Das palästinensische Volk ist bereits frei.
Der zweiundvierzigste Newsletter (2023)
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
In dieser Woche, vom 14. bis 18. Oktober, brachte die «Dilemmas of Humanity»-Konferenz führende Politiker*innen, Aktivist*innen und Intellektuelle aus der ganzen Welt zusammen, um die zentralen Probleme zu diskutieren, mit denen die Menschheit heute konfrontiert ist, und um Vorschläge zu ihrer Lösung zu erarbeiten. In Johannesburg (Südafrika) verfolgten die Teilnehmer*innen mit Entsetzen, wie Israel seinen völkermörderischen Krieg gegen das palästinensische Volk eskalierte. Am 17. Oktober, dem elften Tag der Bombardierung in Folge, bombardierte Israel zum Entsetzen der Weltöffentlichkeit das arabische Krankenhaus al-Ahli in Gaza-Stadt, wo Tausende von Zivilist*innen medizinisch behandelt wurden und Schutz vor den Angriffen suchten. Nach ersten Schätzungen des Gesundheitsministeriums von Gaza wurden mehr als 500 Menschen getötet, wobei diese Zahl in den kommenden Tagen sicherlich noch steigen wird. Einen Tag vor dem Massaker hatte der UN-Sicherheitsrat die Möglichkeit, eine Resolution zu verabschieden, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen forderte, wodurch die Bombardierung des Krankenhauses möglicherweise verhindert worden wäre. Diese Resolution wurde jedoch von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Japan blockiert.
Auf der Eröffnungssitzung der «Dilemmas of Humanity»-Konferenz, während sich das abspielte, was viele als eine zweite Nakba bezeichnen, hielt Arwa Abu Hashhash, Mitglied der Palästinensischen Volkspartei, eine leidenschaftliche Rede über den Angriff auf ihr Land. Der Newsletter dieser Woche enthält ihre Rede, die mit Stand vom 18. Oktober aktualisiert wurde, um aktuelle Zahlen und Quellen wiederzugeben.
Erlauben Sie mir, im Namen der palästinensischen Delegation zu sprechen, die heute hier sein sollte, aber aufgrund der schwierigen Umstände und der erdrückenden Blockade, unter der das palästinensische Volk derzeit leidet, nicht teilnehmen kann. In diesem Moment, in dem ich mich an Sie wende, ist das belagerte Volk von Gaza und Palästina mit einer völkermörderischen Operation der faschistischen zionistischen Besatzungsmacht konfrontiert. Die israelische Kriegsmaschinerie massakriert nun schon den zehnten Tag in Folge Palästinenser*innen, wobei Kinder, Frauen, Jugendliche und ältere Menschen getötet werden. Seit dem 7. Oktober sind mehr als 3.400 Palästinenser*innen, darunter viele Kinder, getötet worden. Dutzende von Familien wurden vollständig aus dem Melderegister gestrichen, nachdem mehrere Generationen den Märtyrertod erlitten, und die Infrastruktur, darunter Krankenhäuser, Schulen, Moscheen, Kirchen, Regierungsgebäude und Medienhäuser, wurde auf schreckliche Weise zerstört. Das hat zur Vertreibung von über einer Million Menschen aus ihren Häusern im Gazastreifen geführt. Hinzu kommen eine erdrückende Belagerung und der Versuch, die mehr als 2 Millionen Einwohner*innen der Region auszuhungern, indem sie von Lebensmitteln, Medikamenten, Treibstofflieferungen, Wasser und Strom abgeschnitten wurden.
Der Völkermord am palästinensischen Volk wird heute von den imperialistischen Mächten der Welt, vor allem von den Vereinigten Staaten und einigen verbündeten westlichen Ländern, eindeutig unterstützt. Diese Länder unternehmen den abscheulichen, aber vergeblichen Versuch, den palästinensisch-israelischen Konflikt zu einer Frage des Terrorismus zu machen, indem sie das palästinensische Volk und seinen Widerstand mit ISIS gleichsetzen und die Hamas und das palästinensische Volk als Ganzes in das einordnen, was sie den «Krieg gegen den Terrorismus» nennen. In ihrem absichtlichen Bemühen, dieses Narrativ zu etablieren, zielen diese Mächte zunächst darauf ab, die von Israel begangenen Morde und täglichen Verbrechen zu legitimieren. Sie versuchen, die Welt über die Wahrheit hinter dem andauernden Konflikt zu blenden, und ignorieren und verdrängen weiterhin die Tatsache, dass die palästinensische Sache eine Frage der nationalen Befreiung ist.
Wenn wir heute aus der ganzen Welt zusammenkommen, um über die Krise des kapitalistischen Systems zu diskutieren – damit wir Alternativen zur Überwindung dieses Systems vorschlagen und eine sozialistische Alternative formulieren können –, stehen wir vor einer der grundlegendsten Aufgaben, die von uns verlangt, die Instrumente dieses Systems genau zu identifizieren. Um das Wesen des heutigen Palästina-Konflikts zu verstehen, ist es von entscheidender Bedeutung, die israelische Besatzung in der arabischen und maghrebinischen Region als ein grundlegendes Instrument und eine hochentwickelte Militärbasis zu begreifen, die den Interessen der Imperialist*innen in der Region dient und ihre Kontrolle und Hegemonie sichert. Dies ist Teil des Ideenkampfs, den wir in unserer laufenden Arbeit bei «Dilemmas of Humanity» immer wieder betont haben.
Israel, das vor 75 Jahren noch gar nicht existierte, wurde durch einen der gewalttätigsten Akte ethnischer Säuberung in der modernen Geschichte mit der uneingeschränkten Unterstützung des damaligen britischen Imperialismus und später des US-Imperialismus sowie französischer und anderer europäischer imperialistischer Kräfte gegründet. Als diese imperialistischen Mächte versuchten, sich die Ressourcen unserer Region anzueignen und ihren Reichtum auszubeuten, trafen sich ihre Interessen mit denen der zionistischen Bewegung, die die Probleme der Jüd*innen in Europa durch die Gründung des Staates Israel und die Kolonisierung des palästinensischen Landes und die Vertreibung seiner Bevölkerung lösen wollte.
Diese imperialistischen Kräfte, allen voran die Vereinigten Staaten, haben die tägliche brutale Aggression des Staates Israel gegen die Palästinenser*innen weiterhin unterstützt und gerechtfertigt. Zu dieser Aggression gehören der Diebstahl von Land, die Zerstörung von Häusern, der Bau illegaler Siedlungen und die Verhaftung, Inhaftierung, Demütigung und Tötung unschuldiger junger Menschen, Frauen und älterer Menschen in Palästina jeden Tag.
Nachdem Israel 1948 den größten Teil Palästinas erobert und fast 800.000 Palästinenser*innen – die große Mehrheit der damaligen Bevölkerung – vertrieben hatte, besetzte es 1967 mit der Eroberung des Westjordanlands und des Gazastreifens das, was vom historischen Palästina übriggeblieben war. Seitdem hat Israel beharrlich gegen alle internationalen Vereinbarungen verstoßen, indem es über 200 illegale Siedlungen mit jeweils Tausenden von Wohneinheiten gebaut hat, in denen heute mehr als 700.000 Siedler*innen leben. Mit dem Bau dieser Siedlungen wurden nicht nur Tausende Hektar palästinensischen Landes beschlagnahmt und viele Palästinenser*innen ihres Landes und ihrer Lebensgrundlagen beraubt, sondern auch palästinensische Städte und Ortschaften voneinander getrennt, was die Bewegungsfreiheit und Mobilität der Palästinenser*innen behindert und die Möglichkeit untergräbt, einen zusammenhängenden Staat zu errichten, selbst in den Gebieten, die von der ganzen Welt als palästinensisches Gebiet anerkannt werden.
Darüber hinaus hält Israel nach wie vor mehr als 5.000 Palästinenser*innen in Haft, darunter 1.264 «Verwaltungshäftlinge», die ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten werden – eine nach internationalem Recht verbotene Praxis – sowie 170 Kinder unter 16 Jahren und 30 Frauen. Mehr als 1.000 dieser Gefangenen leiden an verschiedenen gesundheitlichen Problemen, darunter 200 mit chronischen Krankheiten. Die israelischen Behörden vernachlässigen absichtlich die medizinische Versorgung dieser Gefangenen, indem sie ihnen die notwendigen Medikamente vorenthalten, wichtige chirurgische Eingriffe verweigern und kranke Gefangene in Haft halten, anstatt sie in Kliniken oder Krankenhäusern medizinisch versorgen zu lassen.
Der Gazastreifen, den Israel heute mit massivem Einsatz von schwerem Sprengstoff und international geächteten Waffen brutalstem Völkermord aussetzt, wird seit mehr als sechzehn Jahren massiv belagert. Während dieser Belagerung und Blockade hat Israel mehr als sechs blutige Kriege angezettelt, die Tausende von Toten forderten und Zehntausende von Verwundeten, von denen viele dauerhafte Behinderungen haben, und die die Vertreibung so vieler Familien zur Folge hatten. Der Gazastreifen wurde in ein Freiluftgefängnis für zwei Millionen Palästinenser*innen verwandelt. Hunderte von Häusern, Schulen, Universitäten, Gebetsstätten und Gesundheitszentren wurden beschossen und zerstört, was zu einer anhaltenden Vertreibungskrise für die Palästinenser*innen führte, von denen die meisten bereits während der Nakba von 1948 aus ihrem Land verjagt wurden. Heute versucht Israel ausdrücklich, die Bewohner*innen des Gazastreifens gewaltsam zu vertreiben. Es verheimlicht dies nicht, sondern bringt es in verschiedenen Fernsehsendungen offen zum Ausdruck.
Angesichts der Folgen der brutalen Kolonisierung, die das palästinensische Volk seit über 75 Jahren erdulden muss, haben die westlichen imperialistischen und zionistischen Mächte eine Vielzahl von Unwahrheiten verbreitet, um ihre uneingeschränkte Unterstützung [Israels] zu rechtfertigen. Dies reicht von der Darstellung des palästinensischen Landes als «Land ohne Volk» über den Versuch, den Konflikt zwischen Palästinenser*innen und israelischen Siedler*innen als einen religiösen Kampf darzustellen, bis hin zu der jüngsten Darstellung des Konflikts als Krieg gegen den Terrorismus.
Heute haben wir die grundlegende Aufgabe, dieses westliche imperialistische Narrativ zu demontieren und es durch die wahre Geschichte des palästinensischen Volkes, die Geschichte seines legitimen Kampfes und seines Widerstands für die eigene Befreiung und die eigenen Rechte zu ersetzen.
Heute sind wir auch in einen anderen Kampf verwickelt, den Kampf der Emotionen, den wir in unserer Arbeit in der Internationalen Volksversammlung (International Peoples‘ Assembly, kurz IPA) immer wieder betont haben. In diesem Kampf versuchen die imperialistischen Kräfte, der Menschheit, einschließlich des palästinensischen Volkes, den Glauben an die Machbarkeit und das Potenzial des Widerstands zu nehmen und stattdessen einen Diskurs zu verbreiten, der auf Frustration und Niederlage basiert.
Das palästinensische Volk ist heute dringend auf die höchste Solidarität aller freien Völker angewiesen. Dieser Aufruf zur Solidarität erfolgt nicht aus einer Position der humanitären oder symbolischen Solidarität heraus, sondern ist integraler Bestandteil unseres gemeinsamen Kampfes. Was heute in Palästina geschieht, ist nicht isoliert von dem, was in Indien, Irak, Haiti, Venezuela, Kuba oder anderswo geschieht. Die Niederlage der imperialistischen Angriffe in einer Region ist ein Sieg für uns alle.
Gestatten Sie mir, allen sozialen Bewegungen zu danken, die sich mit dem palästinensischen Volk solidarisieren, und meinen Dank an die IPA auszusprechen, die sich stets für die Sache Palästinas eingesetzt hat. Es stimmt, dass die israelische Tötungsmaschinerie weiterhin palästinensische Menschenleben fordert, aber wir glauben, dass dies unsere Entschlossenheit, den Widerstand fortzusetzen, nur stärken wird. Erlauben Sie mir, mit einem Zitat des palästinensischen kommunistischen Dichters Muin Bseiso zu schließen: «Ja, wir werden vielleicht sterben, aber wir werden den Tod aus unserem Land vertreiben».
Sieg für den Widerstand! Freiheit für Palästina!
Wir hoffen, dass diese Botschaft von Arwa sowohl informativ als auch inspirierend ist. Ein Großteil der Kunst in diesem Newsletter stammt von der palästinensischen Künstlerin Malak Mattar, die im Alter von 14 Jahren mit dem Malen begann, nachdem ein Viertel ihres Quartiers bei einem Luftangriff während des israelischen Krieges gegen Gaza 2014 zerstört worden war. Das letzte Bild stammt von der palästinensischen Künstlerin Heba Zagout, die zusammen mit ihren beiden Kindern am 13. Oktober bei israelischen Luftangriffen auf Gaza getötet wurde. Die schreckliche Gewalt gegen das palästinensische Volk muss jetzt aufhören. Die Palästinenser*innen werden ein freies Volk sein. Tatsächlich sind sie bereits frei.
Herzlichst,
Vijay