Warum verlangt ihr von uns, für unser Leben Kompromisse einzugehen?
Der fünfundvierzigste Newsletter (2021).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro des Tricontinental: Institute for Social Research.
Es sieht so aus, als ob nichts Brauchbares von der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) kommen wird, die diese Woche auf der COP26 stattfindet. Die Staats- und Regierungschef*innen der Industrieländer hielten müde Reden über ihr Engagement, die Klimakatastrophe abzuwenden. In ihren Worten hallten die Klischees von Medienberater*innen wieder, ihre Aufrichtigkeit war gleich null, ihre tatsächlichen Verpflichtungen zur Senkung der Kohlenstoffemissionen blieb aus. Mitzi Jonelle Tan, eine philippinische Klimaaktivistin und Sprecherin von Fridays for Future, sagte, diese Politiker*innen machen «leere, müde Versprechungen» und lassen junge Menschen wie sie mit einem «Gefühl des Verrats» zurück. Als Kind auf den Philippinen, sagte sie, habe sie immer Angst gespürt, von Sturzfluten überrascht zu werden, Überschwemmungen, die in Hochrisikoländern schreckliche Auswirkungen haben. «Es gibt ein Klimatrauma, das junge Menschen erleben», sagte Tan, «aber die UNFCCC versteht das nicht».
Die von Jugendlichen angeführten Pacific Climate Warriors marschierten am 6. November durch das regennasse Glasgow, ihre Flaggen der südpazifischen Inseln flatterten im böigen Wind. Sie waren eine von vielen Gruppen von kleinen Inselstaaten und aus Gebieten mit großen Populationen indigener Völker, die existentiell bedroht sind. «Wir wollen nicht euer Mitleid», sagte Reverend James Bhagwan von den Pacific Climate Warriors. «Wir wollen Taten».
Auch der Krieg und die damit verbundenen Umweltprobleme beschäftigten viele Teilnehmer*innen. Von 1981 bis 2000 wurde das Greenham Common Women’s Peace Camp als ständiger Protest gegen die Lagerung von Trident-Atomraketen im Vereinigten Königreich geführt. Alison Lochhead, eine ehemalige Bewohnerin des Friedenscamps, marschierte in Glasgow entschlossen mit. Ich fragte sie: «Wo werden Sie nun Ihr Lager aufschlagen?» – «Auf der ganzen Welt», antwortete sie – einer Welt, in der das Militär der Vereinigten Staaten der größte institutionelle Umweltverschmutzer ist. Die Aktivistin Myshele Haywood marschierte mit ihrem Hund und einem Schild, auf dem stand: «Das globale Militär ist der größte Umweltverschmutzer der Welt». Auf der anderen Seite des Schildes war zu lesen: «Öl ist zu wertvoll, um es zu verbrennen. Spart es für die Herstellung von Medikamenten, Plastik und anderen Dingen».
Am 7. November, während des People’s Summit der COP26-Koalition, saß ich in der Jury des Volkstribunals über die UNFCCC und ihr Versagen bei der Lösungsfindung für eine ganze Reihe von Problemen. Wir hörten Berichterstatter*innen und Zeug*innen, die alle hochemotional über die unterschiedlichen Klimakatastrophen für die Natur und das menschliche Leben sprachen. Jede Minute werden 11 Millionen Dollar für die Subventionierung fossiler Brennstoffe ausgegeben (das sind 5,9 Billionen Dollar allein im Jahr 2020); dieses Geld unterstützt die kaskadenartige Klimakatastrophe, doch es werden nur wenige Mittel aufgebracht, um die negativen Auswirkungen fossiler Brennstoffe abzumildern oder auf erneuerbare Energieformen umzusteigen. Im Folgenden fasst dieser Newsletter die Ergebnisse des Tribunals zusammen, das sich aus Botschafter Lumumba Di-Aping (ehemaliger Chef-Klimaverhandler der G77 und Chinas), Katerina Anastasiou (Transform Europe), Samantha Hargreaves (WoMin African Alliance), Larry Lohmann (The Corner House) und mir zusammensetzte.
Das Urteil des «Volkstribunals»: Die Menschheit und die Natur gegen die UNFCCC
7. November 2021
Dem Tribunal wurden sechs Anklagepunkte gegen die UNFCCC vorgelegt:
Die UNFCCC habe versäumt
- die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen;
- globale gesellschaftliche und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten anzugehen;
- eine angemessene Klimafinanzierung für das planetarische und soziale Überleben, einschließlich der Rechte zukünftiger Generationen, zu finden;
- Wege für einen gerechten Übergang zu schaffen;
- Unternehmen zu regulieren und die Vereinnahmung des UNFCCC-Prozesses durch Unternehmen zu unterbinden;
- Anerkennung, Förderung und Schutz der Rechte der Natur zu befördern.
Die fünfköpfige Jury hat dem Sonderstaatsanwalt, den Berichterstatter*innen und den Zeug*innen aufmerksam zugehört. Wir waren uns einig, dass die UNFCCC, die 1992 von 154 Staaten unterzeichnet und 1994 von 197 Ländern ratifiziert wurde, die Völker der Welt und alle Arten, die zum Überleben auf einen gesunden Planeten angewiesen sind, völlig im Stich gelassen hat, indem sie dabei versagt hat, den Klimawandel zu stoppen. Durch diese gefährliche Untätigkeit ist es nicht gelungen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu begrenzen.
In seinen jüngsten Berichten aus dem Jahr 2021 stellt der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) fest, dass die Erde einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von 1,1 Grad erreicht hat, während die afrikanischen Länder südlich der Sahara kurz davor stehen, die «sichere» 1,5‑Grad-Marke zu überschreiten.
Die UNFCCC hat eine enge Partnerschaft mit den Unternehmen geschlossen, die die Klimakrise verursacht haben. Sie hat es mächtigen Regierungen ermöglicht, arme Länder zur Unterwerfung zu zwingen und damit Hunderten von Millionen Menschen in den ärmsten Teilen der Welt in den nächsten zwei Jahrzehnten Elend und Tod zu bringen.
Die Untätigkeit der UNFCCC hat es den mächtigen Öl‑, Bergbau‑, Landwirtschafts‑, Holzfäller‑, Luftfahrt‑, Fischerei- und anderen Konzernen ermöglicht, ihre kohlenstoffintensiven Aktivitäten ungehindert fortzusetzen. Das hat zu der wachsenden Krise der biologischen Vielfalt beigetragen: Jüngste Schätzungen gehen davon aus, dass jedes Jahr zwischen 2.000 (niedrigste Schätzung) und 100.000 (höchste Schätzung) Arten ausgerottet werden. Die UNFCCC ist am Massensterben beteiligt.
Die UNFCCC hat sich geweigert, den Prozess zu demokratisieren und denjenigen zuzuhören, die an vorderster Front der Krise stehen. Dazu gehören die eine Milliarde Kinder, die in den 33 Ländern leben, die aufgrund der Klimakrise «extrem stark gefährdet» sind – mit anderen Worten, fast die Hälfte der 2,2 Milliarden Kinder der Welt – sowie indigene Gemeinschaften und Arbeiter- und Bäuer*innen aus den Ländern und Nationen, die die Hauptlast einer Krise tragen, die sie nicht verursacht haben.
Während die Welt mit einer rasch eskalierenden Klimakrise konfrontiert ist – die sich in Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürmen, Hurrikans, steigenden Meeresspiegeln, wütenden Bränden und neuen Pandemien äußert –, ist den ärmsten, am stärksten gefährdeten und hoch verschuldeten Nationen eine große «Klimaschuld» geschuldet.
Die mächtigen Nationen in der UNFCCC haben eine Rücknahme früherer Zusagen zur globalen Wiedergutmachung für die lange Geschichte der ungleichen und ungleichmäßigen Entwicklung zwischen den Nationen erzwungen. Die Industrieländer haben 100 Milliarden Dollar pro Jahr für den Klimafonds zugesagt, aber sie haben es unterlassen, dieses Geld bereitzustellen und damit ihre eigenen Verpflichtungen ignoriert. Stattdessen stecken die Industrieländer Billionen von Dollar in ihre eigenen nationalen Bemühungen, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern und die Anpassung an die Erwärmung zu unterstützen, während die ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder sich selbst überlassen bleiben.
Wir, die Geschworenen, sind der Meinung, dass die UNFCCC gegen die UN-Charta verstoßen hat, die von den UN-Mitgliedsstaaten verlangt, «wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen« (Kapitel I). Die Charta verpflichtet die Staaten, «zur Lösung internationaler Probleme international zusammenzuarbeiten».
Die UNFCCC hat auch gegen Kapitel IX der UN-Charta verstoßen, indem es die Forderung von Artikel 55 ignorierte, «Bedingungen der Stabilität und der Wohlfahrt» sowie «wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt» zu schaffen und die «allgemeine Achtung und Einhaltung der Menschenrechte» zu fördern. Darüber hinaus hat die UNFCCC gegen Artikel 56 verstoßen, der die Mitgliedsstaaten dazu auffordert, «gemeinsame und eigenständige Maßnahmen in Kooperation» mit den Vereinten Nationen zu ergreifen.
Wir, die Geschworenen des Volkstribunals, befinden die UNFCCC in Bezug auf die vom Sonderstaatsanwalt erhobenen und von den Zeug*innen bestätigten Anschuldigungen für schuldig. In Anbetracht unseres Urteils fordern wir die folgenden Maßnahmen zur Wiedergutmachung für die Völker der Welt:
- Die diskreditierte und nicht repräsentative UNFCCC muss in ihrer jetzigen Form aufgelöst und von Grund auf neu konstituiert werden. Das neue, von Bürger*innen geführte globale Klimaforum muss in erster Linie demokratisch sein und diejenigen in den Mittelpunkt stellen, die die Folgen des Umwelt- und Klimakollapses zu tragen haben. Die Verschmutzer unserer Erde können nicht Teil eines Klimaforums sein, das den Menschen und dem Planeten zu dienen hat.
- Die historisch entwickelten Länder müssen die Rechnung für die Beendigung der Kohlenstoffemissionen und die Begleichung der Klimaschulden gegenüber den Völkern des globalen Südens in vollem Umfang finanzieren; solche Maßnahmen sind notwendig, um den am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen zu helfen, die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzumildern und sich an ein sich rasch erwärmendes Klima anzupassen. Eine besondere Schuld besteht gegenüber den arbeitenden Frauen im Globalen Süden, die härter und länger arbeiten, um ihre Haushalte während der sich entfaltenden Krise zu bewältigen. Diese Schulden müssen durch demokratische, auf die Menschen ausgerichtete Mechanismen beglichen werden, die korrupte Staaten und Unternehmen umgehen, die derzeit von der Krise profitieren.
- Unerlaubte Finanzströme müssen unterbrochen und sofort enteignet werden, um Klimaanpassung und gerechte Übergänge in ehemals kolonialisierten Nationen zu finanzieren. Diese illegalen Finanzströme haben dazu geführt, dass Afrika jährlich 88,6 Milliarden Dollar gestohlen werden, während bis zu 32 Billionen Dollar in illegalen Steuerparadiesen lagern.
- Die globalen Militärausgaben – fast 2 Billionen Dollar allein im Jahr 2020, über die vergangenen Jahrzehnte belaufen sie sich auf Billionen – müssen zur Finanzierung von Initiativen für Klimagerechtigkeit umgeleitet werden. Ebenso müssen die abscheulichen und unrechtmäßigen Schulden armer Länder ermittelt und gestrichen werden. Das würde erhebliche nationale Einnahmen freisetzen, um die Infrastruktur, die Dienstleistungen und die Unterstützung aufzubauen, die es Milliarden von Menschen ermöglichen, den Klimanotstand zu bewältigen. Die riesigen Geldsummen, die für die nationalen Sicherheitspläne der reichen Nationen ausgegeben werden und darauf abzielen, die Nationen, die für den Großteil der Umweltverschmutzung verantwortlich sind, vor den Menschen zu schützen, die vor den durch den Klimawandel verursachten Katastrophen fliehen, müssen in ähnlicher Weise umgeleitet werden, um die Menschen im Globalen Süden zu unterstützen.
- Eine veränderte und repräsentative UN-Generalversammlung muss eine Sondersitzung über Reparationen für Umwelt- und Klimaschulden, Entschädigungen im Zusammenhang mit Sklaverei und Kolonialismus und die Reproduktionsschulden von Frauen im Globalen Süden einberufen.
- Dieses Volkstribunal muss die UNFCCC für ihre Verbrechen gegen die Natur und die Menschen durch rechtliche Schritte zur Rechenschaft ziehen.
- Der verbindliche UN-Vertrag über transnationale Unternehmen und Menschenrechte bekräftigt nicht nur die Verpflichtung von transnationalen Unternehmen, alle Menschenrechte zu respektieren, sondern auch das Recht der Staaten, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch transnationale Unternehmen zu bieten. Darüber hinaus bekräftigt der Vertrag die Menschenrechte gegenüber den Interessen von Handels- und Investitionsverträgen und sieht die unabhängige, vorgängige, informierte und kontinuierliche Zustimmung von Gemeinschaften vor, die sich unternehmensgesteuerten «Entwicklungs»-Projekten gegenübersehen.
- Die UN-Generalversammlung muss eine Sondersitzung zum Thema «Handelsliberalisierung» und «Markttechnologien» einberufen, in der deren negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die biologische Vielfalt und die Ökosysteme sowie die Art und Weise, wie sie die Krise verursachen und reproduzieren, eingehend untersucht werden.
- Die UN-Generalversammlung muss unverzüglich eine Anhörung über die Allgemeine Erklärung der Rechte von Mutter Erde durchführen.
Die Marshallinseln, eine Kette von Korallatollen und Vulkaninseln, sind eines von vierzehn Ländern in Ozeanien, die durch den steigenden Meeresspiegel massiv bedroht sind. Jüngste Studien zeigen, dass 96 % der Hauptstadt Majuro von häufigen Überschwemmungen bedroht sind und 37 % der bestehenden Gebäude der Stadt «permanent überflutet» werden, wenn keine Anpassungen vorgenommen werden.
Im Jahr 2014 schrieb Kathy Jetñil-Kijiner, eine Dichterin der Marshallinseln, ein aufrüttelndes Gedicht für ihre siebenjährige Tochter Matefele Peinam:
… es sind Tausende auf der Straße
marschieren mit Schildern
Hand in Hand
und skandieren für Veränderung JETZT
und sie marschieren für dich, Baby
sie marschieren für uns
weil wir mehr verdienen als einfach
zu überleben
wir verdienen es
zu gedeihen …
Herzlichst,
Vijay