Zwei, drei, viele Saigons schaffen. Das ist die Losung.
Der dreiunddreißigste Newsletter (2021).
Liebe Freund*innen
Grüße vom Schreibtisch des Tricontinental: Institute for Social Research.
Am Sonntag, dem 15. August, floh der afghanische Präsident Ashraf Ghani aus seinem Land nach Usbekistan. Er ließ die Hauptstadt Kabul zurück, die bereits in die Hände der vorrückenden Taliban-Kräfte gefallen war. Der ehemalige Präsident Hamid Karzai gab bekannt, dass er einen Koordinierungsrat mit Abdullah Abdullah, dem Leiter des Nationalen Versöhnungskomitees, und dem Dschihadistenführer Gulbuddin Hekmatyar gebildet habe. Karzai rief die Taliban zur Besonnenheit auf, während sie in den Präsidentenpalast in Kabul einzog und die Staatsführung übernahm.
Karzai, Abdullah Abdullah und Hekmatyar haben die Bildung einer nationalen Regierung gefordert. Dies kommt den Taliban entgegen, da sie dann behaupten können, eine afghanische Regierung und keine Taliban-Regierung zu sein. Tatsächlich werden aber die Taliban und ihr Anführer Mullah Baradar das Land leiten, während Karzai-Abdullah Abdullah-Hekmatyar nur eine Augenwischerei sind, um außenstehende opportunistische Mächte zu beschwichtigen.
Der Einzug der Taliban in Kabul ist eine schwere Niederlage für die Vereinigten Staaten. Wenige Monate nachdem die USA 2001 ihren Krieg gegen die Taliban begonnen hatten, verkündete US-Präsident George W. Bush, dass «das Taliban-Regime zu Ende geht». Zwanzig Jahre später ist nun das Gegenteil der Fall. Doch diese Niederlage der Vereinigten Staaten – nach Ausgaben in Höhe von 2,261 Billionen Dollar und mindestens 241.000 Toten – ist ein schwacher Trost für das afghanische Volk, das sich nun mit der harten Realität der Taliban-Herrschaft abfinden muss. Seit ihrer Gründung in Pakistan im Jahr 1994 ist in den Worten und Taten der Taliban im Laufe ihrer fast dreißigjährigen Geschichte nichts Fortschrittliches zu finden. Auch in dem zwanzigjährigen Krieg, den die Vereinigten Staaten gegen das afghanische Volk geführt haben, ist nichts Fortschrittliches zu finden.
Am 16. April 1967 veröffentlichte die kubanische Zeitschrift Tricontinental einen Artikel von Che Guevara mit dem Titel «Zwei, drei, viele Vietnams schaffen: Das ist unser Gebot». Guevara vertrat die Ansicht, dass der Druck auf das vietnamesische Volk gemildert werden müsse, indem Guerillakämpfe in anderen Ländern geführt würden. Acht Jahre später flohen die Vereinigten Staaten aus Vietnam, als US-Beamt*innen und ihre vietnamesischen Verbündeten vom Dach des CIA-Gebäudes in Saigon aus die Hubschrauber bestiegen.
Die Niederlage der USA in Vietnam war Teil einer Reihe von Niederlagen des Imperialismus: Portugal wurde im Jahr zuvor in Angola, Guinea-Bissau und Mosambik besiegt; Arbeiter*innen und Student*innen stürzten die thailändische Diktatur und leiteten damit einen dreijährigen Prozess ein, der 1976 im Student*innenaufstand gipfelte; in Afghanistan übernahmen die Kommunist*innen während der Saur-Revolution im April 1978 die Macht; das iranische Volk begann einen einjährigen Prozess gegen den von den USA unterstützten Diktator, den Schah von Iran, der zur Revolution vom Januar 1979 führte; die sozialistische Bewegung New Jewel Movement führte eine Revolution auf dem kleinen Inselstaat Grenada durch; im Juni 1979 drangen die Sandinist*innen in Managua (Nicaragua) ein und stürzten das von den USA unterstützte Regime von Anastasio Somoza. Dies waren nur einige der vielen Saigons, der vielen Niederlagen des Imperialismus und der vielen Siege – auf die eine oder andere Weise – der nationalen Befreiung.
Jeder dieser Vorstöße stand in einer anderen politischen Tradition und hatte ein anderes Tempo. Die stärkste Massenrevolte fand im Iran statt, obwohl sie nicht zu einer sozialistischen Dynamik, sondern zu einer klerikalen Demokratie führte. Alle diese Länder sahen sich dem Zorn der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten ausgesetzt, die nicht zulassen wollten, dass diese Experimente – die größtenteils sozialistischer Natur waren – sich entfalten konnten. In Thailand wurde 1976 eine Militärdiktatur gefördert, in Afghanistan und Nicaragua wurden Stellvertreterkriege angezettelt, und der Irak wurde dafür bezahlt, im September 1980 in den Iran einzumarschieren. Die Regierung der Vereinigten Staaten versuchte mit allen Mitteln, diesen Ländern die Souveränität abzusprechen und sie wieder vollständig zu unterwerfen.
Es folgte das Chaos. Es entstand entlang zwei Achsen: der Schuldenkrise und den Stellvertreterkriegen. Nachdem die blockfreien Staaten 1974 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution zur Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung (NIEO) verabschiedet hatten, sahen sie sich von den westlich dominierten Finanzinstitutionen, darunter dem Internationalen Währungsfonds und dem US-Finanzministerium, unter Druck gesetzt. Diese Institutionen stürzten die blockfreien Staaten in eine tiefe Schuldenkrise; Mexiko zahlte 1982 seine Schulden nicht mehr zurück und löste damit die bis heute andauernde Schuldenkrise der Dritten Welt aus. Darüber hinaus wurde nach dem Sieg der nationalen Befreiungskräfte in den 1970er Jahren eine neue Reihe von Stellvertreterkriegen und Regimewechseloperationen eingeleitet, die die politische Lage in Afrika, Asien und Lateinamerika für zwei Generationen destabilisierten.
Wir haben die Zerstörung, die die westliche Politik der 1970er Jahre angerichtet hat, noch nicht überwunden.
Die Kaltschnäuzigkeit des Westens gegenüber Afghanistan ist ein Ausdruck des Wesens der Konterrevolution und des liberalen Interventionismus. US-Präsident Jimmy Carter beschloss, die schlimmsten Elemente der afghanischen Politiklandschaft mit immensen Mitteln zu unterstützen und mit Pakistan und Saudi-Arabien zusammenzuarbeiten, um die Demokratische Republik Afghanistan (DRA) zu zerstören, die von 1978 bis 1992 bestand (1987 in Republik Afghanistan umbenannt).
Jahre nach dem Fall der Republik Afghanistan traf ich mich mit Anahita Ratebzad, die Ministerin in der ersten Regierung der DRA war, um sie über diese frühen Jahre zu befragen. «Wir sahen uns schweren Herausforderungen gegenüber, sowohl innerhalb des Landes – durch diejenigen, die eine reaktionäre gesellschaftliche Auffassung vertraten – als auch außerhalb des Landes – durch unsere Gegner in den Vereinigten Staaten und Pakistan», sagte sie. «Schon Monate nach unserem Amtsantritt 1978 wussten wir, dass sich unsere Feinde zusammengetan hatten, um uns zu untergraben und die Einführung von Demokratie und Sozialismus in Afghanistan zu verhindern». Ratebzad schlossen sich andere wichtige weibliche Führungspersönlichkeiten wie Sultana Umayd, Suraya, Ruhafza Kamyar, Firouza, Dilara Mark, Professor R. S. Siddiqui, Fawjiyah Shahsawari, Dr. Aziza, Shirin Afzal und Alamat Tolqun an – Namen, die längst vergessen sind.
Es war Ratebzad, die in der Kabul New Times (1978) schrieb: «Die Privilegien, die Frauen von Rechts wegen haben müssen, sind gleiche Bildung, Arbeitsplatzsicherheit, Gesundheitsdienste und freie Zeit, um eine gesunde Generation für den Aufbau der Zukunft des Landes heranzuziehen … Die Bildung und Aufklärung von Frauen ist jetzt Gegenstand der Aufmerksamkeit der Regierung». Die Hoffnung von 1978 ist nun verloren.
Der Pessimismus geht nicht nur auf die Taliban zurück, sondern auch auf diejenigen, die die talibanähnlichen theokratischen Faschisten finanziert und unterstützt haben, wie die USA, Saudi-Arabien, Deutschland und Pakistan. Im Staub des US-Krieges, der 2001 begann, wurden Frauen wie Anahita Ratebzad unter den Teppich gekehrt; es passte den USA, die afghanischen Frauen darzustellen, als seien sie unfähig, sich selbst zu helfen, und bräuchten deshalb US-Bombardements und außergerichtliche Auslieferungen nach Guantanamo. Es kam den USA auch gelegen, ihre aktiven Verbindungen zu den schlimmsten Theokraten und Frauenhassern (Leute wie Hekmatyar, die sich nicht von den Taliban unterscheiden) zu leugnen.
Die USA finanzierten die Mudschahedin, untergruben die DRA, führten die widerwillige sowjetische Intervention über den Amudarja herbei und erhöhten dann den Druck auf die Sowjets und die DRA, indem sie die konterrevolutionären afghanischen Kräfte und die pakistanische Militärdiktatur zu Schachfiguren in einem Kampf gegen die UdSSR machten. Der Rückzug der Sowjetunion und der Zusammenbruch der DRA verschlimmerte die Lage und führte zu einem blutigen Bürgerkrieg, aus dem die Taliban hervorgingen. Der Krieg der USA gegen die Taliban dauerte zwanzig Jahre, endete aber – trotz der überlegenen Militärtechnologie der Vereinigten Staaten – mit der Niederlage der USA.
Stellt euch vor, die USA hätten die Mudschahedin nicht unterstützt und die Afghan*innen hätten eine sozialistische Zukunft in Betracht ziehen können! Dies wäre ein Kampf mit seinen eigenen Irrungen und Wirrungen gewesen, aber er hätte mit Sicherheit zu etwas Besserem geführt als dem, was wir jetzt haben: die Rückkehr der Taliban, das Auspeitschen von Frauen in der Öffentlichkeit und die Durchsetzung der schlimmsten gesellschaftlichen Vorschriften. Stellt es euch vor.
Heutzutage geht die Niederlage der US-Macht nicht unbedingt mit der Möglichkeit einher, Souveränität auszuüben und eine sozialistische Agenda voranzutreiben. Vielmehr geht sie einher mit Chaos und Leid. Haiti gehört wie Afghanistan zu den Trümmern des US-Interventionismus, geplagt von zwei US-Putschen, einer Besetzung des politischen und wirtschaftlichen Lebens des Landes und nun von einem weiteren Erdbeben. Die Niederlage in Afghanistan erinnert uns auch an die Niederlage der USA im Irak (2011); beide Länder waren mit einer gewaltigen US-Militärmacht konfrontiert, ließen sich aber nicht unterwerfen.
All dies verdeutlicht sowohl die Wut der US-Kriegsmaschinerie, die in der Lage ist, Länder zu zerstören, als auch die Schwäche der US-Macht, die nicht in der Lage ist, die Welt nach ihrem Vorbild zu gestalten. Afghanistan und Irak haben über Hunderte von Jahren staatliche Projekte aufgebaut. Die USA haben ihre Staaten an einem Nachmittag zerstört.
Der letzte linksgerichtete Präsident Afghanistans, Mohammed Najibullah, hatte in den 1980er Jahren versucht, eine Politik der nationalen Versöhnung aufzubauen. 1995 schrieb er an seine Familie: «Afghanistan hat jetzt mehrere Regierungen, die jeweils von verschiedenen regionalen Mächten eingesetzt wurden. Selbst Kabul ist in kleine Königreiche aufgeteilt … Solange alle Akteure [regionale und globale Mächte] nicht bereit sind, sich an einen Tisch zu setzen, ihre Differenzen beiseite zu lassen, um einen echten Konsens über die Nichteinmischung in Afghanistan zu erzielen und sich an ihre Vereinbarungen halten, wird der Konflikt weitergehen». Als die Taliban 1996 Kabul einnahmen, nahmen sie Präsident Nadjibullah gefangen und töteten ihn vor dem UN-Gebäude. Seine Tochter Heela erzählte mir einige Tage vor der Einnahme Kabuls durch die Taliban von ihrer Hoffnung, dass die Politik ihres Vaters nun übernommen werden würde.
Karzais Plädoyer geht in diese Richtung. Es ist unwahrscheinlich, dass dieses von den Taliban wirklich aufgenommen wird.
Was wird die Taliban mäßigen? Vielleicht der Druck seiner Nachbarn – darunter China –, die ein Interesse an einem stabilen Afghanistan haben. Ende Juli traf Chinas Außenminister Wang Yi in Tianjin Baradar von den Taliban. Sie waren sich einig, dass die Politik der USA gescheitert war. Doch die Chinesen forderten Baradar auf, pragmatisch zu sein: den Terrorismus nicht länger zu unterstützen und Afghanistan in die Neue-Seidenstraße-Initiative zu integrieren. Das ist derzeit die einzige Hoffnung, aber diese ist sehr zerbrechlich.
Im Juli 2020 starb der ehemalige DRA-Regierungsminister und Dichter Sulaiman Layeq an den Wunden, die er im Jahr zuvor bei einem Bombenanschlag der Taliban in Kabul erlitten hatte. Layeqs Gedicht «Ewige Leidenschaften» (1959) beschreibt die Sehnsucht nach jener anderen Welt, für deren Aufbau er und so viele andere gearbeitet hatten, ein Projekt, das durch die US-Interventionen zunichte gemacht wurde:
der Klang der Liebe
strömte aus den Herzen
vulkanisch, trunken
…
Jahre vergingen
und doch sind diese Sehnsüchte
wie Winde auf dem Schnee
oder wie Wellen auf dem Wasser
Schreie von Frauen, Wehklagen
Die Afghan*innen sind größtenteils froh, die US-Besatzung hinter sich zu lassen, zu einem weiteren Saigon in einer langen Reihe zu werden. Aber dies ist kein Sieg für die Menschheit. Es wird nicht leicht für Afghanistan sein, aus diesen albtraumhaften Jahrzehnten herauszukommen, aber die Sehnsucht danach ist immer noch zu hören.
Herzlichst,
Vijay