Krieg führen gegen die Philosophie des Krieges.
Der fünfundvierzigste Newsletter (2020).
Liebe Freund*innen,
Grüsse vom Schreibtisch des Tricontinental: Institute for Social Research.
Mitte Oktober veröffentlichte der Internationale Währungsfonds (IWF) seinen Bericht zum World Economic Outlook, der einige schwindelerregende Daten enthielt. Für das Jahr 2020 schätzt der IWF, dass das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,4% zurückgehen wird, während es im Jahr 2021 um 5,2% steigen wird. Stagnation und Rückgang werden die wirtschaftliche Aktivität sowohl in Europa und Nordamerika als auch in großen Staaten wie Brasilien und Indien bestimmen. Angesichts einer zweiten Welle von Coronavirus-Infektionen in Europa und der Tatsache, dass die erste Welle in Brasilien, Indien und den Vereinigten Staaten nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, scheint es, dass diese Schätzungen des IWF noch nach unten korrigiert werden könnten.
Unterdessen sind die Daten zu China recht erstaunlich. China wird für die Mehrheit, nämlich 51% des weltweiten Wachstums, verantwortlich sein. Basierend auf den Zahlen des IWF werden die anderen am Weltwachstum beteiligten Staaten hauptsächlich asiatische Volkswirtschaften sein, die starke Handelsbeziehungen zu China unterhalten, nämlich Südkorea, Indonesien, die Philippinen, Vietnam und Malaysia. Im Jahr 2020 hat die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission Chinas (NDRC) aufgrund des Lockdowns keine Wachstumsziele festgelegt. Im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas sagte der Leiter der NDRC, Ning Jizhe, jedoch, dass für 2021 erneut Ziele würden, obwohl er bekräftigte, dass die Wachstumsziele nicht nur einen BIP-Wachstum, sondern auch eine «stetigen Qualitätsverbesserung», d.h. Armutsbekämpfung, anvisieren würden. Nach dem Treffen sagte Yu Xuejun, stellvertretender Leiter der Nationalen Gesundheitskommission, dass die zehn Millionen Familien, die durch die Coronavirus-Folgen verarmt waren, nun aus der Armut herausgeholt worden seien.
Angesichts der anhaltenden durch das Virus verursachten Störungen und der Ungewissheit über einen Impfstoff würde es den Ländern der Welt gut anstehen, Spannungen abzubauen und Zusammenarbeit auszuweiten. Der von der Weltgesundheitsorganisation organisierte Austausch von Informationen und Personal, um die Infektionskette zu unterbrechen, würde die erodierten öffentlichen Gesundheitssysteme verbessern. Doch genau das weigern sich die am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder – Brasilien, Indien und die Vereinigten Staaten – zu tun (und genau das wird von den sozialistischen Staaten wie China und Kuba gefördert).
Während die Vereinigten Staaten eine «Impfstoff-Nationalismus»-Agenda vorantreiben und alle möglichen Mittel nutzen, um einen Impfstoff für die Einwohner*innen der USA zu sichern, ohne Rücksicht auf die übrige Weltbevölkerung und ohne dem Fakt Sorge zu tragen, dass Viren sich nicht an Grenzen halten, haben China und Kuba einen «Volksimpfstoff» gefordert. Dieser Ansatz, der die öffentliche Gesundheit vor den Profit stellt, spricht sich dafür aus, dass alle, die an einem Impfstoff arbeiten, ihre Patente zusammenlegen und die Technologie im Zusammenhang mit COVID-19 gemeinsam nutzen. China hat sich nun formell der COVAX-Zusammenarbeit angeschlossen, einer von der WHO und anderen Organisationen organisierten Plattform, die «die Forschung, Entwicklung und Herstellung einer breiten Palette von COVID-19-Impfstoffkandidaten» unterstützen wird. Die Plattform umfasst 184 Länder, aber nicht die kapitalistischen Großmächte. Bei einem Pressegespräch sagte Zhao Lijian: «Mit vier Impfstoffkandidaten, die in die klinischen Phase-3-Studien eintreten, ist China in der Impfstoffproduktion autark. Dennoch hat China beschlossen, sich COVAX anzuschließen. Ziel ist es, die gerechte Verteilung von Impfstoffen durch konkrete Maßnahmen zu fördern, die Versorgung der Entwicklungsländer mit Impfstoffen sicherzustellen und fähigere Länder zum Beitritt und zur Unterstützung von COVAX zu motivieren».
In der Zwischenzeit, als sich diese internationalen Initiativen entwickelten, randalierten die Vereinigten Staaten in der ganzen Welt, um die Rolle Chinas zu schmälern, boten aber selber nichts Produktives. In Südamerika haben die USA ein Programm mit der Bezeichnung «Wachstum in Amerika» (oder América Crece) entwickelt, das darauf abzielt, Gelder aus dem US-Privatsektor anzuziehen, um damit staatliche chinesische Investitionen zu verdrängen. In Afrika und Asien haben die USA die Millennium Challenge Corporation entwickelt, die bescheidene Mittel zur Herausforderung von Chinas «Belt and Road»-Initiative bereitstellt. Abgesehen von diesen Investitionsmechanismen haben die Vereinigten Staaten ihr militärisches Bündnis mit Australien, Indien und Japan, den so genannten Quadrilateralen Sicherheitsdialog («the Quad»), verstärkt.
Indien und die Vereinigten Staaten unterzeichneten vor kurzem ein Basisabkommen über Austausch und Zusammenarbeit (Basic Exchange and Cooperation Agreement, kurz BECA), als die US-Außenminister (Pompeo) und der Verteidigungsminister (Esper) im Oktober Indien besuchten. Um den Kontext dieses bedeutenden Abkommens besser zu verstehen, sprach Tricontinental: Institute for Social Research mit Prakash Karat, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch) und Autor des Buches Subordinate Ally: The Nuclear Deal and India-US Strategic Relations (LeftWord Books, 2007).
Tricontinental: Institute for Social Research: Indiens Außenminister Dr. S. Jaishankar sagt, dass Indien nicht Teil des US-amerikanischen «Bündnissystems» sei, aber mit der Unterzeichnung des BECA scheint diese Zögerlichkeit nun überwunden zu sein. Ist Indien jetzt vollständig in einem Bündnis mit den USA gegen China?
Prakash Karat: Die Schmiedung eines militärischen Bündnisses zwischen den USA und Indien ist schon seit langem im Gange. Was wir erleben, ist die Entfaltung des Verteidigungsrahmenabkommens, das 2005 von der damaligen UPA-Regierung [United Progressive Alliance] unterzeichnet wurde. Dieses Rahmenabkommen wurde 2015 nach zehn Jahren von der Regierung Modi erneuert. Die Institutionalisierung verschiedener Aspekte dieses Abkommens wurde nun mit der Unterzeichnung des BECA abgeschlossen. Nach dem Amtsantritt der Modi-Regierung wurde der Prozess beschleunigt. Das Logistik-Lieferabkommen wurde 2016 unterzeichnet. Dies war ein Wendepunkt. Zum ersten Mal stimmte Indien zu, die Streitkräfte eines fremden Landes in unseren Häfen und Flugplätzen zur Betankung, Reparatur und Wartung aufzunehmen. Dies ist vergleichbar mit den Akquisitions- und Cross-Servicing-Vereinbarungen, die die USA mit ihren NATO-Verbündeten geschlossen haben. Darauf folgte COMCASA [Communications Compatibility and Security Agreement] zur Wahrung der Vertraulichkeit von US-Kommunikationsausrüstung, die an Indien geliefert wurde, und nun das Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich der Geoinformation. All diese so genannten Gründungsabkommen haben die indischen Streitkräfte mit dem US-Militär verzahnt. Das Rahmenabkommen enthält auch eine Bestimmung für gemeinsame Operationen in Drittländern.
Wenn dies kein Militärbündnis ist, was ist es dann? Der Außenminister heuchelt etwas vor, um die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass Indien keinem Bündnissystem angehört.
Tricontinental: Die Kriegsspiele, die zur Zeit geplant werden, bringen alle Mitglieder der Quad an Bord. Ist dies von besonderer Bedeutung?
Prakash Karat: Das Quadrilaterale Forum wurde erstmals 2007 ins Leben gerufen und besteht aus Japan, Australien, den USA und Indien. Aber es konnte aus verschiedenen Gründen nicht anlaufen. China lehnte eine solche antichinesische Plattform ab. Australien zog sich nach dem Amtsantritt der Labour-Regierung zurück. Zuvor gab es jedoch gemeinsame Marineübungen zwischen den vier Quad-Mitgliedern und Singapur vor dem Golf von Bengalen.
Im Jahr 2017 wurde das Quad im Rahmen der Indo-Pazifik-Strategie der Trump-Administration wiederbelebt. Zu Obamas Zeit wurde sie als Asien-Pazifik-Strategie bezeichnet. Mit der zunehmenden Konfrontation Chinas durch die USA hat das Quad eine militärische Funktion angenommen. Die Malabar-Übungen waren drei Jahrzehnte lang jährliche gemeinsame Seeübungen der US-amerikanischen und der indischen Marine. Die linken Parteien waren von Anfang an gegen sie. Jetzt haben sie sich unter amerikanischer Leitung ausgeweitet: zunächst auf trilaterale Übungen, einschließlich Japans, und dieses Jahr (ab dem 3. November, um genau zu sein) ist es eine Angelegenheit zwischen vier Nationen, mit Australien.
Die Bedeutung der Vierergruppe liegt darin, dass sie zeigt, dass Indien zu einem militärischen Verbündeten der USA geworden ist, wie die traditionellen Verbündeten der USA, Japan und Australien. Dies ist ein Erfolg für den drei Jahrzehnte alten Plan des Pentagon, Indien als strategischen Verbündeten in Asien zu gewinnen, um China auszubremsen.
Tricontinental: Macht es für Indien Sinn, China allein aus wirtschaftlichen Gründen entgegenzutreten? Sollte Indien nicht eher den Dialog und intensivere Handelsbeziehungen mit China suchen, als sich auf eine kriegerischen Pfad zu begeben, zumal auch das Bruttoinlandsprodukt in Indien weiter sinken wird?
Prakash Karat: In der Zeit nach der Pandemie wird Indien seine Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit China ausbauen müssen, um sich zu erholen und weiteres Wachstum zu unterstützen. Angesichts der Tatsache, dass Chinas Wirtschaft ein wichtiger Faktor für die weltweite wirtschaftliche Erholung sein wird, ist es äußerst kurzsichtig, an eine Beschränkung der Investitionen und des Handels mit China zu denken. Es wurden bereits einige Beschränkungen eingeführt. Nach Angaben des indischen Finanzministers hat sich die Produktion in einigen Sektoren, wie der Stahlindustrie, aufgrund von Exportaufträgen aus China wieder belebt.
Es läge im Interesse Indiens, die Grenzfrage zwischen Indien und China durch Gespräche auf hoher Ebene zu lösen und zu verhindern, dass dies andere Bereiche unserer Beziehungen beeinträchtigt. Aber dann haben die Regierung und die Bharatiya Janata Party [die Regierungspartei] ideologische Scheuklappen aufgesetzt.
1965, als Indien und Pakistan erneut in einen Krieg gerieten, schrieb Sahir Ludhianvi, einer der großen Urdu-Dichter seiner Generation, ein Gedicht mit dem Titel Ai Sharif Insano («Oh noble Seelen»). Es beginnt mit einem Abriss darüber, warum Krieg so grauenhaft ist, denn zuletzt bringt Krieg nur Feuer und Blut, Hunger, Mangel und Knappheit. Wie wäre es mit einem Krieg gegen den Kapitalismus, schlägt Sahir vor, statt einem Krieg, der das «Blut der Menschen» nimmt?
Jang sarmaaye ke tasallut se
Aman jamhoor ki khushi ke liye
Jang jangon ke falsafe ke khilaaf
Aman pur-aman zindagi ke liye
Krieg gegen die Klauen des Kapitalismus führen
Frieden, für das Glück der gewöhnlichen Leute
Krieg gegen die Philosophie des Krieges führen
Frieden, für ein friedvolles Leben.
Das sind weise Worte für unsere Zeit.
Herzlichst, Vijay.
Ich bin Tricontinental:
Niteesh Narayanan, Forscher im Überregionalen Büro.
Ich dokumentiere zur Zeit die Aktivitäten von AK Gopalan, der 25 Jahre lang als Abgeordneter die Kommunistische Fraktion im Indischen Parlament führte (von 1952 bis 1977). Ich suche nach Originalquellen der Reden, die er zu bestimmten Themen im Parlament gehalten hat und in seiner Rolle als kommunistischer Parlamentarier. Die Veröffentlichung eines Buches ist geplant.
Ich schreibe eine kutze Biographie von KS Ammukkutty, einer erfahrenen kommunistischen Dalit-Frauenführerin der Landarbeiterinnen im Norden Keralas. I arbeite außerdem mit der Bouficha Kampagne für Frieden und helfe beim Aufbau der International Union of Left Publishers.