Orang-Utans bedeutet auf Malaiisch «Menschen des Waldes», aber diese Wälder sind am verschwinden.
Der siebenundvierzigste Newsletter (2022).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Der Staub hat sich gelegt in den Resorts in Sharm el-Shaikh, Ägypten, jetzt, wo die Delegierten der Länder und Unternehmen die 27. Konferenz der Vertragsparteien (COP) der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen verlassen. Der einzige Fortschritt in der endgültigen Vereinbarung war die Einrichtung eines «Fonds für Verluste und Schäden» für «gefährdete Länder». Obwohl die Einigung als Durchbruch gefeiert wurde, ist sie kaum mehr als die Finanzierung des Santiago-Netzes für Schäden und Verluste, das auf der COP25 im Jahr 2019 vereinbart wurde. Es bleibt auch abzuwarten, ob diese neue Finanzierung tatsächlich realisiert werden wird. Im Rahmen früherer Vereinbarungen, wie dem auf der COP15 im Jahr 2009 eingerichteten Grünen Klimafonds, versprachen die Industrieländer, den Entwicklungsländern bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen, haben aber ihre erklärten Ziele nicht erreicht. Zum Abschluss der COP27 brachten die Vereinten Nationen ihre «ernste Besorgnis» darüber zum Ausdruck, dass diese früheren Zusagen «noch nicht eingehalten wurden». Noch wichtiger ist, dass der Umsetzungsplan von Sharm el-Sheikh feststellt, dass ein «globaler Wandel zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft voraussichtlich Investitionen von mindestens 4–6 Billionen Dollar pro Jahr erfordern wird» – eine Verpflichtung, die in keiner Weise in Sicht ist. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur werden die jährlichen weltweiten Investitionen in saubere Energien im Jahr 2022 unter 1,5 Billionen Dollar liegen. Das sind «Rekordausgaben für saubere Energie», verkündete sie, und doch liegen sie weit unter den Beträgen, die für den notwendigen Übergang erforderlich sind.
«Ein Fonds für Verluste und Schäden ist wichtig», sagte UN-Generalsekretär António Guterres zum Abschluss des diesjährigen Gipfels, «aber er ist keine Lösung, wenn die Klimakrise einen kleinen Inselstaat von der Landkarte spült – oder ein ganzes afrikanisches Land in eine Wüste verwandelt. Die Welt braucht immer noch einen riesigen Sprung in Sachen Klimaambitionen. … Die Stimmen derer, die an vorderster Front der Klimakrise stehen, müssen gehört werden».
Eine dieser Stimmen ist die des Orang-Utans, des großen Affen der Wälder von Borneo und Sumatra, den die Malai*innen als «Menschen des Waldes» bezeichnen (Orang bedeutet auf Malaiisch «Mensch» und Hutan «Wald»). Laut der Roten Liste der International Union for Conversation of Nature (IUCN) sind die Populationen der Borneo‑, Sumatra- und Tapanuli-Orang-Utans stark zurückgegangen und werden nun als kritisch gefährdet eingestuft – die Phase vor dem Aussterben in freier Wildbahn. Es gibt weniger als 800 Tapanuli-Orang-Utans, und die Gesamtpopulation der Orang-Utans ist im letzten Jahrhundert um fast die Hälfte zurückgegangen. In unseren Klimadebatten kommen sie nicht zu Wort.
Im Jahr 2019 veröffentlichten die Vereinten Nationen einen schockierenden Bericht, aus dem hervorging, dass eine Million der weltweit acht Millionen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind, darunter 40 % der Amphibienarten und ein Drittel aller Meeressäugetiere. Im Rahmen ihrer Erkenntnisse über die biologische Vielfalt und die Ökosysteme schreiben die Autor*inneen, dass «Arten, die groß sind, langsam wachsen, auf bestimmte Lebensräume spezialisiert sind oder Fleischfresser sind – wie Menschenaffen, tropische Laubbäume, Haie und Großkatzen – aus vielen Gebieten verschwinden». Die Lage sei düster, warnten sie, «wenn nicht Maßnahmen ergriffen werden, um die Intensität der Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt zu verringern».
Was ist die Ursache für den Verlust der biologischen Vielfalt? Der Bericht enthält eine lange Liste, in der ein Wort immer wieder auftaucht: Entwaldung. In einer bahnbrechenden Veröffentlichung, The State of the World’s Forests 2020, stellten das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) fest, dass seit 1990 unglaubliche 420 Millionen Hektar Waldfläche verloren gegangen sind, obwohl die Entwaldungsrate nur von 16 Millionen Hektar pro Jahr in den 1990er Jahren auf nur 10 Millionen Hektar pro Jahr zwischen 2015 und 2020 zurückgegangen ist. Wälder bedecken etwa ein Drittel der globalen Landfläche, über vier Milliarden Hektar. Die Hälfte der Wälder ist noch relativ intakt, während andere – vor allem die Regenwälder – von der Zerstörung bedroht sind.
Nur wenige Wochen nach seiner Wiederwahl kehrte Luiz Inácio Lula da Silva, der im Januar 2023 sein Amt als 39. Präsident Brasiliens antreten wird, auf der COP27 auf die globale Bühne zurück. Er kam zusammen mit einer Reihe von Führungspersönlichkeiten aus Brasiliens indigener Gemeinschaft, wie die wiedergewählte Bundesabgeordnete Joênia Wapichana und drei neu gewählte Mitglieder des Kongresses: Célia Xakriabá (Bundesabgeordnete für den Bundesstaat Minas Gerais), Sônia Guajajara (die ein neues Ministerium für die indigene Bevölkerung leiten soll) und Marina Silva (Lulas ehemalige Umweltministerin, die das Amt wahrscheinlich wieder übernehmen wird). Auf dem Gipfel bekräftigte Lula Brasiliens Vereinbarung mit der Demokratischen Republik Kongo und Indonesien, eine «OPEC der Regenwälder» zu gründen, die letztes Jahr auf der COP26 in Glasgow getroffen wurde. Mehr als die Hälfte der weltweiten Regenwälder befindet sich in diesen drei Ländern. Sie sind reich an Ressourcen, die zum Nutzen multinationaler Unternehmen auf hohe Kosten der Umwelt abgebaut wurden, ohne jedoch die sozialen Entwicklungsziele ihrer eigenen Bevölkerungen zu fördern. Es ist wichtig, dass diese drei Länder ihr strategisches Bündnis stärken, um ihren Einfluss bei den Verhandlungen über den Klimawandel auf globaler Ebene zu stärken», sagte der indonesische Koordinationsminister für maritime Angelegenheiten und Investitionen, Luhut Binsar Pandjaitan (Indonesien bereits mehrere Bündnisse zu bilden versucht, darunter eines mit Kanada für ein OPEC-ähnliches Gremium von Nickelproduzenten).
Das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der der globale Regenwald geplündert wird, sind alarmierend. Im Jahr 2021 hat die Welt 11,1 Millionen Hektar Regenwald verloren, was in etwa der Größe der Insel Kuba entspricht. Um es mit der laufenden Fußballweltmeisterschaft auszudrücken: Pro Minute verliert die Welt 10 Fußballfelder Regenwald. Brasilien hat unter Jair Bolsonaro im vergangenen Jahr mit 1,5 Millionen Hektar die größte Verwüstung aller Länder erlebt. Diese alten Wälder mit ihrer dichten Vegetation und Tierwelt sind nun verschwunden. «Wir werden einen sehr entschiedenen Kampf gegen die illegale Entwaldung führen», sagte Lula auf der COP27.
Brasilien, die Demokratische Republik Kongo und Indonesien sind nicht allein. Die Forest and Climate Leaders’ Partnership, in der 53 Länder unter dem Vorsitz von Ghana und den Vereinigten Staaten vertreten sind, hat kühne Zusagen gemacht, die Entwaldung zu beenden. Im Vorfeld der COP27 kündigte die kolumbianische Ministerin für Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Susana Muhamad, die Schaffung eines Amazonas-Blocks an, der sich aus den neun Ländern zusammensetzt, die sich den Regenwald der Region teilen (Brasilien, Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien, Guyana, Surinam, Venezuela und das von Frankreich besetzte Guayana). Norwegen hat unterdessen erklärt, dass es nach dem Amtsantritt Lulas die während der Präsidentschaft Bolsonaros ausgesetzten Gelder für den Schutz des Regenwaldes in Brasilien wieder aufnehmen wird.
Der Ansatz von Brasilien-Demokratische Republik Kongo-Indonesien ist verankert in Abschwächung, Anpassung und Investitionen, nicht in den leeren Worten der COP. Die stellvertretende indonesische Ministerin für Umwelt und Forstwirtschaft, Nani Hendriati, erläuterte, wie das Land den Ökotourismus in den Mangrovenwäldern durch einen «Blue Carbon»-Ansatz fördern will, um sicherzustellen, dass der Tourismus die Mangroven nicht abreißt, und um die seit langem grassierende Abholzung im Land zu stoppen (so wurden allein zwischen 1980 und 2005 40 % des riesigen Mangrovensystems Indonesiens zerstört). Neue Initiativen in dem Land fördern zum Beispiel die Krabbenzucht in den Mangroven, anstatt deren Zerstörung zuzulassen. In diesem Sinne nahm Indonesiens Präsident Joko Widodo die Staats- und Regierungschefs der Welt mit, um während des G20-Treffens auf Bali, das nach der COP27 stattfand, Mangrovensamen im Taman Hutan Raya Ngurah Rai Forest Park zu pflanzen.
Solche Fototermine sind wichtig, wenn sie tatsächlich dazu dienen, das Problem der Entwaldung zu verdeutlichen. Allerdings wurde kein solches Licht auf die multinationalen Bergbauunternehmen geworfen, die tropische Regenwälder auf der ganzen Welt zerstört haben. Eine kürzlich in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America veröffentlichte Studie untersuchte die Auswirkungen des industriellen Bergbaus auf die Entwaldung in tropischen Regionen. Bei der Untersuchung einer Auswahl von 26 Ländern stellten die Forscher fest, dass der industrielle Bergbau in Indonesien für unglaubliche 58,2 % der gesamten Entwaldung in diesen Ländern zwischen 2000 und 2019 verantwortlich war. Besorgniserregend ist jedoch, dass die indonesische Regierung im Jahr 2020 ein neues Bergbaugesetz verabschiedet hat, das die Verlängerung von Bergbaukonzessionen mit geringen oder gar keinen Umweltauflagen ermöglicht. «Wenn die Bergbaukonzessionen ausgeweitet werden», so Pius Ginting von der Nichtregierungsorganisation Action for Ecology and Emancipation of the People (AEER), «treibt dies die Abholzung voran und führt zu einem Verlust der Artenvielfalt und einer Zerstörung des Lebensraums [von Tieren und Menschen]. Indonesien hat in diesem Jahr etwa zweitausend Bergbaugenehmigungen widerrufen, aber dieser Widerruf ist hauptsächlich auf die Legalisierung des Genehmigungssystems zurückzuführen und nicht auf eine stärkere Regulierung des Umweltschutzes. Der Druck der Volksbewegungen in Indonesien sowie die katastrophalen Auswirkungen der Klima- und Umweltkatastrophen haben die Regierung auf ihre Nähe und Vertrautheit mit multinationalen Bergbauunternehmen aufmerksam gemacht.
In der Zwischenzeit bleibt die Frage des Orang-Utans unbeantwortet. Eine akademische Untersuchung zu den 1 Milliarden Dollar, die von 2000 bis 2019 für den Schutz der Orang-Utans ausgegeben wurden, ergab, dass «Lebensraumschutz, Patrouillen und Öffentlichkeitsarbeit den größten Nutzen für die Erhaltung der Orang-Utan-Populationen hatten». Allerdings haben diese Mittel nicht viel bewirkt. Das zentrale Thema des Entwaldungsstopps – einschließlich des Stopps der Ausdehnung von Palmöl‑, Zellstoffholz- und Holzfällerplantagen in Borneo und Sumatra – ist vom Tisch. Wie viel Aufmerksamkeit wird diesen Fragen auf der bevorstehenden Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt geschenkt werden, die vom 7. bis 19. Dezember in Montreal (Kanada) stattfindet? Wird man auf die Orang-Utans hören?
Im Oktober erklärte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, bei einem Townhall von Organisationen der Zivilgesellschaft in Washington, DC, dass der IWF «die biologische Vielfalt tatsächlich unterstützt. Wir haben zum Beispiel Ökonom[*inn]en, die in der Lage sind, den monetären Wert eines Elefanten und den Wert eines Wals zu messen». Georgievas Bemerkungen erinnern an eine Bemerkung von Karl Marx im ersten Band des Kapital (1867): «In England werden immer noch gelegentlich Frauen anstelle von Pferden zum Ziehen von Kanalbooten eingesetzt, weil die für die Produktion von Pferden und Maschinen erforderliche Arbeitskraft eine genau bekannte Größe ist, während die für den Unterhalt der Frauen der Überschussbevölkerung erforderliche Arbeitskraft sich jeder Berechnung entzieht».
Was ist der Geldwert eines Orang-Utans, geschweige denn das Überleben des Planeten? Die herrschende Klasse ist vielleicht in der Lage, diese Werte zu berechnen, aber es ist klar, dass sie nicht bereit ist, die Rechnung für die Rettung des Planeten zu bezahlen.
Herzlichst,
Vijay