Der wahre Test einer Zivilisation ist die Abwesenheit von Angst um die Gesundheit.
Der achte Newsletter (2023).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro des Tricontinental: Institute for Social Research.
Vor einigen Jahren brachte mich ein kleines medizinisches Problem in das Krankenhaus Alemán-Nicaragüense in Nicaraguas Hauptstadt Managua. Während der Behandlung fragte ich den Arzt, einen freundlichen älteren Mann, ob das Krankenhaus aufgrund seines Namens (alemán bedeutet auf Spanisch «deutsch») als Projekt einer deutschen Missionsgesellschaft errichtet worden sei. Nein, sagte er: Dieses Krankenhaus hieß früher Carlos-Marx-Krankenhaus und wurde in den 1980er Jahren in Zusammenarbeit mit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gebaut. Die DDR arbeitete mit der sandinistischen Regierung Nicaraguas zusammen, um das Krankenhaus im Arbeiterviertel Xolotlán zu bauen, wo dreihunderttausend Menschen ohne Zugang zu medizinischer Versorgung lebten. Eine massive Solidaritätskampagne in der DDR trug dazu bei, Mittel für das Projekt zu beschaffen, und ostdeutsche Mediziner reisten nach Xolotlán und richteten vor Baubeginn ein provisorisches medizinisches Zeltlager ein. Das feste Krankenhaus wurde am 23. Juli 1985 eröffnet.
Als die Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) 1979 die Macht übernahm, fanden die Revolutionäre ein Land vor, in dem die Kindersterblichkeit auf 82 pro tausend Lebendgeburten in die Höhe geschnellt war (was heute die höchste Rate der Welt wäre) und in dem die Gesundheitsversorgung das Privileg einer kleinen Minderheit der Bevölkerung war. Außerdem war zu dem Zeitpunkt, als die FSLN in Managua einmarschierte, alles zerstört, was das Regime der Somoza-Familie während ihrer 43-jährigen Herrschaft an Gesundheitseinrichtungen betrieben hatte: Das Erdbeben von 1972 zerstörte 70 % der Gebäude der Stadt, darunter die Militär- und Baptistenkrankenhäuser sowie die meisten Gesundheitseinrichtungen. Der Bau des Carlos-Marx-Krankenhauses war ein gewaltiger Akt der Solidarität der Sozialisten, der in Managua auf den Trümmern einer Gesellschaft errichtet wurde, die von der Oligarchie des Landes und ihren Helfershelfern in Washington zugrunde gerichtet worden war (wie US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1939 über den damaligen Diktator sagte: «Somoza mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn»). Der sozialistische Internationalismus, von der Hilfe der DDR bis zu den Einsätzen des kubanischen medizinischen Personals, zusammen mit der Entwicklung der sandinistischen Gesundheitskampagnen, verbesserte das Leben der Nicaraguaner*innen deutlich.
An das Carlos-Marx-Krankenhaus erinnerte mich die neueste Ausgabe unserer Reihe Studien zur DDR, die gemeinsam von Tricontinental: Institute for Social Research und der Internationalen Forschungsstelle DDR (IFDDR) unter dem Titel «Sozialismus ist die beste Prophylaxe: Das Gesundheitssystem der Deutschen Demokratischen Republik» herausgegeben wurde. Die Informationen über das Carlos-Marx-Krankenhaus stammen aus einem kurzen Abschnitt der Studie über die internationale medizinische Solidarität der DDR, zu der neben vielen anderen Beispielen auch der Bau eines Krankenhauses in Vietnam während des US-Krieges gegen dieses Land und die Ausbildung von Tausenden von Ärzten aus der gesamten Dritten Welt in der DDR gehörten. Die Studie konzentriert sich jedoch nicht auf die medizinische Solidarität, die ein Teil des umfassenderen sozialistischen Internationalismus der DDR war, worüber eine spätere Ausgabe der Reihe berichten wird.
Die Studie befasst sich mit dem Bestreben der DDR, ein humanes und gerechtes Gesundheitssystem in einem durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten Land zu schaffen, in dem nur wenige Mittel zur Verfügung standen (und dessen Bevölkerungszahl nur ein Drittel der des westdeutschen Staates betrug). Der Titel der Studie, «Sozialismus ist die beste Prophylaxe», zitiert Dr. Maxim Zetkin (1883–1965), Sohn der Kommunistin und internationalen Frauenrechtlerin Clara Zetkin (1857–1933), der als Arzt und Krankenhausdirektor in der DDR arbeitete. Hier wurden Zetkins Worte zu einem weit verbreiteten Slogan und zum Leitmotiv des öffentlichen Gesundheitswesens, das die DDR für ihre Bevölkerung aufbaute und dabei der Richtlinie folgte, dass die Gesundheitsfürsorge präventiv oder prophylaktisch und nicht reaktiv oder lediglich mit der Behandlung von Krankheiten und Verletzungen nach deren Auftreten befasst sein müsse. Eine wirklich vorbeugende Gesundheitsfürsorge reduziert die Gesundheit nicht auf die medizinische Behandlung, sondern konzentriert sich auf das allgemeine Wohlbefinden der Bevölkerung, indem sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen kontinuierlich verbessert. Die DDR erkannte an, dass Gesundheit als soziale Verantwortung verstanden werden und in allen Politikbereichen Vorrang haben muss, von der Sicherheit am Arbeitsplatz über den allgemeinen Zugang von Frauen zu reproduktiver Pflege, Ernährung und Vorsorgeuntersuchungen in Kindergarten und Schule bis hin zur Gewährleistung von Urlaub für die Arbeiterklasse. Zetkins Zitat macht aber auch deutlich, dass eine präventive Versorgung nur durch ein System verwirklicht werden kann, das das Profitstreben ausschaltet, da es unweigerlich zur Ausbeutung von Pflegekräften, überhöhten Preisen, Patenten auf lebensrettende Medikamente und künstliche Verknappung führt.
In der DDR wurde ein Netz medizinischer Einrichtungen geschaffen, die sich um die Verbesserung der Ernährung und des Lebensstandards bemühten sowie darum, Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, anstatt zu warten, bis sie sich zu schwereren Leiden entwickeln. All dies musste in einem stark sanktionierten Land aufgebaut werden, in dem die materielle Infrastruktur durch den Krieg zerstört worden war und in dem viele Ärzte in den Westen flohen (immerhin waren etwa 45 Prozent der deutschen Ärzte Mitglieder der Nazipartei gewesen und sie wussten, dass sie im Westen mit Nachsicht behandelt würden, während in der DDR strafrechtliche Konsequenzen drohten).
Das Engagement der DDR für eine umfassende Gesundheitsversorgung basierte auf dem Konzept der Sozialhygiene, das der Begründer der modernen Pathologie Rudolf Virchow (1821–1902) entwickelte, um die sozio-politischen Determinanten der Gesundheit zu untersuchen, sowie auf dem sowjetischen »Einheitszahler«-Gesundheitssystem, das von Nikolai Semaschko, Volkskommissar für Gesundheit in der Sowjetunion von 1918 bis 1930, entwickelt wurde.
Zu den Schlüsselaspekten des DDR-Gesundheitssystems, die in unserer Studie ausführlich beschrieben werden, gehören die Polikliniken und das System der Gemeindeschwestern. Wenn sich eine Person krank fühlte, suchte sie eine Poliklinik auf, die sich in der Nachbarschaft oder auch in den Betrieben selbst befand. Jeder Person waren die Polikliniken zugänglich, wo sie das Personal über ihr Leiden informierte und einen Arzt aufsuchte, der sie auch sofort an eine der zahlreichen Fachabteilungen der Klinik überweisen konnte (z. B. Innere Medizin, Zahnmedizin, Gynäkologie, Chirurgie, Pädiatrie und Allgemeinmedizin). Das medizinische Fachpersonal war öffentlich angestellt und bezahlt und konnte sich so auf die Heilung des Patienten konzentrieren, anstatt unnötige Tests und Medikamente zu verschreiben, die auf Kosten der Patient*innen oder Krankenkassen gehen. Die verschiedenen Mediziner*innen und Spezialist*innen, die in einer einzigen Poliklinik arbeiteten, berieten sich gegenseitig, um die beste Behandlungsmethode zu finden. Außerdem arbeiteten im Durchschnitt 20 Ärzt*innen in jeder Klinik, was lange Betriebszeiten ermöglichte.
Die DDR war nicht der einzige Ort, an dem ein Gesundheitssystem auf der Grundlage dieser Art von sozialistischen Polikliniken aufgebaut wurde: Vor zwei Jahren veröffentlichte Tricontinental: Institute for Social Research das Dossier Nr. 25 über die von Kommunist*innen in den Telugu-sprachigen Regionen Indiens betriebenen Polikliniken mit dem Titel People’s Polyclinics: The Initiative of the Telugu Communist Movement. Der wichtigste Aspekt dieser Polikliniken für unsere Zeit ist, dass für die Behandlung kein Geld gezahlt wurde (was in Indien, wo die Kosten für die Gesundheitsversorgung außerordentlich hoch sind, besonders bemerkenswert ist).
Ein Absatz in unserer Studie ließ mich innehalten:
Um die präventive Versorgung auf ländliche Gebiete und verstreute Dörfer auszudehnen, wurden Landambulatorien gebaut und mit bis zu drei Ärzt*innen besetzt. Die Zahl dieser Einrichtungen stieg von 250 im Jahr 1953 auf 433 im Jahr 1989. Dazu besetzten auch die in den Städten in öffentlichen Arztpraxen arbeitenden Ärzt*innen vorübergehend Außenstellen, um den Einwohner*innen Sprechstunden und Hausbesuche zu ermöglichen, während mobile Zahnkliniken abgelegene Dörfer besuchten und allen Kindern eine präventive Versorgung garantierten. Darüber hinaus wurde in den frühen 1950er Jahren die Tätigkeit der Gemeindeschwester entwickelt, womit der anfängliche Ärztemangel auf dem Lande gelindert wurde; die Zahl der Gemeindeschwesternstationen stieg von 3.571 im Jahr 1953 auf 5.585 im Jahr 1989. Diese umfassende ländliche Infrastruktur ermöglichte es, weniger dicht besiedelte Regionen mit medizinischen Dienstleistungen zu versorgen, die mit denen in städtischen Gebieten vergleichbar waren.
Im Jahr 2015 veröffentlichte die Internationale Arbeitsorganisation einen Bericht, aus dem hervorging, dass 56 Prozent der Landbevölkerung weltweit keine Gesundheitsversorgung haben, wobei das größte Defizit in Afrika zu verzeichnen ist, gefolgt von Lateinamerika und Asien. In der DDR – die nur einundvierzig Jahre, von 1949 bis 1990, bestand – baute das sozialistische Projekt eine ländliche Gesundheitsversorgung auf, die jede Einwohner*in über das Gemeindeschwestern-System mit der ärztlichen Versorgung in den Polikliniken der Städte oder in den Landambulatorien verband. Die Gemeindeschwester kannte die Bewohner des Dorfes, stellte erste Diagnosen und bot entweder Behandlungen an oder koordinierte die Arztbesuche. Als die DDR 1990 aufgelöst und in das vereinigte Deutschland eingegliedert wurde, wurde das Gemeindeschwesternsystem aufgelöst, alle 5.585 Gemeindeschwestern wurden entlassen, was zur erheblichen Verschlechterung der Gesundheitsversorgung auf dem Lande führte.
Wir hoffen, dass ihr am 28. Februar an einer Online-Podiumsdiskussion teilnehmen werdet, um zu erörtern, wie sozialistische Systeme der Vergangenheit und der Gegenwart die Gesundheitsversorgung so umgestaltet haben, dass sie den Bedürfnissen der Menschen und nicht dem Profit dienen.
Nordwestlich von Managua, in der Stadt León, lebte der Dichter Alfonso Cortés (1893–1969), der im Alter von 34 Jahren für «verrückt» erklärt und in seinem Schlafzimmer angekettet worden war. Ein anderer großer Dichter Nicaraguas, Ernesto Cardenal (1925–2020), wuchs nicht weit vom Haus von Cortés auf. Cardenal erzählte, dass er als Kind von der Schule der Christlichen Brüder aus am Haus von Cortés vorbeiging und einmal den «poeta loco» in seinen Ketten sah. Aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung war Cortés zu dieser Demütigung verdammt. Einmal fuhr Cortés auf dem Weg zu einem Arzt in Managua an einem tausendjährigen Genízaro-Baum in Nagarote vorbei, dem der «poeta loco» ein wunderschönes Gedicht der Hoffnung widmete:
Ich liebe dich, alter Baum, weil du zu allen Stunden
Geheimnisse und Schicksale hervorbringst
mit der Stimme der Abendwinde
oder der Vögel in der Morgendämmerung.
Du, der du den öffentlichen Platz schmückst,
denkst Gedanken, die göttlicher sind
als die der Menschen, zeigst die Wege
mit deinen stolzen und klangvollen Zweigen.
Genízaro, deine alten Narben
(wie es in einem alten Buch geschrieben steht)
was die Zeit in ihrem ständigen Fallen tut;
Doch deine Blätter sind frisch und fröhlich
und du lässt deinen Kelch in die Unendlichkeit zittern
während die Menschheit vorwärts geht.
Herzlichst,
Vijay