Frauen stützen 76,2 % des Himmels.
Der vierzehnte Newsletter (2023)
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Es ist nicht nötig, sich zu sehr in Statistiken zu verlieren, wenn die Ergebnisse offensichtlich sind. Wenn beispielsweise Frauen und Männer die gleiche Arbeit verrichten, werden Frauen im Durchschnitt 20 Prozent schlechter bezahlt als Männer. Um das Bewusstsein für diese anhaltende Ungleichheit zu schärfen, veranstalten die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) und UN Women jedes Jahr am 18. September den Internationalen Tag der Lohngleichheit und setzen sich über ihre Equal Pay International Coalition bei Unternehmen und Regierungen dafür ein, das gähnende Lohngefälle zwischen den Geschlechtern zu schließen. Die Idee «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» wurde im IAO-Übereinkommen über die Gleichheit des Arbeitsentgelts (1951) verankert, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Frauen schon immer in Industriebetrieben gearbeitet haben, verstärkt während des Zweiten Weltkriegs. In dem Übereinkommen wurde «der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit » festgeschrieben, doch haben sich die Regierungen und der Privatsektor geweigert, diesem Grundsatz zu folgen.
Während der COVID-19-Pandemie wurde das Augenmerk verstärkt auf den Gesundheitssektor gerichtet, einschließlich der Beschäftigten im Gesundheitswesen, die allgemein als «systemrelevantes Personal» gefeiert wurden. Im März 2021 veröffentlichte das Tricontinental: Institute for Social Research ein Dossier mit dem Titel Uncovering the Crisis: Care Work in the Time of Coronavirus, das die Ansichten von Arbeitnehmerinnen im Gesundheitswesen widerspiegelt. Janet Mendieta von der argentinischen Gewerkschaft der Arbeiterinnen und Arbeiter hat sich Gedanken über die Idee der «systemrelevanten Arbeit» gemacht:
Zunächst sollten sie anerkennen, dass wir systemrelevante Arbeitskräfte sind, und dann sollten wir für unsere Arbeit Lohn erhalten, weil wir viel mehr arbeiten, als wir eigentlich müssten. Wir leisten eine Menge Arbeit zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Gesundheit, wir arbeiten als Köchinnen in Küchen und Kantinen, und nichts davon wird anerkannt oder sichtbar gemacht. Wenn es nicht sichtbar gemacht wird, wird es auch nicht anerkannt oder entlohnt.
Nichts davon wird anerkannt, sagte sie, weder während des Höhepunkts der Pandemie noch in der Zeit, in der wir beginnen, uns von ihr zu lösen. Im Jahr 2018 veröffentlichte die IAO einen wichtigen Bericht mit dem Titel Care Work and Care Jobs for the Future of Decent Work, in dem der Wert der unbezahlten Pflege- und Hausarbeit auf 9 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder 11 Billionen US-Dollar geschätzt wird. In einigen Ländern ist der Wert weitaus höher, wie zum Beispiel in Australien, wo unbezahlte Pflege- und Hausarbeit 41,3 Prozent des BIP ausmacht. Auf der Grundlage von Erhebungen zur Zeitverwendung in 64 Ländern ergab der Bericht, dass täglich 16,4 Milliarden Stunden für unbezahlte Betreuungsarbeit aufgewendet werden, wobei 76,2 Prozent der gesamten unbezahlten Betreuungsarbeit von Frauen geleistet wird. Mit anderen Worten: Die tägliche unbezahlte Betreuungsarbeit von Frauen auf der ganzen Welt entspricht der Arbeit von über 1,5 Milliarden Frauen, die acht Stunden pro Tag ohne Bezahlung arbeiten.
Im Juli 2022 veröffentlichten die IAO und die Weltgesundheitsorganisation einen weiteren Bericht über Lohnungleichheit, diesmal mit dem Schwerpunkt auf dem Gesundheitssektor. Ihr Bericht The Gender Pay Gap in the Health and Care Sector: A Global Analysis in the Time of COVID-19 stellt fest, dass Frauen im Gesundheits- und Pflegesektor im Durchschnitt bis zu 24 Prozent weniger verdienen als Männer. Obwohl 67 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Sektor von Frauen besetzt sind, arbeiten nur wenige von ihnen im oberen Management, und die Kluft zwischen den Löhnen von Krankenhausverwalter*innen und Pflegepersonal beispielsweise wird jedes Jahr größer.
Der Bericht bietet eine Reihe von Erklärungen für dieses Lohngefälle. Unter anderem heißt es, dass Frauen aufgrund der «niedrigeren Löhne in stark feminisierten Sektoren und Berufen» schlechter bezahlt werden. Gesundheitsberufe wie die Krankenpflege werden nicht aufgrund objektiv geringerer Qualifikationen schlechter bezahlt als andere, sondern weil sie mit «Frauenarbeit» in Verbindung gebracht werden, die in der Regel weltweit weniger geschätzt wird. Darüber hinaus weist der Bericht darauf hin, dass es ein «Mutterschaftsgefälle» bei der Entlohnung gibt, über das nicht oft gesprochen wird, das aber in den statistischen Daten und in den Forderungen der Gewerkschaften des Gesundheitspersonals sichtbar wird. Die Teilzeitbeschäftigung im Gesundheitswesen ist gering, außer bei Frauen in ihren späten Zwanzigern und in ihren Dreißigern, wenn, wie der Bericht feststellt, «Frauen entweder den Arbeitsmarkt verlassen oder ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, um die Arbeit mit der unbezahlten Betreuung von Kindern zu vereinbaren». Wenn Frauen die Branche verlassen und später zurückkehren oder sich für Teilzeitarbeit entscheiden, erhalten sie nicht die Beförderungen und Lohnerhöhungen, die ihre männlichen Kollegen erhalten, und verbringen daher den Rest ihres Arbeitslebens mit niedrigeren Löhnen als Männer, die die gleiche Arbeit verrichten.
Frauen kämpfen seit hundert Jahren gegen diese sozialen Bedingungen, und es waren die von Frauen geführten Kämpfe, die viele der internationalen Arbeits- und Menschenrechtskonventionen begründet haben. Bei Tricontinental: Institute for Social Research haben wir die Geschichten dieser Kämpfe und der Frauen, die sie geführt haben, aufgegriffen. Eine unserer jüngsten Veröffentlichungen, die in Zusammenarbeit mit ALBA Movimientos entstanden ist, trägt den Titel Chrysalises: Feminist Memories from Latin America and the Caribbean («Aus dem Kokon: Feministische Erinnerungen aus Lateinamerika und der Karibik»). Darin stellen wir Arlen Siu (1955–1975) aus Nicaragua, Dona Nina (geb. 1949) aus Brasilien und die 1980 gegründete Bartolina Sisa, Nationale Bäuerinnen-Konföderation, aus Bolivien (deren Mitglieder als Las Bartolinas bekannt sind) vor. Alle diese Frauen und ihre Organisationen waren Teil des weltweiten Kampfes gegen die erbärmlichen sozialen Bedingungen der Ungleichheit.
Es sind Frauen wie Arlen, Dona Nina und die Bartolinas, die die Forderungen des World March of Women nach wirtschaftlicher Autonomie formuliert haben. Der Newsletter dieser Woche endet mit ihren Forderungen:
- Das Recht aller Arbeitnehmer*innen (einschließlich schutzbedürftiger Arbeitnehmer*innen wie Hausangestellte und Wanderarbeiter*innen) auf einen Arbeitsplatz mit sicheren und gesunden Arbeitsbedingungen, ohne Belästigung und unter Wahrung ihrer Würde, überall auf der Welt und ohne jegliche Diskriminierung (Nationalität, Geschlecht, Behinderung, usw.).
- Das Recht auf soziale Sicherheit, das Einkommensübertragungen im Falle von Krankheit, Invalidität, Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub und Rente umfasst, die Frauen und Männern eine angemessene Lebensqualität ermöglichen.
- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer, auch unter Berücksichtigung der Entlohnung der Arbeit in ländlichen Gebieten.
- Ein gerechter Mindestlohn (der den Unterschied zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Lohn verringert und es den Arbeitnehmer*innen ermöglicht, sich und ihre Familien zu ernähren), der gesetzlich festgelegt ist und als Referenz für alle bezahlten Tätigkeiten (öffentlich und privat) und öffentlichen Sozialleistungen dient. Die Schaffung oder Stärkung einer Politik der kontinuierlichen Aufwertung des Mindestlohns und einer Angleichung dieses Werts für Teilregionen und Regionen.
- Stärkung der Solidarwirtschaft durch zinsgünstige Kredite, Unterstützung von Vertrieb und Kommerzialisierung sowie Austausch von lokalem Wissen und Praktiken.
- Zugang der Frauen zu Land, Saatgut, Wasser, Grundstoffen und allen notwendigen Hilfen für die Produktion und Vermarktung in Landwirtschaft, Fischerei, Viehzucht und Handwerk.
- Die Neuorganisation der Haus- und Betreuungsarbeit, so dass die Verantwortung für diese Arbeit innerhalb einer Familie oder Gemeinschaft gleichmäßig zwischen Männern und Frauen aufgeteilt wird. Damit dies Wirklichkeit wird, fordern wir die Verabschiedung öffentlicher Maßnahmen zur Unterstützung der sozialen Reproduktion (wie Kinderkrippen, kollektive Wäschereien und Restaurants, Altenpflege usw.) sowie eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnkürzungen.
Herzlichst,
Vijay