Ich betrat den Justizpalast meines Landes und fand einen Tempel von Schlangenbeschwörern.
Der fünfzehnte Newsletter (2021).
Liebe Freund*innen,
Grüße vom Schreibtisch des Tricontinental: Institute for Social Research.
In einer Sonntagnacht, am 21. März 2021, hielten im Dorf Nueva Granada in der Nähe von San Antonio de Cortés (Honduras) bewaffnete Männer Juan Carlos Cerros Escalante (41 Jahre) an, als er auf dem Weg vom Haus seiner Mutter zu seinem eigenen war. Die Bewaffneten eröffneten das Feuer vor einer katholischen Kirche und töteten den Leiter der Vereinigten Gemeinden vor den Augen seiner Kinder. Vierzig Kugeln wurden am Tatort gefunden.
Jorge Vásquez von der Nationalen Plattform indigener Völker sagte, dass Juan Carlos Cerros bedroht wurde, weil er die Lenca-Völker und ihren Kampf um den Schutz ihres Landes anführte. Carlos Cerros wurde getötet, so Vásquez, «wegen der Arbeit, die wir tun». Keiner seiner Mörder wurde verhaftet.
Zweieinhalb Wochen später, am 6. April, betrat Roberto David Castillo Mejía den Obersten Gerichtshof in Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras. Castillo, der ehemalige Präsident des Energieunternehmens Desarrollos Energéticos Sociedad Anónima (DESA), das hinter dem Staudammprojekt Agua Zarca am Gualcarque-Fluss steht, hatte sich der Anklage zu stellen, der Drahtzieher bei der Ermordung von Berta Cáceres, der Vorsitzenden des Bürgerrats der Volks- und Indigenenorganisation von Honduras (COPINH) im Jahr 2016 zu sein. Am nächsten Tag stimmte das Gericht auf Antrag der Verteidigung zu, den Prozess zum vierten Mal auszusetzen.
Vor der Aussetzung hatte das Anwaltsteam, das Berta und ihre Familie vertritt, neue Beweise vorgebracht, die eine umfassende Verschwörung belegen, in die auch die Familie Atala Zablah verwickelt ist. Die Anwälte reichten Papiere ein, die eine Zahlung von 1.254.000 Dollar von DESA an Potencia y Energia de Mesoamerica S.A. (PEMSA) bestätigten. Dieses Geld ging vom Finanzchef von DESA, Daniel Atala Midence, an David Castillo, der es dann an den Militäroffizier Douglas Bustillo weiterleitete, der die Ermordung von Berta koordinierte.
Im Jahr 2013 hatte die DESA den Bau eines Staudamms initiiert, ohne die Lenca-Gemeinschaft zu konsultieren, die den Fluss als heilige und gemeinschaftliche Ressource betrachtet. Berta Cáceres protestierte gegen den Agua-Zarca-Staudamm und verteidigte das Land des Lenca-Volkes. Wie es Vásquez über den Mord an Carlos Cerros sagte, wurde auch Berta für ihre Arbeit getötet. Sie wurde, so sagt ihre Familie, durch eine Verschwörung getötet, an der die Familie Atala Zablah beteiligt war, die Hauptfinanziers des Staudammprojekts. Die Firma der Familie Atala Zablah, Inversiones Las Jacaranda, erhielt – ungeachtet der Bitten von Berta – Geld von FMO (einer niederländischen Entwicklungsbank), FinnFund (einem finnischen Entwicklungsinvestor) und der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration (einer multilateralen Entwicklungsinstitution).
«Wir leben mit einer großer Unsicherheit», sagte mir Bertha Zúniga Cáceres, die Tochter von Berta Cáceres, «die Justiz in Honduras hat sich nie darum gekümmert». Sie bezieht sich auf die Rolle der DESA und ihrer Führungskräfte. Die Behörden schützen die Familie Atala Zablah und die Regierungspartei, die selbst an der Vertuschung mitzuwirken versuchte.
Im Jahr 2009 beteiligte sich die US-Regierung aktiv an einem Staatsstreich gegen die linksgerichtete Regierung von Manuel Zelaya und stachelte die Oligarchie dazu an, diesen durchzuführen. Seitdem wird Honduras von der rechtsextremen Nationalen Partei regiert, deren aktueller Vorstehender und honduranischer Präsident Juan Orlando Hernández (JOH) ist. Nach der Ermordung von Berta Cáceres schrieb der Sicherheitsminister von Präsident Hernández, Julián Pacheco Tinoco, an Pedro Atala Zablah, einen der Köpfe der Familie Atala Zablah und Vorstandsmitglied der DESA. Er versicherte Atala Zablah und seiner Familie, dass die Regierung den Fall nicht ernsthaft verfolgen würde; der Fall, so sagte er, würde als «Verbrechen aus Leidenschaft» angesehen werden. Zúniga Cáceres sagt mir, dass «weder die Armee alleine gehandelt hat, noch die Firma alleine gehandelt hat». Es gibt, sagt sie, «eine Koordination zwischen den wirtschaftlichen und militärischen Machtzentren, das ist charakteristisch für die Diktatur, unter der wir in Honduras leben».
Diese Woche veröffentlichte Tricontinental: Institute for Social Research ein Dossier über den Putsch von 2009 und über das Regime von JOH. Es untersucht, wie diese Prozesse ein Klima der Straflosigkeit für Eliten wie die Atala Zablahs schaffen, die gegen Anführer*innen wie Berta Cáceres und Carlos Cerros vorgehen – mutige Menschen, die die Würde des Landes und aller Menschen in Honduras verteidigen. Wir haben das Dossier zusammen mit COPINH und Peoples Dispatch recherchiert und geschrieben (besonderer Dank gebührt Zoe Alexandra). Das Dossier Pity the Nation: Honduras Is Being Eaten From Within And Without («Erbarmt euch der Nation: Honduras wird von innen und außen zerfressen»), besteht aus drei Teilen:
- Teil 1 beschreibt detailliert den Putsch von 2009, der von der US-Regierung unter Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton autorisiert wurde.
- Teil 2 entlarvt die vom Putschregime gesäte Struktur des rechtsextremen Terrors, der seine Wurzeln tief in der Welt des Drogenhandels hat.
- Teil 3 liefert drei Beispiele für den umfassenden Angriff auf die honduranische Linke: die Ermordung von Berta, die Attacken auf die Gewerkschaften und die gewaltsame Beseitigung von Garifuna-Führern im Juli 2020.
Der dritte Teil endet mit einem Zitat von Miriam Miranda, einer Führerin der Black Fraternal Organisation of Honduras (OFRANEH): «Wir haben die Lügen der Regierung von Honduras satt. [Die Regierungsberichte] haben keine Substanz. Sie sagen gar nichts. Sie machen sich über uns, das Volk der Garifuna, lustig. Wir wollen keine Lügen. Wir wollen die Wahrheit. Wir wollen, dass das Leben in unserem Land einen Wert hat. Wir müssen neue Wege finden. Wir werden weiter kämpfen, damit dies wahr wird».
In Yoro, Honduras, sprechen die Menschen vom lluvia de peces, dem Fischregen, den sie mit einem Fest während der Regenzeit begehen. Wunder wie dieses, so sagt man, werden die Menschen vom Leiden des Hungers befreien. Roberto Sosa (1930–2011), einer der großen Dichter*innen von Honduras, wurde in Yoro geboren, wandte sich aber von dessen Wunder ab, hin zur Politik des Volkes und der Linken. 1968 veröffentlichte er seine bedeutende Gedichtsammlung Los pobres («Die Armen»), die mit dem Adonáis-Preis ausgezeichnet wurde. Die Überschrift für diesen Newsletter ist einem Gedicht aus dieser Sammlung entnommen, La Casa de la Justicia («Das Haus der Gerechtigkeit»). Hier ist ein Auszug:
Ich betrat
den Justizpalast
meines Landes
und fand
einen Tempel
von Schlangenbeschwörern.
…
Grimmige Richter
sprechen von Reinheit
mit Worten
die glänzen
mit der Helligkeit
eines Messers. Die Opfer — auf engstem Raum -
messen Terror in einem einzigen Stoss.
Roberto Sosas Satz «Ich betrat den Justizpalast meines Landes und fand einen Tempel von Schlangenbeschwörern» wurde in der Zeit unmittelbar nach dem Putsch 2009 und in den Jahren danach oft zitiert. Nach dem Putsch sagte Sosa, Honduras habe sich «in ein Gefängnisland» (en un país cárcel) verwandelt. «Heute ist das ganze Land militarisiert», sagte er und begab sich in den «massiven und organisierten Widerstand, der nicht aufhört, der Putschregierung die Stirn zu bieten, ein Widerstand, der nicht zurückweicht».
Auch heute gibt es kein Zurückweichen. Nicht für das Volk von Honduras.
Herzlichst,
Vijay
Ingrid Costa N. R. Guimarães
Designerin in der Kunstabteilung
Meine Arbeit begann damit, dass ich eine Animation eines roten Keils, der einen weißen Kreis durchsticht für das Logo von Tricontinental kreierte. Das Symbol, inspiriert von El Lissitzkys «Mit dem roten Keil schlage die Weißen», steht auch heute für den Kampf der Ideen. An einem Tag lerne ich durch die Plakate der OSPAAAL mehr über Internationalismus, am nächsten beteilige ich mich mit Künstler*innen aller Kontinente an der Gestaltung von antiimperialistischen Plakaten. So produzieren wir, der Tradition der Forschung und Transformation folgend, Kunst, die über Grafik- und Editorial Design hinausgeht. Es macht mich sehr glücklich, ein Teil der Kunstabteilung und generell von Tricontinental: Institute for Social Research sein zu dürfen.
Aus dem Englischen von Claire Louise Blaser.