Newsletter Logo

Die Hoffnung auf ein eigenes, panafrikanisch kontrolliertes Elektroauto-Projekt musste begraben werden

Der zweiundfünfzigste Newsletter (2022).

Pathy Tshin­dele (Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kongo), Ohne Titel, 2016.

Liebe Freund*innen,

 

Grüße aus dem Büro von Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch.

 

Die Regie­rung der Verei­nig­ten Staa­ten hat Mitte Dezem­ber den US-Africa Leaders Summit abge­hal­ten, dem zum großen Teil ihre Befürch­tun­gen über den chine­si­schen und russi­schen Einfluss auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent zugrunde lagen. Die Vorge­hens­weise Washing­tons auf dem Gipfel war jedoch keine Routi­ne­di­plo­ma­tie, sondern rich­tete sich nach der umfas­sen­de­ren Agenda des Neuen Kalten Krie­ges, bei der die USA zuneh­mend darauf bedacht sind, die Bezie­hun­gen der afri­ka­ni­schen Staa­ten zu China und Russ­land zu stören. Diese krie­ge­ri­sche Haltung wird von den US-Militärplaner*innen voran­ge­trie­ben, die Afrika als «Südflanke der NATO» und China und Russ­land als «gleich­ran­gige Bedro­hung» anse­hen. Auf dem Gipfel­tref­fen beschul­digte der US-Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Lloyd Austin China und Russ­land, Afrika zu «desta­bi­li­sie­ren». Austin lieferte keine Belege für seine Anschul­di­gun­gen, abge­se­hen von dem Hinweis auf Chinas umfang­rei­che Inves­ti­tio­nen, Handels- und Infra­struk­tur­pro­jekte mit vielen Ländern des Konti­nents und der Brand­mar­kung der Präsenz von mehre­ren hundert Söld­nern der russi­schen priva­ten Sicher­heits­firma Wagner Group in einer Hand­voll Länder. 

 

Die afri­ka­ni­schen Regie­rungs­chefs und ‑chefin­nen verlie­ßen Washing­ton mit dem Verspre­chen von US-Präsi­dent Joe Biden, er würde eine Reise durch den gesam­ten Konti­nent unter­neh­men, mit der Zusage, dass die Verei­nig­ten Staa­ten 55 Milli­ar­den Dollar für Inves­ti­tio­nen bereit­stel­len werden, und mit einer hoch­tra­ben­den, aber leeren Erklä­rung zur Part­ner­schaft zwischen den USA und Afrika. Solange diesen Worten keine konstruk­ti­ven Taten folgen, können sie leider nur als leere Gesten und geopo­li­ti­sches Geplän­kel betrach­tet werden, wenn man die Bilanz der USA auf dem Konti­nent betrachtet. 

 

Die Abschluss­erklä­rung des Gipfels enthielt kein einzi­ges Wort zum drin­gends­ten Problem für die Regie­run­gen des Konti­nents: der lang­fris­ti­gen Schul­den­krise. Der Bericht der UN-Konfe­renz für Handel und Entwick­lung aus dem Jahr 2022 stellt fest, dass «60 % der am wenigs­ten entwi­ckel­ten Länder und ande­rer Länder mit nied­ri­gem Einkom­men ein hohes Risiko haben, in eine Schul­den­krise zu gera­ten oder bereits in eine solche gera­ten sind», wobei sech­zehn afri­ka­ni­sche Länder ein hohes Risiko haben und weitere sieben Länder – Tschad, Repu­blik Kongo, Mosam­bik, São Tomé und Prín­cipe, Soma­lia, Sudan und Simbabwe – bereits in eine Schul­den­krise gera­ten sind. Darüber hinaus sind drei­und­drei­ßig afri­ka­ni­sche Länder drin­gend auf Nahrungs­mit­tel­hilfe von außen ange­wie­sen, was die bereits bestehende Gefahr eines sozia­len Zusam­men­bruchs noch vergrö­ßert. Die meiste Zeit des Gipfels der Staats- und Regie­rungs­chefs der USA und Afri­kas wurde damit verbracht, über die abstrakte Idee der Demo­kra­tie zu dozie­ren, wobei Biden Staats­ober­häup­ter wie Präsi­dent Muham­madu Buhari (Nige­ria) und Präsi­dent Félix Tshise­kedi (Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kongo) auf absurde Weise beiseite nahm, um sie über die Notwen­dig­keit «freier, fairer und trans­pa­ren­ter» Wahlen in ihren Ländern zu beleh­ren, während er gleich­zei­tig zusagte, 165 Millio­nen Dollar zur «Unter­stüt­zung von Wahlen und guter Regie­rungs­füh­rung» in Afrika im Jahr 2023 bereitzustellen.

Chéri Samba (DR Kongo), Une vie non raté, 1995.

 

Der größte Teil der Schul­den der afri­ka­ni­schen Staa­ten ist bei wohl­ha­ben­den Anlei­he­gläu­bi­gern in den west­li­chen Staa­ten ange­sie­delt und wurde vom Inter­na­tio­na­len Währungs­fonds (IWF) vermit­telt. Diese priva­ten Gläu­bi­ger – die die Schul­den von Ländern wie Ghana und Sambia halten – haben sich gewei­gert, den afri­ka­ni­schen Staa­ten trotz der großen Notlage, in der sie sich befin­den, einen Schul­den­er­lass zu gewäh­ren. Bei Gesprä­chen über dieses Thema wird oft verges­sen, dass diese lang­fris­tige Schul­den­mi­sere größ­ten­teils durch die Ausplün­de­rung des Reich­tums des Konti­nents verur­sacht worden ist. 

 

Im Gegen­satz zu den reichen Anlei­he­gläu­bi­gern des Westens hat der größte staat­li­che Gläu­bi­ger afri­ka­ni­scher Staa­ten, China, im August 2022 beschlos­sen, drei­und­zwan­zig zins­lose Kredite an sieb­zehn Länder zu strei­chen und 10 Milli­ar­den Dollar seiner IWF-Reser­ven zur Verwen­dung durch die afri­ka­ni­schen Staa­ten anzu­bie­ten. Eine faire und ratio­nale Heran­ge­hens­weise an die Schul­den­krise auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent würde bedeu­ten, dass ein weit­aus größe­rer Teil der Schul­den bei west­li­chen Anlei­he­gläu­bi­gern erlas­sen werden und der IWF Sonder­zie­hungs­rechte verge­ben sollte, um den Ländern, die unter der ende­mi­schen Schul­den­krise leiden, Liqui­di­tät zu verschaf­fen. Nichts von alle­dem stand auf der Tages­ord­nung des Gipfels  Staats- und Regie­rungs­füh­run­gen der USA und Afrikas.

 

Statt­des­sen verband Washing­ton die Freund­lich­keit gegen­über den afri­ka­ni­schen Regie­rungs­chefs mit einer fins­te­ren Haltung gegen­über China und Russ­land. Ist diese Freund­lich­keit der USA ein ausge­streck­ter Oliven­zweig oder ein troja­ni­sches Pferd, mit dem sie ihre Agenda des Neuen Kalten Krie­ges auf den Konti­nent schmug­geln wollen? Das jüngste Weiß­buch der US-Regie­rung zu Afrika, im August 2022 veröf­fent­licht, deutet auf Letz­te­res hin. In dem Doku­ment, das sich angeb­lich auf Afrika konzen­triert, werden China und Russ­land zusam­men zehn Mal erwähnt, aber der Begriff «Souve­rä­ni­tät» kommt darin nicht vor. In dem Papier heißt es: 

 

Im Einklang mit der Natio­na­len Vertei­di­gungs­stra­te­gie 2022 wird das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rium mit afri­ka­ni­schen Part­nern zusam­men­ar­bei­ten, um die Risi­ken nega­ti­ver Akti­vi­tä­ten der Volks­re­pu­blik China und Russ­lands in Afrika aufzu­de­cken und hervor­zu­he­ben. Wir werden die zivi­len Vertei­di­gungs­in­sti­tu­tio­nen nutzen und die Vertei­di­gungs­zu­sam­men­ar­beit mit stra­te­gi­schen Part­nern ausbauen, die unsere Werte und unse­ren Willen zur Förde­rung des globa­len Frie­dens und der Stabi­li­tät teilen.

 

Das Doku­ment spie­gelt die Tatsa­che wider, dass die USA einräu­men muss­ten, dass sie mit dem, was China als Handels­part­ner bietet, nicht konkur­rie­ren können und auf mili­tä­ri­sche Macht und diplo­ma­ti­schen Druck zurück­grei­fen werden, um die Chine­sen vom Konti­nent zu verdrän­gen. Die massive Auswei­tung der US-Mili­tär­prä­senz in Afrika seit der Grün­dung des United States Africa Command 2007 – zuletzt mit einem neuen Stütz­punkt in Ghana und Manö­vern in Sambia – verdeut­licht diesen Ansatz.

 

Kura Shomali (DR Kongo), Miss Panda, 2018.

 

Die Regie­rung der Verei­nig­ten Staa­ten hat eine Rheto­rik entwi­ckelt, um Chinas Ruf in Afrika zu schä­di­gen, und spricht von «neuen Kolo­nia­lis­mus», wie es die ehema­lige US-Außen­mi­nis­te­rin Hillary Clin­ton 2011 in einem Inter­view ausdrückte. Entspricht dies der Reali­tät? 2017 veröf­fent­lichte die globale Unter­neh­mens­be­ra­tung McKin­sey & Company einen großen Bericht über Chinas Rolle in Afrika und stellte nach einer umfas­sen­den Bewer­tung fest: «Alles in allem glau­ben wir, dass Chinas wach­sen­des Enga­ge­ment für Afri­kas Volks­wirt­schaf­ten, Regie­run­gen und Arbeit­neh­mer äußerst posi­tiv ist.» Ein Beleg für diese Schluss­fol­ge­rung ist die Tatsa­che, dass seit 2010 «ein Drit­tel des afri­ka­ni­schen Strom­net­zes und der Infra­struk­tur von chine­si­schen Staats­un­ter­neh­men finan­ziert und gebaut wurde». Bei diesen von China betrie­be­nen Projek­ten stellte McKin­sey fest, dass «89 Prozent der Beschäf­tig­ten Afrikaner*innen waren, was fast 300.000 Arbeits­plätze für afri­ka­ni­sche Arbeitnehmer*innen bedeutet».

 

Natür­lich gibt es bei diesen chine­si­schen Inves­ti­tio­nen viele Belas­tun­gen, einschließ­lich Anzei­chen für schlech­tes Manage­ment und schlecht gestal­tete Verträge, aber diese sind weder einzig­ar­tig für chine­si­sche Unter­neh­men noch ende­misch für ihren Ansatz. Die Vorwürfe der USA, China betreibe eine «Schul­den­falle-Diplo­ma­tie», sind eben­falls weit­ge­hend entkräf­tet worden. Die folgende, in einem Bericht aus dem Jahr 2007 getrof­fene Fest­stel­lung ist nach wie vor aufschluss­reich: «China tut mehr für die Entwick­lung Afri­kas als jede hoch­tra­bende Rheto­rik über gute Regie­rungs­füh­rung». Diese Einschät­zung ist beson­ders bemer­kens­wert, wenn man bedenkt, dass sie von der in Paris ansäs­si­gen Orga­ni­sa­tion für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung stammt, einem zwischen­staat­li­chen Block, der von den G7-Staa­ten domi­niert wird. 

 

Wie wird die jüngste Zusage der Verei­nig­ten Staa­ten von 55 Milli­ar­den Dollar für die afri­ka­ni­schen Staa­ten ausfal­len? Werden die Gelder, die größ­ten­teils für Privat­un­ter­neh­men bestimmt sind, die Entwick­lung Afri­kas unter­stüt­zen oder ledig­lich die multi­na­tio­na­len US-Konzerne subven­tio­nie­ren, die die Nahrungs­mit­tel­pro­duk­tion und ‑vertei­lung sowie die Gesund­heits­sys­teme in Afrika beherrschen?

 

Mega Mingiedi Tunga (DR Kongo), Tran­sac­tor Code Rouge, 2021.

 

Hier folgt ein aufschluss­rei­ches Beispiel für die Leere und Absur­di­tät der Versu­che der USA, ihren Einfluss auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent wieder geltend zu machen. Im Mai 2022 unter­zeich­ne­ten die Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kongo und Sambia ein Abkom­men zur unab­hän­gi­gen Entwick­lung von Elek­tro­bat­te­rien. Die beiden Länder verfü­gen zusam­men über 80 Prozent der Mine­ra­lien und Metalle, die für die Wert­schöp­fungs­kette von Batte­rien benö­tigt werden. Das Projekt wurde von der UN-Wirt­schafts­kom­mis­sion für Afrika (ECA) unter­stützt, deren Vertre­ter Jean Luc Mastaki erklärte: «Die Wert­schöp­fung aus den Batte­rie­mi­ne­ra­lien durch eine inte­gra­tive und nach­hal­tige Indus­tria­li­sie­rung wird es den beiden Ländern defi­ni­tiv ermög­li­chen, den Weg zu einem robus­ten, wider­stands­fä­hi­gen und inte­gra­ti­ven Wachs­tums­mus­ter zu ebnen, das Arbeits­plätze für Millio­nen unse­rer Bevöl­ke­rung schafft». Mit Blick auf den Ausbau der einhei­mi­schen tech­ni­schen und wissen­schaft­li­chen Kapa­zi­tä­ten hätte das Abkom­men auf einer «Part­ner­schaft zwischen kongo­le­si­schen und sambi­schen Berg­bau- und Fach­hoch­schu­len» beruht. 

 

Die Socia­list Party of Zambia reagierte mit einer deut­li­chen Erklä­rung: «Die Regie­run­gen von Sambia und Kongo haben die Liefer­kette und die Produk­tion von Kupfer und Kobalt der ameri­ka­ni­schen Kontrolle über­las­sen. Und mit dieser Kapi­tu­la­tion ist die Hoff­nung auf ein eige­nes, panafri­ka­ni­sches Elek­tro­auto-Projekt unter panafri­ka­ni­scher Kontrolle für die nächs­ten Gene­ra­tio­nen erloschen».

 

Pierre Bodo (DRC), Femme surchar­gée, 2005.

 

Mit Kinder­ar­beit, die absur­der­weise «hand­werk­li­cher Berg­bau» genannt wird, gewin­nen multi­na­tio­nale Konzerne Rohstoffe, um die Produk­tion von Elek­tro­bat­te­rien zu kontrol­lie­ren, anstatt diesen Ländern zu erlau­ben, ihre eige­nen Ressour­cen zu verar­bei­ten und ihre eige­nen Batte­rien herzu­stel­len. José Tshi­sungu wa Tshi­sungu aus dem Kongo bringt uns in seinem Gedicht «Unhör­bar» das Leid der Kinder in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo nahe:

 

Hört die Klagen des Waisenkindes

Verse­hen mit dem Siegel der Wahrhaftigkeit

Er ist ein Kind von hier

Die Straße ist sein Zuhause

Der Markt sein Viertel

Der Klang seiner klagen­den Stimme

Zieht von Ort zu Ort

Unhör­bar.

 

 

Herz­lichst, 

 

Vijay

Aus dem Engli­schen von Claire Louise Blaser.