 für uns gere­gelt, weil wir keine eige­nen Devi­sen hatten. Genauso war es bei Soli­da­ri­täts­leis­tun­gen, die verschifft wurden.

 

Durch Gesprä­che mit meinen Vorgän­gern erfuhr ich, dass es mehr­fach von staat­li­cher Seite Unter­stüt­zung gege­ben hat, Perso­nal­kos­ten zu bezah­len. Aber zu meiner Zeit war der Spen­den­fluss so hoch, dass wir uns frag­ten, warum wir noch zusätz­li­che staat­li­che Unter­stüt­zung neben der Verrech­nung der Trans­porte in Mark der DDR in Anspruch nehmen soll­ten. Wir haben nach­wei­sen können, dass unsere Verwal­tungs­kos­ten – im Vergleich zum Gesamt­vo­lu­men der Soli­da­ri­tät – nie 2% über­schrit­ten haben, meist nur 1%. Das hat auch einen weiten Spiel­raum für das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee gelassen.

 

Für die Akti­vi­tä­ten inner­halb der DDR waren Mittel aus dem Soli­da­ri­täts­fond so gut wie nicht notwen­dig. Und wenn es ums Ausland ging, gab es eine enge Abstim­mung zwischen dem Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee und den Botschaf­ten sowie konkret auch mit den DDR-Handels­ver­tre­tun­gen. Die Botschaf­ten wie z.B. in Mosam­bik oder in Äthio­pien haben durch ihre Kontakte erfah­ren, was gebraucht wird. Das war die eine Rich­tung. Und die zweite Rich­tung war, dass das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee enge Bezie­hun­gen zu den jewei­li­gen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen in diesen Ländern unter­hielt, die ihre Bitten an die Botschaft heran­tru­gen und die wir dann recht schnell weiter­ge­lei­tet bekamen.

Wie hat das Solidaritätskomitee die DDR-Bevölkerung über seine Arbeit informiert und was bedeutete Internationalismus für sie?

Ich betone es noch einmal, die Entschei­dun­gen, wie das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee wirk­sam werden sollte erfolg­ten in Abstim­mung mit den jewei­li­gen Massen­or­ga­ni­sa­tio­nen. Die Vertre­ter der Gewerk­schaft, der Frau­en­or­ga­ni­sa­tion usw. stimm­ten mehr­fach die Pläne für die Arbeit des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees ab in Form von natio­na­len poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten, und auch über die Schwer­punkte der mate­ri­el­len Soli­da­ri­tät. Es gab mit Unter­stüt­zung der brei­ten Massen­or­ga­ni­sa­tio­nen und Parteien sehr viele Veran­stal­tun­gen – unab­hän­gig vom Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee – zu den Vorgän­gen in Viet­nam, zum Korea­krieg, später zu Afrika. An Vieles kann ich mich nicht mehr erin­nern, aber man müsste nur noch­mal in die Zeitun­gen von damals schauen, was da alles so gewe­sen ist. Es gab auch zentrale Soli­da­ri­täts­ver­an­stal­tun­gen bei denen das Komi­tee und ich als Gene­ral­se­kre­tär mitge­wirkt haben. Da ging es auch um Viet­nam und Korea, dann um die PLO, Nami­bia, Südafrika, Mosam­bik… um all die Länder, wo der Kampf für Unab­hän­gig­keit und gegen Unter­drü­ckung stattfand.

 

Als ich meine Tätig­keit beim Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee aufnahm stand ich vor der Frage wie bisher gear­bei­tet wurde und was man even­tu­ell verbes­sern kann. Bei dieser Gele­gen­heit stellte ich fest, dass es soge­nannte Dauer­spen­der an das Komi­tee gab, dass aber auch viele Spen­den von Grup­pen, aus den Schu­len, von Wohn­ge­mein­schaf­ten der Natio­na­len Front4, und auch von Parteien eingin­gen. Das beinhal­tet noch nicht die Soli­da­ri­tät der Gewerk­schaf­ten, sondern nur das, was direkt ans Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee ging. Wir haben damals im Kreis der Verant­wort­li­chen darüber gespro­chen, wie wir besser wirk­sam werden können und haben mit Hilfe der Gewerk­schaf­ten ange­fan­gen, auch in die Betriebe zu gehen. Das kam gut an, denn in vielen Betrie­ben gab es junge Menschen aus ande­ren Ländern und es für uns nicht immer nur ums Reden und Infor­ma­tio­nen ausge­ben ging. Wir haben dieses Inter­esse und die Austausch­mög­lich­keit genutzt, um mit den Gewerk­schafts­grup­pen oder mit ande­ren Grup­pen in Kontakt zu kommen und über die Soli­da­ri­tät zu infor­mie­ren. Weil es auch viele aktive Schü­ler­grup­pen gab sind wir dann noch an die Schu­len weitergegangen.

 

Alle meine Kolle­gen waren aktiv in irgend­wel­chen Grup­pen außer­halb des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees. Dort hat man gespürt, dass die DDR-Bevöl­ke­rung mitwirkt, dass ihre Einstel­lung ist, eine schwere Zeit geht für uns lang­sam vorbei, aber in ande­ren Ländern ist es noch viel schwe­rer. Solche Erleb­nisse gab es viele. Das hat mich als Gene­ral­se­kre­tär des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees auch dazu bewo­gen, nicht nur andere Kolle­gen auszu­schi­cken, sondern selbst solche Kontakte zu pfle­gen. An den jähr­li­chen Bericht­erstat­tun­gen des Komi­tees während seiner Präsi­di­ums­ta­gung nahmen dann auch stets mehrere hundert Menschen aus allen Schich­ten der Bevöl­ke­rung teil. Die Träger des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees, also die Gewerk­schaf­ten, die Frauen- und Bauern­or­ga­ni­sa­tio­nen, haben viel dazu beigetra­gen, dass in ihren Krei­sen die Arbeit und die Tätig­keit des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees wieder­ge­spie­gelt wurde.

Das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee veröf­fent­lichte eine Broschü­ren­reihe mit dem Titel “Für anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Soli­da­ri­tät”, um die Leser in Deutsch­land über die Kämpfe und die Situa­tion im Globa­len Süden zu informieren. 

Welche Solidaritätsprojekte und Erlebnisse sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

 Das ist schwer. Eines der größ­ten Soli­da­ri­täts­pro­jekte war ja die Soli­da­ri­tät mit Viet­nam. Da ging es im Wesent­li­chen darum, dass die Viet­na­me­sen nach der Unab­hän­gig­keit, nach Been­di­gung der Kriege, ihr Land wieder aufbauen können. Sie soll­ten ihre Wünsche äußern, die nicht immer voll erfüllt werden konn­ten, aber im Wesent­li­chen war die Rich­tung klar. Es ging vor allen Dingen auch darum, junge Menschen in der DDR auszu­bil­den. Ich kann mich noch sehr gut an die Dresd­ner Moritz­burg5 erin­nern, weil ich später welche von dort traf: Die jungen Korea­ner und Viet­na­me­sen, die dort ihre Ausbil­dung erhiel­ten, haben dann später in Viet­nam und auch in Korea im poli­ti­schen und im gesell­schaft­li­chen Leben eine Rolle gespielt. Was Korea anbe­langt, hat das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee gemein­sam mit der Staat­li­chen Plan­kom­mis­sion der DDR die Wirt­schafts­hil­fen für das Land koor­di­niert und das aus dem Soli­da­ri­täts­fond finan­ziert. Zu Beginn der 80er Jahre hat mein Vorgän­ger eine Verein­ba­rung mit Viet­nam mit unter­zeich­net. Das waren kombi­nierte Aktio­nen zwischen Staat und Solidaritätskomitee.

 

Für das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee war es eine gewisse Ehre, dass Vertre­ter aus diesen Orga­ni­sa­tio­nen und Ländern, wenn sie in der DDR weil­ten, uns einen Besuch abge­stat­tet haben. Das war so mit Sam Nujoma, das war so mit den Südafri­ka­nern, etwa dem ANC-Gene­ral­se­kre­tär Alfred Nzo u.a. Auch Arafat, den ich schon kennen­ge­lernt hatte, kam immer für ein Tref­fen zum Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee, wenn er in Berlin war. Als ich 1990 zur Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung nach Nami­bia einge­la­den wurde, hatte ich die große Gele­gen­heit mit Mandela zu spre­chen. Ich sagte ihm, wo ich herkomme. Und allein aufgrund dieser Tatsa­che, dass ich aus der DDR komme, sagte er: „Die Jugend der DDR werde ich nie verges­sen. Die haben mir so viele Briefe, Karten usw. geschrie­ben.“ Ich muss sagen, das war eindrucks­voll wie ein Mensch, der 24 Jahre hinter Gittern saß diese Bewe­gung der Jugend der DDR aufge­nom­men hatte.

 

Eine große Aktion an die ich mich noch gern erin­nere, ist das Kran­ken­haus in Nika­ra­gua gewe­sen. Das hat sehr viel Arbeit unse­rer Kolle­gin­nen und Kolle­gen gekos­tet, die das mitge­stal­tet haben. Die Haupt­ar­beit hat damals die Volks­ar­mee geleis­tet, weil die dort ein Feld­la­za­rett aufge­baut haben. Das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee musste sich dann aktiv in die Versor­gung von Mate­ria­lien für das Kran­ken­haus und für das Perso­nal einbin­den. Ich bin über­zeugt, dass das eine ganz wich­tige Aktion war. Nach der Wende hatte ich Gesprä­che mit der bundes­deut­schen Seite, die mir gesagt haben, ein solches Projekt sei für sie zu hoch. Soweit ich weiß wurde es dann in Teilen priva­ti­siert. Damals gab es auch in der DDR ausge­bil­dete Ärzte, die für kurze Zeit im Kran­ken­haus gear­bei­tet haben und schließ­lich von west­li­cher Seite abge­wor­ben wurden. Es gab immer diesen harten Kampf.

Welche Schnittstelle bildete das Komitee beim Aufbau des Krankenhauses?

Es gab in dieser Hinsicht eine ganz enge Zusam­men­ar­beit mit der FDJ und ihren Freund­schafts­bri­ga­den, auch mit dem Gesund­heits­mi­nis­te­rium und den entspre­chen­den Stel­len, die notwen­dig waren, um das Kran­ken­haus zu entwi­ckeln. Denn es blieb ja kein Projekt der Armee, die sich nach dem Aufbau zurück­zog. Es wurde statt­des­sen ein großes Soli­da­ri­täts­ob­jekt, das auch heute noch in irgend­ei­ner Form Wirkung hat. Und ähnli­che, kleine Projekte gab es auch in ande­ren Ländern z.B. in Äthio­pien. Dort wurde weit weg von der Haupt­stadt eine Kran­ken­sta­tion aufge­baut. Als ich damals in Äthio­pien war hat man mich einge­la­den die Station zu besu­chen. Sie war schwer erreich­bar und konnte nur mit dem Flug­zeug versorgt werden – wir flogen über endlose grüne Wälder und Berge. Es war wich­tig, nicht nur in den Zentren Struk­tu­ren aufzubauen.

Wie wurden generell Projekte an das Komitee herangetragen bzw. wie wurden sie initiiert?

Das Komi­tee selbst hatte Kontakte mit Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und fort­schritt­li­chen Kräf­ten in den jewei­li­gen Ländern. Ich hatte aber bereits auf die enge Zusam­men­ar­beit zwischen den Botschaf­ten und dem Komi­tee hinge­wie­sen: Das Außen­mi­nis­te­rium der DDR hatte dem Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee erlaubt, direkt mit den Botschaf­ten zu korre­spon­die­ren, das war ein großer Vorteil. Botschaft meint dabei nicht allein die diplo­ma­ti­sche Vertre­tung, sondern auch die Handels­ver­tre­tung, die eben­falls Kontakte hatte. Dort sammelte sich das, was an Anträ­gen rein­kam. Es gab auch inter­na­tio­nale Konfe­ren­zen, wo meist die offi­zi­el­len Vertre­ter jener Orga­ni­sa­tio­nen anwe­send waren und sich eben­falls wich­tige Korre­spon­den­zen erga­ben. Das ist im Einzel­nen schwer nach­zu­voll­zie­hen, aber ich kann nur immer wieder daran erin­nern wie oft Sam Nujoma, wenn er in der DDR war, auch im Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee vorsprach. Das hatte auch poli­ti­sche Wirkung.

 

Die DDR hatte eine UNO-Vertre­tung und war auch in den wich­ti­gen inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen vertre­ten. Von dort kamen eben­falls wich­tige Infor­ma­tio­nen und Bitten an das Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee, die jewei­li­gen Länder zu unter­stüt­zen. Das betraf z.B. die WHO oder die Bildungs­ar­beit. Anhand dieser Bitten haben wir uns orien­tiert, sind auf sie einge­gan­gen und haben geprüft: ist es möglich oder nicht?

 

Wir hatten auch eine sehr enge Zusam­men­ar­beit mit den soli­da­rity comit­tees aus Finn­land, Däne­mark und Norwe­gen. In Koope­ra­tion mit diesen Orga­ni­sa­tio­nen haben wir aktiv zusam­men­ge­ar­bei­tet, um z.B. Kinder­gär­ten aufzu­bauen und Kinder­gärt­ne­rin­nen oder Lehre­rin­nen zu schi­cken. Das geschah inner­halb der DDR natür­lich in Abstim­mung mit den Fach­mi­nis­te­rien, ohne die kann man das nicht machen. Das hat sich im Großen und Ganzen posi­tiv erwie­sen… Die Finn­län­der haben auch viele Liefe­run­gen gestemmt, wo wir als Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee aus finan­zi­el­len, devi­sen-mäßi­gen Grün­den nicht ranka­men. Sie haben Mate­ria­lien in Helsinki auf DDR-Schiffe gela­den, die wurden in Rostock oder Warne­münde umge­la­den und gingen dann nach Afrika runter. Auch diese Art der Zusam­men­ar­beit hat sich gut ausgewirkt.

Wie haben die Empfangenden Solidarität aufgenommen, wie kam sie konkret an?

Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass bei Soli­da­ri­täts­leis­tun­gen die Empfän­ger aktiv mitge­wirkt haben und es nicht dazu kommt, dass dann bestimmte mate­ri­elle Liefe­run­gen verschleu­dert werden oder mit Geld umge­setzt werden. Ich kann mich noch an Berichte erin­nern damals aus Mosam­bik und auch aus Nika­ra­gua, dass die Leis­tun­gen wirk­lich an die Empfän­ger und an die breite Masse gekom­men sind. In meinem Buch habe ich über das Beispiel unse­res Jupp Jeschke geschrie­ben, der sehr gute Bezie­hun­gen nach Nika­ra­gua hatte. Man lud ihn dort ein, mit Jour­na­lis­ten in ein entle­ge­nes Gebiet zu fahren, wo zu dieser Zeit noch Ausein­an­der­set­zun­gen mit gegne­ri­schen Kräf­ten statt­fan­den. Er wurde den Leuten im Dorf vorge­stellt als plötz­lich eine Frau schrie „Warte, warte!“ und wegrannte. Sie kam mit ihren Kindern wieder und sagte: „Guckt euch den Mann an, der hat euch die Schul­bü­cher geschickt!“ Und das war für uns ein Zeichen – und es ist nicht das einzige gewe­sen – dass die Schul­bü­cher auch wirk­lich weit in das Terrain des Landes verteilt wurden und nicht irgendwo bloß in der Haupt­stadt liegen geblie­ben sind.

 

Es gab auch Wünsche von vielen Part­nern, wo wir von vorn­her­ein sagen muss­ten: Das können wir als Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee nicht machen. Es gab z.B. den Wunsch, direkt ein Kran­ken­haus zu bauen. Doch ein Kran­ken­haus zu bauen bedeu­tet ja nicht nur Steine aufein­an­der­zu­set­zen, sondern auch den Inhalt zur Verfü­gung zu stel­len, also Ärzte, Kran­ken­schwes­tern usw. In dieser Hinsicht hat die DDR eine gute Rolle gespielt bei der Ausbil­dung von jungen Menschen in der medi­zi­ni­schen Fach­schule in Quedlinburg.

Wie habt ihr entschieden, ob ein Anliegen gefördert wird?

Wenn wir eine Soli­da­ri­täts­sa­che reali­sie­ren woll­ten, haben wir immer im Blick gehabt, wo es Wünsche gab und gefragt: dient diese Soli­da­ri­täts­maß­nahme der Gesamt­ent­wick­lung in diesem Lande? Das hatte ich am Beispiel des Kran­ken­hau­ses in Nika­ra­gua aufge­zeigt und gilt z.B. auch für Viet­nam: Wir haben dort das Kran­ken­haus in Hanoi inten­siv geför­dert und haben dazu beigetra­gen, dass ein Insti­tut aufge­baut wurde, welches die vielen Menschen in Viet­nam versorgte, die durch den Krieg und durch die Minen, Beine oder andere Glied­ma­ßen verlo­ren haben. Als ich damals 1985/86 in Viet­nam war, habe ich diese Insti­tu­tion besucht und sie waren sehr dank­bar, dass viele Viet­na­me­sen wieder laufen konn­ten. Solche Maßnah­men haben wir auch in ande­ren Ländern durchgeführt.

 

Für uns kamen die Befrei­ungs­be­we­gun­gen und Länder in den Haupt­blick­punkt, die eine progres­sive Entwick­lung begon­nen haben und voran­schrei­ten woll­ten. Es gab aber auch Maßnah­men des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees, die darauf gerich­tet waren huma­ni­täre Hilfe zu leis­ten bei schwe­ren klima­ti­schen Verän­de­run­gen und Kata­stro­phen, aber das große Problem war für uns: Wir wuss­ten in diesen Fällen teil­weise nicht, ob das über­haupt beim Empfän­ger ankommt, weil es sonst keiner­lei Bezie­hun­gen gab. Ich habe in meinem Buch daher beson­ders das Beispiel Nika­ra­gua erwähnt, wo es darum ging, nicht nur Leute hinzu­schi­cken, sondern direkt eine Ausbil­dungs­schule zu entwi­ckeln, damit vor Ort Klemp­ner, Instal­la­teure usw. ausge­bil­det werden. Und in diese Rich­tung ging immer unser Blick.

Wie hat sich die Solidaritätsarbeit nach dem Ende der DDR geändert?

Es war schwer möglich, die Arbeit bei SODI6 so fort­zu­set­zen wie man das beim Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee getan hatte… Ich erlebe das Problem auch hier in meinem Heimat­ort: Da gab es zwei Vereine für Gambia, die mit der Regie­rung gar nichts zu tun haben. Das ist ein priva­ter Kontakt, der entwi­ckelt wurde und was sie machen ist posi­tiv. Aber es ist eben eine kleine Geschichte. Wenn ich SODI heute betrachte – auch wenn sie weiter­hin in den Ländern aktiv sind, die wir haupt­säch­lich unter­stützt haben, Viet­nam usw. – aber da taucht plötz­lich eine kleine Geschichte auf im Kongo. Da taucht ein klei­nes Projekt auf in Indien. Entstan­den durch private Kontakte. Und das ist das, was wir eigent­lich nicht gemacht haben. Wenn da ein Verein und ein Dorf ist, und einer da ist, der das Dorf weiter­ent­wi­ckeln will, das ist posi­tiv. Aber wenn ich da 1.000 €, 2.000 € oder 5000 € inves­tiere, passiert nicht viel. Deshalb ist die Vereins­ar­beit heute nur ein Trop­fen, der dort und dort verteilt wird. Wir haben auch immer gesagt, dass das, was wir machen können, nur ein Trop­fen auf den heißen Stein ist, aber es sollte dazu dienen, dass etwas weiter­ent­wi­ckelt wird. Nicht nur der kleine Bauer oder das kleine Dorf oder der Kinder­gar­ten – alles rich­tig! – aber man sollte das insge­samt ins Auge nehmen. Ich schüt­tele manch­mal mit dem Kopf, was ich da und dort so an Klein­pro­jek­ten sehe und wenn ich das so betrachte, hängt danach immer gleich das Kommer­zi­elle dran. Was ich in den Jahren nach 1990 in der BRD reali­siert habe: es hat keinen Zweck bei bestimm­ten Aktio­nen allein zu gehen. Wenn man die Fern­seh­auf­rufe bei großen Hilfs­pro­jek­ten sieht, wo drei, vier große Orga­ni­sa­tio­nen das gesam­melte Geld in einen Topf schmei­ßen, dann geht es trotz­dem immer nur um einzelne kleine Projekte.

 

Als Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee haben wir natür­lich auch die jewei­li­gen Länder besucht, entwe­der im Zusam­men­hang mit den Projek­ten oder manch­mal zur Zwischen­lan­dung, um Kontakt mit den Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen aufzu­neh­men. Das inter­es­sante dabei ist: Wir als Soli­da­ri­täts­ko­mi­tee, das betraf nicht nur meine Perso­na­lie, wurden dort behan­delt wie ein Staats­gast. Vertre­ter des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees wurden von Minis­tern empfan­gen. Mir persön­lich ist das passiert als ich damals im Südje­men war, da war ich total platt. Ich wurde einge­la­den zum Präsi­den­ten und der hat sich bedankt für die gesamte Soli­da­ri­tät, die die DDR auf allen Ebenen geleis­tet hat, wo bestimmte Maßnah­men auch staat­lich waren. Die Aner­ken­nung der Leis­tung als der des Soli­da­ri­täts­ko­mi­tees, also der DDR-Bürger, die war bewundernswert.

Die IF DDR führte beide Inter­views am 23.02.2021 und 06.04.2021. Sie wurden zur besse­ren Lesbar­keit redak­tio­nell leicht bearbeitet.

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