Ihr lest diesen Text dank der Halbleiterindustrie.
Der siebzehnte Newsletter (2023).
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Am 7. Oktober 2022 führte die Regierung der Vereinigten Staaten Exportkontrollen ein, um die Entwicklung der chinesischen Halbleiterindustrie zu behindern. Ein Experte auf diesem Gebiet erklärte gegenüber der Financial Times: «Das Ziel dieser Politik ist es, China im Bereich KI [Künstliche Intelligenz] und HPC [High Performance Computing] in die Knie zu zwingen». Am nächsten Tag sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning:
Um ihre Hegemonie in der Wissenschaft aufrechtzuerhalten, haben die USA Exportkontrollmaßnahmen missbraucht, um chinesische Unternehmen mutwillig zu blockieren und zu behindern. Diese Praxis verstößt gegen den Grundsatz des fairen Wettbewerbs und die internationalen Handelsregeln. Sie schadet nicht nur den legitimen Rechten und Interessen chinesischer Unternehmen, sondern auch US-Unternehmen. Sie wird den internationalen Wissenschafts- und Technologieaustausch und die Handelszusammenarbeit behindern und den globalen Industrie- und Lieferketten sowie der weltweiten wirtschaftlichen Erholung schaden. Indem sie Technologie- und Handelsfragen politisieren und als Werkzeug und Waffe einsetzen, können die USA Chinas Entwicklung nicht aufhalten, sondern schaden sich nur selbst und isolieren sich, denn ihr Verhalten wird nach hinten losgehn.
Im Rahmen der Zusammenarbeit von Tricontinental: Institute for Social Research mit No Cold War haben wir die Auswirkungen dieser Exportkontrollen mit Schwerpunkt auf Halbleitern untersucht. Briefing Nr. 7 informiert uns über die Leistungsfähgkeit von Halbleitern und darüber, warum ihr Einsatz im Neuen Kalten Krieg nicht die von Washington erwarteten Früchte tragen wird.
Am 8. April wurde der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul, gebeten zu erklären, «warum die Amerikaner … bereit sein sollten, amerikanisches Blut und Schätze zu vergießen, um Taiwan zu verteidigen». Seine Antwort war aufschlussreich: «TSMC [Taiwan Semiconductor Manufacturing Company] stellt 90 % des weltweiten Angebots an modernen Halbleiterchips her». Der Interviewer merkte an, dass McCauls Erklärung «an das Argument erinnere, das in den 60er, 70er und 80er Jahren dafür angeführt wurde, warum Amerika so viel Geld und militärische Ressourcen im Nahen Osten ausgab, als Öl so wichtig für die Wirtschaft war», und fragte dann, ob Halbleiterchips «die das Öl des 21. Jahrhunderts» sind, d.h. eine wichtige Triebkraft der US-Außenpolitik gegenüber China.
Halbleiterchips sind die Bausteine der weltweit fortschrittlichsten Technologien (wie künstliche Intelligenz, 5G-Telekommunikation und Supercomputing) sowie der gesamten modernen Elektronik. Ohne sie würden die Computer, Telefone, Autos und Geräte, die für unser tägliches Leben unverzichtbar sind, nicht mehr funktionieren. Sie werden in der Regel mithilfe von ultraviolettem Licht hergestellt, um mikroskopisch kleine Schaltkreismuster in dünne Siliziumschichten zu ätzen, sodass Milliarden elektrischer Schalter, sogenannte Transistoren, auf einem einzigen fingernagelgroßen Wafer Platz finden. Je kleiner der Abstand zwischen den Transistoren ist, desto höher ist die Dichte der Transistoren, die auf einem Chip untergebracht werden können, und desto mehr Rechenleistung kann in jedem Chip und in jeder Facette des modernen Lebens untergebracht werden. Die modernsten Chips werden heute in einem Drei-Nanometer-Verfahren (nm) hergestellt (zum Vergleich: ein Blatt Papier ist etwa 100.000 nm dick).
Die Vergabe von Unteraufträgen ermöglichte es den multinationalen Unternehmen, jegliche Schuld für die Handlungen der kleinen Fabrikbesitzer*innen zu leugnen. Die wohlhabenden Aktionär*innen im Globalen Norden profitierten von den niedrigeren Produktionskosten, ohne dass ihr Gewissen durch den Terror, der diesen Arbeiter*innen zugefügt wurde, belastet wurde. Männer wie Sohel Rana, ein knallharter Kerl aus der Region, der zwischen verschiedenen politischen Parteien wechselte, je nachdem, wer an der Macht war, wurden zu lokalen Gangstern im Dienst von multinationalen Unternehmen. Nach dem Einsturz des Gebäudes wurde Rana in aller Eile von allen Politiker*innen geächtet und verhaftet (der Prozess gegen ihn dauert an, während er selbst auf Kaution frei ist).
Männer wie Rana stellen Arbeiter*innen ein, stecken sie in diese schäbigen Gebäude und sorgen dafür, dass sie verprügelt werden, wenn sie drohen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, während die Eliten, die in den Villen von Gulshan und Banani leben, kleine Gesten des Liberalismus durch Wohltätigkeit und die Zulassung bescheidener, aber nicht erfüllter Arbeitsgesetze anbieten. Es gibt nur wenige Arbeitsinspektor*innen, und – noch schlimmer – sie sind machtlos. Wie die Internationale Arbeitsorganisation im Jahr 2020 feststellte, haben die Arbeitsinspektor*innen «keine administrativen Sanktionsbefugnisse und können keine Geldstrafen direkt verhängen. Sie können jedoch einen Fall vor das Arbeitsgericht bringen, aber die Lösung dieser Fälle dauert in der Regel lange, und die verhängten Geldstrafen … bieten keine ausreichende Abschreckung». Ein gelegentlicher Ausbruch liberaler Gefühle im globalen Norden zwingt einige Unternehmen zur «Selbstregulierung», eine Pflichtübung, die der Beschönigung der Schrecken der globalen Warenkette dient. Die kapitalistische Demokratie braucht diese Allianz aus Brutalität und Reform, aus Neofaschismus und Paternalismus. Sie feiert die Ranas der Welt, bis sie zu einer Belastung werden, und dann ersetzt sie sie einfach.
Die Halbleiter-Lieferkette
Die kommerzielle Halbleiterindustrie entstand Ende der 1950er Jahre im kalifornischen Silicon Valley und wurde in allen Bereichen – von der Forschung und Entwicklung bis hin zu Herstellung und Vertrieb – von den USA dominiert. Von Anfang an war diese Industrie von geopolitischer Bedeutung, denn die ersten Hersteller verkauften mehr als 95 % ihrer Chips an das Pentagon oder die Luft- und Raumfahrtindustrie. In den folgenden Jahrzehnten verlagerten die USA den größten Teil ihrer Chipherstellung an ihre ostasiatischen Verbündeten, zunächst nach Japan, dann nach Südkorea und Taiwan. Auf diese Weise konnten die USA ihre Kapital- und Arbeitskosten senken und die industrielle Entwicklung ihrer Verbündeten ankurbeln, während sie die Lieferkette weiterhin dominierten.
Nach wie vor sind US-Firmen bei der Entwicklung von Chips (z. B. Intel, AMD, Broadcom, Qualcomm und NVIDIA) und bei der Herstellung von Anlagen (z. B. Applied Materials, Lam Research und KLA) führend. Das taiwanesische Unternehmen TSMC ist der weltweit größte Halbleiterhersteller bzw. die größte Foundry mit einem überwältigenden Anteil von 56 % am Weltmarkt und einem Anteil von über 90 % an der modernen Chipfertigung im Jahr 2022, gefolgt von Samsung aus Südkorea mit einem Anteil von 15 % am Weltmarkt. Darüber hinaus ist das niederländische Unternehmen ASML ein entscheidender Akteur, da es das Monopol für EUV-Lithografiemaschinen hält, die für die Herstellung der fortschrittlichsten Chips unter 7 nm benötigt werden.
Der größte Teil der Halbleiterlieferkette, der sich der Kontrolle der USA und ihrer Verbündeten entzieht, befindet sich in China, das sich in den letzten vier Jahrzehnten zum weltweiten Zentrum der Elektronikfertigung und zu einer technologischen Großmacht entwickelt hat. Der Anteil Chinas an der weltweiten Produktionskapazität für Chips ist von Null im Jahr 1990 auf etwa 15 % im Jahr 2020 angestiegen. Doch trotz der beträchtlichen Entwicklungsfortschritte hinkt China bei der Chipproduktion immer noch hinterher und ist bei den modernsten Chips auf Importe angewiesen (2020 importiert China Halbleiter im Wert von 378 Milliarden Dollar, das sind 18 % seiner Gesamteinfuhren). Chinas größter Halbleiterhersteller, SMIC, hat nur einen Anteil von 5 % am Weltmarkt und ist damit im Vergleich zu TSMC schwach aufgestellt.
Die US-Kampagne gegen China
In den letzten Jahren haben die USA eine aggressive Kampagne geführt, um Chinas technologische Entwicklung aufzuhalten, die sie als ernsthafte Bedrohung ihrer Vorherrschaft ansehen. Nach den Worten des nationalen Sicherheitsberaters der USA, Jake Sullivan, besteht das Ziel Washingtons darin, «einen möglichst großen Vorsprung zu halten». Zu diesem Zweck haben die USA Chinas Halbleiterproduktionskapazitäten als eine wichtige Schwachstelle ausgemacht und versuchen, dem Land den Zugang zu fortschrittlichen Chips und Chiptechnologien zu verwehren. Unter den Regierungen Trump und Biden haben die USA Hunderte von chinesischen Unternehmen auf eine schwarze Liste für Handel und Investitionen gesetzt, darunter auch den führenden Halbleiterhersteller SMIC und den Tech-Giganten Huawei. Diese Restriktionen verbieten es jedem Unternehmen in der Welt, das US-Produkte verwendet – praktisch jedem Chipentwickler und ‑hersteller –, Geschäfte mit chinesischen Technologieunternehmen zu machen.
Die USA haben auch Regierungen und Unternehmen auf der ganzen Welt unter Druck gesetzt, ähnliche Beschränkungen zu verhängen. Seit 2018 haben sich Australien, Kanada, Neuseeland und das Vereinigte Königreich den USA angeschlossen und Huawei den Zugang zu ihren 5G-Telekommunikationsnetzen untersagt, während eine Reihe europäischer Länder Teilverbote oder Einschränkungen verhängt haben. Im Jahr 2019 hat die niederländische Regierung nach mehr als einem Jahr intensiver Lobbyarbeit der USA das wichtige Unternehmen ASML, das die modernsten Chip-Herstellungsmaschinen für die Halbleiterindustrie baut und liefert, daran gehindert, seine Ausrüstung nach China zu exportieren.
Diese Maßnahmen richten sich nicht nur gegen Unternehmen, sondern haben auch direkte Auswirkungen auf den Einzelnen. Im Oktober 2022 untersagte die Regierung Biden «US-Personen» – einschließlich Staatsbürgern, Residenten und Green-Card-Inhabern – die Arbeit für chinesische Chip-Firmen, was viele dazu zwang, zwischen ihrem Einwanderungsstatus und ihrem Arbeitsplatz zu wählen. Das Centre for Strategic and International Studies, eine führende Denkfabrik in Washington, DC, charakterisierte die US-Politik als «aktive Strangulierung großer Teile der chinesischen Technologieindustrie – Strangulierung mit der Absicht zu töten» (unsere Hervorhebung).
Parallel zu den Eindämmungsmaßnahmen gegen China haben die USA ihre Bemühungen zur Förderung der heimischen Chipherstellungskapazitäten intensiviert. Der CHIPS and Science Act, der im August 2022 unterzeichnet wurde, stellt 280 Milliarden Dollar zur Verfügung, um die heimische Halbleiterindustrie zu fördern und die Produktion aus Ostasien zurückzuholen. Washington betrachtet Taiwans Rolle als Produktionszentrum der Halbleiterindustrie angesichts der Nähe zum chinesischen Festland als strategische Schwachstelle und veranlasst TSMC, die Produktion nach Phoenix, Arizona, zu verlagern. Dieser Druck führt wiederum zu eigenen Reibungen in den Beziehungen zwischen den USA und Taiwan.
Die Bemühungen der USA sind jedoch nicht unfehlbar. Obwohl China schwere Rückschläge hinnehmen musste, hat es seine Bemühungen zur Förderung seiner heimischen Kapazitäten intensiviert, und es gibt Anzeichen für Fortschritte trotz der von den USA auferlegten Hindernisse. So soll das chinesische Unternehmen SMIC im Jahr 2022 einen bedeutenden technologischen Durchbruch erzielt haben, indem es den Sprung von 14-nm- auf 7‑nm-Halbleiterchips schaffte, womit es den weltweit führenden Unternehmen Intel, TSMC und Samsung ebenbürtig ist.
Eine Angelegenheit von globaler Bedeutung
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die USA in diesem Konflikt nicht nur China im Visier haben: Washington befürchtet, dass Chinas technologische Entwicklung durch Handel und Investitionen zu einer weiteren Verbreitung von Spitzentechnologien in der Welt führen wird, und zwar in Staaten des Globalen Südens, die die USA als Bedrohung ansehen. Dies wäre ein schwerer Schlag für die Macht der USA über diese Länder. Im Jahr 2020 beklagte der Ausschuss für auswärtige Beziehungen des US-Senats, dass China dem «digitalen Autoritarismus» Vorschub leiste, weil es «bereit sei, in kleinere, unterversorgte Märkte vorzudringen» und «kostengünstigere Geräte als westliche Unternehmen anzubieten», und verwies auf Länder, die unter US-Sanktionen stehen, wie zum Beispiel Venezuela und Simbabwe. Um die Verbindungen zwischen chinesischen Technologieunternehmen und sanktionierten Ländern zu bekämpfen, haben die USA strenge rechtliche Maßnahmen ergriffen und das chinesische Unternehmen ZTE 2017 mit einer Geldstrafe von 1,2 Milliarden Dollar belegt, weil es gegen die US-Sanktionen gegen den Iran und Nordkorea verstoßen hatte. Die USA arbeiteten auch mit Kanada zusammen, um die Huawei-Führungskraft Meng Wanzhou 2018 unter dem Vorwurf der Umgehung von US-Sanktionen gegen den Iran zu verhaften.
Es überrascht nicht, dass es den USA gelungen ist, bei einer Reihe ihrer westlichen Verbündeten die Unterstützung für ihre Agenda zu finden, während ihre Bemühungen im Globalen Süden gescheitert sind. Es liegt im Interesse der Entwicklungsländer, dass solche fortschrittlichen Technologien so weit wie möglich verbreitet werden und nicht von einigen wenigen Staaten kontrolliert werden.
Wenn Sie diesen Newsletter auf Ihrem Smartphone lesen, dann sollten Sie wissen, dass dieses winzige Gerät über Milliarden von Keinsttransistoren verfügt, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Das Ausmaß der Entwicklungen in der Digitaltechnik ist atemberaubend. Früher ging es bei Konflikten um Energie und Lebensmittel, aber jetzt hat sich dieser Konflikt auch um die Ressourcen unserer digitalen Welt verschärft. Mit Hilfe dieser Technologie lassen sich so viele unserer Probleme lösen, und doch stehen wir hier am Abgrund eines größeren Konflikts, bei dem es um den Nutzen für einige wenige und nicht um die Bedürfnisse aller geht.
Herzlichst,
Vijay