Sollten das Vereinigte Königreich und Frankreich nicht auf ihre ständigen Sitze bei den Vereinten Nationen verzichten?
Der neununddreißigste Newsletter (2023)
Liebe Freund*Innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Auf ihrem fünfzehnten Gipfeltreffen im August 2023 verabschiedete die BRICS-Gruppe (Brasilien-Russland-Indien-China-Südafrika) die Johannesburg-II-Erklärung, in der unter anderem die Frage nach einer Reform der Vereinten Nationen und insbesondere des Sicherheitsrates aufgeworfen wurde. Um den UN-Sicherheitsrat (UNSC) demokratischer, repräsentativer, effektiver und effizienter zu machen und die Vertretung der Entwicklungsländer zu stärken, drängten die BRICS-Staaten darauf, die Mitgliedschaft des Rates um Länder aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu erweitern. In der Erklärung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass drei Länder – Brasilien, Indien und Südafrika – in den Rat aufgenommen werden sollten, wenn die Zahl der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats erweitert wird. Seit mindestens zwanzig Jahren streben diese drei Länder (alle BRICS-Gründungsmitglieder) die Aufnahme in den UN-Sicherheitsrat als ständige Mitglieder mit Vetorecht an. Im Laufe der Jahrzehnte wurden ihre Bestrebungen immer wieder vereitelt, was sie dazu veranlasste, zunächst die IBSA-Gruppe (Indien-Brasilien-Südafrika) im Jahr 2003 und dann die BRICS-Gruppe im Jahr 2009 zu gründen.
Die Zusammensetzung des Sicherheitsrats und die Frage, welche Staaten als ständige Mitglieder ein Vetorecht haben, sind seit der Gründung der UNO zentrale Themen. Im Jahr 1944 trafen sich die wichtigsten alliierten Mächte (Großbritannien, China, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten) in Dumbarton Oaks in Washington DC, um über die Gestaltung der UNO und ihrer wichtigsten Institutionen zu beraten. Diese Staaten – auch bekannt als die «Großen Vier» – beschlossen, dass sie ständige Sitze im UN-Sicherheitsrat erhalten sollten, und einigten sich nach reiflicher Überlegung darauf, dass sie bei Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats ein Vetorecht haben sollten. Obwohl die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken nicht daran interessiert war, Frankreich zu beteiligen, weil die französische Regierung von 1940 bis 1944 mit den Nazis kollaboriert hatte, bestanden die Vereinigten Staaten darauf, dass Frankreich der Gruppe beitritt, die dann als die «Großen Fünf» bekannt wurde. In der 1945 in San Francisco unterzeichneten UN-Charta wurde in Artikel 23 festgelegt, dass der Rat aus diesen fünf Ländern als ständigen Mitgliedern (auch als «P5» bekannt) und sechs weiteren nicht ständigen Mitgliedern besteht, die von der Generalversammlung für je zwei Jahre gewählt werden.
Im Juli 2005 brachte eine Gruppe von Ländern, die als G4 (Brasilien, Deutschland, Japan und Indien) bekannt sind, in der UN-Generalversammlung eine Resolution ein, in der eine Reform des UN-Sicherheitsrates gefordert wurde. Der brasilianische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Ronaldo Mota Sardenberg, erklärte vor der Versammlung, dass «die seit der Gründung der Vereinten Nationen gesammelten Erfahrungen gezeigt haben, dass die Machtverhältnisse von 1945 sich geändert haben. Die damals geschaffene Sicherheitsstruktur ist heute völlig überholt». Die G4 schlugen vor, den UN-Sicherheitsrat von fünfzehn auf fünfundzwanzig Mitglieder zu erweitern, und zwar um sechs ständige und vier nicht ständige Mitglieder. Die meisten Mitglieder, die sich in der Debatte zu Wort meldeten, wiesen auf die Tatsache hin, dass kein Land aus Afrika oder Lateinamerika einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat, was bis heute der Fall ist. Hier Abhilfe zu schaffen, wäre an sich schon ein großer Akt der Gleichstellung. Für eine solche Änderung der UN-Charta ist die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder der Generalversammlung und die Ratifizierung durch die jeweiligen Parlamente erforderlich – ein Prozess, der bisher nur einmal stattgefunden hat, nämlich 1965, als der Rat von elf auf fünfzehn Mitglieder erweitert wurde. Die Resolution aus dem Jahr 2005 wurde nie zur Abstimmung gebracht, obwohl 2009 eine Resolution zur «Frage der gerechten Vertretung und der Erhöhung der Mitgliederzahl des Sicherheitsrats und damit zusammenhängender Angelegenheiten» verabschiedet wurde. Immerhin eröffneten diese Bemühungen langfristig einen Dialog, der bis heute andauert.
Die G4-Länder konnten keine ausreichende Unterstützung für ihren Vorschlag gewinnen, weil sich die derzeitigen ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (Großbritannien, China, Russland, die USA und Frankreich) nicht einigen können, wer von ihren Verbündeten diese Sitze erhalten soll. Bereits 2005 hat sich eine Kluft zwischen den P5-Ländern aufgetan, wobei die Vereinigten Staaten und ihre G7-Verbündeten (Großbritannien und Frankreich) als ein Block gegen China und Russland agieren. Die USA waren bereit, die Zahl der ständigen Sitze im Rat zu erhöhen, aber nur, wenn dies bedeutet, dass mehr ihrer engen Verbündeten (Deutschland und Japan) aufgenommen werden, was es ermöglichen würde, dass der UN-Sicherheitsrat weiterhin von fünf der sieben G7-Mitglieder dominiert wird. Dies wäre natürlich weder für China noch für Russland annehmbar.
Zurzeit steht die Frage einer umfassenden UN-Reform wieder im Vordergrund und die US-Regierung versucht erneut, das Thema zu vereinnahmen, indem sie eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats fordert, um dem chinesischen und russischen Einfluss entgegenzuwirken. Hohe Beamte*innen aus dem Kabinet des US-Präsidenten Joe Biden haben offen gesagt, dass sie die Einbeziehung ihrer Verbündeten befürworten, um das Gleichgewicht der Debatten und Diskussionen im UN-Sicherheitsrat zu beeinflussen. Diese Haltung gegenüber einer möglichen UN-Reform adressiert überhaupt nicht die grundlegenden Fragen, die der Globale Süden in Bezug auf die internationale Demokratie und eine gerechte geografische Vertretung aufwirft, insbesondere die Forderung nach ständigen Mitgliedern aus Afrika und Lateinamerika.
Im Jahr 2005 schrieb der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan einen Bericht mit dem Titel In Larger Freedom, in dem er die Erweiterung des UN-Sicherheitsrats von fünfzehn auf vierundzwanzig Mitglieder forderte. Diese Erweiterung müsse auf regionaler Basis erfolgen, anstatt die ständigen Sitze entlang historischer Machtachsen zu verteilen (wie bei den Großen Fünf). Eines der von Annan vorgeschlagenen Modelle würde zwei ständige Sitze für Afrika, zwei für Asien und den Pazifik, einen für Europa und einen für Amerika vorsehen. Diese Aufteilung würde die regionale Verteilung der Weltbevölkerung besser widerspiegeln, wobei sich der Schwerpunkt des UN-Sicherheitsrats in Richtung der bevölkerungsreicheren Kontinente Afrika (1,4 Milliarden Einwohner) und Asien (4,7 Milliarden Einwohner) und weg von Europa (742 Millionen) und Amerika (1 Milliarde) verschieben würde.
Großbritannien und Frankreich, die beiden ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, haben derzeit nur eine winzige Bevölkerung von 67 Millionen bzw. 64 Millionen. Es ist rätselhaft, wieso diese beiden europäischen Länder – die nicht mal die mächtigsten Länder in Europa sind (in wirtschaftlicher Hinsicht ist das Deutschland) – trotz ihrer dramatisch abnehmenden Relevanz in der Welt ihr Vetorecht behalten haben. Die jüngsten Rückschläge für Frankreichs koloniale Ambitionen in Afrika sowie die Unfähigkeit Frankreichs, eine europäische Friedensagenda in der Ukraine anzuführen, zeigen, wie irrelevant dieses europäische Land für das Weltgeschehen geworden ist.
Ebenso legen Großbritanniens abnehmende Bedeutung in der Welt nach Brexit und das Versagen, eine Vision für ein globales Großbritannien zu liefern, nahe, dass es trotz des Zorns von Premierminister Rishi Sunak über die Verwendung des Begriffs richtig ist, es als «mittelgroßes Land» mit einem aufgeblasenen Selbstverständnis zu betrachten.
Die ständigen Sitze Großbritanniens und Frankreichs im UN-Sicherheitsrat veranschaulichen den Anachronismus der Architektur des Rates, da keines der beiden Länder Vertrauen erweckt, wenn es darum geht, eine Führungsrolle für Sicherheit und Entwicklung in der Welt zu übernehmen.
«Die Gegenwart ist eine unschuldige Lüge», schrieb Samih al-Qasim (1939–2014) in dem Gedicht Nach der Apokalypse. «Um die Zukunft zu sehen, muss man die Vergangenheit befragen», bemerkte er und dachte dabei an seine Heimat Palästina und deren Besetzung durch Israel. Die koloniale Vergangenheit lastet schwer auf der Gegenwart. Die Macht der Kolonialmächten ist nach wie vor intakt, und die Banque de France und die Bank of England sind nach wie vor die Verwahrer des aus den Kolonien gestohlenen Reichtums. Was gibt diesen alten Kolonialmächten, Großbritannien und Frankreich, das Recht, Herrscher über die Gegenwart zu bleiben, auch wenn ihre Grundlage für diese Position längst erodiert ist? (Es ist erwähnenswert, dass diese Länder nicht nur Atommächte sind, sondern auch zu den größten Waffenexporteuren der Welt gehören.) Die Macht, die diese und andere Kolonialmächte in der Vergangenheit an sich gerissen haben, verhindert nach wie vor die Befriedigung der Grundbedürfnisse von Menschen in der Gegenwart.
Die Vereinigten Staaten, die ihren Platz als mächtigstes Land der Welt verloren haben, versuchen, an ererbten Vorteilen festzuhalten (z. B. enge Verbündete im UN-Sicherheitsrat zu haben) und überwältigende Summen für Kriege auszugeben (was sich beispielsweise daran zeigt, dass die Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben auf sie entfällt). Anstatt eine demokratischere und robustere UNO zu ermöglichen, versuchen die USA weiterhin, diese globale Institution zu kastrieren, indem sie entweder ihre Foren dominieren oder ihre Charta verletzen, wann immer es ihnen gefällt. Auf der kürzlich zu Ende gegangenen 78. Sitzung der UN-Generalversammlung sprach US-Präsident Joe Biden von der Bedeutung der «Souveränität, der territorialen Integrität [und] der Menschenrechte» – drei Prinzipien, die von den Vereinigten Staaten durch Krieg, Sanktionen und ihr Gefängnis in Guantanamo Bay routinemäßig verletzt werden. In Ermangelung moralischer Autorität setzen die Vereinigten Staaten nackte Macht ein, um den Fortschritt der Demokratie in Institutionen wie den Vereinten Nationen zu blockieren.
Etliche Anträge von allen Seiten des politischen Spektrums haben bisher eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats gefordert. Diese erfordert Abstimmungen in der Generalversammlung und in den Parlamenten der Mitgliedstaaten. Es ist viel einfacher, Gerechtigkeit im Rat zu schaffen, wenn sich zwei der Mitglieder vom Hufeisentisch zurückziehen und ihre Sitze an Länder in Afrika und Lateinamerika abgeben, die unter den ständigen Mitgliedern noch immer nicht vertreten sind.
Herzlich,
Vijay