IFDDR Newsletter: Januar 2025

 Einen guten Eindruck von zu erwar­ten­den geschichts­po­li­ti­schen Diskus­sio­nen vermit­teln stets die anste­hen­den Gedenk­tage wich­ti­ger histo­ri­scher Ereig­nisse eines Kalen­der­jah­res. Davon gibt es 2025 eine ganze Reihe, die auch für unsere Arbeit wich­tige Impulse liefern. 50 Jahre Befrei­ung Viet­nams, 70 Jahre Bandung-Konfe­renz, das Afrika-Jahr 1960 – ein Höhe­punkt natio­na­ler Befrei­ung –, 35 Jahre Einver­lei­bung der DDR und eini­ges mehr. Eine hervor­ge­ho­bene Rolle spielt für uns die Befrei­ung vom Faschis­mus 1945, die sich zum 80. Mal jährt. Über das erste halbe Jahr verteilt liegen Wegpunkte des Sieges über Nazi-Deutsch­land, von der Befrei­ung von Ausch­witz durch die Rote Armee bis zur bedin­gungs­lo­sen Kapi­tu­la­tion Deutsch­lands am 8. Mai 1945.

 Mit einer am 23. Januar verab­schie­de­ten Reso­lu­tion knüpft das Euro­päi­sche Parla­ment an den bereits 2019 verab­schie­de­ten Text „Bedeu­tung des euro­päi­schen Geschichts­be­wusst­seins für die Zukunft Euro­pas“ an und gibt den Ton vor für eine poli­ti­sche Geschichts­be­wäl­ti­gung in diesem Jahr. Im Ganzen geht es um die Umschrei­bung der Rolle der Sowjet­union vom Opfer des Faschis­mus zum Mittä­ter des Zwei­ten Welt­krie­ges. Als Beleg dafür dient der Bezug auf den deutsch-sowje­ti­schen Nicht­an­griffs­pakt. So auch in der aktu­el­len Resolution:

„[…] die unent­schuld­bare ursprüng­li­che Rolle der Sowjet­union in der Anfangs­phase des Zwei­ten Welt­kriegs, die sie beispiels­weise durch den Nicht­an­griffs­ver­trag zwischen Deutsch­land und der Union der Sozia­lis­ti­schen Sowjet­re­pu­bli­ken (Sowjet­union) von 1939 […], mit dem sich die beiden tota­li­tä­ren Regime zusam­men­ta­ten, um Europa in ausschließ­li­che Einfluss­sphä­ren aufzu­tei­len […], spielte“

 Für die Zeit nach 1945 wird im glei­chen Doku­ment eine sowje­ti­sche „Beset­zung der balti­schen Staa­ten“ und die „Unter­jo­chung Ostmit­tel­eu­ro­pas“ behaup­tet sowie ein EU-weites Verbot der „Zurschau­stel­lung von Symbo­len sowohl des Natio­nal­so­zia­lis­mus als auch des Sowjet­kom­mu­nis­mus“ gefordert.

 Diese Art Geschichts­re­vi­sio­nis­mus ist keines­wegs neu. Bereits 1948 veröf­fent­lichte das US-State Depart­ment unter Mitwir­kung des engli­schen und fran­zö­si­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums eine Samm­lung von Berich­ten und Doku­men­ten unter dem Titel „Nazi-Soviet Rela­ti­ons 1939–1941“ in der Absicht, eine verleum­de­ri­sche Erzäh­lung über die Rolle der Sowjet­union im Zwei­ten Welt­krieg zu verbrei­ten. Es wurde ein Grund­stein für ein bis heute wirk­sa­mes Narra­tiv gelegt, welches die Basis deut­scher Lehr­pläne bleibt.

 Das sowje­ti­sche Infor­ma­ti­ons­büro antwor­tete 1948 mit einer Broschüre unter dem Titel „Geschichts­fäl­scher – Aus Geheim­do­ku­men­ten über die Vorge­schichte des 2. Welt­krie­ges“, die in deut­scher Über­set­zung beim Dietz Verlag in der DDR erschien.

Wir empfeh­len unbe­dingt das Lesen der voll­stän­dig online zugäng­li­chen Broschüre! 

 Mit zahl­rei­chen Bele­gen wird die enge Verflech­tung insbe­son­dere zwischen dem US-ameri­ka­ni­schen und deut­schen Kapi­tal nach­ge­wie­sen, die den Aufbau einer deut­schen Schwer- und Rüstungs­in­dus­trie erst möglich machte. Akri­bisch wird die Chro­no­lo­gie zwischen­staat­li­cher Verträge euro­päi­scher Mächte mit Hitler­deutsch­land verfolgt. Vom Deutsch-Polni­schen Nicht­an­griffs­ver­trag 1934, über das deutsch-engli­sche Flot­ten­ab­kom­men 1935, bis zum Münch­ner Abkom­men 1938 zwischen Deutsch­land, England, Frank­reich und Italien, die der deut­schen Besat­zung der Tsche­cho­slo­wa­kei den Weg berei­tete. Inten­siv werden die von März bis Juli 1939 andau­ern­den Bera­tun­gen zwischen Frank­reich, England und der Sowjet­union beschrie­ben, wobei die West­mächte, bis zuletzt, nicht zu gleich­be­rech­tig­ten Garan­tien bereit waren und ein Abkom­men schei­terte. So wird in der Broschüre zusam­men­fas­send geurteilt:

 „Es wäre eine grobe Verleum­dung, wenn man behaup­ten wollte, daß der Abschluß eines Paktes mit den Hitler­fa­schis­ten zum außen­po­li­ti­schen Plan der UdSSR gehört hat. Im Gegen­teil, die UdSSR war dauernd bestrebt gewe­sen, zu einem Abkom­men mit den nicht­ag­gres­si­ven West­staa­ten gegen die deut­schen und italie­ni­schen Aggres­so­ren zu gelan­gen, um auf der Grund­lage der Gleich­heit die kollek­tive Sicher­heit zu verwirk­li­chen. Ein Abkom­men aber ist ein Akt der Gegen­sei­tig­keit. Während die UdSSR ein Abkom­men über die Bekämp­fung der Aggres­sion anstrebte, lehn­ten England und Frank­reich ein solches syste­ma­tisch ab, da sie es vorzo­gen, eine Poli­tik der Isolie­rung der UdSSR, eine Poli­tik der Konzes­sio­nen an die Aggres­so­ren, eine Poli­tik der Ablen­kung der Aggres­sion nach dem Osten, gegen die Sowjet­union, zu trei­ben. Die Verei­nig­ten Staa­ten von Amerika unter­lie­ßen es nicht nur, einer solchen verhäng­nis­vol­len Poli­tik entge­gen­zu­wir­ken, sondern ließen ihr, im Gegen­teil, jede Unter­stüt­zung ange­dei­hen. Was die ameri­ka­ni­schen Milli­ar­däre anbe­langt, so legten sie auch weiter ihre Kapi­ta­lien in der deut­schen Schwer­indus­trie an, halfen den Deut­schen bei der Entwick­lung ihrer Rüstungs­in­dus­trie und bewaff­ne­ten somit die deut­schen Aggres­so­ren, als ob sie sagen woll­ten: ‘Führt nur getrost Krieg, ihr Herren Euro­päer, führt Krieg mit Gottes Hilfe, indes­sen wir beschei­de­nen ameri­ka­ni­schen Milli­ar­däre an eurem Krieg verdie­nen und Hunderte Millio­nen Dollar Extra­pro­fit einstecken.’“

 Als Kron­zeuge gegen den Mythos, Hitler­deutsch­land und die Sowjet­union hätten im Rahmen der Geheim­ab­kom­men Europa unter sich aufge­teilt, kommt der einer pro-sowje­ti­schen Posi­tion unver­däch­tige Wins­ton Chur­chill zu Wort. Aus Sicht der Sowjet­union musste die Vertei­di­gungs­li­nie gegen die Nazis so weit wie möglich vorge­zo­gen werden.

„Daß die russi­schen Armeen auf dieser Linie stehen, ist für die Sicher­heit Rußlands gegen die deut­sche Gefahr abso­lut notwen­dig. Jeden­falls sind die Stel­lun­gen bezo­gen und die Ostfront ist geschaf­fen, die anzu­grei­fen das nazis­ti­sche Deutsch­land nicht wagt. Als Herr v. Ribben­trop in der vori­gen Woche nach Moskau geru­fen wurde, da geschah das, damit er von der Tatsa­che erfahre und Notiz nehme, daß den Absich­ten der Nazis auf die balti­schen Staa­ten und die Ukraine ein Ende gesetzt werden muß.“ (Chur­chill, 1. Okto­ber 1939)

 Es löst tief­grei­fende Beden­ken aus, wenn wich­tige poli­ti­sche Organe und Histo­ri­ker die Ursa­chen und Verant­wort­li­chen für den Zwei­ten Welt­krieg neu zu vertei­len suchen und dabei insbe­son­dere Schuld vom deut­schen Faschis­mus auf dessen Opfer verla­gern. Poli­ti­sche Moti­va­tion ersetzt eine seriöse Ausein­an­der­set­zung mit der Geschichte, der wir uns als Forschungs­stelle verpflich­tet sehen.

Insbe­son­dere in Zeiten wach­sen­der Aufrüs­tung und Kriegs­ge­fahr ist soli­des Wissen um die Geschichte, Ursa­chen und Verant­wort­li­chen von Krieg und Faschis­mus gefragt. Das Zetkin Forum, dessen Teil die Inter­na­tio­nale Forschungs­stelle DDR ist, rich­tet genau in diesem Sinne vom 20. bis 22. Juni 2025 eine Konfe­renz unter dem Titel: „Faschis­mus zurück in Europa?“ aus, zu der wir Euch sehr herz­lich einla­den möch­ten. Alle Infor­ma­tio­nen zur Konfe­renz werden hier laufend aktualisiert.

Red Books Day 2025

Seit eini­gen Jahren bege­hen wir am 21. Februar, dem Tag, an dem 1848 Marx und Engels das Kommu­nis­ti­sche Mani­fest veröf­fent­lich­ten, den “Red Books Day“, den Tag der Roten Bücher, an dem wir Bedeu­tung und Wirkung nicht nur des Kommu­nis­ti­schen Mani­fests, sondern roter Lite­ra­tur insge­samt nach­ge­hen sowie die Arbeit von Autorin­nen und Verle­gern feiern. Auch dieses Jahr werden auf allen Konti­nen­ten Veran­stal­tun­gen statt­fin­den, Lese­zir­kel, Buch­ba­sare und Diskussionsrunden.

 Wir laden euch ein, die Bücher, die euch beson­ders beein­flusst haben, mit uns zu teilen. Schickt uns, wenn möglich ein Foto vom Cover, den Titel und ein paar wenige Sätze dazu, warum euch dieses bestimmte Buch wich­tig gewor­den ist bzw. wie es euch beein­flusst hat. Wir werden die Einsen­dun­gen auf Social Media veröf­fent­li­chen und unter dem Hash­tag #RedBooksDay2025 die Viel­falt roter Lite­ra­tur mit Freun­din­nen und Freun­den auf der ganzen Welt teilen.

 Die ersten 10 Einsen­dun­gen gewin­nen einen Red Books Day Kalen­der mit 12 Illus­tra­tio­nen von Künst­le­rin­nen und Künst­lern inter­na­tio­na­ler Kunst­kol­lek­tive. Wir freuen uns auf uns noch unbe­kannte Lite­ra­tur und auf Klas­si­ker, auf Romane, Sach­bü­cher, Theo­rie und Belletristik.

Rosa Luxemburg Konferenz

 Mit einem Stand waren wir auf der dies­jäh­ri­gen Rosa-Luxem­burg Konfe­renz vertre­ten. Beson­ders hat uns die anhal­tende Nach­frage und das große Lob für unsere beiden Broschü­ren der Studies-Reihe gefreut. Wieder­holt wurde uns berich­tet, dass die Broschü­ren für kleine Bildungs­ein­hei­ten und ähnli­ches einge­setzt werden. Umso mehr sind wir moti­viert an der Reihe weiterzuarbeiten!

Die Zerschlagung der neokolonialen Herrschaft in Kongo-Brazzaville (heute Republik Kongo)

Der im Dezem­ber erschie­nene Arti­kel von Matthew Read über die nicht-kapi­ta­lis­ti­sche Entwick­lung des Kongos ist jetzt auch auf Deutsch verfügbar. 

 Die aktu­ell bluti­gen Kämpfe im östli­chen Nach­bar­land der Repu­blik Kongo, in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo, bele­gen die Aktua­li­tät des Kamp­fes um stra­te­gi­sche Souve­rä­ni­tät unter den Bedin­gun­gen des Neoko­lo­nia­lis­mus. Die M23, eine durch Ruanda gestützte Söld­ner­truppe, verschafft sich mit beispiel­lo­ser Gewalt Zugriff auf Schmug­gel­rou­ten und Berg­bau­ge­biete und macht Ruanda, obwohl es über keine Coltan- oder Tantal­vor­kom­men verfügt, zu einem der welt­weit größ­ten Expor­teure dieser Mine­ra­lien. In Ruanda sind die reichs­ten Menschen nicht Indus­tri­elle oder Bauern, sondern Mili­tär­ge­neräle, die von der Plün­de­rung des Kongo profi­tie­ren. West­li­che Länder wiederum unter­stüt­zen das Regime Paul Kaga­mes in Ruanda und sorgen so für die schein­bar ewige Wieder­kehr von Terror und Chaos, die den Rahmen schaf­fen, damit der Fluss billi­ger Rohstoffe nicht versiegt.

 Der Kampf gegen neoko­lo­niale Ausbeu­tung ist so aktu­ell wie vor über 60 Jahren, als die Repu­blik Kongo sie zu durch­bre­chen suchte. Von 1963 bis 1990 schlug Kongo-Braz­z­aville einen beispiel­lo­sen revo­lu­tio­nä­ren Weg in Zentral­afrika ein und wurde zur ersten Volks­de­mo­kra­tie des Konti­nents. Im Text werden die Geschichte der kongo­le­si­schen Revo­lu­tion und die Bezie­hun­gen zum sozia­lis­ti­schen Block nachgezeichnet.

Die Ausru­fung der Volks­re­pu­blik Kongo im Dezem­ber 1969: Präsi­dent Ngou­abi präsen­tiert die neue Flagge des Landes. 

Hans Reichelt verstorben

 Am 14. Januar ist der lang­jäh­rige Minis­ter für Land­wirt­schaft und erste Minis­ter für Umwelt­schutz der DDR im Alter von 99 Jahren verstor­ben. Gebo­ren 1925 in Schle­sien, kam er als Leut­nant der Wehr­macht für vier Jahre in sowje­ti­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Nach dem Besuch einer Antifa-Schule kehrte er 1949 nach Deutsch­land zurück. Für die Bauern­par­tei wurde er Abge­ord­ne­ter der Volks­kam­mer, der er bis 1990 ange­hörte. Als Minis­ter für Land- und Forst­wirt­schaft ab 1953 beglei­tete er nach der Boden­re­form die wohl bedeut­samste Verän­de­rung auf dem Land, die Bildung der Genos­sen­schaf­ten, von verant­wort­li­cher Stelle.

 Im Sommer 2022 hatten wir selbst Gele­gen­heit, uns mit Hans direkt über seine Erfah­run­gen als Minis­ter auszu­tau­schen. Er konnte uns mitneh­men auf eine kleine Zeit­reise in die Schwie­rig­kei­ten des sozia­lis­ti­schen Aufbaus der 1950er Jahre, hat von der bedeut­sa­men Rolle der Bäue­rin­nen für die Genos­sen­schafts­be­we­gung gespro­chen, hat auch Fehler in der Entwick­lung der Land­wirt­schaft ange­spro­chen und doch klar begrün­det, dass die Umwäl­zun­gen auf dem Land in der DDR einen umfas­sen­den histo­ri­schen Fort­schritt bedeuteten.

Für 2025 noch auf der Suche nach einem Praktikum?

 Wer noch nach einem Prak­ti­kums­platz während der Semes­ter­fe­rien (und auch zu ande­ren Zeiten) sucht, kann sich gerne bei uns melden. Bei der IFDDR könnt ihr euch inten­siv mit Fragen und Themen der DDR-Geschichte beschäf­ti­gen, selbst an Publi­ka­tio­nen arbei­ten, unsere Social Media Arbeit voran­brin­gen, Zeit­zeu­gen­in­ter­views führen, die Arbeit mit Schnitt­pro­gram­men lernen und vieles weitere mehr. Bei Inter­esse schickt uns eine Anfrage!