Alle Kanonen werden leise rosten.
Der zweiundfünfzigste Newsletter (2020).
Liebe Freund*innen,
Grüße vom Schreibtisch des Tricontinental: Institute for Social Research.
Unser Jahr wurde überschattet von der Corona Pandemie, der Ansturm des Virus paralysierte Gesellschaften auf der ganzen Welt. Einige Regierungen hatten klügere, wissenschaftlichere und humanere Ansätze zur Bekämpfung der Pandemie; viele (aber nicht alle) dieser Regierungen sind sozialistisch orientiert. Zu ihnen gehört der indische Bundesstaat Kerala, der im Südwesten des Landes liegt, 35 Millionen Einwohner hat und von der Linksdemokratischen Front (LDF) regiert wird. Keralas Gesundheitsministerin KK Shailaja wurde später als «Coronavirus-Killer» gefeiert, weil sie eine Regierung führt, die die Bedürfnisse der Bevölkerung über Profit und Aberglauben stellt.
Es ist nicht so, dass es in Kerala keine Fälle von COVID-19 gegeben hätte, auch nicht, dass es keine Todesfälle gegeben hätte. Aber die Regierung hatte maßvoll, schnell und überlegt gehandelt, um die Öffentlichkeit zu informieren; hat die Regierungsmaschinerie genutzt, um die Bevölkerung auf COVID-19 zu testen, Kontaktsuchen durchzuführen, die Infizierten zu isolieren und zu behandeln und alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Kurve flach zu halten. Darüber hinaus handelten Gewerkschaften, Kooperativen, Studierenden- und Jugendorganisationen, Frauenorganisationen und viele andere äußerst diszipliniert, um der Bevölkerung Informationen und Unterstützung zukommen zu lassen, was auf eine lange Geschichte organisierter Bürger*innenbeteiligung im Staat zurückzuführen ist, die oft von Kommunist*innen und Sozialreformer*innen geleitet wurde.
Anfang Dezember fanden in ganz Kerala Kommunalwahlen statt. Die kommunistischen Kandidat*innen gewannen bei diesen Wahlen mehr Sitze als alle Oppositionsparteien zusammen. Die rechtsgerichtete Bharatiya Janata Party (BJP), die die indische Regierung in Delhi unter der Führung von Premierminister Narendra Modi führt, und der mitte-rechts Indische Nationalkongress, der die Hauptopposition in Kerala ist, führten eine bösartige Kampagne gegen die Linke, einschließlich erbitterter persönlicher Angriffe gegen Keralas Chief Minister Pinarayi Vijayan. Die Medien – die fast ausschließlich von großen Privatkonzernen kontrolliert – führten den Angriff auf die Linke an und ließen neue Initiativen, die von der Linken in dieser bemerkenswert schwierigen Zeit vorangetrieben wurden, unbeachtet.
So wurde beispielsweise die Einweihung von vierunddreißig neuen öffentlichen Schulen für das Centre of Excellence-Projekt von den Konzernmedien nicht zur Kenntnis genommen, obwohl es dadurch zu einer langsamen Rückkehr von Kindern aus teuren Privatschulen in die neugestalteten staatlichen Schulen kam. Wenn sie über Initiativen berichteten, wie z.B. den Bau von etwa 250.000 Häusern für die Arbeiterklasse und die Bedürftigen durch «Life Mission», konzentrierten sich die Medien auf böswillige Behauptungen, zum Beispiel dass Spendengelder aus den Vereinigten Arabischen Emiraten die Devisenbestimmungen verletzt hätten. Diese unbegründeten Angriffe bildeten die Kulisse dieser Kommunalwahlen.
Die Linke in Kerala trat zu dieser Wahl mit mehreren bedeutenden Vorteilen an. Erstens hat die kommunistische Bewegung im Laufe eines Jahrhunderts des Kampfes und des Regierens eine Agenda zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen vorangetrieben, unter anderem durch die Förderung von Gesundheit, Bildung und Wohnungsbau, und sie hat ihre Tradition gesellschaftlichen Handelns verinnerlicht. Zweitens war es die Linke, die vor 25 Jahren eine Volksplanungskampagne initiierte; dieser Prozess belebte die lokalen Selbstverwaltungsorgane und machte sie zu entscheidenden Plattformen für Büger*inneninitiativen und für die Entwicklung von Linksalternativen. Drittens hat die derzeitige Regierung der Linken Demokratischen Front eine vorbildliche Bilanz bei der Bewältigung von Krisen, die der Pandemie vorausgingen, wie die katastrophalen Überschwemmungen und der Ausbruch des Nipah-Virus, die das Land 2018 heimsuchten. Viertens sind die Massenorganisationen der Linken im Bundesstaat auf die Bedürfnisse der Menschen eingestellt und sie arbeiten, leisten Hilfe, kämpfen gegen soziale Unwürdigkeit und für die Erweiterung der Rechte der Menschen. Am deutlichsten war dies während der Pandemie zu sehen, als Studierenden‑, Jugend‑, Frauen‑, Arbeiter*innen- und Bauernorganisationen Lebensmittel und Medikamente verteilten, öffentliche Waschanlagen bauten und die lokalen Regierungen bei Tests, Rückverfolgung und Durchsetzung der Quarantäne unterstützten. Diese gemeinsame Arbeit war das beste Gegenmittel gegen die Bösartigkeit der Konzernmedien.
Und aus dieser bemerkenswerten Arbeit unter den Massen wählte die Linke ihre Kandidat*innen für die Kommunalwahlen aus, die meisten von ihnen sehr jung und eine große Anzahl von ihnen weibliche Nachwuchskräfte aus dem ganzen Bundesstaat. Im Folgenden finden Sie kurze Eindrücke von fünf dieser neuen Mandatsträger*innen.
Reshma Mariam Roy gewann ihren Sitz im Aruvappulam grama panchayat (lokale Selbstverwaltung auf Dorfebene), der in den letzten fünfzehn Jahren vom Kongress vertreten worden war. Reshma wurde am Tag vor ihrer Nominierung einundzwanzig Jahre alt, das Mindestalter für die Teilnahme an diesen Wahlen. Sie ist Mitglied der Students’ Federation of India (SFI) und der Democratic Youth Federation of India (DYFI), beides Massenorganisationen der Kommunistischen Partei Indiens (marxistisch), und eine führende Persönlichkeit in ihrer College-Gewerkschaft. Während der Pandemie hatte Reshma für das Helping Hand-Programm gearbeitet, das von KU Jineesh Kumar, einem anderen linken Jugendführer und dem örtlichen Abgeordneten in der staatlichen Legislative, ins Leben gerufen worden war; im Rahmen des Programms wurde jenen geholfen, die während des Lockdown auf Unterstützung angewiesen waren. Während ihrer Kampagne führte Reshma ein Tagebuch, in dem sie Beschwerden, Sorgen und Forderungen der Menschen notierte. Sie war froh, dass die Linke jungen Menschen die Möglichkeit gab, bei diesen Wahlen zu kandidieren. «Wenn die Leute nach fünf Jahren eine gute Meinung von mir haben», sagte sie, «ist das der eigentliche Sieg».
Arya Rajendran, einundzwanzig Jahre alt, ist die Präsidentin von Balasangham, einer Organisation von einer Million Kindern, die sich für die Förderung wissenschaftlicher und säkularer Werte unter Kindern einsetzt. Sie wurde am 28. Dezember 1938 in Kalliasseri, Kannur (Kerala), gegründet; ihr erster Präsident war der junge Kommunist (und spätere Chief Minister von Kerala für elf Jahre) E.K. Nayanar. Arya, Mitglied der SFI, absolvierte während des Wahlkampfs für ihren Sitz im Stadtrat von Thiruvananthapuram ihre Abschlussprüfungen am College. «Lokale Gremien sind die Hauptadern des demokratischen Prozesses in Kerala», sagte sie. «Es ist wichtig, dass wir junge Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen, in ein Amt wählen. Durch lokale Ämter können wir sicherstellen, dass jede*r von der linken Alternative profitiert, die im Staat entwickelt wird».
PP Divya ist mit ihren sechsunddreißig Jahren bereits eine Veteranin in der kommunistischen Bewegung. Sie ist eine Führungspersönlichkeit in der DYFI und der All-India Democratic Women’s Association (AIDWA) und ist Mitglied des Bezirkskomitees der Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch). Seit 2015 ist sie Mitglied des Distrikt-Panchayat (Rat), wurde nun wiedergewählt und wird voraussichtlich die Präsidentin des Distriktrats werden. Divya war nicht nur eine Schlüsselfigur im Kampf gegen COVID-19 in ihrem Distrikt, sondern sie hat sich für grundlegende Verbesserungen im täglichen Leben eingesetzt und Proteste in Solidarität mit dem Aufstand der Bauern und Bäuerinnen, der Indien erfasst hat, angeführt.
E. Afsal ist, wie Reshma und Arya, ein ein Führungsmitglied der SFI. Im Alter von fünfundzwanzig Jahren gewann er den Wahlkreis Mangalam im Bezirksrat von Malappuram. Afsal, Reshma und Arya treten in die Fußstapfen von KV Sudheesh, der ein Anführer der Studierenden und ein gewählter Amtsträger des Bezirksrats von Kannur war. Am 26. Januar 1994 wurde Sudheesh von Mitgliedern der faschistischen RSS, die mit Indiens regierender BJP verbunden ist, erstochen.
Genossin Prameela, die als Lohnarbeiterin in der Landwirtschaft arbeitet, war eine von 58 % Frauen, die bei dieser Kommunalwahl Sitze gewannen. Prameela ist Mitglied der Kommunistischen Partei Indiens (marxistisch), eine der Direktorinnen im Vorstand der Kodakkad Service Co-operative Bank und eine Leiterin der AIDWA. Sie gewann ihren Sitz im Pilicode Panchayat mit mehr als 90 % der Stimmen.
1976 schrieb der kommunistische Dichter Kadammanitta Ramakrishnan Kannurkkotta oder Kannur Fort, ein Gedicht, das seine Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass das Alte vergehen und die Jugend eine neue Welt hervorbringen kann. Ramakrishnan war Präsident der Purogamana Kala Sahitya Sangham (der progressiven Schriftstellervereinigung) und ein gewähltes Mitglied der Bundestaatsversammlung (seine Kandidatur wurde von den Linken unterstützt).
All the fortresses will become antiques.
All the cannons will silently rust.
All the sultans will run away into the dark caves.
My children, who are not sleep deprived,
Will witness curiously all these events.
All die Festungen werden zu Antiquitäten.
Alle Kanonen werden still vor sich hin rosten.
Alle Sultane werden sich in dunkle Höhlen flüchten.
Meine Kinder, die ausgeschlafen sind,
werden auf wundersame Weise Zeugen dieser Vorgänge werden.
Sie werden dies als wundersam erleben, eben weil sie nicht auf die Vergangenheit fixiert sind. Reshma, Arya, Divya, Prameela, Afsal und andere werden die Kanonen und die Sultane ins Abseits drängen, um eine demokratische Welt zu errichten. Und während sie dies tun, gehen wir direkt neben ihnen.
Herzlich, Vijay.
Ich bin Tricontinental: Atul Chandra, Forscher, Dehli Büro
Ich bin zur Zeit mit der Umsetzung des Kurses Eine kurze Einführung in den Indischen Kommunismus (1920–1947) beschäftigt und habe an der Veröffentlichung des Dossiers 100 years of Indian Communism in verschiedenen Sprachen mitgewirkt. Außerdem bin ich an einem Langzeitprojekt beteiligt, welches sich mit kommunistischer Geschichte beschäftigt, in dem die Stimmen älterer Genoss*innen gehört werden, ihre Geschichten und Erfahrungen, und was sie dazu brachte, ihr Leben der Befreiungsbewegung zu widmen.
Aus dem Englischen übersetzt von Claire Louise Blaser.