Der neue Kalte Krieg mit Australien als Frontstaat verheißt nichts Gutes.

Der neunundvierzigste Newsletter (2022).

John (Prince) Siddon (Austra­lien), Slim Dusty, Looking Forward, Looking Back, 2021.

Liebe Freund*innen,

 

Grüße aus dem Büro von Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch.

 

Am 15. Novem­ber 2022, während des G20-Gipfels in Bali (Indo­ne­sien), erklärte der austra­li­sche Premier­mi­nis­ter Anthony Alba­nese vor Jour­na­lis­ten, dass sein Land «eine stabile Bezie­hung zu China anstrebt». Denn, wie Alba­nese betonte, China ist «Austra­li­ens größ­ter Handels­part­ner und mehr wert als Japan, die Verei­nig­ten Staa­ten und die Repu­blik Korea zusam­men». Seit 2009 ist China auch Austra­li­ens größ­tes Export­ziel und die größte Einzel­quelle für austra­li­sche Importe.

 

In den letz­ten sechs Jahren hat China Austra­li­ens Anfra­gen für Tref­fen aufgrund der engen mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit Austra­li­ens mit den USA weit­ge­hend igno­riert. Nun hat Chinas Präsi­dent Xi Jinping in Bali deut­lich gemacht, dass die chine­sisch-austra­li­schen Bezie­hun­gen «gehegt und gepflegt» werden müssen. Auf die Frage, ob Xi die Betei­li­gung Austra­li­ens an mehre­ren Mili­tär­pak­ten gegen China ange­spro­chen habe, antwor­tete Alba­nese, dass Fragen der stra­te­gi­schen Riva­li­tät «außer in allge­mei­nen Kommen­ta­ren nicht ange­spro­chen wurden».


Der ehema­lige austra­li­sche Premier­mi­nis­ter Kevin Rudd sagte kürz­lich, dass der Anstoß für das Einfrie­ren der Bezie­hun­gen zwischen Austra­lien und China vor sechs Jahren die «US-Doktrin des stra­te­gi­schen Wett­be­werbs» gewe­sen sei. Diese Ausrich­tung wird in der Natio­na­len Sicher­heits­stra­te­gie der USA für 2022 deut­lich, in der es heißt, dass China «Ameri­kas größte geopo­li­ti­sche Heraus­for­de­rung» ist. Auf Bali sagte US-Präsi­dent Joe Biden, die USA und China müss­ten «den Wett­be­werb verant­wor­tungs­voll mana­gen», was darauf hindeu­tet, dass die USA eine weni­ger krie­ge­ri­sche Haltung gegen­über China einneh­men könn­ten, indem sie es nicht durch US-Mili­tär­pakte in Asien unter Druck setzen und die Verschär­fung der Krise um Taiwan verrin­gern. Rudd deutet an, dass Bidens verän­der­ter Ton Alba­nese die Gele­gen­heit gege­ben haben könnte, die Bezie­hun­gen zwischen Austra­lien und China «neu zu gestalten».

Nura Rupert (Austra­lien), Mamu (Spooky Spirits), 2002.

Bevor Alba­nese nach Bali abreiste, wurde jedoch bekannt, dass sechs atom­waf­fen­fä­hige US-B-52-Bomber im Norden Austra­li­ens auf dem Luft­waf­fen­stütz­punkt Tindal statio­niert werden sollen. Außer­dem wird Austra­lien 11 große Lager­tanks für Flug­zeug­treib­stoff bauen, so dass die USA über eine Betan­kungs­ka­pa­zi­tät verfü­gen, die näher an China liegt als ihr Haupt­treib­stoff­la­ger im Pazi­fik, Hawaii. Der Bau dieser «Squa­dron Opera­ti­ons Faci­lity» würde sofort begin­nen und bis 2026 abge­schlos­sen sein. Die 646 Millio­nen Dollar teure Aufrüs­tung umfasst auch neue Ausrüs­tung und Verbes­se­run­gen für die US-ameri­ka­nisch-austra­li­sche Spio­na­ge­ba­sis in Pine Gap, wo die benach­barte Bevöl­ke­rung von Alice Springs befürch­tet, in einem Krieg, den sie nicht will, ein nuklea­res Ziel zu sein.


Diese Ankün­di­gun­gen kommen nicht über­ra­schend. US-Bomber, darun­ter auch B‑52, waren s seit den 1980er Jahren immer wieder auf dem Stütz­punkt und haben seit 2005 an US-ameri­ka­nisch-austra­li­schen Übungs­ope­ra­tio­nen teil­ge­nom­men. 2016 erklärte die Befehls­ha­be­rin der US-Luft­streit­kräfte im Pazi­fik, Gene­ral Lori Robin­son, dass die USA wahr­schein­lich den B‑1-Bomber – der eine größere Reich­weite und eine höhere Nutz­last hat – zu diesen Übun­gen hinzu­zie­hen würden. Die US-ameri­ka­nisch-austra­li­sche Enhan­ced Air Coope­ra­tion (2011) hat diese Erwei­te­run­gen bereits zuge­las­sen, obwohl dies austra­li­sche Regie­rungs­be­amte regel­mä­ßig in Verle­gen­heit gebracht hat, die mehr Diskre­tion vorzie­hen würden, was auch auf die Anti-Atom-Einstel­lun­gen in Neusee­land und in vielen benach­bar­ten pazi­fi­schen Insel­staa­ten zurück­zu­füh­ren ist, die den Vertrag von Rarotonga aus dem Jahr 1986 unter­zeich­net haben, der die Region zu einer atom­waf­fen­freien Zone erklärt.

Minnie Pwerle (Austra­lien), Bush Melon Seed, 1999.

Der Ausbau des Luft­waf­fen­stütz­punkts Tindal und die Moder­ni­sie­rung der Spio­na­ge­ba­sis Pine Gap sind Teil der allge­mei­nen Vertie­fung der mili­tä­ri­schen und stra­te­gi­schen Bezie­hun­gen zwischen den USA und Austra­lien. Diese Bezie­hun­gen haben eine lange Geschichte, wurden aber durch den Sicher­heits­ver­trag zwischen Austra­lien, Neusee­land und den Verei­nig­ten Staa­ten (ANZUS) von 1951 und den Beitritt Austra­li­ens zum Five Eyes Intel­li­gence Network im Jahr 1956 forma­li­siert. Seit­dem haben Austra­lien und die USA ihre sicher­heits­po­li­ti­schen Bezie­hun­gen verstärkt, indem sie beispiels­weise den Trans­fer von mili­tä­ri­scher Ausrüs­tung der US-Rüstungs­in­dus­trie nach Austra­lien erleich­ter­ten. 2011 verein­bar­ten US-Präsi­dent Barack Obama und die austra­li­sche Premier­mi­nis­te­rin Julia Gillard, einige tausend US-Mari­nes in Darwin und Nord­aus­tra­lien zu statio­nie­ren und US-Bombern häufige Flüge zu dieser Basis zu ermög­li­chen. Dies war Teil von Obamas «Pivot to Asia», mit dem die USA Druck auf den wirt­schaft­li­chen Aufstieg Chinas ausübten. 

 

Zwei neue sicher­heits­po­li­ti­sche Bünd­nisse – der Quadri­la­te­rale Sicher­heits­dia­log (Quad, 2017 wieder­auf­ge­nom­men) und AUKUS (2021) – haben diese Bezie­hun­gen weiter vertieft. Der Quad brachte Indien und Japan mit Austra­lien und den USA zusam­men. Seit 1990 ist Austra­lien Gast­ge­ber der Übung Pitch Black in Tindal, einem mili­tä­ri­schen Kriegs­ma­nö­ver, bei dem es mit verschie­de­nen Ländern zusam­men­ar­bei­tet. Da die indi­sche Luft­waffe 2018 und Japan 2022 hinzu­ka­men, sind nun alle Quad- und AUKUS-Mitglie­der an dieser großen Luft­lan­de­übung betei­ligt. Austra­li­sche Beamte sagen, dass nach der Erwei­te­rung von Tindal auch die Übung Pitch Black an Umfang zuneh­men wird. Im Okto­ber 2022 aktua­li­sier­ten Premier­mi­nis­ter Alba­nese und Japans Premier­mi­nis­ter Fumio Kishida ihren bila­te­ra­len Sicher­heits­pakt von 2007. Das neue «Abkom­men über den gegen­sei­ti­gen Zugang» wurde laut Kishida als Reak­tion auf ein «zuneh­mend schwie­ri­ger werden­des stra­te­gi­sches Umfeld» unter­zeich­net und erlaubt den beiden Ländern die Durch­füh­rung gemein­sa­mer Militärübungen. 


Das chine­si­sche Außen­mi­nis­te­rium reagierte auf die Nach­richt von der Erwei­te­rung von Tindal und Pine Gap mit den Worten: «Ein solcher Schritt der USA und Austra­li­ens verschärft die regio­na­len Span­nun­gen, unter­gräbt ernst­haft den regio­na­len Frie­den sowie auch die Sicher­heit und könnte ein Wett­rüs­ten in der Region auslösen».

Qiu Zhi Jie (China), Map of Mytho­logy, 2019.

Alba­nese erhoffte sich von demTref­fen mit Xi die Aufhe­bung vonChi­nas Handels­be­schrän­kun­gen gegen­über Austra­lien. Er verließ das Tref­fen mit der Zuver­sicht, dass die 2020 verhäng­ten Beschrän­kun­gen in Höhe von 20 Milli­ar­den Dollar bald aufge­ho­ben würden. «Es wird eine Weile dauern, bis wir konkrete Verbes­se­run­gen sehen werden», sagte er. Es gibt jedoch keine Aussage Chinas zur Aufhe­bung dieser Beschrän­kun­gen, die die Einfuhr von austra­li­scher Gerste, Rind­fleisch, Kohle, Baum­wolle, Hummer, Holz und Wein begrenzen.

 

Auslö­ser dieser Beschrän­kun­gen war die Unter­stel­lung des dama­li­gen austra­li­schen Premier­mi­nis­ters Scott Morri­son, China sei für die COVID-19-Pande­mie verant­wort­lich. Schon vorher, im Jahr 2018, verbot die austra­li­sche Regie­rung zwei chine­si­schen Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men (Huawei und ZTE), in ihrem Hoheits­ge­biet tätig zu werden. Dies war kein trivia­ler Poli­tik­wech­sel, denn er bedeu­tete einen Rück­gang des austra­li­schen Handels mit China von 19 Milli­ar­den Dollar im Juli 2021 auf 13 Milli­ar­den Dollar im März 2022.

Fu Wenjun (China), Red Cherry, 2018.

Während des Tref­fens zwischen Alba­nese und Xi in Bali legte die austra­li­sche Seite eine Liste von Miss­stän­den vor, darun­ter Pekings Handels­be­schrän­kun­gen und Austra­li­ens Besorg­nis über die Menschen­rechte und die Demo­kra­tie in China. Austra­lien ist bestrebt, die Handels­be­zie­hun­gen zu norma­li­sie­ren und gleich­zei­tig seine erwei­ter­ten mili­tä­ri­schen Bezie­hun­gen zu den Verei­nig­ten Staa­ten aufrechtzuerhalten.

 

Xi hat nichts auf den Tisch gelegt. Er hörte ledig­lich zu, schüt­telte die Hände und verließ das Tref­fen mit der Zusi­che­rung, dass die beiden Seiten weiter mitein­an­der reden würden. Dies ist ein großer Fort­schritt gegen­über der häss­li­chen Rheto­rik unter der Regie­rung von Scott Morrison.

 

Im Okto­ber 2022 hielt der chine­si­sche Botschaf­ter in Austra­lien, Xiao Qian, eine Rede im Vorfeld des 50-jähri­gen Jubi­lä­ums der diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen zwischen Austra­lien und China, das am 21. Dezem­ber began­gen wird. In dieser Rede fragte Botschaf­ter Qian seine austra­li­schen Amts­kol­le­gen, ob sie China als «Verfech­ter oder Heraus­for­de­rer» der inter­na­tio­na­len Ordnung sähen. Die austra­li­sche Regie­rung und die Presse, so Qian, sähen China als «Heraus­for­de­rer» der UN-Charta und des multi­la­te­ra­len Systems. China hinge­gen sehe sich als «Verfech­ter» einer stär­ke­ren Zusam­men­ar­beit zwischen  Ländern zur Lösung gemein­sa­mer Probleme.


Die Liste der Beden­ken, die Alba­nese Xi gegen­über äußerte, offen­bart, dass Austra­lien, ebenso wie die USA, China weiter­hin als Bedro­hung und nicht als Part­ner betrach­tet. Diese allge­meine Haltung gegen­über China erschwert jede Möglich­keit einer echten Norma­li­sie­rung. Deshalb rief Botschaf­ter Qian Austra­lien zu einer «objek­ti­ven und ratio­na­len Wahr­neh­mung» Chinas auf und forderte Canberra auf, «eine posi­tive und prag­ma­ti­sche Poli­tik gegen­über China» zu entwickeln.

Zeng Shan­qing (China), Vigo­rous Horse, 2002.

Die wach­sende anti­chi­ne­si­sche Stim­mung inner­halb Austra­li­ens stellt ein ernst­haf­tes Problem für jeden Schritt in Rich­tung Norma­li­sie­rung dar. Im Juli 2022 sagte Chinas Außen­mi­nis­ter Wang Yi, dass Austra­lien einige seiner Ansich­ten über China «korri­gie­ren» müsse, bevor sich die Bezie­hun­gen verbes­sern könn­ten. Einer kürz­lich durch­ge­führ­ten Umfrage zufolge glau­ben drei Vier­tel der austra­li­schen Bevöl­ke­rung, dass China inner­halb der nächs­ten zwei Jahr­zehnte eine mili­tä­ri­sche Bedro­hung darstel­len könnte. In der glei­chen Umfrage gaben fast 90 % der Befrag­ten an, dass das Mili­tär­bünd­nis zwischen den USA und Austra­lien sehr oder ziem­lich wich­tig sei. Auf dem Shan­gri-La-Dialog in Singa­pur Anfang des Jahres sagte der stell­ver­tre­tende austra­li­sche Premier­mi­nis­ter und Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Richard Marles, dass die Länder durch Dialog und Diplo­ma­tie aufein­an­der zuge­hen müss­ten. «China wird nicht verschwin­den. Und wir müssen alle zusam­men leben und hoffent­lich auch zusam­men gedei­hen», sagte er.

 

Die Tatsa­che, dass Alba­nese und Xi auf Bali zusam­men­tra­fen, ist ein Zeichen für die Bedeu­tung von Diplo­ma­tie und Dialog. Alba­nese wird nicht in der Lage sein, die Handels­vor­teile zu erzie­len, die Austra­lien gerne hätte, wenn es nicht zu einer Wende in dieser Haltung und der mili­tä­ri­schen Haltung der USA und Austra­li­ens gegen­über China kommt.

 

Herz­lichst, 

 

Vijay

Aus dem Engli­schen von Claire Louise Blaser.