
Afrika will kein Nährboden für den neuen Kalten Krieg sein.
Der vierundvierzigste Newsletter (2022).

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Am 17. Oktober besuchte der Leiter des US Africa Command (AFRICOM), US Marine Corps General Michael Langley, Marokko. Langley traf mit hochrangigen marokkanischen Militärs zusammen, darunter der Generalinspekteur der marokkanischen Streitkräfte Belkhir El Farouk. Seit 2004 hält das AFRICOM seine «größte und wichtigste jährliche Übung», African Lion, teilweise auf marokkanischem Boden ab. Im vergangenen Juni nahmen zehn Länder am African Lion 2022 teil, mit Beobachter*innen aus Israel (zum ersten Mal) und der Nordatlantikvertragsorganisation (NATO).

Der Besuch Langleys ist Teil eines umfassenderen Vorstoßes der USA auf den afrikanischen Kontinent, den wir in unserem Dossier Nr. 42 (Juli 2021), Defending Our Sovereignty: US-Military Basas in Africa and the Future of African Unity, einer gemeinsamen Veröffentlichung mit der Forschungsgruppe der sozialistischen Bewegung Ghanas, dokumentierten. In diesem Text schrieben wir, dass die beiden wichtigsten Grundsätze des Panafrikanismus politische Einheit und territoriale Souveränität sind, und argumentierten, dass «die ständige Präsenz ausländischer Militärbasen nicht nur das Fehlen von Einheit und Souveränität symbolisiert, sondern auch die Fragmentierung und Unterordnung der Völker und Regierungen des Kontinents verstärkt». Im August reiste die US-Botschafterin bei der UNO, Linda Thomas-Greenfield, nach Ghana, Uganda und Kap Verde. «Wir verlangen von den Afrikaner*innen nicht, dass sie sich zwischen den Vereinigten Staaten und Russland entscheiden», sagte sie im Vorfeld ihres Besuchs, aber, fügte sie hinzu: «Mir würde die Entscheidung leicht fallen». Diese Wahl wird jedoch durch den US-Kongress erzwungen, der über das Gesetz zur Bekämpfung bösartiger russischer Aktivitäten in Afrika berät, ein Gesetz, das afrikanische Staaten mit Sanktionen belegen würde, wenn sie mit Russland Geschäfte machen (und das in Zukunft möglicherweise auch auf China ausgedehnt werden könnte).
Zum besseren Verständnis der sich abzeichnenden Situation haben unsere Freunde von No Cold War ihr Briefing Nr. 5, NATO Claims Africa as Its ‹Southern Neighbourhood› («Die NATO beansprucht Afrika als ihre ‹südliche Nachbarschaft›») erstellt, in dem untersucht wird, wie die NATO eine eigene Sichtweise auf Afrika entwickelt und wie die US-Regierung Afrika als eine Frontlinie in ihrer globalen Monroe-Doktrin betrachtet. Das Briefing kann unten vollständig gelesen und hier heruntergeladen werden:

Im August 2022 veröffentlichten die Vereinigten Staaten eine neue, auf Afrika ausgerichtete außenpolitische Strategie. In dem 17-seitigen Dokument wurden China und Russland insgesamt zehn Mal erwähnt, darunter die Zusicherung, «schädlichen Aktivitäten der [Volksrepublik China], Russlands und anderer ausländischer Akteure» auf dem Kontinent entgegenzuwirken, hingegen kommt der Begriff «Souveränität» kein einziges Mal vor. Obwohl US-Außenminister Antony Blinken erklärt hat, dass Washington «Afrikas Entscheidungen nicht diktieren wird», berichten afrikanische Regierungen, dass sie von NATO-Mitgliedstaaten «bevormundet» wurden, damit sie sich im Krieg in der Ukraine auf deren Seite stellen. Angesichts der zunehmenden globalen Spannungen haben die USA und ihre Verbündeten signalisiert, dass sie den Kontinent als Schlachtfeld betrachten, um ihren Neuen Kalten Krieg gegen China und Russland zu führen.

Eine neue Monroe-Doktrin?
Auf ihrem jährlichen Gipfel im Juni bezeichnete die NATO Afrika zusammen mit dem Nahen Osten als «südliche Nachbarschaft der NATO». Darüber hinaus erklärte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg den «zunehmenden Einfluss Russlands und Chinas in unserer südlichen Nachbarschaft» bedrohlich als «Herausforderung». Im darauf folgenden Monat benannte der scheidende Befehlshaber des AFRICOM, General Stephen J. Townsend, Afrika als «die südliche Flanke der NATO». Diese Äußerungen erinnern auf beunruhigende Weise an die neokoloniale Haltung der Monroe-Doktrin von 1823, in der die USA Lateinamerika als ihren «Hinterhof» bezeichneten.
Diese paternalistische Sicht auf Afrika scheint in Washington weit verbreitet zu sein. Im April verabschiedete das US-Repräsentantenhaus mit einer überwältigenden Mehrheit von 415 zu 9 Stimmen den Countering Malign Russian Influence Activities in Africa Act. Das Gesetz, mit dem afrikanische Regierungen bestraft werden sollen, wenn sie sich nicht der US-Außenpolitik gegenüber Russland anschließen, wurde auf dem gesamten Kontinent als Missachtung der Souveränität afrikanischer Staaten verurteilt. Die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor bezeichnete das Gesetz als «absolut schändlich».
Die Bemühungen der USA und der westlichen Länder, Afrika in ihre geopolitischen Konflikte hineinzuziehen, geben Anlass zu ernsten Bedenken: Werden die USA und die NATO ihre enorme militärische Präsenz auf dem Kontinent als Waffe einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen?

AFRICOM: Die Hegemonie der USA und der NATO beschützen
Im Jahr 2007 gründeten die Vereinigten Staaten ihr Afrika-Kommando (AFRICOM) «als Reaktion auf unsere wachsenden Partnerschaften und Interessen in Afrika». In nur 15 Jahren hat das AFRICOM mindestens 29 Militärstützpunkte auf dem Kontinent eingerichtet, die Teil eines umfangreichen Netzwerks sind, das mehr als 60 Außenposten und Zugangspunkte in mindestens 34 Ländern umfasst – in über 60 Prozent der Staaten des Kontinents.
Trotz der Rhetorik Washingtons, Demokratie und Menschenrechte in Afrika zu fördern, zielt AFRICOM in Wirklichkeit darauf ab, die Hegemonie der USA über den Kontinent zu sichern. Zu den erklärten Zielen von AFRICOM gehören der «Schutz der US-Interessen» und die «Aufrechterhaltung der Überlegenheit gegenüber Konkurrenten» in Afrika. Tatsächlich war die Schaffung des AFRICOM durch die Bedenken derer motiviert, die über die wachsende Präsenz und den zunehmenden Einfluss Chinas in der Region besorgt waren.
Von Anfang an war die NATO an diesem Vorhaben beteiligt, wobei auch der ursprüngliche Vorschlag vom damaligen Obersten Alliierten Befehlshaber der NATO James L. Jones Jr. unterbreitet wurde. Das AFRICOM führt jedes Jahr Übungen durch, um die «Interoperabilität» zwischen den afrikanischen Streitkräften und den «Spezialeinsatzkräften der USA und der NATO» zu verbessern.
Die zerstörerische Natur der militärischen Präsenz der USA und der NATO in Afrika wurde 2011 deutlich, als die USA und die NATO – unter Missachtung des Widerstands der Afrikanischen Union – ihre katastrophale Militärintervention in Libyen starteten, um die Regierung von Muammar Gaddafi zu stürzen. Dieser Regimewechsel-Krieg zerstörte das Land, das zuvor auf dem UN-Index für menschliche Entwicklung den höchsten Wert unter den afrikanischen Ländern hatte. Mehr als ein Jahrzehnt später sind die wichtigsten Errungenschaften der Intervention in Libyen die Rückkehr der Sklavenmärkte in das Land, die Einreise Tausender ausländischer Kämpfer und die nicht enden wollende Gewalt.
Werden sich die USA und die NATO in Zukunft auf den «bösartigen Einfluss» Chinas und Russlands berufen, um militärische Interventionen und Regimewechsel in Afrika zu rechtfertigen?

Afrika lehnt einen neuen Kalten Krieg ab
Auf der diesjährigen UN-Generalversammlung wies die Afrikanische Union die Zwangsbemühungen der USA und westlicher Länder, den Kontinent als Spielball ihrer geopolitischen Agenda zu benutzen, entschieden zurück. «Afrika hat genug unter der Last der Geschichte gelitten», erklärte der Vorsitzende der Afrikanischen Union und senegalesische Präsident Macky Sall, «es will nicht der Nährboden eines neuen Kalten Krieges sein, sondern ein Pol der Stabilität und der Möglichkeiten, der allen seinen Partnern zum gegenseitigen Nutzen offen steht». Das Kriegsgeschrei hilft den Völkern Afrikas in ihrem Streben nach Frieden, Anpassung an den Klimawandel und Entwicklung nicht weiter.
“Europe is a garden. The rest of the world is a jungle. And the jungle could invade the garden.”
“Europeans have to be much more engaged with the rest of the world. Otherwise, the rest of the world will invade us.”
– Shocking comments from EU foreign policy head @JosepBorrellF pic.twitter.com/eFbbb9LxGl— No Cold War (@NoColdWar) October 15, 2022
Bei der Einweihung der Europäischen Diplomatischen Akademie am 13. Oktober sagte der Chefdiplomat der Europäischen Union, Josep Borrell: «Europa ist ein Garten … Der Rest der Welt … ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen». Als ob diese Metapher nicht schon deutlich genug wäre, fügte er hinzu: «Die Europäer[*innen] müssen sich viel stärker für den Rest der Welt engagieren. Andernfalls wird der Rest der Welt in uns eindringen». Borrells rassistische Äußerungen wurden in den sozialen Medien an den Pranger gestellt und im Europäischen Parlament von Marc Botenga von der belgischen Arbeiterpartei demontiert. Eine Petition der Bewegung für Demokratie in Europa (DiEM25), die Borrells Rücktritt fordert, hat über 10.000 Unterschriften erhalten. Borrells mangelndes historisches Wissen ist bezeichnend: Es sind Europa und Nordamerika, die weiterhin auf dem afrikanischen Kontinent einmarschieren, und es sind diese militärischen und wirtschaftlichen Invasionen, die die afrikanische Bevölkerung zur Migration veranlassen. Afrika will, wie es Präsident Sall sagte, kein «Nährboden für einen neuen Kalten Krieg» sein, sondern ein souveräner Ort der Würde.
Herzlichst,
Vijay