
Krieg sieht genauso aus wie Krieg: Düster und hässlich.
Der vierundvierzigste Newsletter (2023)

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Es ist unmöglich, wegzuschauen von dem, was die israelische Regierung den Palästinenser*innen nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland antut. Wellen israelischer Flugzeuge bombardieren den Gazastreifen, zerstören die Kommunikationsnetze und verhindern, dass Familien miteinander in Kontakt treten, dass Journalist*innen über die Zerstörung berichten und dass palästinensische Behörden und Organisationen der Vereinten Nationen humanitäre Hilfe leisten. Diese Gewalt hat weltweit Proteste ausgelöst, und Milliarden von Menschen sind empört über das unmenschliche Vorgehen gegen das palästinensische Volk. Auch wenn die israelische Regierung behauptet, sie führe eine Art «Politizid» durch – die Vertreibung organisierter palästinensischer Kräfte aus dem Gazastreifen –, so sieht die Welt in den israelischen Flugzeugen und Panzern nichts anderes als einen Völkermord, die Vertreibung und das Massaker an den palästinensischen Flüchtlingen im Gazastreifen, deren Bewohner*innen zu 81 % aus 1948 zu Israel erklärtem Land vertrieben wurden oder Nachkommen der Vertriebenen sind. Alle Bilder aus Gaza zeigen, dass Israels Angriff unerbittlich ist und weder Kinder und Frauen noch Alte und Kranke verschont. Das Versagen der Welt, ein Massaker nach dem anderen zu verhindern, zeigt uns die tiefe Zerrissenheit unseres internationalen Systems.
Dieses zerrüttete internationale System, das seine Wurzeln in der UNO hat, hat uns den Konflikt in der Ukraine beschert und heizt nun eine gefährliche Konfrontation in Nordostasien an, mit Brennpunkten rund um die koreanische Halbinsel und Taiwan. Zwar gibt es Anzeichen dafür, dass die USA und China die militärischen Gespräche wieder aufnehmen werden, die im August 2022 ausgesetzt wurden, als die ehemalige US-Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in einem Akt rücksichtslosen Abenteurertums Taiwan besuchte, doch deutet dies nicht auf einen Abbau der Spannungen in den Gewässern um Nordostasien hin. Aus diesem Grund haben sich Tricontinental: Institute for Social Research, No Cold War und das International Strategy Centre zusammengetan, um Briefing Nr. 10 zu veröffentlichen, das den Rest des Newsletters dieser Woche ausmacht: The US and NATO Militarise Northeast Asia («Die USA und die NATO militarisieren Nordostasien»).

Am 22. Oktober hielten die Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea ihre erste gemeinsame Luftübung ab. Die Militärübung fand statt, nachdem US-Präsident Joe Biden, der japanische Premierminister Fumio Kishida und der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol im August in Camp David zusammengekommen waren, um «eine neue Ära der trilateralen Partnerschaft» einzuleiten. Obwohl Nordkorea häufig als regionales Feindbild zur Rechtfertigung der Militarisierung angeführt wird, ist die Bildung eines trilateralen Bündnisses zwischen den USA, Japan und Südkorea ein Schlüsselelement der Bestrebungen Washingtons, China einzudämmen. Die Militarisierung Nordostasiens droht die Region in antagonistische Blöcke zu spalten, die jahrzehntelange, für beide Seiten vorteilhafte wirtschaftliche Zusammenarbeit zu untergraben und die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts, insbesondere um Taiwan, zu erhöhen, in den die Nachbarländer durch ein Netz von Bündnissen verstrickt sein werden.
Die Remilitarisierung Japans
In den letzten Jahren hat Japan auf Betreiben der Vereinigten Staaten die umfassendste Militarisierung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchlaufen. Nach der Niederlage Japans wurde von den US-Besatzungsbehörden eine neue Nachkriegsverfassung ausgearbeitet, die 1947 in Kraft trat. In dieser «Friedensverfassung» verpflichtete sich Japan, «für immer auf Krieg […] und die Androhung oder Anwendung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten zu verzichten». Mit der chinesischen Revolution 1949 und dem Ausbruch des Koreakriegs 1950 änderten die USA jedoch rasch ihren Kurs gegenüber Japan. Historiker*innen des US-Außenministeriums zufolge «beunruhigte die Vorstellung eines wiederbewaffneten und militanten Japans die US-Beamten nicht mehr; stattdessen schien die wirkliche Bedrohung das Vordringen des Kommunismus zu sein, insbesondere in Asien». Das Anliegen, Japans «Friedensverfassung» zu ändern und zu umgehen, wurde von der rechtsnationalistischen Liberaldemokratischen Partei (LDP) aufgegriffen, die während des Kalten Krieges vom US-Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) mit Millionen von Dollar unterstützt wurde und das Land seit 1955 fast ununterbrochen (mit Ausnahme der Jahre 1993–1994 und 2009–2012) regiert hat.
In den letzten zehn Jahren hat die LDP die japanische Verteidigungspolitik verändert. Da sie nicht zu einer Verfassungsänderung in der Lage war, hat die LDP-Regierung unter Shinzo Abe diese 2014 «neu interpretiert», um einen «proaktiven Pazifismus» zu ermöglichen und das Verbot einer Beteiligung japanischer Truppen an Kampfhandlungen im Ausland aufzuheben, sodass das Land an militärischen Interventionen zur Unterstützung von Verbündeten wie den USA teilnehmen kann. Im Jahr 2022 bezeichnete die Regierung Kishida China als «die größte strategische Herausforderung für die Sicherung des Friedens und der Stabilität Japans» und kündigte an, die Militärausgaben bis 2027 auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts (auf dem Niveau der NATO-Länder) zu verdoppeln, womit Japans Nachkriegsobergrenze, die die Militärausgaben auf 1 % des BIP beschränkte, aufgehoben wurde. Die Regierung beendete auch eine aus dem Jahr 1956 stammende Politik, die Japans Fähigkeiten zur Verteidigung gegen ankommende Raketen einschränkte, und führte eine Politik ein, die Fähigkeiten zum Gegenschlag zulässt. Dieser Schritt hat Japan den Weg für den Kauf von 400 US-Tomahawk-Raketen ab 2025 geebnet, die in der Lage sind, chinesische und russische Marinestützpunkte an der Ostküste des Landes zu treffen.

Absolution für den japanischen Kolonialismus
In der Vergangenheit scheiterten Washingtons Bemühungen, multilaterale Bündnisse im asiatisch-pazifischen Raum zu schaffen, am Erbe des japanischen Kolonialismus. Während des Kalten Krieges griffen die USA auf ein Netz bilateraler Bündnisse mit Ländern in der Region zurück, das als San Francisco System bekannt ist. Der erste Schritt zur Schaffung dieses Systems war der Friedensvertrag von San Francisco (1951), mit dem friedliche Beziehungen zwischen den alliierten Mächten und Japan hergestellt wurden. Um die Integration Japans als Verbündeten zu beschleunigen, schlossen die USA die Opfer des japanischen Kolonialismus (darunter China, die von der Kuomintang geführte Regierung in Taiwan und beide Koreas) von der Friedenskonferenz in San Francisco aus und entbanden Tokio von der Verantwortung für seine Kolonial- und Kriegsverbrechen (darunter Massaker, sexuelle Sklaverei, Menschenversuche und Zwangsarbeit).
Das neue trilaterale Bündnis zwischen den USA, Japan und Südkorea konnte frühere Hindernisse überwinden, weil die südkoreanische Regierung Yoon die Verantwortung Japans für die während seiner Kolonialherrschaft über Korea (1910–1945) begangenen Verbrechen abstritt. Konkret hat die Yoon-Regierung ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Südkoreas aus dem Jahr 2018 aufgehoben, das japanische Unternehmen wie Mitsubishi für die Zwangsarbeit von Koreaner*innen verantwortlich machte. Anstatt endlich zur Rechenschaft gezogen zu werden, wurde Japan erneut ein Persilschein ausgestellt.

Auf dem Weg zu einer asiatischen NATO?
Im Jahr 2022 bezeichnete die NATO China zum ersten Mal als eine sicherheitspolitische Herausforderung. Der diesjährige Gipfel war auch der erste, an dem Staats- und Regierungschefs aus dem asiatisch-pazifischen Raum teilnahmen, darunter Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland (diese vier Länder nahmen 2023 erneut teil). In der Zwischenzeit wurde im Mai berichtet, dass die NATO die Eröffnung eines «Verbindungsbüros» in Japan plane, doch scheint dieser Vorschlag – vorerst – auf Eis gelegt worden zu sein.
Das trilaterale Bündnis zwischen den USA, Japan und Südkorea ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erreichung von Fähigkeiten auf NATO-Niveau in Asien, d.h. Interoperabilität in Bezug auf Streitkräfte, Infrastruktur und Informationen. Die auf dem Camp-David-Treffen im August getroffene Vereinbarung verpflichtet jedes Land zu jährlichen Treffen und militärischen Übungen. Diese Kriegsübungen ermöglichen es den drei Streitkräften, den Austausch von Daten und die Koordinierung ihrer Aktivitäten in Echtzeit zu üben. Darüber hinaus wird mit dem von den USA gewünschten Abkommen über die allgemeine Sicherheit militärischer Informationen (General Security of Military Information Agreement, kurz GSOMIA) zwischen Japan und Südkorea der Austausch militärischer Informationen zwischen den beiden Ländern ausgeweitet, sodass er sich nicht nur auf die Raketen- und Nuklearprogramme der DVRK beschränkt, sondern auch die Bedrohungen durch China und Russland einschließt. Dies ermöglicht es den USA, Japan und Südkorea, ein gemeinsames operatives Bild zu entwickeln, das die Grundlage für die Interoperabilität im nordostasiatischen Militärraum bildet.

Für den Frieden kämpfen
Anfang dieses Jahres erklärte der US-Botschafter in China, Nicholas Burns, mit Blick auf den asiatisch-pazifischen Raum, sein Land sei «der Anführer in dieser Region». Während China ein Konzept der «unteilbaren Sicherheit» vorschlägt – was bedeutet, dass die Sicherheit eines Landes von der Sicherheit aller abhängt –, verfolgen die USA einen feindlichen Ansatz, der darauf abzielt, exklusive Blöcke zu bilden. Die hegemoniale Haltung Washingtons gegenüber Asien schürt die Spannungen und treibt die Region in Richtung Konflikt und Krieg – insbesondere wegen Taiwan, was Peking als «rote Linie» bezeichnet hat. Um die Situation in Nordostasien zu entschärfen, ist eine Abkehr von einer Strategie erforderlich, die auf die Aufrechterhaltung der US-Dominanz ausgerichtet ist. Diejenigen, die in der Lage sind, diese Bewegung anzuführen, sind die Menschen, die bereits an vorderster Front kämpfen, von den Dorfbewohner*innen von Gangjeong, die sich seit 2007 gegen einen Marinestützpunkt für US-Kriegsschiffe wehren, über die Bewohner Okinawas, die dafür kämpfen, nicht länger der unsinkbare Flugzeugträger der USA zu sein, bis hin zur Bevölkerung Taiwans, die bei einem Krieg in der Region letztlich am meisten zu verlieren hat.

Nordostasien hat eine lange Tradition von Schlachten, in denen die gute Seite der Geschichte gegen die hässliche und düstere Seite kämpft. Kim Nam-ju (1946–1994) war ein Kämpfer in einer dieser Schlachten: Er war ein Dichter und Aktivist in der Minjung-Bewegung («Volksbewegung») gegen die Diktaturen in Südkorea, die ihn und viele andere von 1980 bis 1988 inhaftierten. Hier ist sein Gedicht über das Massaker von Gwangju im Jahr 1980:
Es war ein Tag im Mai
Es war ein Tag im Mai 1980.
Es war eine Nacht im Mai 1980, in Gwangju.
Um Mitternacht sah ich
die Polizei durch Kampfpolizei ersetzt.
Um Mitternacht sah ich
die Kampfpolizei durch die Armee ersetzt.
Um Mitternacht sah ich
amerikanische Zivilisten die Stadt verlassen.
Um Mitternacht sah ich
alle Fahrzeuge blockiert, die versuchten, in die Stadt zu gelangen.
Oh, was für eine düstere Mitternacht war das!
Oh, was für eine vorsätzliche Mitternacht war das!
Es war ein Tag im Mai.
Es war ein Tag im Mai 1980.
Es war ein Tag im Mai 1980, in Gwangju.
Mittags sah ich
eine Truppe von Soldaten mit Bajonetten.
Mittags sah ich
eine Truppe von Soldaten, wie die Invasion einer fremden Nation.
Mittags sah ich
eine Trupp Soldaten, wie Menschenplünderer.
Mittags sah ich
eine Truppe Soldaten, wie eine Inkarnation des Teufels.
Oh, was für ein schrecklicher Mittag war das!
Oh, was für ein böshaftiger Mittag war das!
Es war ein Tag im Mai.
Es war ein Tag im Mai 1980.
Es war eine Nacht im Mai 1980, in Gwangju.
Um Mitternacht
war die Stadt ein Herz, das wie ein Bienenstock pochte.
Um Mitternacht
war die Straße ein Fluss aus Blut, der wie Lava floss.
Um 1 Uhr nachts
wirbelte der Wind das blutbefleckte Haar einer jungen, ermordeten Frau auf.
Um Mitternacht
fraß sich die Nacht an den Augen eines Kindes fest, die wie Kugeln herausstachen.
Um Mitternacht
bewegten sich die Schlächter weiter über den Leichenberg.
Oh, was für eine schreckliche Mitternacht war das!
Oh, was für eine kalkulierte Mitternacht des Gemetzels war das!
Es war ein Tag im Mai.
Es war ein Tag im Mai 1980.
Mittags
war der Himmel ein Tuch aus karmesinrotem Blut.
Mittags
weinte in den Straßen jedes zweite Haus.
Der Berg Mudeung rollte sein Kleid zusammen und verbarg sein Gesicht.
Mittags
hielt der Youngsan-Fluss seinen Atem an und starb.
Oh, nicht einmal das Massaker von Guernica war so grauenvoll wie dieses!
Oh, nicht einmal der Plan des Teufels war so kalkuliert wie dieser!
Ersetzt heute das Wort «Gwangju» durch «Gaza», und das Gedicht wird lebendig. Unser Blick auf die Realität, die sich in Nordostasien abspielt, sollte unser Verständnis dafür schärfen, was in Südwestasien vor sich geht – in Gaza, an der Frontlinie eines weltweiten Kampfes, das blutet, ohne dass ein Ende in Sicht ist.
Herzlichst,
Vijay