Im Namen der Klimarettung werden sie das Ackerland uberisieren.
Der sechsundvierzigste Newsletter (2021).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro des Tricontinental: Institute for Social Research.
Als das letzte Privatflugzeug vom Flughafen Glasgow abhebt und sich der Staub legt, bleiben die Trümmer der 26. Klimakonferenz der Vereinten Nationen, COP26, zurück. Die Abschlusskommuniqués werden langsam verdaut, ihre beschränkte Tragweite ist unübersehbar. António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, zeichnete zum Abschluss der Konferenz zwei düstere Bilder: «Unser zerbrechlicher Planet hängt an einem seidenen Faden. Wir klopfen immer noch an die Tür der Klimakatastrophe. Es ist an der Zeit, in den Notfallmodus zu wechseln – oder unsere Chance, den Netto-Nullpunkt zu erreichen, ist gleich Null». Der lauteste Jubel in der Haupthalle brach nicht aus, als dieses endgültige Urteil verkündet wurde, sondern als verkündet wurde, dass die nächste COP im Jahr 2022 in Kairo, Ägypten, stattfinden wird. Es scheint, als reiche die Ankündigung einer weiteren COP.
Ein Heer von Unternehmensleiter*innen und Lobbyist*innen drängte sich auf den offiziellen COP26-Plattformen; abends amüsierten sich die Regierungsvertreter*innen auf ihren Cocktailpartys. Während sich die Kameras auf die offiziellen Reden konzentrierten, wurde das eigentliche Geschäft auf diesen Abendveranstaltungen und in privaten Räumen abgewickelt. Diejenigen, die am meisten für die Klimakatastrophe verantwortlich sind, haben viele der Vorschläge, die auf der COP26 auf den Tisch kamen, geprägt. Daher mussten die Klimaaktivist*innen darauf zurückgreifen, weit weg vom Scottish Exchange Campus (SEC Centre), wo der Gipfel stattfand, so viel Lärm wie möglich zu machen. Es ist bezeichnend, dass das SEC Centre auf demselben Gelände gebaut wurde wie das Queen’s Dock, das einst ein lukrativer Durchgangsweg für Waren aus den Kolonien war, die nach Großbritannien gelangten. Jetzt leben alte koloniale Gewohnheiten wieder auf, wenn sich die Industrieländer – im Bunde mit einigen Entwicklungsländern, die von ihren Konzernherren abhängig sind – weigern, feste Kohlenstoffgrenzwerte zu akzeptieren und die für den Klimafonds erforderlichen Milliarden von Dollar bereitzustellen.
Die Organisator*innen der COP26 haben für viele Tage der Konferenz Themen wie Energie, Finanzen und Verkehr festgelegt. Für die Landwirtschaft war kein eigener Tag vorgesehen, stattdessen wurde sie in den «Tag der Natur» am 6. November integriert, an dem das Hauptthema die Abholzung der Wälder war. Es gab keine gezielte Diskussion über Kohlendioxid, Methan oder Lachgas, die durch landwirtschaftliche Prozesse und das globale Nahrungsmittelsystem freigesetzt werden, obwohl das globale Nahrungsmittelsystem zwischen 21 % und 37 % der jährlichen Treibhausgasemissionen verursacht. Kurz vor der COP26 veröffentlichten drei Organisationen der Vereinten Nationen einen wichtigen Bericht, der folgende Einschätzung enthält: «In einer Zeit, in der die öffentlichen Finanzen vieler Länder, insbesondere in den Entwicklungsländern, angespannt sind, belaufen sich die weltweiten Agrarbeihilfen für Produzent*innen derzeit auf fast 540 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Mehr als zwei Drittel dieser Beihilfen gelten als preisverzerrend und weitgehend umweltschädlich». Auf der COP26 herrschte jedoch ein bemerkenswertes Schweigen über das verzerrte Lebensmittelsystem, das die Erde und unsere Körper verschmutzt; es gab keine ernsthaften Gespräche über eine Umgestaltung des Lebensmittelsystems, um gesunde Lebensmittel zu produzieren und das Leben auf dem Planeten zu schützen.
Stattdessen schlugen die Vereinigten Staaten und die Vereinigten Arabischen Emirate, unterstützt von den meisten Industriestaaten, ein «Agriculture Innovation Mission for Climate»-Programm (AIM4C) vor, um das Agrobusiness und die Rolle großer Technologiekonzerne in der Landwirtschaft zu fördern. Große Technologieunternehmen wie Amazon und Microsoft sowie Agrartechnologiefirmen (Ag-Tech) wie Bayer, Cargill und John Deere treiben ein neues digitales Agrarmodell voran, mit dem sie ihre Kontrolle über die globalen Nahrungsmittelsysteme ausbauen wollen, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. Erstaunlicherweise werden die Landwirt*innen in den Schlüsseldokumenten dieser neuen, «bahnbrechenden» Lösung für den Klimawandel nirgends erwähnt; die Zukunft scheint ohne sie auszukommen. Der Einstieg von Ag-Tech und Big-Tech in die Agrarindustrie bedeutet eine Übernahme des gesamten Prozesses, von der Verwaltung der Betriebsmittel bis zur Vermarktung der Erzeugnisse. Dadurch konzentriert sich die Macht entlang der Lebensmittelkette in den Händen einiger der größten Lebensmittelhandelsunternehmen der Welt. Diese Firmen, oft ABCDs genannt – Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus – kontrollieren bereits mehr als 70 % des Agrarmarktes.
Ag-Tech- und Big-Tech-Firmen setzen sich für eine Art Uberisierung der landwirtschaftlichen Flächen ein, um alle Aspekte der Lebensmittelproduktion zu beherrschen. Dadurch wird sichergestellt, dass die machtlosen Kleinbäuer*innen und Landarbeiter*innen alle Risiken tragen. Die Partnerschaft des deutschen Pharmakonzerns Bayer mit der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Precision Agriculture for Development (PAD) zielt darauf ab, mit Hilfe von E‑Extension-Schulungen zu kontrollieren, was und wie die Landwirt*innen ihre Produkte anbauen, während die Agrarindustrie von den Vorteilen profitiert, ohne ein Risiko einzugehen. Dies ist ein weiteres Beispiel für den Neoliberalismus, der das Risiko auf die Arbeitnehmer*innen abwälzt, deren Arbeit den Ag- und Big-Tech-Unternehmen enorme Gewinne einbringt. Diese großen Unternehmen sind nicht daran interessiert, Land oder andere Ressourcen zu besitzen; sie wollen lediglich den Produktionsprozess kontrollieren, damit sie weiterhin immense Gewinne erzielen können.
Die anhaltenden Proteste der indischen Landwirt*innen, die vor etwas mehr als einem Jahr im Oktober 2020 begannen, gründen in der berechtigten Angst vor der Digitalisierung der Landwirtschaft durch die großen globalen Agrarkonzerne. Die Landwirt*innen befürchten, dass die Abschaffung der staatlichen Regulierung der Marktplätze sie stattdessen auf Marktplätze ziehen wird, die von digitalen Plattformen kontrolliert werden, die von Unternehmen wie Meta (Facebook), Google und Reliance geschaffen wurden. Diese Unternehmen werden nicht nur ihre Kontrolle über die Plattformen nutzen, um die Produktion und den Vertrieb zu bestimmen, sondern ihre Datenmacht dazu verwenden, den gesamten Lebensmittelzyklus von den Produktionsformen bis zu den Konsumgewohnheiten zu beherrschen.
Anfang dieses Jahres veranstaltete die Bewegung der landlosen Arbeiter*innen (MST) in Brasilien ein Seminar über digitale Technologie und Klassenkampf, um die Tentakel der Ag-Tech- und Big-Tech-Firmen besser zu verstehen und herauszufinden, wie man ihre mächtige Präsenz in der Welt der Landwirtschaft untergraben kann. Auf diesem Seminar baut unser jüngstes Dossier Nr. 46 auf, Big-Tech and the Current Challenges Facing the Class Struggle («Big-Tech und die aktuellen Herausforderungen für den Klassenkampf»). Es will weniger «eine abschließende Diskussion oder Schlussfolgerung zu diesen Themen» liefern als «die technologischen Veränderungen und ihre sozialen Folgen mit Blick auf den Klassenkampf zu verstehen». Das Dossier fasst eine reichhaltige Diskussion über verschiedene Themen zusammen, darunter die Beziehung zwischen Technologie und Kapitalismus, die Rolle des Staates und der Technologie, die enge Partnerschaft zwischen Finanz- und Technologieunternehmen und die Rolle von Ag-Tech und Big-Tech auf unseren Feldern und in unseren Fabriken.
Der Abschnitt über die Landwirtschaft («Big-Tech gegen die Natur») führt uns in die Welt des Agrobusiness und der Landwirtschaft ein, wo die großen Ag-Tech- und Big-Tech-Firmen versuchen, das Wissen des ländlichen Raums zu absorbieren und zu kontrollieren, die Landwirtschaft entsprechend im Interesse der Gewinnspannen der großen Firmen zu gestalten und die Landwirte auf den Status von prekären Gig-Arbeiter*innen zu reduzieren. Das Dossier schließt mit einer Betrachtung von fünf Hauptbedingungen, die hinter der Expansion der digitalen Wirtschaft stehen und die alle das Wachstum von Ag-Tech in ländlichen Gebieten befördern:
- Ein freier Markt (für Daten). Nutzerdaten werden von diesen Unternehmen ungehindert abgeschöpft, die sie dann in geschützte Informationen umwandeln, um die Kontrolle der Unternehmen über die landwirtschaftlichen Systeme zu vertiefen.
- Wirtschaftliche Finanzialisierung. Die datenkapitalistischen Unternehmen sind auf den Zustrom von Spekulationskapital angewiesen, um zu wachsen und sich zu konsolidieren. Diese Unternehmen sind Zeugen einer Kapitalflucht, die das Kapital aus den produktiven Sektoren in die rein spekulativen Sektoren verlagert. Dadurch wird der Druck auf die produktiven Sektoren erhöht, die Ausbeutung und Prekarisierung zu verstärken.
- Die Verwandlung von Rechten in Waren. Die Tatsache, dass öffentliche Maßnahmen ersetzt werden durch die Einmischung privater Unternehmen in die Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Lebens bedeutet eine Unterordnung unserer Rechte als Bürger gegenüber unserem Potenzial als Ware.
- Die Reduzierung von öffentlichem Raum. Die Gesellschaft wird weniger als kollektives Ganzes und mehr als vereinzeltes Bestreben von Individuen gesehen, wobei die Gig-Arbeit eher als Befreiung denn als eine Form der Unterordnung unter die Macht der Großunternehmen betrachtet wird.
- Die Konzentration von Ressourcen, Produktionsketten und Infrastruktur. Die Ballung von Ressourcen und Macht in den Händen einer Handvoll Konzerne verleiht ihnen einen enormen Einfluss auf Staat und Gesellschaft. Die große Macht, die in diesen Konzernen konzentriert ist, überschattet jegliche demokratische und öffentliche Debatte über politische, wirtschaftliche, ökologische und ethische Fragen.
Im Jahr 2017, auf der COP23, haben teilnehmende Länder die Koronivia Joint Work on Agriculture (KJWA) ins Leben gerufen, einen Prozess, der sich auf den Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel konzentrieren soll. Auf der COP26 fanden einige Veranstaltungen der KJWA statt, die jedoch kaum beachtet wurden. Am Tag der Natur unterstützten 45 Länder die Globale Aktionsagenda für Innovation in der Landwirtschaft, deren Hauptslogan «Innovation in der Landwirtschaft» mit den Zielen des Ag-Tech- und Big-Tech-Sektors übereinstimmt. Diese Botschaft wird über die CGIAR verbreitet, ein zwischenstaatliches Gremium, das «neue Innovationen» fördern soll. Die Landwirt*innen werden Ag-Tech- und Big-Tech-Firmen ausgeliefert, die – anstatt sich für die Abwendung der Klimakatastrophe zu engagieren – durch «Greenwashing» ihrer Aktivitäten den maximalen Profit für sich selbst anstreben. Diese Profitgier wird weder den Hunger in der Welt beenden noch die Klimakatastrophe verhindern.
Die Bilder in diesem Newsletter stammen aus dem Dossier Nr. 46, Big-Tech and the Current Challenges Facing the Class Struggle. Sie bauen auf einem spielerischen Verständnis der Konzepte auf, die der digitalen Welt zugrunde liegen: Clouds, Mining, Codes und so weiter. Wie können diese Abstraktionen dargestellt werden? «Eine Datenwolke», schreibt die Kunstabteilung von Tricontinental: Institute for Social Research, «klingt nach einem ätherischen, magischen Ort. In Wirklichkeit ist sie alles andere als das. Die Bilder in diesem Dossier zielen darauf ab, die Materialität der digitalen Welt, in der wir leben, zu visualisieren. Eine Wolke wird auf eine Spanplatte projiziert». Diese Bilder erinnern uns daran, dass Technologie nicht neutral ist; Technologie ist Teil des Klassenkampfes.
Die Bauern und Bäuerinnen in Indien würden zustimmen.
Herzlichst,
Vijay