Sie haben in Guantánamo gegen die Genfer Konventionen verstossen und sind frei, während der Mann, der half, ihre Verbrechen aufzudecken, im Gefängnis verrottet. 

Der achte Newsletter (2022).

Ahmed Rabbani (Paki­stan), Ohne Titel (Grape Arbor), 2016. Rabbani wurde 545 Tage lang von der CIA gefol­tert, bevor er 2004 nach Guan­tá­namo verlegt wurde. Seit­dem befin­det er sich ohne Anklage in diesem Gefängnis.

Liebe Freund*innen,

 

Grüße aus dem Büro des Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch.

 

Vor zwan­zig Jahren, am 11. Januar 2002, brachte die Regie­rung der Verei­nig­ten Staa­ten die ersten «Gefan­ge­nen», die im soge­nann­ten Krieg gegen den Terror entführt worden waren, in ihr Mili­tär­ge­fäng­nis in Guan­tá­namo Bay. US-Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Donald Rums­feld erklärte: «Wir haben vor, sie größ­ten­teils und zu einem vernünf­ti­gen Grade in Einklang mit den Genfer Konven­tio­nen zu behan­deln». Größ­ten­teils. Umge­hend tauch­ten Beweise auf – auch vom Inter­na­tio­na­len Komi­tee des Roten Kreu­zes –, dass die Genfer Konven­tio­nen verletzt und viele der Gefan­ge­nen gefol­tert wurden. Im Dezem­ber 2002 erschie­nen in den US-Medien erste Berichte, dass «viele der in Guan­tá­namo Inhaf­tier­ten wahr­schein­lich keine Terro­ris­ten sind».

 

In den vergan­ge­nen zwei Jahr­zehn­ten wurden fast 780 bekannte «Häft­linge» in dem Gefäng­nis einge­sperrt; derzeit sind noch 39 Männer dort, von denen die meis­ten nie ange­klagt wurden. US-Präsi­dent Joe Biden hat zwar erklärt, er wolle das Gefan­ge­nen­la­ger schlie­ßen, aber in Wirk­lich­keit hat er Pläne zu dessen Ausbau geneh­migt. Die Regie­rung Biden gibt 4 Millio­nen Dollar für den Bau eines neuen gehei­men Gerichts­saals in der Einrich­tung aus, der für die Öffent­lich­keit nicht zugäng­lich sein wird. Ob die verblei­ben­den Gefan­ge­nen nun vor Gericht gestellt werden und über ihr Schick­sal entschie­den wird, ist noch nicht abseh­bar. Am 10. Januar 2022 stell­ten unab­hän­gige Exper­ten des Menschen­rechts­rats der Verein­ten Natio­nen fest, dass «Guan­tá­namo Bay ein Ort von beispiel­lo­ser Berühmt­heit für syste­ma­ti­sche Anwen­dung von Folter und ande­rer grau­sa­mer, unmensch­li­cher oder ernied­ri­gen­der Behand­lung gegen Hunderte von Männern, die dort­hin gebracht und ihrer grund­le­gends­ten Rechte beraubt wurden» sei.

Ibra­him El-Salahi (Sudan), Vision of the Tomb, 1965.

Einer dieser Männer, Sami al-Hajj, wurde am 15. Dezem­ber 2001 von paki­sta­ni­schen Trup­pen an der afgha­nisch-paki­sta­ni­schen Grenze aufge­grif­fen und am 6. Januar 2002 an die USA über­ge­ben. Al-Hajj wurde dann am 14. Juni 2002 nach Guan­tá­namo über­stellt, wo er bis zu seiner Entlas­sung nach Doha, Katar, am 31. Mai 2008 blieb. Die US-Regie­rung beschul­digte al-Hajj, Mitglied von al-Qaida sowie Teil der Führung der Tali­ban und der Muslim­bru­der­schaft zu sein. Außer­dem wurde er beschul­digt, über die saudi­sche Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­tion al-Hara­main Waffen und Gelder an Grup­pen in Tsche­tsche­nien gelie­fert zu haben.

 

Wir kennen diese Details über al-Hajj dank der Detai­nee Assess­ment Briefs (DABs), die den Medien im April 2011 über Wiki­Leaks zuge­spielt wurden. Diese Gitmo-Akten sind bemer­kens­wert, weil jede der DABs uns die Fehl­in­for­ma­tio­nen aufzeigt, die dem Krieg gegen den Terror zugrunde liegen. Eine genaue Lektüre von al-Hajjs DAB zeigt, dass er kein Anfüh­rer einer dieser Orga­ni­sa­tio­nen war; er war eigent­lich Jour­na­list bei Al Jaze­era. Al-Hajj begann Anfang 2000 für Al Jaze­era zu arbei­ten und wurde im Okto­ber 2001 nach Afgha­ni­stan entsandt, um mit seinen Kolle­gen Yusuf al-Sholy und Saddah Abdul Haq zusam­men­zu­ar­bei­ten. Es gab keine Beweise dafür, dass al-Hajj Mitglied von al-Qaida, den Tali­ban oder der Muslim­bru­der­schaft war. Nach Anga­ben des DAB wurde er nach Guan­tá­namo gebracht, um Infor­ma­tio­nen über das Ausbil­dungs­pro­gramm von Al Jaze­era sowie über verschie­dene Wohl­tä­tig­keits­grup­pen zu liefern, die in Aser­bai­dschan, im Kosovo und in Maze­do­nien tätig waren.

 

Im Jahr 2007 schrieb al-Hajjs Anwalt Clive Staf­ford Smith, sein Mandant befinde sich «seit mehr als 230 Tagen im Hunger­streik, mehr als drei­mal so lange wie die IRA-Strei­ken­den im Jahr 1980». Als al-Hajj in Doha ankam, sagte er, er sei 130 Mal verhört worden, «meist im Zusam­men­hang mit seiner Arbeit für Al Jazeera».


Die DABs halfen Anwäl­ten wie Staf­ford Smith heraus­zu­fin­den, wer sich hinter den Zäunen von Guan­tá­namo befand und welche Lügen über sie verbrei­tet wurden. Dank Wiki­Leaks wurden diese Infor­ma­tio­nen öffent­lich gemacht. Menschenrechtsexpert*innen weisen darauf hin, dass niemand, der Verant­wor­tung für Verbre­chen in Guan­tá­namo trägt, jemals wegen «syste­ma­ti­scher Anwen­dung von Folter» vor Gericht gestellt wurde. Dennoch sitzt der Mitbe­grün­der und Heraus­ge­ber von Wiki­Leaks, Julian Assange, im Belmarsh-Gefäng­nis, dem briti­schen Guan­tá­namo. Die USA wollen seine Auslie­fe­rung, um ihn wegen Spio­nage anzu­kla­gen. Wer ist Julian Assange und warum pochen die USA so drin­gend auf seine Auslie­fe­rung? Gemein­sam mit der Inter­na­tio­nal Peop­les’ Assem­bly hat das Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch den folgen­den Red Alert Nr. 13, Free Julian Assange, erstellt.

Wer ist Julian Assange und was ist WikiLeaks?

 

Julian Assange ist ein austra­li­scher Jour­na­list und Verle­ger, der Wiki­Leaks im Jahr 2006 mitbe­grün­dete. Wiki­Leaks ist eine Website, die Doku­mente veröf­fent­licht, die ihr von Regie­rungs- und Firmen­an­ge­stell­ten anonym zuge­spielt werden. Das Projekt wurde von Daniel Ells­bergs Veröf­fent­li­chung der Penta­gon Papers im Jahr 1971 inspi­riert, einem inter­nen Doku­ment der US-Regie­rung, das das Ausmaß des Betrugs bei der Durch­füh­rung des Viet­nam­kriegs aufzeigte. Zwischen 2006 und 2009 veröf­fent­lichte Wiki­Leaks eine Reihe wich­ti­ger Doku­mente, die Enthül­lun­gen über die Mitglie­der­liste der faschis­ti­schen British Natio­nal Party (2008), den Petro­gate-Ölskan­dal in Peru (2009) und einen Bericht über den ameri­ka­nisch-israe­li­schen Cyber­an­griff auf irani­sche Kern­ener­gie­an­la­gen (2009) enthiel­ten. Im Jahr 2013 bezeich­nete die Inter­na­tio­nale Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung Wiki­Leaks als «eine neue Art von Medi­en­or­ga­ni­sa­tion, die auf dem Recht der Öffent­lich­keit auf Wissen basiert».

 

Im Jahr 2010 lud eine Geheim­dienst­ana­lys­tin der US-Armee, Chel­sea Manning, während ihres Aufent­halts im Irak Hundert­tau­sende von Doku­men­ten, darun­ter auch Videos, von den Servern der US-Regie­rung herun­ter. Sie schickte sie an Wiki­Leaks mit dem Vermerk: «Dies ist mögli­cher­weise eines der wich­tigs­ten Doku­mente unse­rer Zeit, das den Nebel des Krie­ges lüftet und das wahre Wesen der asym­me­tri­schen Kriegs­füh­rung des 21. Jahr­hun­dert zeigt.» Im Novem­ber 2010 veröf­fent­lichte Wiki­Leaks in Zusam­men­ar­beit mit großen Zeitun­gen (Der Spie­gel, El Pais, The Guar­dian, Le Monde, The New York Times) die diplo­ma­ti­schen Kabel (Cable­Gate), die aus Mannings Doku­men­ten­samm­lung stamm­ten. Wiki­Leaks veröf­fent­lichte auch die Proto­kolle des Irak­kriegs und die Tage­bü­cher des Afgha­ni­stan­kriegs, die Mate­ria­lien enthiel­ten, die darauf schlie­ßen ließen, dass die US-Streit­kräfte in beiden Ländern Kriegs­ver­bre­chen began­gen hatten. Unter diesen Doku­men­ten befand sich auch ein gehei­mes Video aus dem Jahr 2007, das zeigt, wie US-Streit­kräfte Zivi­lis­ten töten, darun­ter auch Mitar­bei­ter der Nach­rich­ten­agen­tur Reuters. Dieses Video, das von Wiki­Leaks unter dem Titel Colla­te­ral Murder veröf­fent­licht wurde, hatte enorme Auswir­kun­gen auf die öffent­li­che Meinung über das Wesen der US-Kriegsführung.

 

Im Novem­ber 2010 erklärte der Gene­ral­staats­an­walt der USA, Eric Holder, dass sein Büro eine «aktive, laufende straf­recht­li­che Unter­su­chung» gegen Wiki­Leaks einge­lei­tet habe.

 

Warum ist Julian Assange im Belmarsh-Gefäng­nis (London, Verei­nig­tes Königreich)?

 

Anfang Dezem­ber 2010 forder­ten hoch­ran­gige US-Poli­ti­ker die US-Regie­rung auf, Assange gemäß dem Espio­nage Act (1917) straf­recht­lich zu verfol­gen. Die Anschul­di­gun­gen wegen sexu­el­ler Nöti­gung in Schwe­den zogen Assange in ein juris­ti­sches Netz. Er war zwar bereit, nach Schwe­den zurück­zu­keh­ren, um sich den Vorwür­fen zu stel­len, wollte aber eine Zusi­che­rung, dass Schwe­den ihn nicht an die USA auslie­ferte, wo ihm wegen Spio­na­ge­vor­wür­fen eine lebens­lange Haft­strafe drohte. Schwe­den, das in engem Kontakt mit den USA steht, weigerte sich, diese Zusage zu geben. Im Jahr 2012 erhielt Assange Asyl in der Botschaft Ecua­dors in London. Im April 2019 über­gab die ecua­do­ria­ni­sche Regie­rung Assange an die briti­schen Behör­den — als Gegen­leis­tung für ein ihrer Ansicht nach güns­ti­ges Abkom­men mit dem Inter­na­tio­na­len Währungs­fonds. Assange wurde in das Belmarsh-Gefäng­nis gebracht, wo er auf die Anhö­rung zur Auslie­fe­rung nicht an Schwe­den, das seine Ermitt­lun­gen einge­stellt hat, sondern an die Verei­nig­ten Staa­ten wartet.

 

Die US-Regie­rung erhob in 18 Punk­ten im Zusam­men­hang mit der Beschaf­fung und Veröf­fent­li­chung von Verschluss­sa­chen Anklage gegen Assange, was zu einer Haft­strafe von bis zu 175 Jahren führen kann. 17 dieser Ankla­ge­punkte wurden jedoch erst erho­ben, nach­dem Assange in briti­schen Gewahr­sam kam. Ursprüng­lich wurde Assange nur ange­klagt, gemein­sam mit Manning ein Pass­wort geknackt und sich in das Compu­ter­sys­tem des Penta­gons gehackt zu haben, was für sich genom­men eine kurze Haft­strafe von bis zu 5 Jahren bedeu­tet. Das Problem dabei ist, dass die US-Regie­rung keine Beweise dafür hat, dass Assange mit Manning zusam­men­ge­ar­bei­tet hat, um in die US-Server einzu­bre­chen; Manning sagt, dass sie beim Erwerb und der Über­mitt­lung der Doku­mente an Wiki­Leaks allein gehan­delt hat.

 

Die US-Regie­rung versucht also, Assange in die USA zu brin­gen, um ihn nach dem Espio­nage Act wegen der Beschaf­fung und Veröf­fent­li­chung von Verschluss­sa­chen vor Gericht zu stel­len — mit ande­ren Worten, weil er die Arbeit eines inves­ti­ga­ti­ven Jour­na­lis­ten gemacht hat. Es ist also Jour­na­lis­mus, für den Assange ange­klagt wird.

 

Was können wir tun, um Julian Assange aus dem Gefäng­nis zu befreien?

 

Mobi­li­sie­ren! Geht am 25. Februar 2022 auf die Straße. Protes­tiert vor den Botschaf­ten und Konsu­la­ten des Verei­nig­ten König­reichs und der Verei­nig­ten Staa­ten. Fordert, dass diese Regie­run­gen das Völker­recht und die Grund­rechte von Julian Assange respektieren.

 

Sendet einen Brief! Unter­schreibt diesen von der Inter­na­tio­nal Peop­les’ Assem­bly verfass­ten Brief und sendet ihn an eure briti­sche Botschaft oder euer Konsu­lat vor Ort, um sie aufzu­for­dern, ihre gesetz­li­chen Pflich­ten zu erfüllen.

 

Macht mit! Folgt der Inter­na­tio­nal Peop­les’ Assem­bly in den sozia­len Medien, um mehr über den Fall Assange und seinen Beitrag zum anti­im­pe­ria­lis­ti­schen Kampf zu erfah­ren. Verbrei­tet unsere Mate­ria­lien in Gemein­den und Bewe­gun­gen. Helft uns, die Botschaft zu verbrei­ten, dass wir #Free­Ass­an­ge­NOW brau­chen! Regis­triert euch online, um am Belmarsh-Tribu­nal zur Befrei­ung von Julian Assange teilzunehmen.

Im Jahr 2020 sprach Roger Waters bei einer Kund­ge­bung für Julian Assange in London. Am Ende erzählte er eine Geschichte über seine Mutter:

 

Als junge Hilfs­schul­leh­re­rin im Norden Englands vor dem Krieg sah sie, wie die Kinder der Fabrikarbeiter*innen im tiefs­ten Winter barfuß durch den Schnee zur Schule liefen. In diesem Moment ging meiner Mutter ein Licht auf, und es blieb an und brannte hell für den Rest ihres Lebens. Eines Tages, als ich drei­zehn oder vier­zehn war, sagte sie zu mir: «Auf deinem Lebens­weg, Roger, wirst du schwie­ri­gen Zeiten und schwie­ri­gen Fragen begeg­nen, über die du nach­den­ken musst. Es wird nicht immer einfach sein, deshalb hier mein Rat an dich für diese Zeiten: Suche die Wahr­heit, betrachte die Frage von allen Seiten; höre dir auf jeden Fall andere Meinun­gen an, versu­che objek­tiv zu blei­ben. Wenn du am Ende deiner Über­le­gun­gen ange­langt bist, ist die harte Arbeit vorbei; jetzt kommt der leichte Teil. Tu das Richtige».

 

Tut das Rich­tige: Lasst Julian Assange frei und schließt Guantánamo.

 

Herz­lichst,

 

Vijay

Aus dem Engli­schen von Claire Louise Blaser.