Malis Bruch mit Frankreich ist ein Symptom für Risse im transatlantischen Bündnis.
Der achtundvierzigste Newsletter (2022).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Am 21. November 2022 gab der malische Interimspremierminister, Oberst Abdoulaye Maïga, in den sozialen Medien eine Erklärung ab, in der er die Entscheidung der Regierung bekannt gab, «mit sofortiger Wirkung alle Aktivitäten der in Mali tätigen [französischen] NGOs zu verbieten». Diese Ankündigung erfolgte einige Tage, nachdem die französische Regierung die öffentliche Entwicklungshilfe für Mali gestrichen und behauptet hatte, die malische Regierung sei «mit den russischen Wagner-Söldnern verbündet» (gemeint ist die russische private Militärfirma Wagner Group). Oberst Maïga bezeichnete die französischen Behauptungen als «phantasievolle Unterstellungen» und als «ein Täuschungsmanöver, um die nationale und internationale Öffentlichkeit zu verunsichern und zu manipulieren, um Mali zu destabilisieren und zu isolieren».
Dies ist der jüngste Ausdruck einer neuen Stimmung in den Gebieten Nordafrikas, in denen Frankreich einst seine Kolonialherrschaft ausübte. Die Debatten in diesen Ländern – von Algerien bis Burkina Faso – haben die gegenwärtige militärische Intervention Frankreichs in der Region (ein Zyklus, der 2002 mit Côte d’Ivoire begann) ebenso in Frage gestellt wie die andauernde wirtschaftliche Abhängigkeit von vierzehn Ländern in West- und Zentralafrika durch eine Reihe von Währungsmechanismen (einschließlich der Verwendung des CFA-Franc als Währung, die bis Dezember 2019 unter der Kontrolle des französischen Schatzamtes stand). In den letzten Jahren haben Burkina Faso und Mali – beide von Militärregierungen geleitet – die französischen Truppen aus ihren Gebieten vertrieben, während die acht Länder der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA) und die sechs Länder der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (CEMAC) Anstrengungen unternommen haben, um ihre Volkswirtschaften langsam von der französischen Kontrolle zu befreien. So einigte sich die UEMOA 2019 mit Frankreich auf die Abschaffung der Auflage, dass die westafrikanischen Länder die Hälfte ihrer Devisenreserven in der französischen Staatskasse aufbewahren müssen, und auf die Entfernung des französischen Vertreters aus dem Vorstand der Wirtschaftsunion als Teil der umfassenderen Pläne, den CFA-Franc durch eine neue Regionalwährung namens Eco zu ersetzen.
Die französischen Streitkräfte sind in Nordafrika nach wie vor stark präsent und haben sich nur teilweise aus der Sahelzone zurückgezogen. Dazu halten sie enge militärische und diplomatische Beziehungen zu Ländern wie Niger aufrecht. «Es gibt kein Uran in Frankreich», sagte mir Jean-Luc Mélenchon, der Vorsitzende der demokratisch-sozialistischen Partei La France Insoumise, letztes Jahr, «wir importieren es hauptsächlich aus Niger und Kasachstan». Jede dritte Glühbirne in Frankreich leuchtet mit Uran aus dem Niger, weshalb die französischen Truppen die uranreiche Stadt Arlit im Land als Stützpunkt haben. Ist der französische Rückzug ein Hinweis auf das Ende der neokolonialen Militärinterventionen und Akkumulationsstrukturen in der Region? In Wirklichkeit ist die Situation viel komplexer. Diese Teilrückzüge finden im breiteren Kontext der Spannungen im transatlantischen Bündnis zwischen Europa und Nordamerika statt, eine Dynamik, die eine sorgfältige Betrachtung erfordert.
Im Oktober befragte ich Abdallah El Harif von der Partei des Demokratischen Weges der Arbeiter[*innen] in Marokko zu den wachsenden Spannungen zwischen Frankreich und der marokkanischen Monarchie. Im vergangenen Sommer nahmen zehn Länder an der Militärübung African Lion 2022 des US-Afrika-Kommandos teil, die zum Teil in Marokko abgehalten wurde. Diese massive Militärübung und andere Manöver dieser Art haben Frankreich ins Abseits gedrängt. Dieses hat seine Verärgerung über diese Dynamik offen zum Ausdruck gebracht. Marokko, so El Harif, «hat seine militärischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten enorm ausgebaut».
Während die französischen Truppen aus der Region abgezogen werden, scheinen US-amerikanische und britische Truppen an ihre Stelle zu treten. Im Jahr 2017 gründeten fünf westafrikanische Länder die Accra-Initiative, um die Ausbreitung der islamistischen Bedrohung aus der Sahelzone zu bekämpfen; zwei Jahre später, im Jahr 2019, eröffnete der Ankerstaat der Initiative, Ghana, auf seinem internationalen Flughafen eine US-Militärbasis, das West Africa Logistics Network. «Hunderte von US-Soldaten wurden bei der An- und Abreise gesichtet», sagte mir Kwesi Pratt Jr., ein Führer des Socialist Movement of Ghana. «Es besteht der Verdacht, dass sie in andere westafrikanische Länder und generell in die Sahelzone verwickelt sind». In Ghana gibt es derzeit eine Kontroverse über die Beteiligung Großbritanniens an der Accra-Initiative, die im November im britischen Parlament angekündigt wurde, und über die Entsendung britischer Truppen in das Land und die Region. Wie wir in unserem Dossier Nr. 42 (Juli 2021), Defending Our Sovereignty: US Military Bases in Africa and the Future of African Unity dargelegt haben, geht die Militarisierung Afrikas weiter, auch wenn die Posten zwischen Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten hin und her geschoben werden.
In den letzten Jahren hat die französische Waffenindustrie einige entscheidende Schläge einstecken müssen. Im Jahr 2021 brachten das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten Australien dazu, einen 2016 geschlossenen Vertrag über den Kauf von zwölf dieselgetriebenen U‑Booten von der französischen Naval Group zu kündigen. Stattdessen wird Australien im Rahmen eines neuen Abkommens mit den USA und dem Vereinigten Königreich, bekannt als AUKUS, Atom-U-Boote von Electric Boat (USA) und BAE Systems (Großbritannien) kaufen. Als Folge der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA bei der militärischen Versorgung der ukrainischen Armee in den letzten acht Monaten hat Deutschland seine eigenen militärischen Einkäufe von europäischen auf US-amerikanische Waffenhersteller verlagert. So kündigte Deutschland im März an, die in Europa produzierten Tornado-Kampfjets zugunsten der in den USA hergestellten F‑35-Kampfjets auslaufen zu lassen. Darüber hinaus hat sich Frankreich mit der Verschärfung der europäischen Sanktionen gegen Russland zunehmend vom russischen Markt distanziert, an den es trotz der seit 2014 verhängten Beschränkungen weiterhin hochentwickelte militärische Ausrüstung verkauft hat. Die drei größten Märkte für französische Waffenverkäufe — Indien, Katar und Ägypten — haben ebenfalls signalisiert, dass sie zu US-amerikanischen und russischen Anbietern (den beiden führenden Waffenexporteuren der Welt) wechseln könnten.
Frankreichs alte gaullistische außenpolitische Tradition und eine realistische Einschätzung der Verbindungen zwischen Europa und Russland haben den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in den vergangenen acht Jahren veranlasst, mit dem Normandie-Format eine Annäherung zwischen den westlichen kriegerischen Staaten und Russland zu fördern. In seinem 2016 erschienenen Buch Révolution schrieb Macron, es sei ein großer strategischer Fehler, Russland von Europa wegzudrängen. Diese Tendenz einer unabhängigen französischen Außenpolitik ist nun hinfällig. Sie wurde durch das veränderte Kräftegleichgewicht während des Krieges in der Ukraine ausgehöhlt und durch den Druck der USA, Russland zu isolieren und zu «schwächen», weitgehend gebrochen.
In den letzten Monaten hat Frankreich die wachsende Anti-Russland-Stimmung im Westen genutzt, um zu argumentieren, dass seine Verluste in Afrika nicht auf seine eigenen neokolonialen Abenteuer zurückzuführen sind, sondern vielmehr durch Russlands «räuberisches Projekt» auf dem Kontinent verursacht wurden. Die Ablenkungsmanöver Macrons gehen einher mit mangelnder Klarheit auf den Straßen der europäischen Städte, wo die Lebenshaltungskosten-Krise zu massiven Demonstrationen geführt hat, deren Slogans kein klares Verständnis der Ursachen der galoppierenden Inflation zum Ausdruck brachten. Es gibt keine Anzeichen für eine unabhängige europäisches Position gegenüber dem Krieg in der Ukraine, welche die europäische Bevölkerung entlasten könnte.
Anfang 2021 sagte US-Präsident Joe Biden: «Amerika ist zurück, das transatlantische Bündnis ist zurück». Diese Aussage kam zwei Jahre nachdem Macron gesagt hatte, dass die Nordatlantikvertragsorganisation (NATO), der Dreh- und Angelpunkt dieses Bündnisses, «hirntod» sei. Macrons Antwort auf Bidens Aussage über die Rückkehr der Vereinigten Staaten war einfach: «Für wie lange?». Macrons Staatsbesuch in Washington diese Woche hat die Spannung zwischen der Forderung der USA nach einer Unterordnung Europas und der Notwendigkeit einer europäischen Unabhängigkeit von den nationalen Sicherheitsanforderungen der USA deutlich gemacht. Die Alternative – sich der historischen Integration von Europa und Asien (einschließlich Russlands und der Türkei) anzuschließen – würde der europäischen Gesellschaft große Vorteile bringen, wird aber stattdessen den Interessen der Vereinigten Staaten geopfert.
In der Zwischenzeit sind Malis Verteidigungsminister, Oberst Sadio Camara, und der Chef der Luftwaffe, General Alou Boï Diarra, im vergangenen Jahr mehrmals nach Russland gereist. Sie sollen die «Architekten» der Vereinbarung gewesen sein, im Dezember 2021 mehrere hundert Söldner der russischen Wagner-Gruppe nach Mali zu holen. Die Soldaten der Wagner-Gruppe in Mali haben Frankreich einen Vorwand geliefert, um die allgemeine antifranzösische Stimmung in Westafrika und der Sahelzone zu ignorieren und die Tatsache zu umgehen, dass seine militärische Präsenz auf dem Kontinent von Großbritannien und den Vereinigten Staaten verdrängt wird. Die russische Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent ist winzig (auch wenn sie seit dem Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi im Oktober 2019 zunimmt), aber sie liefert Paris eine praktische Rechtfertigung für Frankreichs verminderten Status auf dem Kontinent und der übrigen Welt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Mali Frankreich beiseitegeschoben hat, um ein unabhängiges nationales Projekt zu entwickeln. 1960 erlangte Mali seine Unabhängigkeit, und Präsident Modibo Keïta führte das Land in seinem Kampf um Souveränität an und trug zur Entwicklung einer panafrikanischen Politik für den Kontinent bei. 1968 verabschiedete General Moussa Traoré sich aus der Kaserne und stürzte die sozialistische Regierung von Keïta. Der Sturz von Keïta war kein Einzelfall; der Staatsstreich in Mali war Teil einer Reihe von Militärputschen auf dem Kontinent, von Burundi (gegen Louis Rwagasore 1961) und der Demokratischen Republik Kongo (gegen Patrice Lumumba 1961) bis Togo (gegen Sylvanus Olympio 1963) und Ghana (gegen Kwame Nkrumah 1966).
Der Schriftsteller Mamadou el-Béchir Gologo, Informationsminister in der Regierung Keïtas, sagte über den Staatsstreich von 1968, dass Traoré «nichts anderes als ein Werkzeug im Dienste Frankreichs und anderer Nationen war, die Afrikas rebellische Söhne vertreiben wollten». Obwohl Mali seit Keïtas sozialistischen Experimenten den Preis für seine Aufmüpfigkeit zahlen musste, hat sein Bevölkerung weiter Widerstand geleistet. «Mut und Überzeugung verbieten den Rückzug, egal was passiert», schrieb Gologo in Mon cœur est un volcan («Mein Herz ist ein Vulkan») (1961). «Zu leben ist ein Abenteuer, auf das man sich ohne Zögern einlassen muss».
Herzlichst,
Vijay