Der Sozialismus ist kein utopisches Ideal, sondern eine realisierbare Notwendigkeit.
Der erste Newsletter (2023).
Liebe Freund*innen,
Neujahrsgrüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Im Mai 2021 schrieben die Exekutivdirektorin von UN Women, Phumzile Mlambo-Ngcuka, und die Hohe Vertreterin der UN für Abrüstungsfragen, Izumi Nakamitsu, einen Artikel, in dem sie die Regierungen aufforderten, die exzessiven Militärausgaben zu kürzen und stattdessen die Ausgaben für soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu erhöhen. Ihre weisen Worte fanden kein Gehör. Die Kürzung der Kriegsausgaben und die Aufstockung der Mittel für die soziale Entwicklung, so schrieben sie, sei «kein utopisches Ideal, sondern eine realisierbare Notwendigkeit». Diese Formulierung – kein utopisches Ideal, sondern eine realisierbare Notwendigkeit – ist grundlegend. Sie beschreibt das Projekt des Sozialismus nahezu perfekt.
Unser Institut arbeitet seit mehr als fünf Jahren, geleitet von der Idee, dass es möglich ist, die Welt so umzugestalten, dass sie den Bedürfnissen der Menschheit entspricht und gleichzeitig innerhalb der Grenzen der Natur existiert. Wir haben soziale und politische Bewegungen begleitet, ihren Theorien zugehört, ihre Arbeit beobachtet und auf der Grundlage dieser Bemühungen für eine Veränderung der Welt unser eigenes Verständnis dieser Welt entwickelt. Dieser Prozess war sehr aufschlussreich. Er hat uns gelehrt, dass es nicht ausreicht, eine Theorie aus älteren Theorien abzuleiten, sondern es notwendig ist, sich auf die Welt einzulassen, anzuerkennen, dass diejenigen, die die Welt zu verändern suchen, diejenigen sind, die die Bausteine eines solchen Weltverständnisses erschaffen, und dass unsere Aufgabe – als Forschende des Tricontinental: Institute for Social Research – darin besteht, diese Teile zu einem Weltbild zusammenzufügen. Die Weltanschauung, die wir entwickeln, begreift nicht nur die Welt, wie sie ist, sondern greift die Dynamik auf, die eine Welt hervorbringt, wie sie sein sollte.
Unser Institut hat es sich zur Aufgabe gemacht, der Dynamik der sozialen Transzendenz auf die Spur zu kommen und herauszufinden, wie wir aus einem Weltsystem aussteigen können, das uns in die Vernichtung und Auslöschung treibt. Es gibt genügend Antworten, die bereits jetzt in der Welt existieren, die bereits bei uns sind, auch wenn eine soziale Transformation unmöglich erscheint. Der gesamte gesellschaftliche Reichtum auf dem Planeten ist außerordentlich, obwohl dieser Reichtum – aufgrund der langen Geschichte von Kolonialismus und Gewalt – einfach nicht genutzt wird, um Lösungen für die gemeinsamen Probleme zu finden, sondern um das Vermögen einiger weniger zu vermehren. Es gibt zum Beispiel genug Nahrungsmittel, um alle Menschen auf der Erde zu ernähren, und dennoch hungern Milliarden von Menschen. Es gibt keinen Grund, angesichts dieser Realität naiv zu sein, und es gibt auch keinen Grund, sich hilflos zu fühlen.
In einem unserer ersten Newsletter, mit dem wir das erste Jahr unserer Arbeit (2018) abschlossen, schrieben wir, dass «es einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus, einfacher, sich vorzustellen, dass die schmelzenden Pole uns überfluten, als sich eine Welt vorzustellen, in der unsere Produktionskapazität uns alle bereichert». Das ist nach wie vor wahr. Und dennoch gibt es «eine mögliche Zukunft, die so gestaltet ist, dass sie den Hoffnungen der Menschen gerecht wird. … Es ist grausam, diese Hoffnungen als naiv zu bezeichnen».
Die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, sind nicht auf einen Mangel an Ressourcen oder an technologischem und wissenschaftlichem Know-how zurückzuführen. Wir vom Tricontinental: Institute for Social Research sind der Meinung, dass es am Gesellschaftssystem des Kapitalismus liegt, dass wir nicht in der Lage sind, unsere gemeinsamen Probleme zu überwinden. Dieses System hemmt die Vorwärtsbewegung, die die Demokratisierung der Nationen und die Demokratisierung des gesellschaftlichen Reichtums erfordert. Es gibt Hunderte von Millionen Menschen, die in politischen und sozialen Formationen organisiert sind, die gegen die Gated Communities in unserer Welt vorgehen, die dafür kämpfen, die Barrieren niederzureißen und die Utopien aufzubauen, die wir zum Überleben brauchen. Doch anstatt anzuerkennen, dass diese Formationen versuchen, echte Demokratie zu verwirklichen, werden sie kriminalisiert, ihre Anführer*innen verhaftet und ermordet und ihr wertvolles soziales Engagement wird zerstört. Ähnlich repressiv werden nationale Projekte behandelt, die in solchen politischen und sozialen Bewegungen wurzeln, Projekte, die sich dafür einsetzen, den gesellschaftlichen Reichtum für das höchste Gut zu nutzen. Putsche, Attentate und Sanktionsregime sind Routine, ihre Häufigkeit wird durch eine nicht enden wollende Reihe an Ereignissen illustriert, vom Putsch in Peru im Dezember 2022 bis zur anhaltenden Blockade Kubas, und durch die Leugnung, dass solche Gewalt eingesetzt wird, um sozialen Fortschritt zu blockieren.
In seiner Einführung in die Philosophie schrieb der deutsche marxistische Philosoph Ernst Bloch 1997: «Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Und nur dadurch werden wir». Dies ist eine interessante Aussage. Bloch formuliert René Descartes’ «Ich denke, also bin ich» neu, einen idealistischen Satz. Bloch bejaht die Existenz («Ich bin»), weist aber darauf hin, dass die menschliche Existenz aufgrund von Formen der Entfremdung und Einsamkeit nicht gedeiht («Aber ich habe mich nicht»). Das «Ich» – das atomisierte, fragmentierte und einsame Individuum – hat nicht die Fähigkeit, die Welt allein zu verändern. Der Aufbau eines Prozesses zur sozialen Transzendenz erfordert die Schaffung eines kollektiven «Wir». Dieses Kollektiv ist die subjektive Kraft, die sich selbst stärken muss, um die Widersprüche zu überwinden, die dem menschlichen Fortschritt im Wege stehen. «Mensch zu sein bedeutet in Wirklichkeit, eine Utopie zu haben», schrieb Bloch. Dieser Satz berührt mich zutiefst, und ich hoffe, dass er auch euch berührt.
Im neuen Jahr werden wir von Tricontinental: Institute for Social Research ausführlich über die Wege zum Sozialismus und die Barrikaden nachdenken, die Milliarden von Menschen auf der Welt daran hindern, über ein System hinauszuwachsen, das ihre soziale Arbeit ausbeutet und Größe verspricht, während es ihnen nur das absolute Minimum an Lebensmöglichkeiten bietet. Wir gehen in dieses neue Jahr mit einem erneuerten Engagement für das einfache Postulat, dass der Sozialismus eine realisierbare Notwendigkeit ist.
Zu Beginn des neuen Jahres möchte ich allen Mitarbeitern des Tricontinental: Institute for Social Research meinen Dank aussprechen, einem Team, das über den ganzen Globus verteilt ist, von Buenos Aires bis Shanghai, von Trivandrum bis Rabat. Wenn ihr unsere Arbeit unterstützen möchtet, denkt bitte daran, dass Spenden immer willkommen sind.
Wir bitten euch dringend, unsere Materialien so weit wie möglich zu verbreiten, sie in euren Bewegungen zu studieren und Mitglieder unseres Teams einzuladen, über unsere Arbeit zu sprechen.
Herzlichst,
Vijay