Frauen stützen 76,2 % des Himmels.

Der vierzehnte Newsletter (2023)

Billie Zangewa (Malawi), Ma Vie En Rose, 2015.

Liebe Freund*innen,

 

Grüße aus dem Büro von Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch.

 

Es ist nicht nötig, sich zu sehr in Statis­ti­ken zu verlie­ren, wenn die Ergeb­nisse offen­sicht­lich sind. Wenn beispiels­weise Frauen und Männer die glei­che Arbeit verrich­ten, werden Frauen im Durch­schnitt 20 Prozent schlech­ter bezahlt als Männer. Um das Bewusst­sein für diese anhal­tende Ungleich­heit zu schär­fen, veran­stal­ten die Inter­na­tio­nale Arbeits­or­ga­ni­sa­tion (IAO) und UN Women jedes Jahr am 18. Septem­ber den Inter­na­tio­na­len Tag der Lohn­gleich­heit und setzen sich über ihre Equal Pay Inter­na­tio­nal Coali­tion bei Unter­neh­men und Regie­run­gen dafür ein, das gähnende Lohn­ge­fälle zwischen den Geschlech­tern zu schlie­ßen. Die Idee «glei­cher Lohn für glei­che Arbeit» wurde im IAO-Über­ein­kom­men über die Gleich­heit des Arbeits­ent­gelts (1951) veran­kert, um der Tatsa­che Rech­nung zu tragen, dass Frauen schon immer in Indus­trie­be­trie­ben gear­bei­tet haben, verstärkt während des Zwei­ten Welt­kriegs. In dem Über­ein­kom­men wurde «der Grund­satz der Gleich­heit des Entgelts männ­li­cher und weib­li­cher Arbeits­kräfte für gleich­wer­tige Arbeit » fest­ge­schrie­ben, doch haben sich die Regie­run­gen und der Privat­sek­tor gewei­gert, diesem Grund­satz zu folgen.

 

Während der COVID-19-Pande­mie wurde das Augen­merk verstärkt auf den Gesund­heits­sek­tor gerich­tet, einschließ­lich der Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen, die allge­mein als «system­re­le­van­tes Perso­nal» gefei­ert wurden. Im März 2021 veröf­fent­lichte das Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch ein Dossier mit dem Titel Unco­ve­ring the Crisis: Care Work in the Time of Coro­na­vi­rus, das die Ansich­ten von Arbeit­neh­me­rin­nen im Gesund­heits­we­sen wider­spie­gelt. Janet Mendieta von der argen­ti­ni­schen Gewerk­schaft der Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter hat sich Gedan­ken über die Idee der «system­re­le­van­ten Arbeit» gemacht:

 

Zunächst soll­ten sie aner­ken­nen, dass wir system­re­le­vante Arbeits­kräfte sind, und dann soll­ten wir für unsere Arbeit Lohn erhal­ten, weil wir viel mehr arbei­ten, als wir eigent­lich müss­ten. Wir leis­ten eine Menge Arbeit zur Förde­rung der Gleich­stel­lung der Geschlech­ter und der Gesund­heit, wir arbei­ten als Köchin­nen in Küchen und Kanti­nen, und nichts davon wird aner­kannt oder sicht­bar gemacht. Wenn es nicht sicht­bar gemacht wird, wird es auch nicht aner­kannt oder entlohnt.

 

Nichts davon wird aner­kannt, sagte sie, weder während des Höhe­punkts der Pande­mie noch in der Zeit, in der wir begin­nen, uns von ihr zu lösen. Im Jahr 2018 veröf­fent­lichte die IAO einen wich­ti­gen Bericht mit dem Titel Care Work and Care Jobs for the Future of Decent Work, in dem der Wert der unbe­zahl­ten Pflege- und Haus­ar­beit auf 9 Prozent des globa­len Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP) oder 11 Billio­nen US-Dollar geschätzt wird. In eini­gen Ländern ist der Wert weit­aus höher, wie zum Beispiel in Austra­lien, wo unbe­zahlte Pflege- und Haus­ar­beit 41,3 Prozent des BIP ausmacht. Auf der Grund­lage von Erhe­bun­gen zur Zeit­ver­wen­dung in 64 Ländern ergab der Bericht, dass täglich 16,4 Milli­ar­den Stun­den für unbe­zahlte Betreu­ungs­ar­beit aufge­wen­det werden, wobei 76,2 Prozent der gesam­ten unbe­zahl­ten Betreu­ungs­ar­beit von Frauen geleis­tet wird. Mit ande­ren Worten: Die tägli­che unbe­zahlte Betreu­ungs­ar­beit von Frauen auf der ganzen Welt entspricht der Arbeit von über 1,5 Milli­ar­den Frauen, die acht Stun­den pro Tag ohne Bezah­lung arbeiten.

 

Aida Mulu­neh (Äthio­pien), The 99 Series/Part Two, 2013.

Im Juli 2022 veröf­fent­lich­ten die IAO und die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion einen weite­ren Bericht über Lohn­un­gleich­heit, dies­mal mit dem Schwer­punkt auf dem Gesund­heits­sek­tor. Ihr Bericht The Gender Pay Gap in the Health and Care Sector: A Global Analy­sis in the Time of COVID-19 stellt fest, dass Frauen im Gesund­heits- und Pfle­ge­sek­tor im Durch­schnitt bis zu 24 Prozent weni­ger verdie­nen als Männer. Obwohl 67 Prozent der Arbeits­plätze in diesem Sektor von Frauen besetzt sind, arbei­ten nur wenige von ihnen im oberen Manage­ment, und die Kluft zwischen den Löhnen von Krankenhausverwalter*innen und Pfle­ge­per­so­nal beispiels­weise wird jedes Jahr größer.

 

Der Bericht bietet eine Reihe von Erklä­run­gen für dieses Lohn­ge­fälle. Unter ande­rem heißt es, dass Frauen aufgrund der «nied­ri­ge­ren Löhne in stark femi­ni­sier­ten Sekto­ren und Beru­fen» schlech­ter bezahlt werden. Gesund­heits­be­rufe wie die Kran­ken­pflege werden nicht aufgrund objek­tiv gerin­ge­rer Quali­fi­ka­tio­nen schlech­ter bezahlt als andere, sondern weil sie mit «Frau­en­ar­beit» in Verbin­dung gebracht werden, die in der Regel welt­weit weni­ger geschätzt wird. Darüber hinaus weist der Bericht darauf hin, dass es ein «Mutter­schafts­ge­fälle» bei der Entloh­nung gibt, über das nicht oft gespro­chen wird, das aber in den statis­ti­schen Daten und in den Forde­run­gen der Gewerk­schaf­ten des Gesund­heits­per­so­nals sicht­bar wird. Die Teil­zeit­be­schäf­ti­gung im Gesund­heits­we­sen ist gering, außer bei Frauen in ihren späten Zwan­zi­gern und in ihren Drei­ßi­gern, wenn, wie der Bericht fest­stellt, «Frauen entwe­der den Arbeits­markt verlas­sen oder ihre Arbeits­zeit redu­zie­ren müssen, um die Arbeit mit der unbe­zahl­ten Betreu­ung von Kindern zu verein­ba­ren». Wenn Frauen die Bran­che verlas­sen und später zurück­keh­ren oder sich für Teil­zeit­ar­beit entschei­den, erhal­ten sie nicht die Beför­de­run­gen und Lohn­er­hö­hun­gen, die ihre männ­li­chen Kolle­gen erhal­ten, und verbrin­gen daher den Rest ihres Arbeits­le­bens mit nied­ri­ge­ren Löhnen als Männer, die die glei­che Arbeit verrichten.

 

Frauen kämp­fen seit hundert Jahren gegen diese sozia­len Bedin­gun­gen, und es waren die von Frauen geführ­ten Kämpfe, die viele der inter­na­tio­na­len Arbeits- und Menschen­rechts­kon­ven­tio­nen begrün­det haben. Bei Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch haben wir die Geschich­ten dieser Kämpfe und der Frauen, die sie geführt haben, aufge­grif­fen. Eine unse­rer jüngs­ten Veröf­fent­li­chun­gen, die in Zusam­men­ar­beit mit ALBA Movi­mi­entos entstan­den ist, trägt den Titel Chry­sa­li­ses: Femi­nist Memo­ries from Latin America and the Carib­bean («Aus dem Kokon: Femi­nis­ti­sche Erin­ne­run­gen aus Latein­ame­rika und der Kari­bik»). Darin stel­len wir Arlen Siu (1955–1975) aus Nica­ra­gua, Dona Nina (geb. 1949) aus Brasi­lien und die 1980 gegrün­dete Barto­lina Sisa, Natio­nale Bäue­rin­nen-Konfö­de­ra­tion, aus Boli­vien (deren Mitglie­der als Las Barto­li­nas bekannt sind) vor. Alle diese Frauen und ihre Orga­ni­sa­tio­nen waren Teil des welt­wei­ten Kamp­fes gegen die erbärm­li­chen sozia­len Bedin­gun­gen der Ungleichheit.

 

Bu Hua (China), Brave Dili­gent, 2014.

Es sind Frauen wie Arlen, Dona Nina und die Barto­li­nas, die die Forde­run­gen des World March of Women nach wirt­schaft­li­cher Auto­no­mie formu­liert haben. Der News­let­ter dieser Woche endet mit ihren Forderungen:

 

    • Das Recht aller Arbeitnehmer*innen (einschließ­lich schutz­be­dürf­ti­ger Arbeitnehmer*innen wie Haus­an­ge­stellte und Wanderarbeiter*innen) auf einen Arbeits­platz mit siche­ren und gesun­den Arbeits­be­din­gun­gen, ohne Beläs­ti­gung und unter Wahrung ihrer Würde, über­all auf der Welt und ohne jegli­che Diskri­mi­nie­rung (Natio­na­li­tät, Geschlecht, Behin­de­rung, usw.).
    • Das Recht auf soziale Sicher­heit, das Einkom­mens­über­tra­gun­gen im Falle von Krank­heit, Inva­li­di­tät, Mutter­schafts- und Vater­schafts­ur­laub und Rente umfasst, die Frauen und Männern eine ange­mes­sene Lebens­qua­li­tät ermöglichen.
    • Glei­cher Lohn für glei­che Arbeit für Frauen und Männer, auch unter Berück­sich­ti­gung der Entloh­nung der Arbeit in länd­li­chen Gebieten.
    • Ein gerech­ter Mindest­lohn (der den Unter­schied zwischen dem höchs­ten und dem nied­rigs­ten Lohn verrin­gert und es den Arbeitnehmer*innen ermög­licht, sich und ihre Fami­lien zu ernäh­ren), der gesetz­lich fest­ge­legt ist und als Refe­renz für alle bezahl­ten Tätig­kei­ten (öffent­lich und privat) und öffent­li­chen Sozi­al­leis­tun­gen dient. Die Schaf­fung oder Stär­kung einer Poli­tik der konti­nu­ier­li­chen Aufwer­tung des Mindest­lohns und einer Anglei­chung dieses Werts für Teil­re­gio­nen und Regionen.
    • Stär­kung der Soli­dar­wirt­schaft durch zins­güns­tige Kredite, Unter­stüt­zung von Vertrieb und Kommer­zia­li­sie­rung sowie Austausch von loka­lem Wissen und Praktiken.
    • Zugang der Frauen zu Land, Saat­gut, Wasser, Grund­stof­fen und allen notwen­di­gen Hilfen für die Produk­tion und Vermark­tung in Land­wirt­schaft, Fische­rei, Vieh­zucht und Handwerk.
    • Die Neuor­ga­ni­sa­tion der Haus- und Betreu­ungs­ar­beit, so dass die Verant­wor­tung für diese Arbeit inner­halb einer Fami­lie oder Gemein­schaft gleich­mä­ßig zwischen Männern und Frauen aufge­teilt wird. Damit dies Wirk­lich­keit wird, fordern wir die Verab­schie­dung öffent­li­cher Maßnah­men zur Unter­stüt­zung der sozia­len Repro­duk­tion (wie Kinder­krip­pen, kollek­tive Wäsche­reien und Restau­rants, Alten­pflege usw.) sowie eine Arbeits­zeit­ver­kür­zung ohne Lohnkürzungen.

 

Herz­lichst, 

 

Vijay

Aus dem Engli­schen von Claire Louise Blaser.