“Stimme des Volkes” — Zum Tod von Mikis Theodorakis
Anlässlich des Todes von Mikis Theodorakis am 2. September 2021 befragte die IF DDR Hartmut König, ehemaliger FDJ-Sekretär für internationale Arbeit und Kultur und bekannter Liedermacher, über seine Erinnerungen an Mikis und dessen Einfluss auf die Singebewegung in der DDR.
Die internationale Solidarität mit Mikis Theodorakis nach dem faschistischen Putsch der Obristen in Griechenland 1967
Am 21. April 1967 senkte sich für sieben Jahre erneut der Schatten eines faschistischen Regimes über Griechenland. Eine Obristen-Junta hatte sich an die Macht geputscht, und Mikis Theodorakis, der im Volk überaus populäre Komponist und kommunistische Widerständler, war einer der von ihr am meisten gesuchten Personen. Im Armee-Erlass Nr. 13 stellte die Junta schon am 1. Juni das Verbreiten und Spielen seiner Musik als „Bündnis mit dem Kommunismus“ unter Strafe. Mikis hatte ein paar Monate illegal arbeiten können, bevor er verhaftet, verbannt, schließlich in das KZ Oropos deportiert wurde. Er wurde gefoltert, und als Folge früherer Einkerkerungen brach seine Tuberkulose wieder aus. Die bitteren Erfahrungen in Oropos erinnerten ihn an Leidensgeschichten seiner Jugendzeit. Bereits mit 17 Jahren hatte er in der Nationalen Befreiungsfront EAM und bald als Mitglied der Kommunistischen Partei (KKE) gegen die faschistische Okkupation, nach dem Krieg dann für eine sozialistische Perspektive seiner Heimat gekämpft. Die restaurative bürgerliche Staatsmacht vergalt es ihm mit Verbannung und Internierung, zuletzt auf der KZ-Insel Makronissos. Schon damals betrachtete er das Komponieren als sein Überlebenselixier, und so war es auch während der Verfolgungen nach 1967. Einige seiner Lieder konnten aus Griechenland herausgeschmuggelt werden. Darunter „Die Front der Patrioten ruft!“, das er getextet und komponiert hatte. Griechische Genossen übergaben mir das Tonband damals in Berlin. Darauf waren nur Mikis´ Stimme und Klanghölzer zu hören, mit denen das Metrum geschlagen wurde. Ich übertrug den Text ins Deutsche und nahm den Song auf, der noch am selben Abend im DDR-Fernsehen veröffentlicht wurde.
Das war nur ein kleiner Teil der weltweiten Solidarität, die inzwischen Fahrt aufgenommen hatte. Im Gefängnis erreichten Mikis körbeweise Grüße und Blumenzeichnungen von Schulkindern aus der DDR. Weltbekannte Künstler wie Arthur Miller, Dmitri Schostakowitsch, Leonard Bernstein, Laurence Olivier und Paul Dessau hatten ein Komitee für seine Befreiung gegründet. Im Mai 1970 ließ ihn die Junta nach Paris ausreisen. Im Juli jenes Jahres traf ich ihn am Rande der UNO-Weltjugendkonferenz auf einer großen Solidaritätsveranstaltung im New Yorker Manhattan Center, die u.a. Arthur Miller und Pete Seeger angeregt hatten. Weil mir Pete Seeger seine Gitarre pumpte, sang ich dort jenes „Die Front der Patrioten ruft“, dessen deutsche Fassung Mikis zum ersten Mal hörte.
Mikis in der DDR
Seinen ersten großen Auftritt in der DDR hatte Mikis Theodorakis mit dem „Canto General“ im Februar 1980 während des 10. Festivals des politischen Liedes in Berlin. Das ging auf eine Wiederbegegnung mit ihm 1979 in Berlin zurück. Ich traf ihn zufällig im Hotel-Foyer und lud ihn zu unserem Liederfestival ein. Er sagte unter der Bedingung zu, dort seinen „Canto General“ aufführen zu dürfen. Das Werk nach Texten Pablo Nerudas, das Salvador Allende während seiner Präsidentschaft bei Mikis in Auftrag gegeben hatte, wegen des faschistischen Putsches aber nicht mehr im Zentralstadion von Santiago de Chile uraufgeführt werden konnte, erklang nun im Großen Saal des Palastes der Republik und wurde – um einige Teile erweitert – im Folgejahr dort erneut aufgeführt. Die FDJ lud Mikis noch einmal zu einem Konzert auf dem Rosa-Luxemburg-Platz aus Anlass der 750-Jahrfeier Berlins ein. Zum Schluss sang und tanzte er, so wie es überall in der Welt geschah, mit dem Publikum. Große Konzerthäuser und Klangkörper der DDR nahmen sich seines Werks an. Das Oratorium Axion Esti erklang im Leipziger Gewandhaus, die Uraufführung der Sadduzäer-Passion besorgten das Berliner Sinfonie-Orchester und der Rundfunkchor Berlin, und seine Dritte Sinfonie spielte erstmals das Orchester der Komischen Oper. Die drei Werke erschienen auf dem DDR-Plattenlabel ETERNA, der „Canto“ als Live-Mitschnitt vom Festival des politischen Liedes als Doppel-LP bei AMIGA. Und 1989 war im Palast der Republik sogar noch eine Tanzpoem-Fassung des „Großen Gesangs“ zu erleben.
Und seine Bedeutung für die Singebewegung in der DDR?
Die Singebewegung schätzte gerade sein liedhaftes Schaffen sehr. Wir wussten, wie sehr Mikis Theodorakis bemüht war, große griechische Poesie durch die Vermittlung von Musik, durch Nachsingbarkeit, in den Volksmund gelangen zu lassen. Das funktionierte in Hellas fantastisch, denn auf diese Weise ließ sich, was sonst eine Domäne des Bildungsbürgertums geblieben wäre, plötzlich neben Wein, Brot und Oliven an den Alltagstischen der einfachen Leute, an ihren Arbeitsplätzen und Streikposten nieder. Der große griechische Dichter Jannis Ritsos, der mit Mikis befreundet war, hat mal von dieser Wirkung geschwärmt. Ich denke immer an seinen Text „Die ganze Erde uns!“, der mit der Konsequenz endet: „…und kein Stück unsren Feinden“. Der Song hatte Eingang in das Repertoire vieler Singeklubs gefunden, deshalb trug ich es auch im Manhattan-Center neben „Die Front der Patrioten ruft!“ vor. Aber es waren nicht nur konkrete Lieder — wie auch die schönen Nachdichtungen aus der Mauthausen-Kantate -, die uns inspirierten. Es war auch der lyrisch-kämpferische Gestus in der Einheit von Text, Komposition und Interpretation, der uns für eigene Themen ein Vorbild war. Übrigens schätzte Mikis das Festival des politischen Liedes, das ja aus der DDR-Singebewegung hervorgegangen war und von vielen Freiwilligen mitgestaltet wurde, sehr. Vom 10. Festival nach Athen zurückgekehrt schrieb er, seine Teilnahme sei „eine der bewegendsten und wunderbarsten Erfahrungen“ seines Lebens gewesen. „Im Saal befanden sich die Kinder, die uns Tausende von gemalten Blumen in die Gefängnisse der Junta geschickt hatten… Unser Ringen und unsere Opfer sind nicht vergebens gewesen. Die Saat ist aufgegangen.“
Theodorakis in der weiteren Entwicklung Griechenlands
Mikis war ein kämpferischer Mensch, der seinen Maßgaben von Freiheit und Gerechtigkeit folgte. Das ließ ihn auch in Zweifel und Ermüdungen geraten. Immer hatte er seine antiimperialistische Solidarität bezeugt, war gegen die NATO-Bombardierungen jugoslawischer Städte und den Irakkrieg der USA aufgetreten, und doch meinte er zeitweilig, er habe sich in der Politik verschlissen und könne nur noch in seiner Musik Erfüllung finden. Aber sowas hielt sein Charakter nicht aus. Als eine Troika mit EU-Mandat auszog, um Griechenlands Wirtschaft und den sozialen Status seiner Bevölkerung zu ruinieren, da fand man ihn wieder ganz vorn beim demonstrierenden Volk. Zuletzt sah man ihm an, wie er gegen den Kräfteschwund ankämpfte, wenn er noch im Rollstuhl dirigierte.
Nun ist der „Große Grieche“, Komponist und Volkstribun im 96. Lebensjahr gestorben. Man will es nicht glauben, hält sich an Erinnerungen und seinem opulenten Werk fest. Nicht minder an seinem politischen Vermächtnis, das er dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) jüngst schrieb: „Jetzt am Ende meines Lebens…sehe ich, dass ich in meinen entscheidenden, stärksten und reifsten Jahren unter dem Banner der KKE stand. Deshalb möchte ich als Kommunist von dieser Welt gehen.“ Sein Bekenntnis wird die Runde machen und die Herzen der Genossen wärmen. Weltweit. Denn: Wir sind überall auf der Erde! Übrigens auch ein Lied der DDR-Singebewegung.