Ätherwellen der Freundschaft: Radio Berlin International und seine Hörerschaft in Indien

Dr. Anan­dita Bajpai

4. Okto­ber 2023

Einleitung

Das Radio war ein wich­ti­ges kultu­rel­les Instru­ment des Kalten Krie­ges, um Menschen in „weit entfern­ten“ Gebie­ten Welt­an­schau­un­gen zu vermit­teln, die seinen eige­nen entspra­chen, und um ideo­lo­gi­sche Affi­ni­tä­ten und Feind­schaf­ten zu festi­gen. Mehrere Auslands­sen­der in Europa, den USA und der Sowjet­union wurden zwischen den 1960er und den späten 1980er Jahren eigens gegrün­det, um ein globa­les Publi­kum zu errei­chen. Im Rahmen meiner Feld­for­schung zu den Hindi-Program­men verschie­de­ner Radio­sen­der und ihrer Hörer­schaft in mittel­gro­ßen Städ­ten, Town­ships und länd­li­chen Dörfern Indi­ens habe ich insbe­son­dere den Weg von Radio Berlin Inter­na­tio­nal, dem Auslands­sen­der der DDR mit Sitz in Ost-Berlin, nach­ge­zeich­net. Während über den ideo­lo­gi­schen und akus­ti­schen Wett­kampf im Äther in der Zeit des Kalten Krie­ges viel geforscht wurde, ist die Perspek­tive der Höre­rin­nen und Hörer jenseits eini­ger Briefe, die in den insti­tu­tio­na­li­sier­ten Archi­ven zu finden sind, rela­tiv wenig erforscht. Die Erfor­schung der Geschich­ten dieser Höre­rIn­nen, die vor den Radio­ge­rä­ten saßen, Hörer­clubs grün­de­ten und private Samm­lun­gen in ihren Wohn­häu­sern anleg­ten, kann neue Einbli­cke in die Art und Weise geben, wie inter­na­tio­na­lis­ti­sche Soli­da­ri­täts- und Freund­schafts­be­kun­dun­gen im Alltag über Radio­wel­len gestal­tet wurden.

1959 wurde Radio Berlin Inter­na­tio­nal, oder „Die Stimme der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik“, wie der Sender sowohl von den Menschen hinter den Mikro­fo­nen als auch von den Höre­rin­nen und Hörern vor den Radio­ge­rä­ten genannt wurde, gegrün­det. Die Hindi-Sektion, Teil der Südost­asien-Abtei­lung, nahm 1967 seinen Sende­be­trieb auf. Während einige der Mode­ra­to­rIn­nen des Hindi-Programms Inde­rIn­nen waren, stamm­ten mehrere Mode­ra­to­rIn­nen, Jour­na­lis­ten­In­nen, Sendungs­ma­che­rIn­nen und Mitar­bei­te­rIn­nen aus der DDR und hatten an der Ostber­li­ner Humboldt-Univer­si­tät Hindi gelernt. Die meis­ten von ihnen waren noch nie in Indien gewe­sen, kamen aber zum Sender, um sich aktiv mit der Spra­che und ihren Mutter­sprach­le­rIn­nen ausein­an­der­zu­set­zen, die einen Konti­nent entfernt waren. In den 23 Jahren seines Bestehens erfreute sich das Hindi-Programm bei Hunder­ten von Höre­rIn­nen und Hörer­clubs in den Vorstäd­ten und länd­li­chen Hindi-spra­chi­gen Teilen Indi­ens großer Beliebtheit.

Wie mehrere Höre­rin­nen und Hörer in Inter­views, die ich seit 2018 geführt habe, zum Ausdruck brach­ten, beruhte die große Beliebt­heit von Radio Berlin Inter­na­tio­nal (RBI) beim indi­schen Publi­kum auf den inni­gen Bezie­hun­gen, die die Mode­ra­to­rIn­nen des Senders zu ihnen knüpf­ten, häufig ist von „Wärme“, „Liebe“ und „Freund­schaft“ die Rede. Mehrere RBI-Höre­rIn­nen haben ihre RBI-Erin­ne­rungs­stü­cke, Briefe und von RBI gesen­dete DDR-Objekte in den priva­ten Räumen ihrer Häuser bis heute sorg­fäl­tig aufbe­wahrt, über 33 Jahre nach der Schlie­ßung des Senders im Jahr 1990. Wie erklärt sich diese Inti­mi­tät? Wie haben die epheme­ren Radio­wel­len trans­na­tio­nale Freund­schafts­bande über die ideo­lo­gi­schen Gren­zen des Kalten Krie­ges hinweg und trotz dieser Gren­zen geschaf­fen? Wie wird heute über diese Verbin­dun­gen berich­tet? Ich gehe diesen Fragen nach, indem ich die Profile von vier begeis­ter­ten Höre­rIn­nen des Senders aus Bika­ner (Raja­sthan), Gola Bazaar, Gorakh­pur (Uttar Pradesh) und Madhe­pura (Bihar) vorstelle und Ausschnitte aus meinen laufen­den Gesprä­chen mit ihnen präsentiere.

Das Hindi Programm von RBI

Mit einer 20-minü­ti­gen Sendung, die schließ­lich auf 30 Minu­ten verlän­gert und täglich drei­mal wieder­holt wurde, begann 1967 das Hindi-Programm von RBI. Die Sendung bestand aus eini­gen zentra­len Beiträ­gen wie dem „Tages­kom­men­tar“, „Aktu­el­les“ und der „Pres­se­schau“ (in Hindi: Aaj ki Sameek­sha), die in allen fremd­spra­chi­gen RBI-Sendun­gen enthal­ten waren, etwa in Kisua­heli, Fran­zö­sisch, Spanisch, Arabisch, Portu­gie­sisch, Englisch usw. Zu den regel­mä­ßi­gen wöchent­li­chen Beiträ­gen gehör­ten die „Sport­sen­dung“ (Hindi: Khel-kud ke Samachar), die „Frie­dens­sen­dung“ (Hindi: Kadam Badhao Aman Ki Khaa­tir, wört­lich über­setzt: Mach einen Schritt vorwärts in Rich­tung Frie­den), und „Das Land in dem wir leben“ (Hindi: Wah desh jisme hum rehte hain und DDR Darshan). Einen beträcht­li­chen Teil ihrer Sende­zeit widmete die Sendung der „Hörer­post“ wie Aapki Chit­thi Mili (Wir haben Ihre Post erhal­ten) und Aapne Poocha Hai (Sie haben uns gefragt).

Das DX-Programm war eine weitere Platt­form für den direk­ten Austausch zwischen Mode­ra­to­rIn­nen und Höre­rIn­nen durch Briefe und Empfangs­be­richte. Als DXen wird das seit den 1920er Jahren inter­na­tio­nale Phäno­men und Hobby von Amateur-Funke­rIn­nen bezeich­net, entfernte Radio- oder Fern­seh­si­gnale zu iden­ti­fi­zie­ren und zu empfan­gen oder mit entfern­ten Statio­nen in Kontakt zu treten und sie durch Berichte über die Empfangs­qua­li­tät zu infor­mie­ren (DX ist die tele­gra­fi­sche Abkür­zung für distance oder distant exch­ange). DXer und DXerin­nen erhiel­ten eine schrift­li­che Bestä­ti­gung des Empfangs von Meldun­gen durch Funk­sta­tio­nen in Form soge­nann­ter QSL-Karten (Bestä­ti­gungs­kar­ten). RBI hatte mehrere enga­gierte DXerIn­nen und DX-Clubs, wie auf den 200 Magnet­band­auf­nah­men (1988–90) der Hindi-Sendung zu hören ist, die im Deut­schen Rund­funk Archiv (DRA) in Pots­dam aufbe­wahrt werden. Ab 1983 star­tete die Programm­lei­tung eine neue Rubrik namens Naye Mitron ke Patr (Briefe von unse­ren neuen Freun­den), da die Hindi Sendun­gen bei den Höre­rIn­nen immer belieb­ter gewor­den war und der Sender nun weit mehr Briefe als in den 1970er Jahren erhielt. Diese Rubrik wurde vor allem einge­führt, um auf die Briefe der neuen Hörer­clubs einzu­ge­hen. Da der Sender bis Okto­ber 1990, ein Jahr nach dem Fall der Mauer, fort­be­stand, wurden im Jahr 1989 neue Sendun­gen wie das „Berlin Tage­buch“ einge­führt, das die rasan­ten Verän­de­run­gen in der Stadt nach der Öffnung der Gren­zen zwischen Ost- und West­ber­lin aufzeichnete.

Für die meis­ten indi­schen Höre­rIn­nen waren es die ostdeut­schen Stim­men, die in Hindi zu ihnen spra­chen, und die persön­li­che Aufmerk­sam­keit für ihre Neugier, Fragen und Botschaf­ten, die das Programm einzig­ar­tig und beliebt machten.

Solidarität und Freundschaft in Madhepura, Bihar

 Als Arvind Srivas­tava begann Radio Berlin Inter­na­tio­nal zu hören war er Student der russi­schen Geschichte an der örtli­chen Univer­si­tät. Heute ist er haupt­be­ruf­lich Schrift­stel­ler und Dich­ter und schreibt in Hindi. In den 1980er Jahren grün­dete Srivas­tava in Madhe­pura, Bihar, einen Club von Radio­hö­rern, den Lenin Club. Er nennt RBI seinen Lieb­lings­sen­der und rekapituliert

Ich hing an RBI. Die Haupt­ziele des Clubs bestan­den darin, die Inhalte des Programms zu disku­tie­ren, sich über das Welt­ge­sche­hen zu infor­mie­ren, die Poli­tik des Kalten Krie­ges kritisch zu kommen­tie­ren und auch den Platz Indi­ens als block­freies Land in der Welt zu beleuch­ten. Wir fanden eine gemein­same Stimme gegen Impe­ria­lis­mus und markt­ge­steu­er­ten Kapi­ta­lis­mus. Unsere Ansich­ten fanden eine Gemein­sam­keit mit der DDR. Uns waren auch die Ereig­nisse in Ländern wie Mosam­bik, Chile, Angola, Viet­nam und Nica­ra­gua bekannt. Wir sahen im Sozia­lis­mus und Anti­im­pe­ria­lis­mus die einzige Lösung für eine Welt, die bereits von zwei Krie­gen erschüt­tert war.1

 Seine Welt­an­schau­ung fand Srivas­tava auch in der in den RBI-Sendun­gen vorge­nom­me­nen Verur­tei­lung des südafri­ka­ni­schen Apart­heid­re­gimes widergespiegelt.

Für Hörer wie Srivas­tava war das Radio ein Medium, durch das er nicht nur über die Welt „hörte“, die von der spal­ten­den Poli­tik des Kalten Krie­ges geprägt war, sondern das ihm auch ermög­lichte, als poli­ti­sches Subjekt „gese­hen“ zu werden. Als Präsi­dent des Lenin Clubs war es ihm wich­tig, die Akti­vi­tä­ten des Clubs foto­gra­fisch fest­zu­hal­ten und diese Fotos an den Radio­sen­der zu senden. Ein Beispiel dafür sind die Fotos eines Protest­mar­sches, den der Lenin Club auf den Stra­ßen von Madhe­pura gegen die Verbrei­tung von Atom­waf­fen und für den inter­na­tio­na­len Frie­den orga­ni­sierte. Eine solche Veran­stal­tung war für Srivas­tava nicht nur eine Möglich­keit, am Welt­ge­sche­hen teil­zu­neh­men und sich von einer indi­schen Stadt aus poli­tisch in die inter­na­tio­nale Poli­tik einzu­brin­gen, sondern auch eine Gele­gen­heit, ideo­lo­gi­sche Soli­da­ri­tät mit der DDR durch ein visu­el­les Beweis­ob­jekt zu „insze­nie­ren“.

Srivas­tava war hoch­er­freut die Fotos zu sehen, die er in den 1980er Jahren an den Sender geschickt hatte. Jahre nach der Schlie­ßung des RBI (1990) waren sie über mich im Jahr 2019 zu ihm zurück­ge­kehrt (Abb. 1 und 2). Es erfüllte ihn mit Stolz, dass sie all die Jahre von einer der RBI-Mode­ra­to­rin­nen, Sabine Imhof, sorg­fäl­tig in Berlin aufbe­wahrt worden waren, da er selbst keine Kopien mehr besaß.

Abb. 1: Protest­marsch des Lenin Clubs gegen die Verbrei­tung von Atom­waf­fen und für den Welt­frie­den in Madhe­pura, Bihar. Arvind Srivas­tava ist mit dem Trans­pa­rent des Clubs zu sehen (rechts). Foto aus der Privat­samm­lung Sabine Imhofs, die 2025 in die RBI-Bestände des Deut­schen Rund­funk Archivs, Pots­dam, über­führt wird.
Abb. 2: Protest­marsch des Lenin Clubs gegen die Verbrei­tung von Atom­waf­fen und für den Welt­frie­den in Madhe­pura, Bihar. Arvind Srivas­tava, vier­ter von links. Auf einem der Trans­pa­rente steht: „Stoppt das nukleare Wett­rüs­ten. Wir wollen Frie­den. Wieder­holt nicht Hiro­shima”. Privat­samm­lung Sabine Imhof, wird 2025 in die RBI-Bestände des Deut­schen Rund­funk Archivs, Pots­dam, überführt.

Unter den aus der DDR erhal­te­nen Erin­ne­rungs­stü­cken, die Srivas­tava seit Jahren sicher auf dem Dach­bo­den seines Hauses aufbe­wahrt, finden sich mehrere RBI-Zeit­schrif­ten und ‑Pamphlete, QSL-Karten, Plakate, Wimpel, Briefe, RBI-Schirm­müt­zen und ein halb zerstör­tes Foto des Funk­hau­ses in der Nale­pa­straße in Ost-Berlin, von dem aus RBI seine Sendun­gen ausstrahlte (Abb. 3 und 4).

Abb. 3: Arvind Srivas­tava in seinem Haus mit einem Plakat zum Thema „Jugend in der DDR“, das ihm vom RBI zuge­schickt wurde, genaues Empfangs­da­tum unbe­kannt, Madhe­pura, 26. März 2019, Foto: Jyothi­das KV ©author.
Abb. 4: Auf dem Gehöft von Arvind Srivas­tava. Srivas­tava zeigt stolz seine RBI-Schirm­kappe. Madhe­pura, 26. März 2019, Foto: Jyothi­das KV © Autor.

Als ich sein Haus in Madhe­pura besuchte, um einen Doku­men­tar­film über die Verflech­tungs­ge­schichte des RBI, seiner Mode­ra­to­rIn­nen und Höre­rIn­nen zwischen Berlin und Bihar zu drehen,2 schlug Srivas­tava vor, dass wir auf seinen Dach­bo­den gehen und alle DDR- und RBI-Objekte für eine genauere Betrach­tung hervor­ho­len. Das Doku­men­tie­ren, teil­weise Digi­ta­li­sie­ren des Mate­ri­als und das Foto­gra­fie­ren der Radio-Objekte in den darauf­fol­gen­den drei Tagen auf dem Dach seines Gehöfts brachte uns auf die Idee, eine Ausstel­lung zu orga­ni­sie­ren, die die Erin­ne­run­gen an die Freund­schaft zwischen Indien und der DDR und seine persön­li­che Verbin­dung zum RBI wach­ru­fen würde.

Es folgte eine sorg­fäl­tige Auswahl und Sortie­rung aller Erin­ne­rungs­stü­cke in seinem Haus und eine Ausstel­lung, die von Arvind offi­zi­ell eröff­net wurde, indem er die Geschichte jedes ausge­stell­ten Objekts vor einem Saal voller Besu­che­rIn­nen erläu­terte (Abb. 5 und 6). Unsere Ausstel­lung erin­nerte an jene Ausstel­lun­gen, die Hörer wie Arvind regel­mä­ßig orga­ni­sier­ten, als der Radio­sen­der noch exis­tierte. Bei diesen Ausstel­lun­gen handelte es sich um für Foto­auf­nah­men insze­nierte Aktio­nen, bei denen die Mitglie­der von Hörer­clubs ihre Soli­da­ri­tät mit der DDR bekun­de­ten, indem sie die ihnen zuge­sand­ten Mate­ria­lien in ihren Club­räu­men ausstell­ten. Die Objekte wurden der Nach­bar­schaft zum Anschauen zugäng­lich gemacht, um das Bewusst­sein für den Radio­sen­der, sein Sende­land und den Alltag der Menschen zu schär­fen. Über die Privat­samm­lung der bereits erwähn­ten RBI-Mode­ra­to­rin Sabine Imhof, die von 1981–90 in regel­mä­ßi­gem Brief­kon­takt mit den Hörern stand, bin ich erst­mals auf Fotos solcher Ausstel­lun­gen gesto­ßen. Auf ihnen sieht man den Höre­rIn­nen zuge­sandte Objekte sorg­fäl­tig auf Tischen und in Vitri­nen präsen­tiert. Bücher, Zeit­schrif­ten, Vorhänge in den Farben der DDR-Flagge, Flug­blät­ter, Souve­nirs und Wimpel schmü­cken die Wände und Tische in den Wohn­zim­mern der Club­vor­sit­zen­den, die meist als tempo­räre Ausstel­lungs­räume genutzt wurden (z.B. Abb. 7).3 Die Ausstel­lung in Srivas­ta­vas Gehöft im Jahr 2019 war ein Versuch, die emotio­nale Stim­mung der Club­ak­ti­vi­tä­ten der 1980er Jahre wiederherzustellen.

Abb. 5: Ausstel­lung „Erin­ne­run­gen an die Freund­schaft zwischen Indien und der DDR“ in Arvind Srivas­ta­vas Wohn­sitz Kala Kutir, Madhe­pura, Bihar, 28.03.2019. Das Foto zeigt Wände mit Postern über Sport, Gesund­heits­we­sen und Musik in der DDR (links) und RBI-Zeit­schrif­ten, QSL-Karten, DX-Bulle­tins, Briefe (rechte Wand) sowie RBI-DX-Zerti­fi­kate (unten), die Srivas­tava von der Radio­sta­tion erhielt. Foto: Jyothi­das, © Autor.
Abb. 6: Ausstel­lung „Erin­ne­run­gen an die Freund­schaft zwischen Indien und der DDR“ in Arvind Srivas­ta­vas Wohn­sitz Kala Kutir, Madhe­pura, Bihar, 28.03.2019. Das Foto zeigt eine Wand mit RBI-Wimpeln, Aufkle­bern, Ansichts­kar­ten und Postern von Karl Marx, die Srivas­tava in den 1980er Jahren vom Sender erhielt. Foto: Jyothi­das, © Autor.
Abb. 7: Foto einer vom Dougals Club in Naya Nangal, Haryana, in den 1980er Jahren orga­ni­sier­ten Ausstel­lung (genaues Datum unbe­kannt), Privat­samm­lung Sabine Imhof (wird 2025 in die RBI-Bestände des Deut­schen Rund­funk Archivs, Pots­dam, überführt).

Arvinds uner­schüt­ter­li­che Loya­li­tät zum Sender und seiner Botschaft von Soli­da­ri­tät und inter­na­tio­na­ler Freund­schaft führte dazu, dass er 1983 eine Zeit­schrift mit dem Titel Aman Ki Aawaaz (Die Stimme des Frie­dens: Dem inter­na­tio­na­len Frie­den und der Freund­schaft gewid­met) grün­dete, die er ausschließ­lich mit eige­nen Mitteln finan­zierte. Die Zeit­schrift infor­mierte nicht nur über das Programm von RBI Hindi, die Sende­zei­ten und den Ablauf der Sendun­gen, sondern enthielt auch mehrere Texte zu ande­ren Themen wie dem 2000-jähri­gen Jubi­läum von Tasch­kent als Stadt des inter­na­tio­na­len Frie­dens und der Soli­da­ri­tät sowie kriti­sche Essays gegen die Verbrei­tung von Atom­waf­fen und das Wett­rüs­ten. Die Zeit­schrift dankt Ujjwal Bhat­tacha­rya vom RBI als einem ihrer inspi­rie­ren­den Führer (Abb. 8 und 9).

Abb. 8 (links) und 9 (rechts): Seiten aus der Zeit­schrift Aman Ki Aawaaz (Die Stimme des Frie­dens), heraus­ge­ge­ben von Arvind Srivas­tava, veröf­fent­licht in Madhe­pura, Bihar, 1983, Privat­samm­lung Arvind Srivas­tava, Madhe­pura, Bihar.

Wenn er an seine Lieb­lings­mo­de­ra­to­rIn­nen zurück­denkt, erin­nert sich Srivastava

Wir woll­ten unbe­dingt die Leute tref­fen, die bei RBI arbei­ten, sei es Frie­de­mann, Sabine oder Marita, und die ande­ren wie Ujjwal oder Mahesh oder Wolf­gang. Zumin­dest, um sie einmal persön­lich zu sehen! Es ist so: Wenn man jeman­den in seinem Herzen tief verehrt, in Form eines Idols, dann möchte man ihn auch einmal persön­lich tref­fen. Das Leben wird bedeu­tungs­vol­ler, wenn man zu ihnen vordrin­gen kann. Und noch etwas: Damals hatte das Radio nicht nur eine formale Präsenz in meinem Leben. Wir hatten auch ein schö­nes Bild von den Menschen in der DDR: DDR-Bürger. Wenn ich einen Auslän­der gese­hen habe, habe ich mich gefragt, ob er aus der DDR kommt. Und viel­leicht könnte ich mit ihm spre­chen.4

Intimität und Freundschaft anhand von Objekten in Bikaner, Rajasthan

Die Fami­lie von Rajen­dra Kumar Swarn­kar (Vater und Söhne) ist von Beruf Gold­schmied und hat sich auf die Herstel­lung von feinem Schmuck aus Silber, Gold und Emaille spezia­li­siert. Als junger Radio­hö­rer in den 1980er Jahren erin­nert sich Swarn­kar an lange Arbeits­tage, die er neben seinem Vater im oberen Stock­werk seines Hauses verbrachte, wo der Klang des Radio­ge­räts allge­gen­wär­tig und die einzige akzep­tierte „fremde“ Präsenz war. Abge­schirmt vom alltäg­li­chen Haus­halts­le­ben und den ande­ren Fami­li­en­mit­glie­dern wurde in diesem Raum der Groß­teil der Entwurfs­ar­beit geleis­tet. Swarn­kar erin­nert sich lebhaft daran, wie er am Radio­knopf herum­spielte und mit dem aller­ers­ten Radio­ge­rät im Haus Frequen­zen auslän­di­scher Sender wie Radio Tasch­kent, Radio Peking, Deut­sche Welle, Radio Praha und Radio Berlin Inter­na­tio­nal einfing. Seine Neugierde wurde geweckt, als er zum ersten Mal den Hindi-Service der BBC hörte und sich fragte, ob es noch andere Radio­sen­der auf der Welt gab, die eben­falls Hindi-Programme sende­ten. Ab 1982 wurde Swarn­kar ein über­zeug­ter Hörer von RBI, grün­dete seinen eige­nen Hörer­club und verfolgte regel­mä­ßig alle Sendun­gen und Wieder­ho­lun­gen. In seinen eige­nen Worten:

Ich werde Ihnen sagen, was das Beson­dere an RBI war: Für sie war nicht nur der Club wich­tig, sondern der Mensch, die Person. Sie haben mich als Person sehr ernst genom­men. Und so sind ihre Mode­ra­to­ren mit jedem Zuhö­rer umge­gan­gen. Das zeigte sich in der Sendung.5

Abb. 10: Rajen­dra Kumar Swarn­kar in seinem Haus in Bika­ner, Raja­sthan, 2. April 2022, Foto: Jyothi­das KV ©Autor.

Im Laufe der Jahre konnte Swarn­kar die Stimme eines jeden Mode­ra­tors und einer jeden Mode­ra­to­rin aus der DDR wieder­erken­nen. Nach seinen eige­nen Anga­ben fühlte er sich mit diesen Stim­men freund­schaft­lich verbunden.

RBI zu hören, war wie eine Sucht und Leiden­schaft. Im Gegen­satz zu den meis­ten Süch­ten hat man mit einem solchen Hobby – einer gesun­den Leiden­schaft – nieman­dem gescha­det, so würde ich es beschrei­ben. Es vermit­telte mir Wissen über die Welt. RBI war mein Favo­rit, weil jeder Mode­ra­tor eine persön­li­che und unmit­tel­bare Art hatte, zu uns Zuhö­rern zu spre­chen. Ihre Stim­men hall­ten in meinen Ohren noch lange nach, nach­dem die Sendung zu Ende war. Es ist schwer, diese Gefühle auszu­drü­cken. Jeder von ihnen hatte eine einzig­ar­tige Stimme, einen eige­nen Tonfall und eine eigene Art, in Hindi zu spre­chen. Es war eine einzig­ar­tige Erfah­rung, diese ostdeut­schen Stim­men in Hindi zu hören.6

Die Sendung infor­mierte Swarn­kar über die DDR, ihre Menschen und ihren Alltag, ihre städ­ti­schen und länd­li­chen Land­schaf­ten. In seinem Wohn­haus, im selben Raum, in dem er arbei­tete und RBI hörte, findet man heute mehrere Eisen­schränke, die voll sind mit diver­sen Objek­ten, die er vor fast 40 Jahren vom Sender erhal­ten hat. Darun­ter befin­den sich z.B. eine DDR-Pionier­puppe, die ein RBI-Schal ziert, ein manu­el­ler Diabe­trach­ter mit mehre­ren Dias, die DDR-Land­schaf­ten zeigen, Plas­tik­tü­ten von RBI, die noch so glän­zend sind, wie sie empfan­gen wurden, mehrere Ansteck­na­deln, RBI-Schirm­müt­zen, Stapel von RBI-Spiel­kar­ten, deren Verpa­ckun­gen nie entfernt wurden, DDR-Wimpel und die Umschläge aller Briefe, die Swarn­kar vom Sender erhielt (Abb. 11–15).

Diese Objekte, die damals per Einschrei­ben aus der DDR nach Bika­ner gelang­ten, rufen bei Swarn­kar noch heute Erin­ne­run­gen an seine Freund­schafts­bande mit dem Land, seinen Menschen und vor allem mit den ostdeut­schen Mode­ra­to­rIn­nen des RBI hervor.

Abb. 11: Pionier­puppe mit RBI-Schal, den Swarn­kar vom Sender erhielt, Datum unbe­kannt, Privat­samm­lung Rajen­dra Kumar Swarn­kar, Foto Jyothi­das KV © Autor, 2. April 2022.
Abb. 12: Vom Sender ausge­ge­be­nes Spiel­kar­ten­set. Die Plas­tik­hülle wurde nie entfernt. Empfangs­da­tum unbe­kannt, Privat­samm­lung Rajen­dra Kumar Swarn­kar, Foto Jyothi­das KV © Autor, 4. April 2022.
Abb. 13: Manu­el­ler Diabe­trach­ter und zwei Dias­ätze mit DDR-Land­schaf­ten und Bildern der Berli­ner Stadt­land­schaft. Datum des Empfangs unbe­kannt, Privat­samm­lung Rajen­dra Kumar Swarn­kar, Foto Jyothi­das KV © Autor, 4. April 2022.
Abb. 14: Seite eines Pamphlets über die Freund­schaft zwischen der DDR und der UdSSR, das Swarn­kar von RBI zuge­schickt wurde. Genaues Datum des Empfangs unbe­kannt, Privat­samm­lung Rajen­dra Kumar Swarn­kar, Foto Jyothi­das KV © Autor, 4. April 2022.
Abb. 15: Rajen­dra Kumar Swarn­kar zeigt RBI-Plas­tik­tü­ten, die an seinen Hörer­club in Bika­ner geschickt wurden. Genaues Empfangs­da­tum unbe­kannt, Privat­samm­lun­gen Rajen­dra Kumar Swarn­kar, Foto Jyothi­das KV © Autor, 4. April 2022.

Im Jahr 1999 reiste Sabine Imhof zum ersten Mal nach Indien und lernte in Bika­ner einen ihrer eifrigs­ten Hörer, Rajen­dra Kumar Swarn­kar, persön­lich kennen. Rajen­dras Verbun­den­heit mit den Radio-Objek­ten von RBI zeigt sich aufschluss­reich in einer von Sabine geschil­der­ten Erin­ne­rung an ihren Besuch auf seinem Gehöft:

Er zeigte mir einen Teil der Wand in seinem Haus, an dem seit Jahren ein RBI-Wimpel hing. Dieser drei­eckige Fleck war vor den Auswir­kun­gen von Staub und Feuch­tig­keit auf den Rest der Wand geret­tet worden. Ich sagte zu Rajen­dra: „Natür­lich gibt es RBI nicht mehr und die DDR auch nicht. Es macht nur Sinn, dass du den Wimpel von der Mauer abge­nom­men hast“. Darauf sagte er: „Ich habe ihn nicht entfernt, weil es keinen Sinn mehr machte, ihn dort zu haben, ich habe ihn entfernt, um ihn vor der Mauer zu retten. Ich habe ihn abge­nom­men, weil ich weiß, dass dies eine der einzi­gen Erin­ne­run­gen sein wird, die ich an RBI behal­ten kann.“7

Die DDR-Objekte dien­ten also eindeu­tig als Botschaf­ter der Freund­schaft und bilde­ten enge Verbin­dun­gen zu den indi­schen Höre­rIn­nen von RBI. Sie wurden zu mate­ri­el­len Markern der allge­gen­wär­ti­gen Präsenz des Radios im Alltag der Menschen und dienen heute, Jahre später, als Instru­mente der Nach­er­zäh­lung, die von den affek­ti­ven Bindun­gen der Höre­rIn­nen an den Sender und sein Gast­land erzäh­len.8

Going Global von Gola Bazaar, Gorakhpur, Uttar Pradesh

In einer klei­nen Gemeinde im östli­chen Uttar Pradesh, sieb­zig Kilo­me­ter von der Stadt Gorakh­pur entfernt, liegt die Gemeinde Gola Bazaar. Dort sind seit dem Beginn des Hindi-Programms von RBI im Jahr 1967 Badri Prasad Verma ‚Anjaan‘ und Shak­un­tala Verma eifrige Höre­rIn­nen der Sendun­gen gewe­sen. Badri Prasad Verma ist Hobby-Kari­ka­tu­rist, Autor von Kurz­ge­schich­ten für Kinder und betreibt einen Gemischt­wa­ren­la­den in seinem Vier­tel. Seine Frau Shak­un­tala Verma war früher Haus­frau und hilft jetzt ihrem Sohn bei der Führung eines weite­ren Gemischt­wa­ren­la­dens. In den 1980er Jahren grün­dete Verma den Swar­giya Menu Shrota Club, einen Club von Radio­hö­re­rIn­nen, der auf Anre­gung eines Radio­mo­de­ra­tors bei Radio Beijing, nach ihrer ältes­ten Toch­ter benannt wurde, die als Klein­kind starb.

Beson­ders stolz ist das Ehepaar darauf, dass sie zu den weni­gen Höre­rIn­nen gehör­ten, die die letzte von RBI heraus­ge­ge­bene QSL-Karte erhal­ten haben (Abb. 17). Beim Anhö­ren der letz­ten Sendung des RBI Hindi Programms am 02.10.1990, deren Kopie ich 2018 als Tonband­kas­sette von einer der Mode­ra­to­rin­nen der Sendung (Marita Hoff­mann) in Berlin erwor­ben hatte, erzählte Badri Prasad mit Tränen in den Augen, wie ihm die Sendung als Beglei­ter in schwie­ri­gen Jahren gehol­fen hatte. Für ihn spie­gel­ten die Stim­men, die die letzte Sendung des Senders mode­rier­ten, den Schmerz wider, den Höre­rIn­nen in ganz Indien an diesem Tag empfan­den, weil sie wuss­ten, dass ihre Lieb­lings­sen­dung nie wieder ausge­strahlt werden würde.

Abb. 16: Badri Prasad Verma ‚Anjaan‘ in seinem Gehöft mit seinen priva­ten Samm­lun­gen und zwei Radio­ge­rä­ten (Natio­nal und Phil­lips), Gola Bazar, Gorakh­pur, Uttar Pradesh, Foto: Jyothi­das KV ©Autor.
Fig. 17: RBI’s last QSL card sent to Shak­un­tala Verma by the station (dated 11.10.1990), Private Coll­ec­tions Badri Prasad Verma ‘Anjaan’ and Shak­un­tala Verma, Gola Bazar, Gorakh­pur, Uttar Pradesh.
Abb. 18: Titel­seite des RBI News Bulle­tin, Ausgabe 1988. Private Samm­lun­gen Badri Prasad Verma ‚Anjaan‘ und Shak­un­tala Verma, Gola Bazar, Gorakh­pur, Uttar Pradesh, Foto: Jyothi­das KV ©Autor.
Abb. 19: Badri Prasad Verma ‚Anjaan‘ zeigt einen RBI-Wimpel für den DX-Club­prä­si­den­ten, Privat­samm­lung Badri Prasad Verma ‚Anjaan‘ und Shak­un­tala Verma, Gola Bazar, Gorakh­pur, Uttar Pradesh, Foto: Jyothi­das KV ©Autor.
Abb. 20: Shak­un­tala Verma (Anjaan) in ihrem Gehöft mit einem RBI-Tuch­ka­len­der von 1988, Gola Bazar, Gorakh­pur, Uttar Pradesh, Foto: Jyothi­das KV ©Autor.
Abb. 21: Badri Prasad Verma ‚Anjaan‘ mit einer vom RBI gesand­ten DDR-Flagge. Privat­samm­lun­gen Badri Prasad Verma ‚Anjaan‘ und Shak­un­tala Verma, Gola Bazar, Gorakh­pur, Uttar Pradesh, Foto: Jyothi­das KV ©Autor.

Shak­un­tala und Badri Prasad waren alles andere als passive Empfän­ge­rIn­nen der „Propa­ganda“ des Kalten Krie­ges. Sie verfolg­ten auch die Hindi-Sendun­gen der Deut­schen Welle, von Radio Tasch­kent, Radio Beijing, Voice of America, BBC Hindi Service und Radio Moskau mit Aufmerk­sam­keit. Sie erzähl­ten jedoch, dass RBI und seine Mode­ra­to­rIn­nen zu ihren Favo­ri­ten gehör­ten. Die Sendung berührte ihre Herzen, und ange­sichts der Ernst­haf­tig­keit, mit der der Sender ihre Briefe, Bitten und Fragen beant­wor­tete, fühl­ten sie sich vom Sender „aner­kannt“. Beide haben bis heute mehrere Ordner mit Brie­fen, QSL-Karten, Broschü­ren, Zeit­schrif­ten und Rund­brie­fen des Senders aufbe­wahrt (Abb. 18), Wimpel, Kalen­der und Fahnen bewah­ren sie in ihrem Schlaf­zim­mer auf (Abb. 19, 20 und 21). Zwei der Beiträge des Hindi-Programms – Aapne Poocha hai (Sie haben uns gefragt) und Naya Daur Naye Prashn (Eine neue Ära, neue Fragen) –, von denen etwa 200 Sendun­gen (1988–90) in Form von Magnet­bän­dern aus dem RBI-Bestand des Deut­schen Rund­funk Archivs in Pots­dam zugäng­lich sind, sind voll von Fragen, die von den Vermas an die Sendung gestellt wurden und die in der Sendung gebüh­rend beant­wor­tet wurden. Für Badri Prasad Verma hat das RBI nicht nur seine Neugierde in Bezug auf die DDR und den Kalten Krieg ange­spro­chen, sondern ihm auch die Möglich­keit gege­ben, sich einen Über­blick über die globale Kultur­po­li­tik des Kalten Krie­ges zu verschaf­fen. Es ermög­lichte ihm, der aus dem sehr loka­li­sier­ten länd­li­chen Kontext von Gola Bazaar im östli­chen Uttar Pradesh kam, einen Inter­na­tio­na­lis­mus zu leben. Die Sendung war ein Mittel, um sich über eine ideo­lo­gi­sche Alter­na­tive zu infor­mie­ren – eine Perspek­tive, die sich von dem unter­schied, was er bei BBC, DW oder VOA hörte – und eine kriti­sche Stel­lung­nahme zur Welt­po­li­tik abzu­ge­ben. Vor allem die Beiträge der Hindi-Sendung halfen ihm, das Alltags­le­ben der Bürge­rIn­nen in der DDR und in Indien zu verglei­chen und gegenüberzustellen.

Nach­dem sie unsere Briefe gele­sen hatten, und es waren so viele, die wir ihnen regel­mä­ßig schick­ten, dach­ten sie (RBI) viel­leicht, dass diese Menschen in einem klei­nen, abge­le­ge­nen Dorf im Osten UPs so wiss­be­gie­rig sind. Wir hatten so viele Fragen – über ihr Land, seine Kultur, sein poli­ti­sches System, seine Vergan­gen­heit und vor allem über seine Menschen. Das RBI ermög­lichte es mir, zu zeigen, dass man, auch wenn man aus einem winzi­gen Dorf kommt, ein Teil der großen, weiten Welt sein kann.9

Fazit

In ihrem Bericht über ihre Erfah­run­gen mit dem Lesen von Höre­rIn­nen­brie­fen während ihrer fast neun­jäh­ri­gen Tätig­keit beim Sender sagte Sabine Imhof, die auch den Spitz­na­men „Post­kö­ni­gin“ trägt:

Das ist es, was mich von Anfang an an meiner Arbeit beein­druckt und begeis­tert hat – dass sie (die Höre­rin­nen und Hörer) uns von ihren Akti­vi­tä­ten, ihrem Alltag, ihren Proble­men, ihren Erfol­gen erzähl­ten, dass sie so viele Fragen stell­ten. Trotz des schlech­ten Empfangs – er schwankte! – hörten sie uns über die Jahre hinweg weiter zu. Sie erzähl­ten uns von ihrem poli­ti­schen Akti­vis­mus – dass sie manch­mal Protest­mär­sche orga­ni­sier­ten und dass sie uns Bilder von all ihren Akti­vi­tä­ten schick­ten. Wenn also ein Club eine neue Straße in seinem Dorf gebaut hatte, schick­ten sie uns ein stol­zes Bild der neuen Straße, auf der sie selbst mit RBI-Trans­pa­ren­ten stan­den, die wir ihnen geschickt hatten [lächelt].10

Am 2. Okto­ber 1990 sendete Radio Berlin Inter­na­tio­nal zum letz­ten Mal. Danach wurde der Sender offi­zi­ell geschlos­sen und die Deut­sche Welle wurde zum einzi­gen Auslands­sen­der der wieder­ver­ei­nig­ten deut­schen Staa­ten. Drei Mitar­bei­te­rIn­nen der Hindi-Abtei­lung von RBI wurden bei der DW wieder einge­stellt, während die Mehr­heit über Nacht ihren Job verlor und viele danach einen ande­ren beruf­li­chen Weg einschlu­gen. Meine seit 2018 andau­ern­den Gesprä­che mit den Mode­ra­to­rIn­nen und Höre­rIn­nen bezeu­gen jedoch, dass der Sender von beiden Seiten alles andere als verges­sen ist. Wie ich bereits an ande­rer Stelle darge­legt habe, waren die Objekte, die vom Sender zu den Höre­rIn­nen nach Indien gelang­ten, ein Mittel zur Festi­gung von Banden der Inti­mi­tät, Liebe, Freund­schaft und Soli­da­ri­tät.11 Als Marker für die Verflech­tun­gen zwischen indi­schen und DDR-Akteu­ren verwei­sen sie auf die mate­ri­el­len, affek­ti­ven Regis­ter, die von den ansons­ten flüch­ti­gen Radio­wel­len erzeugt wurden. Ihre Nähe zu ihren Besit­ze­rIn­nen zeigt auch heute noch, dass Radio nicht nur gehört wurde, sondern dass seine Wellen weiter­hin durch Dinge „gefühlt“ wurden. Heute gehö­ren diese Objekte zu den Privat­samm­lun­gen und Haus­ar­chi­ven der Höre­rIn­nen, die eine bisher uner­forschte, reich­hal­tige Quel­len­ba­sis für die Doku­men­ta­tion der Rezep­ti­ons­ge­schichte des Senders sowie der Geschichte der Verflech­tun­gen zwischen Indien und der DDR im Kalten Krieg darstel­len können.

Dr. Anan­dita Bajpai

Leib­niz-Zentrum Moder­ner Orient (ZMO), Berlin

Prin­ci­pal Inves­ti­ga­tor, Craf­ting Entan­gle­ments: Afro-Asian Pasts of the Global Cold War

Leib­niz Colla­bo­ra­tive Excel­lence Project (2023–26) (K437/2022)

Fußnoten

[1] Inter­view mit Arvind Srivas­tava, en route Berlin to Bonn (DW), 31.01.2023.

[2] Doku­men­tar­film von Anan­dita Bajpai, The Sound of Friend­ship: Warm Wave­lengths in a Cold, Cold War , https://www.projekt-mida.de/2050/filmankuendigung-thesoundoffriendship/, trai­ler: https://www.youtube.com/watch?v=eCVWosBrzYk   

[3] Für eine ausführ­li­che Beschrei­bung solcher Objekte und der Art und Weise, wie die Hörer durch und mit ihnen “Liebe”, “Freund­schaft” und “Soli­da­ri­tät” prak­ti­zier­ten, siehe Anan­dita Bajpai, “Objects of Love: Remem­be­ring Radio Berlin Inter­na­tio­nal in India”, The GDR Tomor­row: Rethin­king the East German Legacy, hrsg. von Eliza­beth Emery, Matthew Hines & Evelyn Preuss (Oxford: Peter Lang, 2023), 240–266.

[4] Inter­view mit Arvind Srivas­tava, 27.03.2019, Madhe­pura, Bihar.

[5] Inter­view mit Rajen­dra Kumar Swarn­kar, 02.04.2022, Bika­ner, Rajasthan.

[6] Inter­view mit Rajen­dra Kumar Swarn­kar, 03.04.2022, Bika­ner, Rajasthan

[7] Inter­view mit Sabine Imhof, 31.07.2018, Berlin.

[8] In Anan­dita Bajpai, „Mate­rial Lives of Cold War Radio-pasts in India“, Histo­ri­cal Jour­nal of Film, Radio and Tele­vi­sion (erscheint 2023) habe ich den Werde­gang solcher Objekte und ihre affek­ti­ven Bindun­gen zu den Radio­hö­rern histo­risch aufbereitet.

[9] Inter­view mit Badri Prasad Verma Anjaan und Shak­un­tala Verma, 12.04.2022, Gola Bazaar, Gorakh­pur, Uttar Pradesh.

[10] Inter­view mit Sabine Imhof, 31.07.2018, Berlin.

[11] Anan­dita Bajpai, ‘Objects of Love: Remem­be­ring Radio Berlin Inter­na­tio­nal in India’, Ibid.