Um eine ganze Epoche

Was von der Frauenpolitik in der DDR zu lernen und zu bewahren ist

Floren­tine M. Sandoval

2. Okto­ber 2024

Quelle: Verlag Neues Deutschland.

Das Ende der DDR bedeu­tete für ihre Frauen einen recht­li­chen Rück­schritt um eine ganze Epoche: Noch stritt sich die neue Frau­en­be­we­gung, was aufhe­bens- und was verdam­mens­wert sei am DDR-Sozia­lis­mus, da erüb­rigte sich die Abwä­gung auch schon. Keines der Gesetze galt nun mehr, Konti­nui­tä­ten zum sozia­lis­ti­schen System in jedem Bereich, also auch in der Fami­lien- und Sozi­al­po­li­tik, sollte es nicht geben. Das Bürger­li­che Gesetz­buch regelte wieder das Fami­li­en­recht, Straf­ge­setz­buchspa­ra­gra­phen aus der Kaiser­zeit regle­men­tier­ten Abtrei­bun­gen und den Zugang zu Infor­ma­tio­nen darüber und mit einer beispiel­lo­sen Priva­ti­sie­rung und Deindus­tria­li­sie­rung der ostdeut­schen Wirt­schaft konfron­tiert, hatten Frauen entwe­der die Verach­tung neuer west­deut­scher Vorge­setz­ter oder Arbeits­lo­sig­keit und die Zurück­drän­gung in die Abhän­gig­keit vom Mann zu fürch­ten. Verlo­ren wurden ein Staat und eine Gesell­schaft, die sich der Aufgabe der Befrei­ung der Frau ange­nom­men hatten.

Dabei waren die Umwäl­zun­gen in Ostdeutsch­land so grund­le­gend, dass noch über 30 Jahre nach ihrem Ende Auswir­kun­gen der Gleich­stel­lungs­po­li­tik der DDR spür- und mess­bar sind, sei es bei dem im Osten höhe­ren Grad der Berufs­tä­tig­keit von Frauen, der höhe­ren Kinder­gar­ten­dichte oder dem mit 7 % gerin­ge­ren Lohn­ge­fälle zwischen Männern und Frauen im Osten, das im Westen bei 19 % liegt (Stand 2023). Obwohl so mancher kniff­lige Wider­spruch auch in der DDR nicht über­wun­den war – Stich­wort Haus­ar­beit oder Löhne – erscheint im Blick zurück aus einer Gegen­wart, in der diese Wider­sprü­che unter kapi­ta­lis­ti­schen Bedin­gun­gen in verschärf­ter Weise fort­be­stehen, Vieles verlo­ren. Trotz­dem: Im Schat­ten, den sie aus der Vergan­gen­heit auf die Gegen­wart wirft, hält die DDR der bundes­deut­schen Nach­fol­ge­ge­sell­schaft deren Unzu­läng­lich­kei­ten weiter­hin vor und eröff­net eine Perspek­tive, die in femi­nis­ti­schen Ausein­an­der­set­zun­gen häufig fehlt. Denn das Andere und Beson­dere der Erfah­rung der DDR gegen­über der femi­nis­ti­schen Bewe­gung im Westen und von heute ist die Rolle der gesell­schaft­li­chen Produk­ti­ons­ver­hält­nisse und Massen­mo­bi­li­sie­rung für die Eman­zi­pa­tion der Frau.

Erklär­tes Ziel der Frau­en­po­li­tik in der DDR war die Einbe­zie­hung möglichst brei­ter Massen an Frauen in den Produk­ti­ons­pro­zess, was wiederum nur möglich war, weil die gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen dafür in der DDR gege­ben waren. Die Stra­te­gie fußte auf der inner­halb der revo­lu­tio­nä­ren Arbei­ter­be­we­gung über das 19. Jahr­hun­dert heran­ge­reif­ten Erkennt­nis, dass der Kampf für demo­kra­ti­sche, soziale und wirt­schaft­li­che Rechte der Frau mit der Eman­zi­pa­tion der Arbei­ter­klasse als Ganzes aufs engste verfloch­ten ist. Vorkämp­fe­rin­nen der prole­ta­ri­schen Frau­en­be­we­gung, wie Clara Zetkin, beton­ten, dass nur die radi­kale Verän­de­rung der Produk­ti­ons­ver­hält­nisse die Voraus­set­zung für die Befrei­ung der Frau schafft, denn ihre Unter­drü­ckung und die über Jahr­hun­derte gewach­se­nen patri­ar­cha­len Bezie­hun­gen und Moral­vor­stel­lun­gen, waren aufs Engste mit der Entste­hung des Privat­ei­gen­tums gekop­pelt und fest mit der kapi­ta­lis­ti­schen Produk­tion verwachsen.

Die histo­risch fort­schritt­li­che Tendenz des Zugangs für Frauen zur Arbeit, die unter den allge­mei­nen Bedin­gun­gen privat­ka­pi­ta­lis­ti­scher Profit­wirt­schaft zwangs­läu­fig beson­dere Ausbeu­tungs­be­din­gun­gen für Frauen hervor­brachte, wurde in der DDR unter sozia­lis­ti­schen Produk­ti­ons­ver­hält­nis­sen fort­ge­setzt. Durch die Abschaf­fung des Privat­ei­gen­tums und der damit einher­ge­hen­den Verän­de­rung des Charak­ters von Arbeit änderte sich auch die gesell­schaft­li­che Stel­lung der Frau.

Das war jedoch nicht ohne ihr eige­nes Zutun zu errei­chen. Als Beispiel einer von vielen Massen­in­itia­ti­ven, mittels derer Frauen für die Berufs­tä­tig­keit mobi­li­siert wurden, seien die Haus­frau­en­bri­ga­den genannt. Als Kollek­tive nicht berufs­tä­ti­ger Frauen waren diese in den 1950ern dort in Arbeits­ein­sät­zen aktiv, wo drin­gend Arbeits­kräfte benö­tigt wurden und ermu­tig­ten sie Frauen, eine dauer­hafte Beschäf­ti­gung aufzu­neh­men. Daraus resul­tie­rende Konflikte mit Ehemän­nern beleb­ten die poli­ti­sche Debatte über die gesell­schaft­li­che Isola­tion der Frauen im Häus­li­chen, während die Betei­li­gung am Produk­ti­ons­pro­zess und damit die wirt­schaft­li­che Unab­hän­gig­keit der Frau gestärkt wurde. Mate­ri­elle Anreize und Bewusst­seins­bil­dung wirk­ten ineinander.

Die Berufs­tä­tig­keit wiederum machte den Aufbau einer umfas­sen­den Kinder­be­treu­ungs­in­fra­struk­tur sowie die Redu­zie­rung und bessere Auftei­lung der Haus­ar­beit notwen­dig. Dies waren Prozesse, die sich gegen­sei­tig beein­fluss­ten und vonein­an­der abhän­gig waren. Der sozia­lis­ti­sche Arbeits­platz entwi­ckelte sich auch für Frauen zu einer Dreh­scheibe, in der gesell­schaft­li­che Aufga­ben mitein­an­der verwo­ben waren – Kultur­ange­bote, Bildungs- und Betreu­ungs­mög­lich­kei­ten sowie die gesund­heit­li­che Versor­gung wurden über ihn orga­ni­siert. Hier konn­ten Arbei­te­rin­nen selbst wirk­sam werden, Rechte einfor­dern und durch­set­zen. Die gewerk­schaft­li­chen Frau­en­kom­mis­sio­nen arbei­te­ten Frau­en­för­der­pläne mit aus, die ein kollek­ti­ves Instru­ment zur plan­mä­ßi­gen und verpflich­ten­den persön­li­chen wie fach­li­chen Entwick­lungs­för­de­rung der gesam­ten weib­li­chen Beleg­schaft eines Betrie­bes waren, und über­prüf­ten deren Einhal­tung. Produk­tive Arbeit wurde zur wich­tigs­ten Trieb­kraft, repro­duk­tive Arbeit zum größ­ten Hinder­nis für die Eman­zi­pa­tion der Frau.

40 Jahre sind eine extrem kurze Zeit­spanne. Diesem Umstand muss Rech­nung getra­gen werden, wenn man die Aufga­ben und Wider­sprü­che bewer­tet, die bis 1990 unge­löst blie­ben. Die Repro­duk­ti­ons­ar­beit blieb trotz tech­ni­scher Neue­run­gen, parti­el­ler Verge­sell­schaf­tung und media­ler Appelle an die Männer weit­ge­hend den Frauen über­las­sen; Lohn­un­ter­schiede bestan­den fort, nicht zuletzt, weil es nicht gelang, das Quali­fi­zie­rungs­ge­fälle zu über­win­den und auch weil Frauen trotz glei­cher Quali­fi­ka­tion häufig nicht in Führungs­po­si­tio­nen gelang­ten; tradi­tio­nelle Rollen­vor­stel­lun­gen in der Fami­lie waren nach wie vor verbrei­tet, wenn auch in den jünge­ren Gene­ra­tio­nen weit weni­ger ausge­prägt wie Studien des DDR-Zentral­in­sti­tuts für Jugend­for­schung zeigten.

Die Töch­ter der DDR-Frau­en­po­li­tik wuch­sen schon mit einem neuen Frau­en­bild auf und hatten höhere Ansprü­che an das Leben, die sich in der schwie­ri­gen Reali­tät der Endphase der DDR nicht immer erfül­len ließen. Zwar wurde der Zusam­men­hang von Sozia­lis­mus und Frau­en­be­frei­ung in der DDR entschei­dend herge­stellt und bewie­sen, es gelang jedoch nicht ausrei­chend an die revo­lu­tio­näre Ener­gie der Anfangs­jahre anzuknüpfen.

Tatsäch­lich wurden schon in der SBZ wich­tige Grund­sätze zur Gleich­stel­lung der Geschlech­ter vorge­ge­ben, wie z.B. glei­cher Lohn für glei­che Arbeit, glei­che Bildungs­chan­cen, glei­ches Recht auf Mitbe­stim­mung usw., denn für Kommu­nis­ten und Sozia­lis­ten waren dies nicht verhan­del­bare, elemen­tare Rechte der Frauen. Doch die Erfah­run­gen in der DDR zeigen, dass der Aufbau grund­le­gen­der Struk­tu­ren, die diese Rechte garan­tie­ren, eine kompli­zierte und lang­wie­rige Aufgabe ist, die nicht einfach „von oben“ aufer­legt werden kann. Ohne die Massen­in­itia­ti­ven und demo­kra­ti­schen Struk­tu­ren in Ostdeutsch­land wäre es nicht möglich gewe­sen, den notwen­di­gen Menta­li­täts­wan­del herbei­zu­füh­ren und gesell­schaft­li­che Grup­pen für die Eman­zi­pa­tion der Frau zu gewin­nen. Mit Briga­de­ver­samm­lun­gen, Frau­en­kom­mis­sio­nen und ‑förder­plä­nen, DFD-Grup­pen, Eltern­ak­ti­ven usw. gab es Instru­mente, um diesen gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Kraft­akt im Konkre­ten anzu­ge­hen. Ob diese Instru­mente wahr­ge­nom­men wurden hing von jedem Einzel­nen ab. Nicht selten wurden sie aktiv genutzt.

In Zeiten wach­sen­der Armut, Preka­ri­sie­rung und der welt­wei­ten Rück­nahme von Frau­en­rech­ten lohnt es sich daher, das histo­ri­sche Gegen­bild zur herr­schen­den Indi­vi­dua­li­sie­rung, nämlich die massen­hafte Mobi­li­sie­rung und gesell­schaft­li­che Akti­vie­rung von Frauen in der DDR anzu­schauen. Verlo­re­nes und Geblie­be­nes, Unein­ge­lös­tes und Mögli­ches aus 40 Jahren Frau­en­po­li­tik und ‑förde­rung in der DDR ließen sich produk­tiv in heutige Diskus­sio­nen und Kämpfe um die Gleich­be­rech­ti­gung der Frau tragen, wenn sie zuge­las­sen werden. Die frau­en­po­li­ti­schen Ziele der DDR, erreichte wie uner­reichte, könn­ten einer viel­fach zerglie­der­ten Frau­en­be­we­gung Orien­tie­rung geben indem sie die Befrei­ung der Frau als histo­ri­sche und gesamt­ge­sell­schaft­li­che Aufgabe betrach­tet, nicht als Verhei­ßung indi­vi­du­el­ler Bezie­hun­gen. Diese Aufgabe ist Teil des Vermächt­nis­ses der DDR.

Floren­tine M. Sand­oval
Inter­na­tio­nale Forschungs­stelle DDR
Weiter­füh­rend: „Inter­rupted Eman­ci­pa­tion: Women and Work in East Germany“, erschie­nen 2024 bei Tricon­ti­nen­tal: Insti­tute for Social Rese­arch.

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