Werden die Menschen mit Waffen unserem Planeten zu atmen erlauben.
Der vierundvierzigste Newsletter (2021).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro des Tricontinental: Institute for Social Research.
Es ist vielleicht passend, dass US-Präsident Joe Biden zur 26. Vertragsstaatenkonferenz (COP26) über die Klimakatastrophe mit fünfundachtzig Autos im Schlepptau nach Glasgow kam, nachdem er erklärt hatte: «Ich bin eben ein Autotyp» (Details zur Klimakatastrophe kann man im Red Alert Nr. 11 nachlesen, «Nur eine Erde»). Nur in drei Länder auf der Welt gibt es mehr Autos pro Person als in den USA, und diese Länder (Finnland, Andorra und Italien) haben eine viel kleinere Bevölkerung als die Vereinigten Staaten.
Kurz vor seiner Abreise zum G20-Gipfel, seinem Treffen mit Papst Franziskus und dem COP26 hat Biden seine Regierung veranlasst, Druck auf die erdölproduzierenden Staaten (OPEC+) auszuüben, damit diese «das Nötige tun, was die Versorgung angeht» – nämlich die Ölproduktion zu erhöhen. Während die USA die OPEC+ unter Druck setzten, die Ölproduktion zu erhöhen, veröffentlichte das UN-Umweltprogramm (UNEP) seinen wichtigsten Bericht über weltweite Emissionen. Das UNEP wies darauf hin, dass die G20-Länder für fast 80 % der weltweiten Treibhausgase verantwortlich und die drei größten Pro-Kopf-Emittenten Saudi-Arabien, Australien und die Vereinigten Staaten sind. Da die Bevölkerung von Saudi-Arabien (34 Millionen) und Australien (26 Millionen) viel kleiner ist als die der Vereinigten Staaten (330 Millionen), liegt auf der Hand, dass die USA viel mehr CO2 ausstoßen als diese beiden Länder: Auf Australien entfallen 1,2 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen, auf Saudi-Arabien 1,8 % und auf die Vereinigten Staaten 14,8 %.
Vor dem Treffen in Glasgow trafen sich die Staats- und Regierungschefs der G20 in Rom, um ihr eigenes Konzept für den Umgang mit der Klimakatastrophe festzulegen. Das Kommuniqué, das aus diesem Treffen hervorging, die «Erklärung der G20-Staats- und Regierungschefs von Rom», enthielt nur laue Begriffe wie «Fortschritte machen», «Maßnahmen verstärken» und «ausbauen». Dem Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) zufolge ist es unwahrscheinlich, dass das Hauptziel einer Erwärmung um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau erreicht wird, wenn die Kohlenstoffemissionen nicht reduziert werden. Der IPCC stellt fest, dass eine 83%ige Chance besteht, dieses Ziel zu erreichen, wenn die Kohlenstoffemissionen von heute bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir Netto-Null-Kohlenstoffemissionen erreichen, auf 300 Gigatonnen reduziert werden (derzeit werden jährlich 35 Gigatonnen CO2 aus fossilen Brennstoffen ausgestoßen). Es besteht nur eine 17%ige Chance, einen globalen Temperaturanstieg von nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu erreichen, wenn wir die Emissionen nur auf 900 Gigatonnen reduzieren können. Der IPCC weist darauf hin, dass die Chance, eine katastrophale Erwärmung zu verhindern, umso größer ist, je schneller die Welt zu Netto-Null-Emissionen übergeht.
Auf der COP21-Konferenz 2015 in Paris wollte keines der mächtigen Länder den Begriff «Netto-Null-Emissionen» auch nur in den Mund nehmen. Dank der Arbeit der IPCC-Berichte und der weltweiten Massenkampagnen gegen den Klimanotstand wird der Begriff nun den Staats- und Regierungschefs aufgezwungen, die lieber «Autotypen» wären. Obwohl die Notwendigkeit, die Kohlenstoffemissionen bis 2050 auf null zu reduzieren, seit einigen Jahren auf dem Tisch liegt, wurde dies in der Erklärung der G20 ignoriert und die vage Formulierung gewählt, dass die Nettoemissionen «bis oder um die Jahrhundertmitte» enden müssen. Auch über die globalen Methanemissionen, die nach CO2 das zweithäufigste anthropogene Treibhausgas sind, wollte man nicht sprechen.
Einige Tage vor der COP26 sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet: «Es ist an der Zeit, leere Reden, gebrochene Versprechen und nicht eingehaltene Zusagen hinter uns zu lassen. Wir müssen ohne weitere Verzögerung Gesetze verabschieden, Programme umsetzen und Investitionen zügig und angemessen finanzieren». Zu Verzögerungen kommt es aber bereits seit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro. Im Anschluss an die UN-Konferenz über die menschliche Umwelt in Stockholm (1972) verpflichteten sich die Länder der Welt, zwei Dinge zu tun: die Umweltzerstörung umzukehren und die «gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung» von Industrie- und Entwicklungsländern anzuerkennen. Es war klar, dass die Industrieländer – vor allem der Westen, die alten Kolonialmächte – weit mehr als ihren Anteil am «Kohlenstoffbudget» verbraucht hatten, während die Entwicklungsländer nicht annähernd so viel zur Klimakatastrophe beitrugen und Schwierigkeiten hatten, ihre grundlegenden Verpflichtungen gegenüber ihrer Bevölkerung zu erfüllen.
Die Rio-Formel – gemeinsame und differenzierte Verantwortung – stand über dem Kyoto-Protokoll (1997) und den Pariser Verträgen (2015). Versprechungen wurden gemacht, aber nicht eingehalten. Die Industrieländer versprachen eine «Klimafinanzierung», um die katastrophalen Folgen der Klimakatastrophe abzumildern und die Abhängigkeit von kohlenstoffbasierter Energie auf andere Energieformen zu verlagern. Der Grüne Klimafonds ist weitaus kleiner geblieben als die 2009 zugesagten 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Auf dem G20-Treffen in Rom wurde kein Konsens über diesen leeren Fonds erzielt; ist es dagegen wichtig, den krassen Gegensatz dazu zu erkennen, dass während der Pandemie zwischen März 2020 und März 2021 insgesamt 16 Billionen Dollar an fiskalischen Anreizen ausgezahlt wurden, hauptsächlich in den Industrieländern. Da es unwahrscheinlich ist, dass eine ernsthafte Diskussion über die Klimafinanzierung stattfindet, wird die COP26 wahrscheinlich ein Misserfolg werden.
Tragischerweise wurde der COP26-Prozess in die Matrix gefährlicher geopolitischer Spannungen hineingezogen, die vor allem von den Vereinigten Staaten in ihrem Bestreben, Chinas wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt zu verhindern, vorangetrieben werden. Im Mittelpunkt der Debatte steht die Kohle, und es wird argumentiert, dass ohne eine Reduzierung der Kohlekraftwerke in China und Indien keine Kohlenstoffreduzierung möglich sei. Im September sagte Chinas Präsident Xi Jinping bei den Vereinten Nationen: «China wird sich bemühen, den Höhepunkt der Kohlendioxidemissionen vor 2030 zu erreichen und vor 2060 kohlenstoffneutral zu werden»; er erklärte auch, dass China «keine neuen Kohlekraftwerke in Übersee bauen» werde. Dies war eine monumentale Aussage, die weit vor allen Zusagen der anderen großen Weltmächte lag. Anstatt auf dieser Verpflichtung aufzubauen, bestand die vom Westen geführte Debatte größtenteils darin, die Entwicklungsländer, einschließlich China, schlecht zu machen und ihnen die Schuld an der Klimakatastrophe zu geben.
Der Wirtschaftswissenschaftler John Ross hat kürzlich anhand der IPCC-Befunde gezeigt, dass der Pro-Kopf-Ausstoß der USA im Jahr 2030 bei einer Senkung der derzeitigen Emissionen um 50–52 % gegenüber dem Stand von 2005 immer noch 220 % des weltweiten Durchschnitts betragen würde. Sollten die USA ihr Ziel erreichen, lägen die Pro-Kopf-Kohlenstoffemissionen des Landes im Jahr 2030 um 42 % höher als die Chinas von heute. Die USA haben angedeutet, dass sie die Emissionen bis 2030 um 50 % senken wollen. Da sie von den ungleichen derzeitigen Emissionswerten ausgehen würden, dürften sie 8,0 Tonnen CO2 ausstoßen, China 3,7 Tonnen, Brasilien 1,2 Tonnen, Indien 1,0 Tonnen und die Demokratische Republik Kongo 0,02 Tonnen. Ross zeigt, dass Chinas Pro-Kopf-CO2-Emissionen derzeit nur 46 % der US-Emissionen betragen, während andere Entwicklungsländer weit weniger emittieren (Indonesien 15 %, Brasilien 14 %, Indien 12 %). Weitere Einzelheiten könnt ihr dem Climate Equity Monitor entnehmen, der von der MS Swaminathan Research Foundation und dem National Institute of Advanced Studies (Bengaluru, Indien) entwickelt wurde.
Anstatt sich auf die notwendige Energiewende zu konzentrieren, entschieden sich die Industrieländer zu einer plumpen Propaganda gegen eine Handvoll Entwicklungsländer wie China und Indien. Der Bericht der Energy Transition Commission Making Mission Possible: Delivering a Net-Zero Economy schätzt die Kosten der Energiewende bis 2050 auf 0,5 % des globalen BIP – ein unbedeutender Betrag im Vergleich zu den katastrophalen Alternativen, wie dem Verschwinden mehrerer kleiner Inselstaaten und der Zunahme von Wetterkapriolen.
Die Kosten der Energiewende sind gesunken, weil die Kosten für die Schlüsseltechnologien (Onshore-Windparks, Solarzellen, Batterien usw.) zurückgegangen sind. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass diese Kosten künstlich niedrig gehalten werden, weil die Löhne der Bergleute, die wichtige Mineralien und Metalle für diese Technologien abbauen (z. B. Kobaltbergleute in der Demokratischen Republik Kongo), sehr niedrig sind und weil die Länder des Südens nur geringe Lizenzgebühren für diese Rohstoffe einkassieren. Würden die tatsächlichen Kosten bezahlt, wäre der Übergang teurer, und die Länder des Südens hätten die Mittel, um den Übergang zu bezahlen, ohne auf den Klimafonds angewiesen zu sein.
Tricontinental: The Insititute for Social Research wird zusammen mit Delegierten der Internationalen Völkerversammlung in Glasgow sein. Wir werden an verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen, um ein Stimmungsbild der Volksbewegungen zu erhalten. Bei der Konferenz haben Nnimmo Bassey von der Health of Mother Earth Foundation (Benin City, Nigeria) und ich gemeinsam über die Katastrophe gesprochen. Bassey schrieb ein kraftvolles Gedicht mit dem Titel Return to Being, das hier abgedruckt ist:
Der Kampf tobt
Wer muss das Kohlenstoffbudget verschlingen,
Mutter Erde in endlose Ballen von Smog einwickeln?
Wessen Aufgabe ist es, die Klimaschuld anzuhäufen
Und wessen Los ist es, der Kohlenstoffsklave zu sein?
Die Biosphäre kolonisieren
Die Ethnosphäre auslöschen
Hoffnungen kartiert in kolonialen Geografien des Todes
Vernarbt für den Sport, mit Fallen versehen und auf Blut schwimmend
…
Der Traum ist ausgeträumt, der Hahn hat gekräht,
Der Verräter sucht sich einen Ast, um das Schwingen des Pendels nachzuahmen
Und der eine oder andere vergießt eine Träne für die Presse
Der Falke gleitet sanft durch die Winde der Totenklage und sucht eine unglückliche Beute
Totentrommeln platzen durch pulsierende Bizeps des Schmerzes
Flöten flüstern ein lange vergessenes Klagelied, das plötzlich aus den Tiefen
der seit Jahren ausgelöschten Geschichte auftaucht
Wenn Töchter und Söhne des Bodens Stücke von heiligen Hügeln, Flüssen und Wäldern auflesen
erwacht Mutter Erde, umarmt ihre sichtbaren und unsichtbaren Kinder
Und endlich kehren die Menschen zum Leben zurück.
Herzlichst,
Vijay